Monday, July 30, 2007

Tour - Quo Vadis?

Paris. Hans-Michael Holczer ist eigentlich ein Mann, der ausgesprochen klar sieht und klar denkt. Aber wenn man den Chef der Berufsradsportgruppe Gerolsteiner fragt, wo seine Branche steht und wo es mit ihr hingeht, weiß er keine Antwort. „Ich bin im Augenblick ehrlich gesagt orientierungslos“, sagt der ehemalige Mathematiklehrer mit den Händen in der Hosentasche und hochgezogenen Schultern. „Es kann alles passieren.“

Eines weiß Holczer allerdings, nämlich, dass die Todesanzeigen für die Tour, die in der vergangenen Woche etwa von der Titelseite verschiedener französischer Zeitungen prangten, voreilig waren. Die Abgesänge auf das größte Radrennen der Welt seien blanke Hysterie - mit der Realität der Tour hätten sie nur wenig zu tun. Der Popularität der Tour hätten die Fälle Rasmussen, Vinokourov und Sinkewitz jedenfalls nur begrenzt geschadet und so lange die Millionen in Frankreich die Strassen säumen, lassen sich auch die Sponsoren nur bedingt vom Doping abschrecken. „Unsere Partner lassen uns nicht fallen“, bekräftigte am Samstag Tour-Chef Christian Prudhomme.

Die Supermarktkette „Champion“, Präsentierer des getupften Bergtrikots, hat sich etwa gerade erst für zwei weitere Jahre der Tour verschrieben. „Wir sind stolz darauf, den Kampf gegen das Doping zu unterstützen“, gibt der Marketing-Direktor von Champion, Eric Marchyllie, vor. Ob Champion wirklich so wegen des Dopings besorgt ist, darf man freilich hinterfragen. Immerhin hat Champion seit Jahren Richard Virenque als Repräsentanten unter Vertrag und Virenque war zwar 1998 in die Doping-Affäre Festina verwickelt. Allerdings ist er auch einer der populärsten französischen Sportler und da nimmt man es mit der Anti-Doping-Haltung nicht so genau.

Weil Fans und Sponsoren das Doping-Thema weit weniger dramatisch bewerten als die Medien, ist die Tour vorerst noch wirtschaftlich quietschgesund. Die Auswirkungen der Dopingskandale werden eher schleichend als katastrophal sein. So richtig werden sie wohl erst spürbar, wenn bestehende Verträge nach und nach neu verhandelt werden. Dann wird sich zeigen, inwiefern die Interessenten das Doping als Grund für eine Preisminderung ins Feld führen können und somit eine noch immer weiträumige Verbreitung ihres Markennamens zum Schnäppchenpreis bekommen.

Aus sportlicher Sicht birgt diese Situation sowohl Chancen als auch Risiken. Das negative Szenario für den Radsport wäre das Modell Astana: Dubiose Investoren kaufen zum Discount dopingbelastete Restbestände auf, um ihre persönliche Eitelkeit zu befriedigen. Um den Sport und dessen Zukunft scheren sie sich wenig, sie führen Mannschaften oder Rennen unseriös und fügen dem ohnehin krisengeschüttelten Sport großen Schaden zu. Sollte sich dieses Modell durchsetzen würde der Radsport wohl endgültig ins Halbseidene abgleiten.

Es kursieren bereits sogar Gerüchte, dass solche Financiers ein Auge nicht nur auf einzelne Teams oder Rennen, sondern auf den Radsport als Ganzen geworfen haben. Hans Michael Holczer schätzt den Wert des gesamten Sports auf derzeit 350 Millionen Euro jährlich, Tendenz fallend. Das ist ein Betrag, den ein einzelner Großinvestor oder eine Investorengruppe – ein Ölmilliardär aus dem Osten oder dem Nahen Osten oder ein chinesischer Konzern etwa -durchaus stemmen könnten.

Auch einem holländischen Investmentfonds wird nachgesagt, den gesamten Sport kaufen zu wollen. Hinter dem Fond steckt der Vizepräsident des Radsport-Verbandes UCI, Hein Verbruggen, der als der starke Mann im Verband gilt. Wegen dessen privater Investment-Interessen mutmaßt Prudhomme auch, dass Verbruggen gezielt die Dopingfälle Sinkewitz und Rasmussen mitten in die Tour hat platzen lassen. Die Skandale sollten den Preis des gesamten Radports inklusive der attraktiven Tour drücken.

Prudhomme hat indes seine eigenen Pläne. Er will – das klang bei seiner feurigen Rhetorik gegen den Verband in den vergangenen Tagen durch - nicht nur die Unabhängigkeit der Tour erhalten; er will mit den anderen Profi-Radrennen, die zur Tour-Gruppe gehören, eine von der UCI-Pro-Tour autonome Rennserie etablieren. Kern der Liga wären die französischen und deutschen Mannschaften, die während dieser Tour eine Vereinigung für einen sauberen Radsport gegründet haben. Mit ihnen und mit jedem, der sich ihnen anschließen möchte, kündigte Prudhomme am Samstag an, werde es einen Gipfel im Oktober geben, bei dem über ein „neues System“ nachgedacht wird. Sogar über die Wiedereinführung von Nationalmannschaften wird in diesem Zusammenhang geredet. Durch ihre offensive Anti-Doping Politik wäre diese Serie dauerhaft glaubhaft für Sponsoren und könnte zudem die Reputation des Radsports ausbessern. Mit ähnlichen Gedanken wie Prudhomme spielen Hans Michael Holczer, T-Mobiles Bob Stapleton, sowie andere, unkonventionell denkende Geister im Profiradsport: Eine unabhängige, rein kommerzielle Rennserie zu starten, die von den progressiven Kräften im Radsport modern geführt und vermarktet wird. Vorbild wären straff gemanagte Profi-Sport Unternehmen wie etwa die Formel 1 oder die US-Footballiga NFL.

Ein seriös geführter, durchkommerzialiserter Sport mit einem eindeutigen Bekenntnis gegen das Doping auf der einen Seite; ein Verramschen und Abgleiten des Sports auf der anderen - das sind wohl derzeit die beiden Richtungen, in die es mit dem Radsport gehen könnte. Bis erkennbar wird, in welche, werden allerdings wohl Monate, wenn nicht Jahre vergehen. Möglicherweise wird der Sport sich auch spalten und sich in beide Richtungen entwickeln. Es wird spannnend sein, diesen Prozess zu beobachten, denn so, wie der Radsport die schlimmsten Probleme des modernen Hochleistungssports verkörpert, könnte er auch aufzeigen, wie die Zukunft des Profi- und Show-Sports als Ganzes aussehen könnte. Eines wird der Radsport allerdings ganz sicher nicht – weil er so zutiefst moralisch verrottet ist durch einen apokalyptischen Feuersturm von der Erde gefegt werden. Auch, wenn die Moralisten unter den Kommentatoren sich das manchmal wünschen.

Sunday, July 29, 2007

UCI VS ASO: Radsport vor der endgültigen Spaltung

Angoulheme. Wenn Marcus Burghardt an die diesjährige Tour zurückdenkt, erinnert er sich vor allem an einen Augenblick. Es war am Schlussanstieg der Alpenetappe nach Tignes und der junge T-Mobile Profi kämpfte weit hinter dem Feld darum, in der Karenzzeit und somit im Rennen zu bleiben. Nur wenige Kilometer unterhalb des Gipfels dann ein Schock – auf der Strasse lag, nach einem Zusammenprall mit einem Zuschauer bewußtlos und schwer blutend, sein Mannschaftskamerad Patrik Sinkewitz. „Ich dachte noch, das ist jetzt unmenschlich hier vorbei zu fahren“, sagt Burghardt, zwei Tage vor Paris auf der Terrasse des Hotels Orsay gegenüber des Bahnhofs von Montauban sitzend. „Aber ich musste doch im Rennen bleiben.“

Als Radprofi bei der diesjährigen Tour de France brauchte man vor allem eine Fähigkeit, um seinen Job zu erledigen, nämlich die, Dinge auszublenden und einfach weiter zu stramplen. Die Tatsache etwa, dass die Tour und der ganze Radsport auf der Kippe stehen und dass niemand weiß wie und ob es mit diesem Sport weitergehen soll. „Ich möchte eigentlich die nächsten zehn Jahre in diesem Sport bleiben“, sagt der 24 Jahre alte Zschopauer etwa. Aber Burghardt weiß auch genau, dass er damit nicht unbedingt planen kann. Niemand weiß heute, in welcher Form der Profi-Zirkus weiter existieren oder was aus der Tour de France wird. Nicht einmal, ob es im kommenden Jahr noch ein Team T-Mobile gibt und Marcus Burghardt noch einen Arbeitsplatz hat, ist sicher.

Eine Entwicklung zeichnete sich immerhin am vorletzten Tour-Tag deutlich ab: Es wird wohl zu einer Spaltung des Radsports kommen. Am Start des Einzelzeitfahrens in Cognac hielten die Tour-Chefs Christian Prudhomme und Patrice Clerc, mit einer Hundertschaft von Reportern im strömenden Regen unter eine Zeltplane gekauert, eine wütende Rede gegen den Radsportverband UCI, der “gewissenlos und machiavellistisch“ die Tour untergrabe. Durch ihre lässliche Haltung habe die UCI der Tour in diesem Jahr „schwere Schläge“ versetzt, beschwerte sich Prudhomme. Und deshalb werde man es sich in Zukunft nicht mehr gefallen lassen, daß dopingverdächtige Fahrer wie Sinkewitz, Moreni und Rasmussen zur Tour zugelassen werden. Deshalb werde sich die Tour aus dem bisherigen System des Profiradsports wohl endgültig ausklinken.

Wie das neue System aussehen solle, so Prudhomme und Clerc, soll bei einem Gipfel im Oktober diskutiert werden, zu dem alle „Kräfte geladen werden, die es mit einem neuen Radsport ernst meinen.“ Klar ist bislang nur soviel: Die Tour-Organisation ASO will in Zukunft absolute Kontrolle darüber, wer bei ihrem Rennen und den anderen Rennen, die sie veranstaltet, mitmachen darf und wer nicht. „Wir werden einen ethischen Pass von jedem verlangen, der bei unseren Wettbewerben startet“, so Prudhomme. Er hoffe zwar sehr, dass sich viele Teams für diesen Weg entscheiden. „Wenn es aber nur 12 anstatt 20 Mannschaften sind, dann halten wir auch eine Tour mit nur 12 Mannschaften ab.“

Pat McQuaid, der Präsident der so böse gescholtenen UCI, stand derweil etwas verloren vor den Gittern des Tour-Village, des Zeltdorfes am Start jeder Etappe, im Regen und wunderte sich über solch offene Feindseligkeiten. Nicht einmal Zutritt zum Village und den anderen abgesperrten Bereichen hatte McQuaid, weil Prudhomme ihn zur unerwünschten Person erklärt hatte. „Ich kann doch gar nichts für die ganzen Dinge, die die Tour mir vorwirft“, verteidigte sich der gedrungene Ire, während er seinen Sakko-Kragen gegen den Niederschlag hochzog. „Ich wollte noch nie der Tour schaden.“ Die Pläne der Tour, sich von der UCI unabhängig zu machen, nannte er „einen großen Fehler“ und „ganz schlecht für den Kampf gegen das Doping.“ Ganz abgesehen davon glaubte McQuaid, habe die Tour-Holding Gesellschaft ASO gar nicht das Recht, sich unabhängig zu machen: „Die Tour gehört nicht der ASO, sie gehört der Radsport-Familie.“

In dieser Formulierung schwang freilich eine Warnung mit und die Tour wird in den nächsten Wochen zu klären haben, unter welchen juristischen Voraussetzungen sie sich überhaupt von McQuaids Organisation lossagen kann. Marcus Burghard und seinen jungen Kollegen bringt diese Sachlage im Hinblick auf ihre Zukunftsperspektive indes im Moment wenig. Es wird noch eine Weile dauern, bis sich die Konturen des Radsports der Zukunft abzeichnen. Bis dahin bleibt den jungen Profis wohl weiterhin nur eines: Strampeln und Ausblenden.

Thursday, July 26, 2007

Der Tag, an dem die Tour das Gelbe Trikot verlor

Pau. Es ist halb ein Uhr früh und Michael Boogerd schreitet rastlos in der Lobby des Hotels Mercure an der A 64 zwischen Pau und Tarbes auf und ab. Es ist nicht die Art und Weise, wie ein Radprofi gewöhnlich die Nacht vor einer langen Tour-Etappe verbringt, aber Boogerd muss seine Gedanken sortieren. Er weiß noch nicht, ob er am nächsten Tag wieder aufs Rad steigen soll, denn seine Mannschaft Rabobank hat ihren Kapitän Michael Rasmussen, den Träger des Gelben Trikots, am Abend gefeuert. Der Däne verschwand um kurz nach elf verschämt durch die Hintertür aus dem Teamhotel.

Boogerd ist verwirrt, ebenso wie seine Mannschaftskollegen und wie der Rest des Tour de France Fahrerfeldes, nachdem die Nachricht die Runde gemacht hat. Ist das jetzt endgültig der Tod der Tour de France, wie die linke französische Tageszeitung Liberation am Donnerstag früh titelt? Wird der gesamte Profiradsport auseinander fallen, macht das alles noch Sinn? Oder ist das eine Chance für die Tour, die beste Nachricht seit einer Woche, wie Tour Direktor Christian Prudhomme am Donnerstag früh am Start neben dem Casino von Pau zweckoptimistisch verkündet?

Am Hotel Mercure hat man in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag nicht mehr das Gefühl, dass die Tour eine Zukunft hat. Polizisten haben die schmucklose Bettenburg umstellt, Zimmer der Rabobank-Mannschaft werden durchsucht. Ein Los, vor dem kein Tour-Team mehr gefeit ist – Radsportler sind in dem Land mit dem härtesten Anti-Doping Gesetz Europas alle potenzielle Kriminelle.

Als die Gendarme um halb eins endlich abgeziehen, tritt der Sprecher des Teams, Jacob Bergsma in die Lobby und erklärt mit versteinerter Miene und tonloser Stimme die Lage. Team-Direktor Theo De Rooy, der emotional stark angegriffen ist, wie Bergsma berichtet, hatte nach der Mittwochsetappe Rasmussen wegen neuer Informationen zur Rede gestellt, die die vorherigen Erklärungen des Dänen zu seinen Verwarnungen durch den internationalen Radsportverband widersprachen. Rasmussen war mehrfach zu unangemeldeten Dopingkontrollen nicht auffindbar gewesen und hatte in den vergangenen Tagen gemeinsam mit seinem Rechtsanwalt immer verworrenere Geschichten aufgetischt, um diese Versäumnisse zu erklären. Den neuen Informationen hielt Rasmussens Lügengebäude jedoch nicht mehr stand. Er musste de Rooy eingestehen, dass er ihn hinters Licht geführt hatte.

Rasmussen hatte angegeben, im Juni eine unangemeldete Kontrolle verpasst zu haben, weil er kurzfristig nach Mexiko zum Training gereist war. Dummerweise wurde er genau zu dieser Zeit von dem italienischen Fernsehreporter Davide Cassani in den Dolomiten beim Training gesehen.Cassani hatte das schon in seiner Live-Reportage von der Tour de France vom 15. Juli berichtet, noch bevor Rasmussen das Gelbe Trikot übernahm. Der dänische Fernsehjournalist Niels Christian Jung hatte die Bemerkung gehört und daraufhin Cassani interviewt. De Rooy erfuhr von Rasmussens Widersprüchlichkeiten, nachdem das Interview am Mittwoch im dänsichen und im deutschen Fernsehen ausgestrahlt worden war.

Spätestens diese Episode machte deutlich, dass es Rasmussen in der Vergangenheit nicht aus Schusseligkeit versäumt hatte, den Dopingkontrolleuren seinen jeweiligen Aufenthaltsort fristgerecht und wahrheitsgetreu mitzuteilen. Rasmussen hatte offenbar ein kompliziertes System entwickelt, den immer häufigeren Trainingskontrollen zu entgehen. So hatte er es durch seine wechselnden Lizenzen, zuerst beim mexikanischen, dann beim monegassischen Verband, geschafft, drei Jahre lang jegliche unangemeldete Kontrolle zu vermeiden. In diesem Juni, als er in den Dolomiten herum radelte, bekam der Radsportverband UCI einen Brief mit einer Ortswechsel-Meldung von Rasmussen, der in Mexiko abgestempelt worden war, wie Niels Christian Jung heraus bekam. Rasmussen muss von Italien aus diesen Brief nach Mexiko geschickt haben, wo eine Kontaktperson den Brief nach Lausanne weiter leitete. All das, so wird spekuliert, inszenierte Rasmussen, um im Juni ungestört mit einem italenischen Wunderdoktor die Tour de France vorzubereiten.

Dass Rasmussen sich mit seinen Lügengeschichten bis zur 16. Etappe der Tour durchmogeln konnte, lässt indes niemanden im Radsport gut aussehen. Es gibt bis heute keine Antwort darauf, warum der Radsportverband UCI zuließ, dass Rasmussen bei der Tour starten durfte. Er hatte Rasmussen mehrfach verwarnt, es aber für sich behalten, dass der Dände auffällig geworden ist. „Hätten wir am Start der Tour gewusst, was wir jetzt wissen“, so Christian Prudhomme am Donnerstag vormittag, „wäre Rasmussen nie gestartet.“ Die Tour de France muss sich die Kritik gefallen lassen, dass sie trotz ihrer martialischen Anti-Doping-Rhetorik die Kosten einer Schadensersatz-Klage durch Rasmussen gescheut hat und ihn lieber die Fans eine Woche lang an der Nase herum führen ließ.
Zu guter Letzt muss sich die Mannschaft Rasmussens fragen lassen, warum sie so lange zu ihm hielt. Erst auf Druck der holländischen Bank, die seinen Rennstall finanziert, stellte Theo de Rooy Herrn Rasmussen unangenehme Fragen.

Aber trotz Allem rollte die Tour am Donnerstag früh mit beinahe schon pathologischer Stoik auf ihre viertletzte Etappe. Kinder ließen sich Kappen signieren, Teenagerinnen ließen sich mit Rennfahrern fotografieren. Der junge Spanier Alberto Contador, Nachrücker für Rasmussen, drängte sich unter lauten Anfeuerungsrufen spanischer Anhänger voller Kampfesmut durch die Menge zum Start, um erstmals in seinem Leben das Gelbe Trikot zu erstreiten. Auch Boogerd und der Rest der Rabobank-Mannschaft haben sich dazu durchgerungen, noch bis Paris zu Radeln. „Ich befürchte, der Radsport ist nicht tot zu kriegen“, seufzte der Direktor der deutschen Equipe Gerolsteiner angesichts dieses Treibens. Offensichtlich hat ihm sein Gewerbe schon einmal mehr Spass gemacht, als an diesem Tag.

Wednesday, July 25, 2007

Prudhommes Träumereien

Christian Prudhomme wurde richtig gehend böse am Dienstagnachmittag im Kongressszentrum von Pau. Der Tour de France-Direktor schlug mit der Faust auf den Tisch, erhob die Stimme und bediente sich der martialischen Rhetorik des „Krieges“ gegen die Betrüger, in dem „Schlachten gewonnen und verloren“ werden, in dem jedoch er und die Seinen mit äußerster Bestimmtheit voran schreiten werden. So viel mannhafte Leidenschaft passt eigentlich gar nicht so recht zu dem milchgesichtigen 46-Jährigen mit dem sauber gezogenen Scheitenscheitel und den gestärkten Hemdkrägen, der immer noch ein wenig aussieht, wie der Streber aus der Parallelklasse.

Aber Prudhomme kämpft schließlich für die „Träume seiner Kindheit“, wie er sagt und da kann man auch mal ein bißchen aus sich heraus gehen. Vor allem, wenn diese Träume gleich von so vielen Bösewichtern bedroht werden. Schon als Junge hat Prudhomme, wie die meisten kleinen Franzosen, die Tour de France geliebt, ihre Helden und deren legendäre Taten an mythischen Orten angehimmelt. Und jetzt kommen da die Vinkourovs dieser Welt und machen ihm sein schönes Spielzeug kaputt, weil sie lügen und betrügen und sich mit Hilfe von Fremd- oder Kunstblut zu Dingen aufschwingen, zu denen sie eigentlich gar nicht fähig sind. „Raus mit Euch“, rief Prudhomme deshalb der Kasachenbande aus Astana zu, „Euch brauchen wir hier nicht. Euch werden wir das Feld nicht überlassen.“ Doch damit waren die kriegerischen fünf Minuten des braven Herrn Prudhomme noch nicht vorbei. Er kündigte eine Revolution in der Dopingbekämpfung an, von der Laxheit und Trägheit der Verbände hat er die Nase voll. Die Fahrer müssten begreifen, wiederholte der Steifkragen in Sherriff-Laune etwa zehn Mal, dass sie russisches Roulette spielen, wenn sie Dopen.


Der Radsport gibt sich kämpferisch seit der Operacion Puerto, die Toleranz für das Doping ist merklich gesunken. Es ist vermutlich gar nicht falsch, wenn die vielen positiven Dopingfälle, wie der von Vinokourov und der von Patrik Sinkewitz als Zeichen eines verbesserten Kontrollsystems gewertet werden. Das Dumme daran ist, dass es ein Fass ohne Boden zu sein scheint. Je tiefer nun endlich, nach 100 Jahren gemeinsamen Schwelgens in den Leidens-Epen der „Giganten der Landstrasse“ die Rennveranstalter, Journalisten und Funktionäre bohren, desto mehr müssen sie fest stellen, dass es einen sauberen Radsport vielleicht nicht geben kann, ohne dass man das Personal komplett auswechselt.

Die diesjährige Tour wird vermutlich einen Sieger haben, der es geschafft hat, durch geschicktes Jonglieren von Wohnorten und Lizenzen drei Jahre lang praktisch jede Trainingskontrolle zu vermeiden. Und wenn der sklerotische Herr Rasmussen es nicht schafft, dann rückt ein junger Spanier nach, dessen Name nachweißlich auf einer Akte im Büro des Doktor Fuentes stand. Wenn man die Liste der Top Fahrer bei der Tour weiter durchgeht, wird es nicht besser: Levi Leipheimer? Mutmaßlicher Kunde des berüchtigten „Preparatore“ Michele Ferrari. Dann der schweigsame Herr Klöden, der mit bewunderswerter Treue zu seinen gedopten Freunden Jan Ullrich und Matthias Kessler hält und von „Vino“ erst enttäuscht war, als dieser mit seiner Blutpanscherei den Arbeitsplatz von Klöden aufs Spiel setzte. Auf Platz 11? Alejandro Valverde, wiederrum aktenkunder Klient bei Fuentes.

Vermutlich wird man, wenn man die Namen der 160 im Feld verbliebenen Tour-Fahrer durchgeht, nicht viele finden, bei denen es nicht irgendwelche verdächtigen Verbindungen oder Ungereimtheiten gibt. Selbst der sympathische Linus Gerdemann musste sich Fragen gefallen lassen, was denn der dubiose Dottore Cecchini ihm alles so geraten hat, als er den Deutschen noch fit machte.Und angesichts dieser Sachlage muss die Frage erlaubt sein, was der ehrenwerte Herr Prudhomme mit seinem Kampf denn erreichen möchte? Was möchte er denn vor den bösen Dopern retten? Was bleibt denn übrig, wenn das Doping ausgemerzt ist? Die Rhetorik der Hygiene scheint doch im Radsport vergleichsweise unanangebracht. Wenn der Kammerjäger mit dem verpesteten Haus fertig ist, so scheint es, fällt das Gebäude Tour in sich zusammen.

Aber Herr Prudhomme hat ja gesagt, was er retten will – nicht die Tour sondern die Träume seiner Jugend. Er hat schon gut daran getan, von Träumen zu reden, denn in der Jugendzeit des 1960 Geborenen, in den 70er Jahren, war der Radsport vermutlich auf dem Gipfel der gerne so genannten „Verseuchtheit“. Die Dopingkontrollen waren eine Farce, die Fahrer schleppten, laut Zeitzeugen „eimerweise“ Fremdurin zu den Kontrollen, die zumeist angekündigt waren. Die ohnehin lächerlichen Strafen wurden in den rennfreien Wintermonaten abgesessen.

Der Radsport, das ist mittlerweile ein Gemeinplatz, war noch nie dopingfrei. Der Anspruch, dopingfrei zu sein, wurde erst sehr verspätet, in den 60er Jahren erstmals, und bis vor Kuzrem auch nur äußerst halbherzig an den Radpsort heran getragen. Radsport und Doping gehören zusammen und vielleicht ist nicht das Doping der Widersinn, sondern der Versuch, Radsport und Doping zu entwirren.

„Wer vom Doping redet, darf vom Sport nicht Schweigen“ hat der Sportsoziologe Eugen König einmal gesagt. Damit gemeint hat er, dass der moderne Massenspektakelsport nicht, wie die Prudhommes dieser Welt das möchten, ohne Doping zu haben ist. Prudhommes „schöner Traum“ eines homerischen Leidensdramas auf romantischen französischen Landstrassen ohne Medikamente ist, das zeigt die harte Wirklichkeit, ein naiver Unfug. Wer kein Doping haben möchte, der muss das ganze System radikal überdenken.

Das System Spektakelsport ist komplex, seine ganzen Pathologien zu identifizieren würde längerer Abhandlunegn bedürfen. Aber hier ist ein Ausschnitt, der andeutet, woran es hapert. Am Tag, an dem Vino aufflog, lobte L’Equipe, die Sportzeitung, die dem Tour-Veranstalter ASO gehört, in riesigen Lettern über einem ganzseitigen Foto „Die Courage von Vino“. Der heroische Ritt Vinokourovs zum Sieg in Loudenvielle war so recht nach dem Geschmack der Tour-Romantiker – Vinokourov überwand Schmerz und Niederlage und formte sich durch seine Tapferkeit in den rauhen Bergen zu einem Märtyrer. Wiederauferstehung inklusive. Die Tatsache, dass die Tour solche Erzählungen hervorbringt, ist genau der Grund, warum Mr. Prudhomme von ihr träumt und sie retten mag. Mr. Vinokourov versteht das, er ist auch ein großer Fan von Superheldengeschichten, vor allem wenn er sowohl der Autor als auch der Hauptdarsteller ist. Deshalb ist er Radprofi, das liebt er an seinem Sport. So sehr mag er diese Stories, dass er nicht lange zögert, bei der Fabrikation dieser Geschichten Dinge zu tun, die ihm nicht gut bekommen. Das tut man eben so in der Branche, weil es anders ja auch gar nicht geht.

Vielleicht sollte Herr Prudhomme also einsehen, dass er seine Romanzen nicht ohne Drogen bekommt. Vielleicht sollte er einsehen, dass seine Träuemereien Teil des Problems sind. Und vielleicht sollten wir uns alle unseren Geschmack an den großen Sportdramen abgewöhnen. Wir wissen ja nun zu genüge, wie pervers die Methoden ihrer Produktion sind.

Tuesday, July 24, 2007

Vinokourov Positiv, ASTANA von Tour ausgeschlossen

Pau. Das Gesicht von David Millar wurde kreidebleich und dem ehemaligen Weltmeister schossen die Tränen in die Augen. „Wenn das wahr ist, dann können wir alle einpacken“, war alles, was dem ansonsten wortgewandten Briten, der vor zwei Jahren EPO-Mißbrach gestanden hatte, über die Lippen kam. Millar war gerade dabei, im Kongresszentrum von Pau seine Ruhetags-Pressekonferenz abzuhalten und über seine Rennwoche zu plaudern, als die Nachricht wie eine Bombe in den Saal einschlug, dass Alexandre Vinokourov bei einem Dopingtest vom 21. Juni aufgefallen war. Der Kasache hatte sich mutmasslich Fremdblut in die Adern gepumpt. Am selben Tag gewann er überraschend das Einzelzeitfahren in Albi.

Der Sieg an diesem Tag hatte bereits verblüfft, nachdem Vinokourov kurz zuvor in den Alpen abgehängt worden war. Vinokourov litt an den Folgen eines Sturzes in der ersten Tour-Woche, bei dem er schwere Knieverletzungen erlitt. Noch erstaunlicher als der Sieg in Albi war indes sein Etappensieg am vergangenen Montag, als er mit einer mächtigen Attacke in den Pyrenäen allen Konkurrenten davon stiefelte. Am Tag zuvor noch hatte er im letzten Anstieg zum Plateau de Beille beinahe eine halbe Stunde verloren. Das Comeback erinnerte stark an jenes von Floyd Landis, der im vergangenen Jahr ebenfalls an einem Tag den Anschluss verloren hatte, am nächsten jedoch die gesamte Konkurrenz deklassierte. Eine Woche später wurde bekannt, dass Landis am Abend nach seinem Comeback positiv auf Testosterondoping getestet wurde.

Gegen Alexandre Vinokourov gab es bereits seit Langem Verdachtsmomente, nicht zuletzt wegen seiner Zusammenarbeit mit dem berüchtigten italienischen „Preparatore“ Michele Ferarri. Bei der Eröffnungspressekonferenz der Tour in London auf die Verbindung angesprochen, machte Vinkourov klar, dass er die Zusammenarbeit als unproblematisch ansehe, weil Ferrari für ihn nur Trainingspläne schreibe. Aber auch Vinkourovs Team Astana ist vorbelastet. Kurz vor der Tour de France war Vinokourovs Mannschaftskamerad Matthias Kessler postiv auf Testosterondoping gestestet worden. Während der Tour bestätigte die B-Probe den Verdacht. Zugleich musste Astana gemäß dem Ethik-Codex der Profi-Teams den italienischen Fahrer Eddy Mazzoleni entlassen, weil das Olympische Kommittee Italiens gegen ihn wegen Verdachts auf EPO-Mißbrauch ermittelt.

Unmittelbar nachdem der positive Test von Vinokourov am Dienstagnachmittag bekannt wurde, rief der Direktor der Tour, Christian Prudhomme, den Astana-Teammanager Marc Biver an und bat ihn darum, die Tour zu verlassen. Biver „akzeptierte“ wie Prudhomme sich ausdrückte und schon kurz darauf kamen die Fahrer des Teams mit Rollkoffern aus ihrem Hotel und fuhren in Richtung Flughafen ab. Teamchef Marc Biver gab nur knapp bekannt, dass der Fall selbstredend katastrophal für die Zukunft der Mannschaft sei, die um ihren kasachischen Kapitän herum gebaut ist und von kasachischen Firmen finanziert wird. Vinokourov, so Biver, werde selbstverständlich umgehend suspendiert. Vinokourov selbst ließ mitteilen, dass er die Blutanomalien auf seine Sturzverletzungen und die darauf folgende Behandlung im Hospital von Beaune zurück führte.

Tour-Chef Christian Prudhomme trat kurz darauf zusammen mit Patrice Clerc, dem Präsidenten der Tour-Holding Firma ASO vor die Presse und erklärte, dass es nicht in Frage käme, die Tour de France wegen des Astana-Falles zu stoppen. „Wir haben den Krieg gegen das Doping aufgenommen und wir wussten, dass wir Schlachten verlieren würden“, sagte Prudhomme martialisch. „Aber wir werden auf keinen Fall den Betrügern das Feld überlassen.“ Prudhomme fügte mehrfach an, dass die Doper begreifen müssten, dass „sie russisches Roulette spielten“ und dass die Tour „mit aller Entschlossenheit um die Träume unserer Kindheit“ kämpfen werde.

Paul Kimmage, der irische Ex-Rennfahrer, der schon 1991 ein Enthüllungsbuch über die Dopingpraktiken im Profi-Radsport geschrieben hatte, stand mit der aktuellen Ausgabe der Sportzeitung L’Equipe im Pressesaal und zeigte auf das Titelblatt des Tages, auf dem noch„die Courage“ von Vinokourov bei seinem Etappensieg gepriesen wurde. „Solche Menschen sind einfach unerträglich“, sagte er kopfschüttelnd zu dem Kasachen. Kimmage hatte in London dem suspekten Vinokourov vor versammelter Presse ins Gesicht gesagt, dass er der Tour schade, wenn er mitfahre. Damals hatte sich Kimmage für seine Unverfrorenheit noch die Empörung der Anwesenden zugezogen.

Monday, July 23, 2007

Alberto Contador - Jungprofi alter Schule

Es ist still geworden um Linus Gerdemann bei der Tour de France. Man mag kaum glauben, dass er vor erst neun Tagen sowohl das Gelbe Trikot, als auch das Weiße Trikot des besten Jungprofis trug. Jetzt liegt Gerdemann in der Wertung für den besten Nachwuchsfahrer auf Platz fünf, in der Gesamtwertung hat er 36 Minuten verloren. Aber Gerdemann ärgert das nicht, er hatte seine Möglichkeiten von vorne herein realistisch eingeschätzt. Noch als er im Gelben Trikot steckte, machte er darauf aufmerksam, dass der wahre Star bei den Profis unter 25 nicht er sei, sondern der Spanier Alberto Contador: „Der wird um den Tour-Sieg mitfahren, das werden Sie sehen“, sagte er prophetisch.

Linus Gerdemann behielt recht. Bei der ersten Pyrenäenetappe am vergangenen Sonntag nach Plateau de Beille war der 24 Jahre alte Altersgenosse Gerdemanns der einzige, der dem Dänen Michael Rasmussen – mittlerweile klarer Favorit der Tour – das Wasser reichen konnte. Und nicht nur das. Während alle anderen Titelaspiranten schon um Minuten abgehängt waren, sprinteten Rasmussen und Contador wie die Berserker dem Zielstrich auf der Passhöhe entgegen. Contador gewann um eine Reifenbreite und das nicht etwa, wie gemunkelt wurde, weil das so abgesprochen war. „Bei der Tour macht man keine Geschenke“ sagte Rasmussen später.

Alberto Contador verkörpert die Zukunft des Radsports, wenn er denn eine hat. „Es ist vielleicht noch ein wenig zu früh für ihn, in diesem Jahr die Tour zu gewinnen“, sagte am Montag sein Mannschaftsleiter, Johan Bruyneel. „Aber ich glaube, dass wir in ihm den neuen Lance Armstrong gefunden haben.“ Bruyneel, der schon Armstrongs Potenzial entdeckt und ihn zu sieben Tour-Siegen dirigiert hatte, meinte wohl, dass Contador einer ist, der wie sein Vorgänger als Kapitän der Discovery-Formation über Jahre wird die Tour domineren können. Aber der Belgier wies mit seiner Parallele unfreiwillig auch auf tiefer gehende Gemeinsamkeiten zwischen dem texanischen Dominator und seinem spanischen Kronprinzen hin.

Sie wie Armstrong nämlich seine Karriere beendet hat, startet Contador in seine: Mit starken Zweifeln an der Redlichkeit seiner Leistung. Im vergangenen Jahr war Contador im Tour de France-Aufgebot der Astana-Würth Truppe, dem Abwicklungsbetrieb der schwer Dopingbelasteten Liberty Seguros Mannschaft. Astana Würth durfte letztlich nicht mit auf die große Fahrt durch das Hexagon gehen, weil zu viele Fahrer der Mannschaft in die Fuentes-Affäre verstrickt waren. Darunter auch Contador, dessen Name als einer von 58 auf der Liste der spanischen Ermittler stand.

Contador wurde schon Ende Juli vom madrilenischen Richter Anotonio Serrano entlastet. Fuentes selbst hatte angegeben, Contador nicht zu kennen. Contador bestätigte dies und damit war für die spanische Justiz die Sache erledigt. Gewissheit darüber, ob Contador wirklich mit Fuentes zu tun gehabt hat oder nicht, gibt es jedoch bis heute nicht. Noch immer halten bekanntlich die spanischen Behörden ihre Unterlagen zurück und weigern sich, sie der Sportgerichtsbarkeit zur Verfügung zu stellen.

Die Entlastung durch Serrano reichte Johan Bruyneel jedoch als Persilschein für Contador aus, er gab dem „Riesentalent“ einen Vertrag. Bruyneel ist allerdings ohnehin nicht zimperlich, wenn es darum geht, auch im Angesicht harscher Kritik der gesamten Branche fragwürdige Athleten zu beschäftigen. So heuerte er zum Saisonbeginn auch den tief in die Fuentes-Affäre verwickelten Ivan Basso an. Die Rechtfertigung: Basso sei vom italienischen Verband frei gesprochen worden und es sei nicht an ihm, Bruyneel, sich als Richter aufzuspielen.

Tatsache ist, dass Contador von Liberty-Seguros Chef Manolo Saiz zwischen 2003 bis 2006 in die Sitten und Gebräuche des Profiradsports eingeführte wurde. In seinem Spiegel-Interview hatte Jörg Jaksche, ehemaliger Mannschaftskamerad von Contador, ausfühlich dar gelegt, wie Saiz gemeinsam mit Fuentes bis 2005 systematisch sein Team pharmakologisch auf Wettbwerbe eingestellt hatte. Contador sagt indes bis heute noch über Saiz, dass dieser „immer wie ein Vater“ zu ihm gewesen sei. Wie im Übrigen auch zu Bruyneel: Auch der Belgier fuhr den Großteil seiner Karriere unter Saiz.

Sollte Alberto Contador also noch den dubiosen Michael Rasmussen überholen und die Tour gewinnen, wäre das zwar der Sieg einer neuen Generation. Es wäre aber mitnichten ein Sieg, der für den Radsport hoffen lässt, so, wie es der Etappensieg von Linus Gerdemann vor neun Tagen war. Sollte Contador „nur“ das Weisse Trikot gewinnen, während Rasmussen Gelb holt, wäre das für den Radsport allerdings genauso traurig. Es wäre alles andere als das Zeichen eines Neubeginns. Eher der hartnäckigen Kontinuität im Radsport: Zu den Gewinnern des Weissen Trikots zählten in den vergangen zwölf Jahren Jan Ullrich, Marco Pantani und Ivan Basso.

Rasmussen und die Blutbeutel - eine ehemaliger Kamerad packt aus

Der Radsport hat über die Jahre einen Reflex entwickelt, mit dem er auf Verräter reagiert. Ob es Paul Kimmage war oder Willy Voet, Rolf Aldag, Jesus Manzano oder Jörg Jaksche, die ausgepackt haben – die Reaktion auf ihre Doping-Geständnisse und -Enthüllungen war immer die gleiche. Sie wurden diskriminiert und diskreditiert, als „durchgeknallte Märchenerzähler“ beschimpft und es wurde ihnen unterstellt, aus Eitelkeit oder Gewinnsucht ihre ehemaligen Kollegen übel zu beleumunden. Der amerikanische Mountainbiker Whitney Richards blieb allerdings bislang von dererlei Beschimpfungen verschont. „Ich kenne ihn, ich kann aber seine Geschichten nicht bestätigen“, war alles, was der Tour-Führende Michael Rasmussen in der vergangenen Woche über seinen ehemaligen Trainingspartner zu sagen hatte. Richards hatte gegenüber der Radsport Website VeloNews bezeugt, dass Rasmussen das Blutdopingmittel „Hemopur“ von den USA nach Italien schmuggeln wollte.

Vielleicht hält sich Rasmussen zurück, weil er wirklich, wie Richards insistiert, „eigentlich ein wirklich netter Kerl und kein Monster ist.“ Vielleicht aber auch, weil es sehr schwierig ist, Richards egoistische Motive für seine Enthüllung zu unterstellen. Richards hat kein Buch geschrieben, er ist in keiner Talkshow aufgtreten und er hat von keinem großen Magazin fünf- oder sechsstellige Summen verlangt. Er eher scheu und er es graut ihm vor der Welle an Medienanfragen, die jetzt wohl auf ihn zu rollt. Richards hat die Geschichte einem Freund in seiner Heimat Colorado erzählt, der bei VeloNews arbeitet. Bekommen hat er dafür nichts.


Und doch konnte er mit der Geschichte nicht mehr an sich halten. Am vergangenen Montag, als Michael Rasmussen das Gelbe Tirkot übernahm, sagte der magere Däne ohne die Miene zu verziehen, dass man ihm trauen könne, als er bei einer Pressekonferenz gefragt wurde, ob er denn sauber sei. Der Augenblick war Richards unerträglich. „Ich konnte nicht mehr schweigen“, sagte er dem irschen Reporter David Walsh von der Londoner Sunday Times. „Ich hätte mich an einem Betrug mitschuldig gemacht.“

So entschloss sich Richards, der Welt zu berichten, wie er vor fünf Jahren mit Rasmussen zusammen nach Italien in ein Trainingslager fahren wollte und wie Rasmussen ihn bat, ihm aus Amerika doch einen Karton mit Fahrradschuhen mitzubringen; wie Richards den Karton öffnete und darin die Beutel mit dem künstlichen Hämoglobin fand; wie er die Beutel in den Müll warf, weil er Angst hatte beim Schmuggeln erwischt zu werden; und wie er sich von Rasmussen eine Rüge deshalb einfang, weil „das Zeug scheissteuer war.“

Doch Richards fühlt sich nicht besser oder befreit, nachdem er das seine dazu beigetragen hat, Rasmussens Betrug am Zuschauer, an seinen Gegnern und an der Tour de France zu verhindern. „Ich demontiere jemanden, der für viele Leute ein Held ist“, sagt er, „und das fühlt sich nicht gut an.“ Ausserdem mag Richards noch immer Rasmussen persönlich: „Er ist sehr nett, sehr freundlich und höflich.“ Sogar die Frauen der beiden ehamligen Radl-Genossen waren eine Zeit lang eng befreundet.


Vor allem jedoch kann sich Richards in die Situation von Rasmussen hinein versetzen. Nachdem er entdeckt hatte, dass Rasmussen dopt, so der Amerikaner zu David Walsh, habe der Däne versucht sich zu erklären: „Verstehst Du, Whitney“, hatte Rasmussen gesagt, „ich habe keinen Studienabschluss, so wie Du. Ich habe nur das Radfahren. Wenn ich nichts gewinne im Radsport dann habe ich gar nichts.“ Das konnte Richards nachvollziehen. Und es stürzte ihn in einen Gewissenskonflikt, den er fünf Jahre mit sich herumtrug.


Dass Richards nun ausgepackt hat, löst für ihn diesen Konflikt nicht auf. Er tat, was er glaubte tun zu müssen, wohl ist ihm nicht dabei. Zumal er sich nicht sicher sein kann, dass seine Aussage tatsächlich den Tour-Sieg eines Betrügers verhindert. Irgendwann im Lauf der Woche will der Radsportverband UCI Richards verhören. Inzwischen fährt Rasmussen einen Tag nach dem anderen in Richtung Paris. Und wenn der Verband so rasch handelt, wie man das von ihm gewohnt ist, trägt Rasmussen das Gelbe Trikot vielleicht auch noch auf den Champs Elysees. Vielleicht wird es ihm dann in ein paar Monaten wieder aberkannt und es wird sich ein langatmiger Marsch durch die sportjuristischen Instanzen anschließen. Das wäre dann die zweite Tour in Folge ohne Sieger.

Saturday, July 21, 2007

Die Rasmussen-Affäre wird politisiert.Schlammschalcht zwischen ASO und UCI

Albi. Bob Stapleton hatte große Pläne für einen schönen neuen Radsport, als er vor zehn Monaten das Ruder bei T-Mobile übernahm. Dopingfrei sollte der Sport werden, geeint und zentral verwaltet, besser vermarktet und besser in den Medien präsentiert. Er hat seine Pläne noch immer nicht aufgegeben, sein Ehrgeiz ist aber mittlerweile deutlich gedämpft. Nichts geht so voran, wie der ehemalige Konzernmanager sich das vorgestellt hatte und er weiß auch warum: „Das zentrale Problem des Radsports“, sagte er erst in der vergangenen Woche, „ist die Fehde zwischen der Tour de France und dem Radsportverband UCI. Daran scheitert alles.“

Wenn die Theorien stimmen, die am Samstag die Tour de France-Organisation über die französische Presse verbreiten ließ, dann hemmt die Fehde mit der UCI nicht nur die Reform des Radsports, sondern ist ganz unmittelbar dafür verantwortlich, dass das größte Ereignis des Sports, die Tour de France, vor einem erneuten PR-Desaster steht. „Die UCI versucht gezielt die Tour zu destabilisieren“, sagte am Samstag Patrice Clerc, Chef von ASO, der Eignerfirma der Tour. Die UCI, so die Theorie von Clerc, habe die Nachrichten über die Verstösse von Michael Rasmussen gegen das Dopingreglement zurück gehalten und es somit darauf angeleget, dass sie mitten in die Tour platzen.

Es gibt einiges, das für diese These spricht. Rasmussen war am 8. Mai und am 28. Juni von den dänischen Dopingkontrolleuren nicht angetroffen worden – der dänische Verband verwarnte ihn daraufhin am 29. Juni und nahm ihn aus seinem Kader für die Weltmeisterschaften im Herbst. Der Geschäftsführer des dänischen Verbandes Jesper Wörre teilte den Vorgang der UCI mit. Dass er die Information nicht veröffentlichte, begründete UCI-Präsident Pat McQuaid damit, dass „erst ein dritter Verstoss einen Grund für ein Disziplinarverfahren darstellt.“ Am Freitag sagte Wörre dann jedoch dem dänischen Fernsehen zusätzlich, dass Rasmussen auch ein drittes Mal nicht von den Kontrolleuren aufgetrieben werden konnte. Auch diese Information habe er an die UCI weiter geleitet. Ein Disziplinarverfahren gibt es jedoch bis heute nicht. „Wir können nichts gegen Rasmussen unernehmen“, behauptet McQuaid, der derzeit in Irland bei seiner Familie Urlaub macht, stur.

Die Tour-Organisation ist hingegen der Meinung, dass McQuaid die Tour vor dem Start am 5.Juli hätte informieren müssen. So hätte Tour-Direktor Christian Prudhomme Rasmussen daran hindern können zu starten oder gar das Gelbe Trikot zu übernehmen. Deshalb rief Prudhomme am Donnerstagabend um halb elf Pat McQuaid in Dublin an und begann, wie McQuaid berichtete, ihn „ohne Luft zu holen anzuschreien und zu beschimpfen.“ Prudhomme habe ihn wieder und wieder gefragt, ob er denn die Tour töten wolle, erzählte McQuaid. „Irgendwann habe ich einfach aufgelegt.“

Derlei Fehlkommunikation gibt sehr treffend den Stand der Beziehungen zwischen dem Verband und dem größten Rennveranstalter des Radsports wider. Im Juni hatten die beiden Parteien ihre diplomatischen Beziehungen abgebrochen. Seit zwei Jahren wird man sich nicht über die Vermarktung des Profi-Radsports einig. Die UCI möchte die Rennen in einer Pro-Tour genannten Serie zusammenfassen und zentral vermarkten; die Tour-Organisation ASO, die noch weitere Spitzenrennen ausrichtet, fühlt sich in dem Modell der UCI nicht angemessen repräsentiert und fürchtet den Kontrollverlust über ihre Produkte. „Es gibt keinen Ausweg mehr aus dieser Krise“, sagte ASO-Präsident Patrice Clerc nach dem Scheitern der Gespräche.

Mit der gemeinsamen Vermarktung, das zeigt der Fall Rasmussen, scheitert freilich auch ein konzertiertes Vorgehen gegen das Doping. Auch auf diesem Gebiet ergehen sich die Institutionen in Kompetenzgerangel. Die ASO wirft der UCI Laxheit vor, die UCI wehrt sich dagegen, dass die ASO ihr die Hoheit über die Dopinglegislatur streitig macht. Derweil fährt ein Mann um den Tour-Sieg, der unter hochgradigem Dopingverdacht steht. Ein Jahr nach Floyd Landis scheint der Radsport keinen Schritt weiter gekommen zu sein. Aber so wird sich der Streit zwischen UCI und ASO auch vielleicht bald von alleine erldigen. Denn wenn sie so weiter machen, gibt es bald nichts mehr, worüber zu streiten wäre.

Friday, July 20, 2007

Rasmussen unter Verdacht - Das Gelbe Trikot kurz vor dem Tour-Ausschluss

12 Monate von Konferenzen und Verhandlungen, Proklamationen und dem Erlass neuer Maßnahmen-Kataloge sind vergangenen, seit Floyd Landis nur Tage nach seinem Tour-Sieg wegen Dopings aus dem Verkehr gezogen wurde. Es war damals der schlimmste anzunehemende Zwischenfall für den Ruf der größten Veranstaltung des Radsports und es sollte danach alles getan werden, dass sich so etwas nicht wiederholt. Und doch scheint es wieder zu passieren – seit Freitag steht Michael Rasmussen, seit vergangenen Sonntag Träger des Gelben Trikots, unter verschärftem Doping-Verdacht. Es gibt keine positive Dopingprobe des dänischen Bergspezialisten, dafür jedoch einige „Auffälligkeiten in seinem Verhalten und in seinerEinstellung“, wie es am Freitag in einem Kommuniqué des dänischenRadsportverbandes hieß. Diese Auffälligkeiten veranlassten den Verbanddazu, seinen besten Fahrer am 29.Juni aus dem Nationalkader für dieWeltmeisterschaft im Herbst in Stuttgart zu streichen. Grundlage für den Rausschmiss war, dass Rasmussen bei zwei Trainingskontrollen am 8. Mai und am 28.Juni nicht anzutreffen war. Kurioserweise wurde die Entscheidung erst gestern nach einem Bericht des dänischen TV Senders DR1 bekannt. Dabei hatte auch der Radsportweltverband UCI von der Verwarnung gewusst, wie am Freitag dessen Präsident Patrik McQuaid zugab. „Wir hatten keine Möglichkeit, ihn an einem Tour-Start zu hindern“, erklärte McQuaid. Zwei verpasste Trainingskontrollen werden nach den Regularien des Verbandes noch nicht als Vergehen angesehen, erst nach dem dritten Mal wird ein Strafe verhängt. Ebenfalls am Freitag teilte nun jedoch der Geschäftsführer des dänischen Radsportverbandes Jesper Worre dem dänischen Fernsehen mit, dass es zwei weitere Fälle gegeben hatte, bei denen Rasmussen von den Kontrolleuren nicht gefunden werden konnte. Worre behauptet, diese Vorfälle der UCi gemeldet zu haben. Warum der Weltverband nicht darauf reagierte, ist bislang unklar. Für Rasmussens Weiterfahrt bei der Tour hat die Affäre vorläufig keine Konsequenzen. Der Chef der Tour Organisation ASO, Patrice Clerc, bekräftigte am Freitagabend, dass es keine Grundlage dafür gebe, Rasmussen aus dem Rennen zu nehmen. Clerc verwies auf die zahlreichen Dopingtests vor und während der Tour, die Rasmussen anstandslos bestanden hatte. Allerdings, räumte der Tour-Chef ein, müsse man sich schon fragen, warum man nicht vor der Tour von diesen Dingen informiert worden sei. Rasmussen selbst tat die Angelegenheit als Bagatelle ab: „Es ist doch gar nichts passiert. Ich bin lediglich wegen eines kleinen administrativen Fehlers verwarnt worden.“ Als der Tour-Führende sich während einer Pressekonferenz nach der Freitagsetappe weiter erklären wollte, wurde er jedoch mysteriöserweise von einem Mitarbeiter der Tour de France-Organisation von der Bühne gezogen. Bislang sieht auch Rasmussens Mannschaft, wie die Tour-Organisation, keine Veranlassung, etwas gegen Rasmussen zu unternehmen. Der Rabobank-Manager Theo de Rooy gibt zu, von den Verwarnungen gewusst zu haben. Doch auch er findet, dass die negativen Dopingtests von Rasmussen dessen Glaubwürdikeit ausreichend belegen. Verantwortliche anderer Mannschaft sehen das nicht so. Der Chef der französischen Mannschaft Bouygues Telecom, Jean René Bernaudeau, etwa sagte: „Wenn einer meiner Fahrer ausder Nationalmannschaft fliegen würde, wäre er nicht mehr am Start.“ Bob Stapleton vom T-Mobile sagte ebenfalls, dass gemäß der internen Regeln seines Teams Rasmussen nach einer Verwarnung durch die UCI nicht mehr fahren würde. Gründe zur Skepsis gegenüber Rasmussen gab es indes schon vor den Nachrichten vom Freitag. Als eiserner Doping-Gegner hat sich derzweifache Gewinner der Bergwertung noch nie hervor getan. So hält er sich häufig zum Training in Mexiko auf, wo es schwierig und kostspielig ist, ihn überraschend zu kontrollieren. Er besitzt auch eine Lizenz des mexikanischen Verbandes und unterliegt somit dessen vermutlich nicht eben üppig ausgestatteten Kontrollsystem. In diesem Jahr war Rasmussen der letzte Tour-Fahrer, der denEthik Code der UCI unterzeichnete. Das Papier verpflichtet dieFahrer, eine DNS Probe zum Abgleich mit den Unterlagen der spanischenJustiz aus den Ermittlungen in der Fuentes-Affäre abzugeben, sowie beieinem positiven Dopingtest ein komplettes Jahresgehalt als Strafe zuzahlen. Rasmussen empfand das Papier als Eingriff in seine Privatsphäre. Am Freitag erzählte zudem der ehemalige Moutnainbikeprofi Whitney Richards der amerikanischen Spartenwebsite VeloNews, dass Rasmussen ihn im Jahr 2002 dazu angeleitet hatte, Dopingmittel zu schmuggeln. Rasmussen hatte Whitney gebeten ein paar Radschuhe aus Amerika mit in ein Trainingslager nach Italien zu bringen. Als Richards ankam stellte sich jedoch heraus, dass der Shuhkartin mit einem Blutdopingmittel gefüllt war. Es gibt weitere Anhaltspunkte dafür, Rasmussens Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. So nährt seine Zusammenarbeit mit dem italienischenTrainer Paolo Rosola Spekulationen. Rosola hatte auchMountainbike-Olympiasiegerin Paola Pezzo betreut, die später wegenAnabolika-Dopings gesperrt wurde. Ferner rechnete der französischeSportwissenschaftler Antoine Voyer aus, dass Rasmussen am vergangenen Wochenende bei seiner Fahrt ins Gelbe Trikot am entscheidendenAnstieg mehr Leistung erbracht habe, als die Tour-Kletterkönige Pantaniund Virenque zu ihrer Zeit. Von beiden, sowohl Pantani, als auchVirenque, weiß man, dass sie seinerzeit schwer mit Epo hantierten. Rasmussen würde seine Leistung mit der Präzision seinerVorbereitung erklären. So reduziert der Däne an seiner Rennmaschinesowie an sich selbst kompromisslos das Gewicht. Das Rad wiegtgerade einmal6,8 Kilo, er selbst bringt bei einer Körpergrößevon 1,75 Meter nur schockierende56 Kilo auf die Wage. Gesundist das nicht. Und es sieht auch nicht so aus.Aber Magersuchtist keine verbotene Methode der Leistungssteigerung. Fraglich ist aber,was jemand, der so weit für den Sieg geht, noch alles dafür tunwürde.

Thursday, July 19, 2007

War da was? Am Start in Marseille

Jean-Claude Godin ist bester Dinge an diesem herrlichen Hochsommervormittag. Zusammen mit Tour de France-Direktor Christian Prudhomme steht der Bürgermeister von Marseille auf einer Bühne im Parc Cadot, unweit des alten Hafens der Mittelmeerstadt und geniesst die Festtagsstimmung zum Start der elften Etappe. „Wir haben die Begeisterung der Menschen in London gesehen“, ruft der Stadtvorsteher stolz den sich drängelnden Fans entgegen. „Ich glaube wir in Marseille übertreffen das noch.“ Prudhomme nickt dazu mit dem Kopf und strahlt über das ganze Gesicht. Sollte er sich wegen des Dopingfalls Sinkewitz und des Boykotts der deutschen Fernsehsender gegrämt haben, so hat er dies spätestens jetzt vergessen.

Die Tour de France rollt weiter, die Probleme des größten deutschen Rennstalls und die Empfindlichkeiten des deutschen Fernsehens, werden bestenfalls am Rande wahgenommen. Maurice Pleury etwa, ein rüstiger Marseillais, der behauptet „seit 70 Jahren“ Radsportfan zu sein, lässt sich seinen Tour-Spass nicht im geringsten verderben. Doping habe es doch schon immer gegeben sagt er, früher, als er noch selbst Radrennen fuhr, sei es sogar noch viel schlimmer gewesen. Deshalb könne er die Aufregung nicht verstehen und finde die Entscheidung des deutschen Fernsehen „idiotisch“. Mehr will er nicht sagen, denn jetzt kommen nach und nach die Fahrer und er will nicht verpassen, seine Stars aus der Nähe zu sehen.

Im Tour-Village, dem reisenden Zeltdorf und täglichen Frühstückstreffpunkt für den Tour-Tross, sitzt Richard Virenque am Stand der Supermarktkette Champion, eines der Tour-Sponsoren. Der frühere französische Radpsortheros sowie geständige Dopingsünder hat die Blätter des Tages vor sich ausgebreitet und kommentiert die Schlagzeilen in ein Fersnseh-Mikrofon. „Überraschend und paradox“ findet er die Reaktion des deutschen Fernsehens auf den Fall Sinkewitz. Wenn sie den Radsport schneiden, so der ehemalige Bergkönig der Tour und Ullrich-Herausforderer, müssten sie auch alle anderen Sportarten ausblenden.

Solches Unverständnis für die Entscheidung der deutschen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten teilt Virenque hier mit der großen Mehrheit der Tour-Familie. Der Präsident der Tour-Holding Gesellschaft ASO, Patrice Clerc, etwa hatte der Sportzeitung L’Equipe, die ebenfalls seiner Firma gehört, gesagt, dass er nicht nachvollziehen könne, warum die Sender seine Veranstaltung für den Fall Sinkewitz bestrafen. „Wenn am Eingang von einem Fussballstadion Leute mit Waffen erwischt werden, bestraft man ja auch nicht Veranstalter der Partie dafür.“

Der Reporter einer großen französischen Nachrichtenagentur, der anonym bleiben will, glaubt gar, dass die Entscheidung von ARD und ZDF dem Radsport mehr schade als nutze. „Am meisten tut das doch Gerolsteiner und T-Mobile weh“, sagt der langjährige Radsportkorrespondent des Dienstes, während er bei einem Kaffee die Blätter des Tages studiert. „Und das sind die Mannschaften, die am meisten gegen das Doping tun. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Sender sich sehr gut die Konsequenzen ihres Schrittes überlegt haben. Erst haben sie zehn Jahre lang überhaupt keine Fragen gestellt und jetzt plustern sie sich auf. Das ist Heuchelei.“

Es geht gegen Mittag im Parc Cadot und die südfranzösische Sonne beginnt unangenehm zu brennen. Die Werbekarawane ist gerade in Richtung des Etappenziels Montpellier los gerollt, die Mannschaftsbusse trudeln ein und nehmen ihren Platz auf dem Startgelände ein. Kinder drängen sich mit Kappen und Postern an die Absperrungen, um sie von ihren Lieblingsradlern signieren zu lassen. Mechaniker entladen die Rennmaschinen und nehmen letzte Einstellungen an den Sportgeräten vor.

Auch hier ist man sich einig, dass der Ausstieg der deutschen Fernsehsender eine völlig unangemessene Reaktion war. „Niemandem gefällt ein positiver Dopingfall“, sagt etwa der Direktor der Quick Step-Mannschaft und Vorsitzende der Profi-Team Vereinigung Patrik Lefereve, während er am Bus seiner Mannschaft lehnt. „Aber wir geben viel Geld für den Kampf gegen Doping aus. Und wenn wir Erfolg haben, laufen die Fernsehsender weg. Das ergibt keinen Sinn.“ Nebenan, beim spanischen Team Caisse d’Epargne, das den Puerto-Verdächtigen Alejandor Valverde unter Vertrag hat, will man unterdessen lieber überhaupt nicht über die Causa Sinkewitz reden. Mannschaftleiter Jose-Miguel Echavarri enthält sich höflich eines Kommentars. Die umstehenden spanischen Reporter fühlen sich jedoch in ihrem gerade intensiv werdenden Sportfachgespräch gestört und meckern darüber, dass da schon wieder einer das lästige Dopingthema aufs Tapet bringt.

Bei den deutschen Kollegen vom Team Gerolsteiner ruft die Entscheidung der Sendeanstalt zwar Verwunderung hervor: „Die legen ihre Ethiklatte irgendwo an. Ich bin mal gespannt ob sie das durchhalten“, nörgelt Gerolsteiner-Chef Hans Michael Holczer. Wirklich wütend ist er jedoch nicht auf das Fernsehen, sondern auf Patrik Sinkewitz. „Wenn er wirklich bewusst manipuliert hat, dann ist das angesichts der Lage des deutschen Radsports eine unglaubliche Dreistigkeit.“ Wenn die Vereinigung der Profi-Mannschaften Sinkewitz für den Schaden, den er dem Sport zugefügt hat, nicht belange, so Holczer, dann werde er das persönlich tun.

Langsam wird die Stimme des Streckensprechers lauter und aufgeregter, der Start rückt näher. Die Fahrer tragen sich rituell in die Startkladde ein und grüssen die Fans mit einem kurzen Antippen ihrer Rennmützen. Dann nehmen sie träge Aufstellung. Ein ganz normaler Arbeitstag bei der Tour beginnt.

Wednesday, July 18, 2007

Warum die Hysterie? Kommentar zum Fall Sinkewitz

Das Team T-Mobile hat sicherlich gut daran getan, im vergangenen Jahr einen Amerikaner zu seinem Manager zu ernennen. Amerikaner haben, so will es das nationale Stereotyp, eine deutlich höhere Toleranz für die Wirklichkeit als Deutsche. Der Deutsche neigt dazu, die Dinge an einem oft unerreichbaren Ideal zu messen und sich schlecht gelaunt und beleidigt von ihnen abzuwenden, wenn sie sich weigern, diesen Idealen zu entsprechen. Amerikaner hingegen sind Pragmatiker und finden sich mit der Unvollkommenheit der Welt ab, ohne daran zu verzagen.

Solche nationalen Stereotypen treffen bekanntlich nicht immer zu aber doch meistens. Man nehme beispielsweise die Reaktion von Bob Stapleton auf die positive Dopingprobe von Patrick Sinkewitz. Sicher war der Mann aus Seattle nicht erfreut darüber, aber es war für ihn auch kein Grund, apokalyptische Töne anzustimmen und dem Radsport enttäuscht den Rücken zu kehren. Er wertete es als Zeichen dafür, dass man Fortschritte im Dopingkampf gemacht habe – schließlich wurde Sinkewitz ja erwischt. Und er wertete es zugleich als offensichtlches Zeichen dafür, dass es noch viel zu tun gibt. Vielleicht sogar als Zeichen dafür, dass es einen ganz sauberen Sport nie geben wird. Was aber für ihn ganz gewiss kein Grund ist, dieses Ideal nicht weiter anzustreben.

Die deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender hingegen wandten sich innerhalb von nur zwei Stunden nach der Meldung über die Dopinprobe von Sinkewitz von der Tour und vom Radsport ab. Radsport soll nur gezeigt werden, so die in dieser Geste implizierte Politik, wenn er hundertprozentig sauber ist. Unter dieser Prämisse war es freilich bereits naiv überhaupt zur Tour anzureisen. Hat man denn ernsthaft geglaubt, dass es ein Jahr nach der Operacion Puerto kein Doping im Radsport mehr gibt?

Ganz abgesehen davon, dass auch ein durch und durch verseuchter Sport ein Gegenstand journalistischer Betrachtung wäre, tut man mit einer solchen Haltung dem Radsport und mit ihm dem Sport insgesamt unrecht. Es fehlt in Deutschland manchmal am Maß in der Betrachtung. Der Radsport ist vermutlich nicht hundertprozentig versaut und er wird vermutlich nie hundertprozentig sauber sein. Aber wenn man sich von allen Dingen in der Welt abwenden wollte, die moralisch nicht hundertprozentig rein sind, bliebe nicht viel übrig.

Fest steht: Die Tour de France ist ein faszinierendes Ereignis, das Millionen von Menschen fesselt und zueinander bringt. Fest steht auch, dass es im Radsport Kräfte gibt, die sich einen fairen Wettbewerb wünschen und die beträchtliche Anstrengungen unternehmen, diesen zu gewährleisten. Sicherlich gibt es gerade im Radsport auch starke und einflussreiche Kräfte, die an der Betrugskultur hängen, die diesen Sport seit Jahrzehnten prägt. Der Radsport gibt eben vorläufig ein kompliziertes, unaufgeräumtes Bild ab. Ein Bild, das aber gleichzeitig interessant ist und in dem sich viel bewegt. Amerikaner wie Bob Stapleton können mit dererlei Unaufgeräumtheiten und Gemengelagen gut leben, sie wissen sie sogar zu schätzen. Wir könnten uns in dieser Hinsicht von ihnen etwas abschauen.

Tuesday, July 17, 2007

Christophe Moreau: Frankreichs einzige Hoffnung bei der Tour

Tignes. Man gibt sich sehr patriotisch in der Alpenherberge „Club MVV“ in Tignes les Brevieres, einem kleinen Bergdorf unterhalb des Stausees von Tignes. Der rustikale Bar-Raum ist mit rot-weiss-blauen Blumenbouquets ausgeschmückt, als wäre der Nationalfeiertag heute und nicht schon seit zwei Tagen vorbei. Vielleicht hat man die Dekoration aber auch einfach seit Samstag stehen lassen, weil wan wusste, dass Christophe Moreau heute hier Hof hält. Der französische Meister im Strassenradfahren übernachtet heute am Ruhetag hier und bevor er eine kleine Trainingsrunde dreht, hat seine Mannschaft AG2R ein Treffen mit der französischen Presse arrangiert.

Selbstverständlich erscheint der nationale Champion passend zur Raumausstattung in jenem rotweissblauen Trikot, dass ihn im Tour de France-Feld als Primus seines Landes auszeichnet. Es markiert ihn sowohl als Landesmeister, als auch als die große französische Hoffnung bei dieser Tour. Der 37-Jährige hat überraschend in diesem Frühjahr die Tour Vorbereitungsrundfahrt Dauphine Libere gewonnen und bestätigte bei den ersten schweren Bergetappen der Tour, dass er hier mit den Allerbesten mithalten kann. Jetzt wünscht man sich im ganzen Hexagon, dass der 1,86 Meter große, blonde Nordfranzose der erste Landsmann seit 1985 ist, der das Gelbe Trikot des Tour-Siegers über Winter in Frankreich halten kann.

So wollen die französischen Kollegen gierig alles über Moreaus Verfassung wissen: Wie er sich fühlt, wieviel Kraft er noch hat, wie es um seine Motivation bestellt ist, was seine Strategie ist und wie er seine Konkurrenten einschätzt. Moreau geniesst das sichtlich – es ist eine Genugtuung für ihn nach all seinen Jahren im Schatten von Ullrich und Armstrong, als man sich in Frankreich schon über ihn mockierte, weil er immer große Töne spuckte und dann doch wieder nur Vierter bei der Tour wurde. Weniger gerne als auf seine Aussichten im Rennen wird Moreau hingegen auf das Thema Doping angesprochen.

Dabei hätte er dazu viel zu sagen. Moreau ist der letzte noch aktive Fahrer jener Mannschaft Festina, der 1998 von der französischen Polizei systematisches Doping bewiesen wurde und die seither zum Symbol für die Ära des durchgängigen Mißbrauchs von EPO im Radsport wurde. Moreau war damals der erste Festina-Fahrer, der gestand. Er wurde vier Monate gesperrt und saß schon im nächsten Sommer bei der Tour wieder im Sattel. Auch das war im Rückblick ein Symbol: Dafür nämlich, wie wenig durchgreifende Änderungen im Radsport die Festina-Affäre bewirkt hat.

Nun könnte man meinen, Moreau wäre zornig auf die T-Mobile Fahrer, die erst jetzt zugegeben haben, 1998 genauso systematisch mit EPO hantiert zu haben, wie ihre französischen Konkurrenten. Das ist der Mann mit der bubenhaften Tintin-Frisur und dem Ziegenbart auch bis zu einem gewissen Grad: „Zehn Jahre lang wurde es so hingestellt, als wären wir die einzigen gewesen. Jetzt weiß man, dass das nicht so war.“ Andererseits war Moreau jedoch nicht begeistert vom späten Outing seiner damaligen Gegner Aldag, Zabel, Henn und Riis. „Sie haben damit dem Image des Radsports geschadet.“ Als notwendigen Schritt in Richtung einer Reform des Radsports vermag Moreau die Eingeständnisse nicht einzuordnen.

Der französische Meister möchte die Vergangenheit lieber ruhen lassen. Unter Druck der Polizei und der französischen Öffentlichkeit hat er vor neun Jahren gesagt, was zu sagen war. Damit ist für ihn das Thema erledigt, er möchte lieber nicht mehr über Doping reden. Das Problem ist für den nicht sonderlich komplex strukturierten Mann nicht, dass immer noch gedopt wird im Radsport. Das Problem ist, dass zu viel darüber geredet wird. In der Zelle des Untersuchungsrichters zu gestehen, wie er damals, das ist eine Sache. Dass jemand freiwillig vor Kameras tritt, das versteht jemand seiner Fahrergeneration hongegen nicht.

Dabei müsste es ihn eigentlich stark beschäftigen, dass die Dopingkultur im Radsport immer noch nicht ausgerottet ist. Nach der Festina-Affäre wurde in Frankreich ein striktes Anti-Doping Programm eingerichtet, der sogenannte Suivi Longitudinal. Die französischen Fahrer stehen seither unter enger Überwachung, enger als alle anderen, bis im vergangenen Jahr T-Mobile und CSC ihre eigenen Selbstkontrollprogramme einführten. Viele machten dieses französische Programm dafür verantwortlich, dass die Franzosen, inklusive Moreau, bei der Tour seither hinterherfahren.

Die Tatsache, dass Moreau jetzt, nachdem Armstrong und Ullrich weg sind und auch die anderen Mannschaften stärker kontrollieren, wieder Chancen hat, würde für diese These sprechen. Aber auch darüber möchte Moreau lieber nicht nachdenken. „ Ich habe ein viel größeres Selbstvertrauen, als in den vergangenen Jahren“, benennt er den Grund für den späten Aufwind in seiner Karriere. Das Selbstvertrauen könnte freilich auch aus dem Wissen heraus kommen, dass im Feld die vielleicht größte Chancengleichheit aller Zeiten herrscht. Oder jedenfalls seit jenen Zeiten, in denen alle gedopt waren.

Damals war Moreau noch ein junger Fahrer in der zweiten Reihe. Jetzt ist jedoch seine Zeit gekommen. Die Franzosen freut’s und sie fragen deshalb lieber nicht so genau nach, wie Moreau heute denn wirklich zum Doping steht. Sie würden auch keine klare Antwort bekommen. Moreau hat einmal über Doping gesprochen, 1998, vor einem Untersuchungsrichter. Das muss reichen.

Monday, July 16, 2007

Tod in den Alpen - Die Grenzen des Wahnsinns Tour de France

Die Route Departmental 902 von Bourg St. Maurice nach Val d’Isere ist eine Traumstrasse für Frankreich-Urlauber. Grünblaue Bergseen, ewig-weisse Gletscher und urige savoyardische Bauerndörfer bilden über 60 Kilometer die beinahe schon kitschige Kulisse rechts und links der Strecke. Wenn die Tour de France hier durch kommt, verwandelt sich das Postkartenpanorama jedoch in ein infernalisches Panoptikum. Schon Stunden bevor die 180 Rennfahrer durchkommen sind das Asphaltband und die Berghänge an seinem Rand dann schwarz vor Menschen. Hupende LKWs mit Zeitmeß- und Fernsehübertragungstechnk versuchen sich durchzudrängeln, entnervte Reporter mit akuter Redaktionsschluss-Panik liefern sich auf jedem freien Meter Asphalt ein Autorennen zur Internetverbindung am Zielstrich. Hobbyradler schlängeln sich in Pulks zwischen dicht geparkten Campingwagen den Berg hinauf, angetrunkene Fans sitzen auf Klappstühlen am Rand und ergötzen sich johlend an dem bizarren Chaos.

Eigentlich müsste es jeden Tag hier zu schweren Unfällen kommen. Die Tatsache, dass sich nur alle paar Jahre während der drei Tour -Wochen eine Tragödie ereignet, grenzt an ein Wunder. 2004 starb ein Kind unter den Rädern des Haribo-Wagens in der Werbekarawane, seitdem wurden schlimmstenfalls Blechschäden aktenkundig. In diesem Jahr kam es jedoch wieder zum Unvermeidlichen. Nach der Sonntagsetappe von Bourg en Bresse nach Tignes rollte der deutsche Radprofi Patrick Sinkewitz auf seinem Rennrad von der Ziellinie auf der Passhöhe oberhalb von Val D’Isere den Berg hinunter zu seinem Hotel, als ein 71 Jahre alter Zuschauer hinter einer Kurve unvermittelt über die Strasse sprang. Sinkewitz prallte mit Tempo 70 ungebremst auf den betagten Sportliebhaber, die beiden blieben blutend und bewusstlos auf der Strasse liegen.

Bis jetzt ist der Luxemburger Radsport-Freund im Krankenhaus von Grenoble noch nicht wieder aus dem Koma erwacht, sein Zustand wird als kritisch beschrieben. Sinkewitz kam hingegen mit einer Gehirnerschütterung und Fleischwunden rund um den Mund davon. T-Mobile Mannschaftschef Bob Stapleton, der Sinkewitz noch am Abend im Hospital von Albertville besuchte, freute sich darüber, dass sich der 26 Jahre alte Hesse schon Stunden nach dem Zwischenfall wieder für den Ausgang des Rennens und die Position seiner Mannschaftskameraden in der Tour-Gesamtwertung interessierte. Selbstverständlich, fügte der höfliche Amerikaner an, bedauere man auch zutiefst, was mit dem Fan passiert sei und man werde sich auch um seine Familie kümmern. Doch bei aller Betroffenheit wisse man nicht so recht, wie das hätte vermieden werden können. „Es ist doch gerade das Schöne an der Tour de France, dass sie in einer wunderbaren Naturkulisse stattfindet und dass der Zugang nicht beschränkt ist.“ Wenn man diese Prämissen akzeptiere, so Stapleton, dann könne man derartige Risiken kaum ausschließen.

Etwas hätte man jedoch vielleicht schon tun können. Viele andere Mannschaften waren mit ihren Bussen bis zur Ziellinie auf der Passhöhe gefahren. Die Fahrer stiegen nach dem Rennen ein und warteten brav, bis sich der Stau auf der D902 ein wenig aufgelöst hatte, um in ihr Hotel chauffiert zu werden. Doch Rolf Aldag, selbst Ex-Rennfahrer und Sportlicher Leiter bei T-Mobile, verübelte es seinen Fahrern nicht, dass sie per Rad den schnelleren Weg zu einer Dusche, einer Massage und einem ausgiebigen Essen gewählt hatten. „Das dauert doch ansonsten drei Stunden.“ Und drei Stunden hat bei der Tour zwischen dem Rennen, den Medienterminen und der notwendigen Regeneration kein Rennfahrer zu verschenken.

Man kann solche Zwischenfälle eben letztlich nicht vermeiden. Das Monstrum Tour de France ist schlicht am Limit. Die Tour-Planer hatten gewiss nicht geahnt, was aus ihrem Event einmal wird, als sie vor beinahe hundert Jahren die Radler erstmals ins Hochgebirge jagten, um das Drama und somit die Breitenwirkung des Spektakels zu erhöhen. Die Details einer modernen Sportgroßveranstaltung mit ihrer ganzen aufwändigen Logistik zwischen an sich unwirtlichen 3000er Gletschern hatten sie sich jedenfalls bestimmt nicht ausgemalt. Selten wird so klar, wie pervers die Verwandlung der Natur in einen Massenvergnügungspark ist, wie am Tour-Tag in den Alpen.

Für solch hintergründige Gedanken über die Auswüschse der Spektakelgesellschaft hatte man am ersten Ruhetag der Tour beim Team T-Mobile unterdessen nur wenig Sinn. Rolf Aldag und Bob Stapleton, das Duo, dass die Mannschaft in die Ära nach Jan Ullrich führen soll, machte sich in seiner modernen, pseudo-alpinen Skifahrerherberge in Val d’Isere viel mehr Sorgen darum, welche Auswirkungen der Schock des Unfalls wohl auf die jungen Athleten haben würde, die am Dienstag wieder in den Sattel steigen mussten. Zumal am Sonntag auch noch der designierte Kapitän der Mannschaft, der Australier Michael Rogers gestürzt war und sich das Schlüsselbein gebrochen hatte. Viel Pech an einem einzigen Tag für eine Formation, die bei dieser Tour um einen hoffnungsvollen Neubeginn nach den Ullrich-Jahren und der Doping-Ära ringt.

Wenn man Aldag und Stapleton am Montag glauben durfte, war diese erste Krise jedoch ein gelungener Test für die reformierte Mannschaftsstruktur. Man habe sich im Team ständig über den Zustand von Sinkewitz ausgetauscht, habe sich gemeinsam gesorgt und gemeinsam gefreut, nachdem sich sein Zustand als weniger bedrohlich heraus gestellt hatte, als befürchtet. Von Einzelgängertum und Heimlichtuerei, wie zu Ullrich-Zeiten in der Mannschaft üblich, keine Spur. Insofern sei das junge Team nun zwar personell geschwächt, moralisch jedoch gestärkt. Die restlichen sechs Mann sind wieder gerüstet dafür, sich am Dienstag zwischen dicht gedrängten, angetrunkenen Fans, die sie angrölen und mit diversen Flüssigkeiten bespritzen, über den 2770 Meter hohen Iseran und den 2645 Meter hohen Galibier zu quälen und dabei in der Hochsommerhitze bis zum Umfallen um das Gelbe Trikot zu fighten. The show must go on.

Sunday, July 15, 2007

Turbulenter Tag in den Alpen: Stürze, Atttacken und noch immer keine Übersichtlichkeit im Classement

Tignes. Linus Gerdemann ist eigentlich sehr geduldig, wenn es darum geht, die Wünsche von Reportern zu befriedigen, doch manche Ding gehen einfach vor. Als im Ziel von Tignes am Sonntagnachmittag durch den Mikrofonwald rings um ihn herum seine Freundin Annika hinter einer Absperrung erspähte, waren ihm die PR-Pflichten erst einmal egal. Der junge Münsteraner drängte sich durch die Menge und ließ sich für einen langen, innigen Kuß in die Arme seiner Geliebten sinken.

Das hatte sich Gerdemann auch redlich verdient – nach seinem Bravourstück am Vortag, aber auch nach einem turbulenten Tag im Gelben Trikot, den er aller sichtbaren Strapazen zum Trotz als „Vergnügen und Ehre“ bezeichnete. Am Ende musste Gerdemann das Trikot zwar an den Etappensieger, den dänischen Bergspezialisten Michael Rasmussen abgeben, er verteidigte jedoch trotz großer Erschöpfung von den Härten der Samstagsetappe sowohl einen achtbaren zweiten Platz mit einem überschaubaren Rückstand von 43 Sekunden, als auch sein weißes Trikot für den besten Jungprofi.

Dass Gerdemann sein Gelbes Trikot am Sonntag abgibt, war sogar von der T-Mobile Mannschaftsleitung geplant. Allerdings, so die Hoffnung von Team-Direktor Rolf Aldag, sollte der neue Führende der Tour de France in Tignes nicht Michael Rasmussen heißen, sondern Michael Rodgers. Lange sah es auch gut aus für den Mannschaftskollegen von Gerdemann, der Australier hielt sich in der Spitzengruppe um Rasmussen und sah mit seinem Zeitvorspung aus der ersten Tourwoche wie der sichere neue Gelbträger aus. Doch in der Abfahrt vom Col de Roselend, versteuerte Rodgers sich in einer Kurve, schlug auf den Asphalt auf und brach sich das Schlüsselbein. Unter starken Schmerzen quälte er sich noch eine Weile lang den nächsten Pass hoch, musste jedoch schließlich vom Rad steigen. Damit sieht Linus Gerdemann jetzt wie der eindeutige Kapitän von T-Mobile, doch davon wollte er nach dem aufreibenden Wochenende erst einmal nichts wissen. „Darüber denken wir morgen am Ruhetag nach.“ An Angriffe auf Etappensiege und Trikotwertungen wollte Linus Gerdemann erst wieder nachdenken, nachdem er sich ausgeschlafen und den Bauch vollgeschlagen hatte.

Michael Rodgers war allerdings nicht der einzige T-Mobile-Fahrer, für den am Sonntag nach einem schweren Sturz die Tour zu Ende ging. Patrick Sinkewitz war schon auf der Abfahrt vom Ziel in der Skistation Tignes zurück zum fünf Kilometer entfernt geparkten Manschaftsbus, als ihm ein Zuschauer vor das Vorderrad sprang. Eine Fernsehjournalistin, die den Zusammenprall sah, berichtete, dass sowohl Sinkewitz, als auch der Zuschauer bewusstlos auf der Strasse liegenblieben. Sinkewitz kam allerdings offenbar mit einem Nasenbeinbruch davon. Der Fan soll sich hingegen in einem kritischen Zustand befinden.

Mit Michael Rasmussen übernahm am Sonntag ein Mann das Gelbe Trikot, der im Gegensatz zu Linus Gerdemann eher zu jener Generation von Radsportlern gehört, die die vielzitierte „alte Mentalität“ des Sports verkörpert. Viele Spekulationen ranken sich um den Dänen. So arbeitete er mit demselben italienischen „Preparatore“, Paolo Rosalo, zusammen, der auch die Mountainbike-Olympiasiegerin Paola Pezzo betreut hatte. Pezzo wurde 1997 wegen Anabolika-Dopings gesperrt. Darüberhinaus pflegt Rasmussen längere Trainingsaufenthalte in Mexiko zu verbringen, wo er nur selten von Dopingkontrolleuren besucht wird.

Hinter Rasmussen zeigten sich auf der Sonntagsetappe auch erstmals die designierten Favoriten auf den Tour-Sieg. In einer Gruppe hinter dem schmalen Dänen setzten sich Iban Mayo, Alejandro Valverde, Cadel Evans, Andrej Kaschekin, Frank Schleck und Christophe Moreau vom Feld ab. Besonders initiativ war in dieser Formation der 37 Jahre alte Moreau, der schon eine starke Frühjahrssaison hinter sich hat und jetzt aussichtsreich auf dem vierten Rang liegt. Moreau ist der letzte aktive Fahrer jener Festina-Mannschaft, der während der Tour 1998 nach Polizierazzien systematischer Mißbrauch des blutbildenden Hormons EPO nachgewiesen wurde.

Die beiden Astana-Kapitäne Alexandre Vinokourov und Andreas Klöden begnügten sich am Sonntag mit ihren noch immer schmerzenden Sturzverletzungen von vogestern derweil damit, vor dem Ruhetag im Rennen zu bleiben und nicht allzuviel Zeit zu verlieren. Klöden, der noch am Samstag kaum gehen konnte, fand dabei am Schlussanstieg sogar noch die Kraft, in der Hauptgruppe das Tempo zu forcieren und den Abstand auf Rasmussen überschaubar zu halten. „Die Tour ist noch nicht vorbei“, sagte Vinokourov im Ziel, sichtbar zufrieden, dass er und Klöden sich bis zum Ruhetag hatten retten können. In der Tat fängt sie gerade erst an, interessant zu werden.

Saturday, July 14, 2007

Linus Gerdemann will kein neuer Ullrich sein

Das Bild rief Erinnerungen wach, die der treue Radsportfan in den letzten Monaten tief in der Mottenkiste seines Unterbewusstseins vergraben hatte. Ein blutjunger Deutscher gewinnt die erste große Bergetappe der Tour und stürmt ins Gelbe Trikot. Das gab es zuletzt vor beinahe genau zehn Jahren. Damals hieß der 23-jährige Fahrer, der allen davon fuhr, Jan Ullrich. Gestern war es der 24 Jahre junge Münsteraner Linus Gerdemann, dem am Anstieg zum Col de la Colombiere keiner mehr folgen konnte.

Wenn man Linus Gerdemann als Erben von Jan Ullrich bezeichnen würde, würde ihm dies allerdings überhaupt nicht gut gefallen. Gerdemann möchte nicht für Kontinuität stehen, sondern für Diskontinuität. Er will der Schlusspunkt hinter all dem sein, was man heute mit der Ära Ullrich assoziiert und das Anführungszeichen zu dem, was folgen mag. „Ich will mit meiner Mannschaft für den neuen Radsport stehen“, schluchzte der überwältigte junge Mann in die Mirkofone der Reporter, noch bevor er sich den verkrusteten Schweiß aus dem Gesicht wischen konnte.

Man möchte es dem sympathischen Schlacks mit den langen blonden Haaren und den großen blauen Augen gerne glauben, dass er der Musterknabe eines ehrlichen Radsports ist, dem man wieder ungehemmt seine Begeisterung schenken kann. Doch nach den Enttäuschungen der Vergangenheit ist man mit der Verteilung von Zuneigung an Radsportler zur Vorsicht angehalten.

Sicher, Linus Gerdemann gehört zu den Hoffnungsträgern des umgekrempelten T-Mobile Teams, das keine Anstrengung scheut, verspieltes Vertrauen wieder zu gewinnen. Er unterliegt der freiwilligen Selbstkontrolle der Mannschaft, die den Sponsor vor Dopingfällen so wasserdicht schützt, wie das nur irgend geht. Anders als viele Fahrer seiner Vorgängergeneration bei T-Mobile ist er offen und zugänglich. Ohne zu zögern hat er, als die Teamleitung dies forderte, die Zusammenarbeit mit dem umstrittenen italienischen Sportmediziner Luigi Cecchini aufgegeben. Und doch ist Linus Gerdemann auch Produkt eines Milieus, die systematischen Doping jahrzehntelang trug.

Entdeckt hat Linus Gerdemann sein älterer Kollege Jens Voigt. Voigt war so beeindruckt von Gerdemann, dass er den 22-Jährigen 2005 seinem Sportdirektor Bjarne Riis bei einem Probetraining vorführte. Riis war sich mit Voigt schon nach wenigen Pedaltritten einig: „Das ist das größte Talent im Radsport seit Jan Ullrich“, sagte er und zog ohne Vertun einen Vertrag für den Münsteraner aus der Schublade. Riis wusste wovon er sprach, er war schließlich schon Hebamme zu Ullrichs Laufbahn gewesen.

Ein Jahr später wechselte Gerdemann allerdings schon zu T-Mobile, wo damals noch Ullrich selbst als Kapitän fungierte. Der ehrgeizige Gerdemann kalkulierte bei seinem Wechsel scharf. Im deutschen Rennstall würde Gerdemann, der nie einen Hehl daraus machte, dass er „ganz nach oben“ will, schneller zum Zug kommen, als bei CSC hinter Ivan Basso.

Dass das jetzt alles so schnell geht, überrascht Gerdemann sicherlich selbst. Doch bei aller Fassungslosigkeit über seinen Sieg vom Samstag übernahm er doch verblüffend mühelos die Rolle des Vertreters gleich des gesamten Radsports der Zukunft. „Ich danke allen, die in diesen schwierigen Zeiten noch zusehen“, verkündete er staatsmännisch. „Und ich wünsche mir, dass es mit dem Radsport weiter geht.“ Das wünscht man sich auch und gewiß wäre Gerdemann ein liebenswertes Gesicht eines neuen Sports. Doch Gerdemann muss es dem gebeutelten Zuschauer nachsehen, dass er erst noch ein wenig abwartet, bevor er in neuerliche Euphorie verfällt.

Friday, July 13, 2007

Männer der Schmerzen

Schon lange sind die Etappen bei der Tour de France nicht mehr so langsam wie in diesem Jahr, gerade einmal 37 Stundenkilometer war das Peloton am Freitag im Schnitt durch die Bourgogne gegondelt. Das sind fast fünf km/h langsamer als im vergangenen Jahr über die gesamten Strecke rund um Frankreich und doch war es einer der härtesten Renntage in der Laufbahn von Alexander Vinokourov und Andreas Klöden. Wenige Kilometer vor dem Ziel des Tagesabschnitts, den Tom Boonen in einem Spurt gewann, mit dem er Erik Zabel das Grüne Trikot wieder entriss - schlug Vinokourov drei Kreuze. So dankbar war der eigentlich gar nicht fromme Kasache, dass er diesen Tag überstanden hatte.

Fünfeinhalb Stunden hatten er und Klöden sich unter starken Schmerzen bei hochsommerlicher Hitze über mittelfranzösische Landstrassen gequält. „Andreas hatte starke Beschwerden beim Sitzen und Alexander konnte kaum Kraft auf die Pedale bringen“, berichtet im Ziel der Sportliche Leiter des Teams, Mario Kummer. „Zum Glück war das heute eine Bummeletappe.“ Wäre es wie zu Armstrongs Zeiten im Feld zur Sache gegangen, hätten die beiden Tour-Favoriten möglicherweise gestern schon die Segel streichen müssen. Nach schweren Stürzen am Donnerstag sind die beiden Astana-Vorfahrer schwer lädiert: Andreas Klöden hat einen Haarriss am Steißbein, Alexander Vinokourov tiefe schmerzhafte Fleischwunden an beiden Knien.

Doch so schnell geben sich Helden nicht geschlagen. „Ich akzeptiere das Leiden“, hatte Alexender Vinokourov am Start gesagt. „Ich hatte eine schlimme Nacht“ beschrieb Andreas Klöden seinen Zustand. „Aber ich werde alles versuchen.“ Schließlich ruhen ja die Erwartungen der ganzen kasachischen Nation auf Vinokourov und Klöden. Der radsportverrückte Verteidigungsminister Danial Achmetov hat immerhin für vier Jahre jeweils zwölf Millionen Euro bei sieben kasachischen Konzernen locker gemacht, damit das an Uran-, Zink-, Stahl- und Ölvorkommen reiche zentralasiatische Land sich als aufstebende Wirtschaftsmacht in das westliche Bewusstsein drängt. Am besten, indem gleich zwei Mann mit den kasachischen Landesfarben auf dem Trikot in Paris auf dem Siegerpodest stehen.

Dieses große Ziel ist jetzt jedoch erst einmal aus der Greifweite des kasachischen Vorradlers Vinokourov und seines deutschen Stellvertreters Klöden entrückt. Dafür machten die beiden am Freitag als echte Radsport-Heroen auf sich aufmerksam, als Männer, die unvorstellbare Qualen auszuhalten bereit sind. Und das ist der Stoff, aus dem Tour-Legenden geboren werden. Tour-Chef Christian Prudhomme, bezeichnete einmal das Leiden als die Essenz des Mythos Tour de France. Insofern sind die beiden Astana-Männer tapfere Botschafter nicht nur des Heimatlandes ihrer milliardenschweren Sponsoren, sondern auch brave Arbeiter an der französischen Nationalmythologie.

Der letzte große Mann der Schmerzen bei der Tour war 2003 der Amerikaner Tyler Hamilton, der mit einem gebrochenen Schlüsselbein Gesamtvierter wurde und eine Etappe gewann. Er stürzte während der ersten Etappe, man konnte ihm mit einer wohligen Mischung aus Sadismus, Mitgefühl und Bewunderung genüßlich drei Wochen lang dabei zusehen, wie er mit von der Pein entstellten Gesichtszügen Millionen von quälenden Pedaltritten erduldete. Hamilton war der Publikumsliebling jener Tour, die Radsportwelt vergötterte ihn. Jedenfalls bis er im Jahr darauf wegen Blutdopings aus dem Verkehr gezogen wurde. Man mag die Martyrer, sie machen die Tour erst so richtig schön. Wenn sie zwielichtige Mediziner konsultieren, um das alles leichter oder wenigstens schneller zu überstehen, mag man das hingegen nicht so gerne. Insofern sollte man sich vielleicht wünschen, dass Vinokourov und Klöden den Mut haben, bald auszusteigen. Es ist allerdings zu befürchten, dass ihre ein Leben lang eingeübte Radlermentalität sie dazu treibt, durchzuhalten.

Sebastian Moll

Thursday, July 12, 2007

Der Tag an dem Tom Simpson starb


Der 13. Juli 1967 war der Tag, an dem Hans Blickensdörfer das Hassen lernte. Wann immer der legendäre Stuttgarter Sportreporter bis zu seinem eigenen Tod 1997 an jenen heissen Julifreitag zurück dachte, verspürte er nichts als Ekel. Es war der Tag, an dem der englische Radprofi Tom Simpson bei der Tour de France mit einer Überdosis Amphetaminen im Leib im Anstieg zum Mont Ventoux leblos aus dem Sattel kippte.

Selbst die Landschaft war Blickensdörfer im Rückblick an jenen Hochsommertag widerlich. Der Ventoux, schrieb er in seinen Tour-Memoiren, sei ein „häßliches, geröllübersätes Ungetüm“ gewesen, „das sich der Tour-Karawane in den Weg stellte, als ob es gelte, die Absurdität des Wettkampfs auf der Landstrasse mittels Zweirädern zu beweisen.“ Das ganze Rennen kam Blickensdörfer mit einem Mal „nutzloser als Brotbacken“ vor, und auch die Fans riefen bei Blickensdörfer Abscheu hervor, mit ihrem „morbiden Appetit auf das Schauspiel der Strapaze.“ Am meisten hasste Blickensdörfer jedoch plötzlich sein eigenes Gewerbe, die „Journalisten, die mit kalter Geschäftsmässigkeit Abstände massen, Rückennummern notierten und ihre Notizblöcke bekritzelten“ und die sich für „die Nöte der Rennfahrer weniger interessierten, als für eine schnelle Verbindung mit der Redaktion.“

Den Höhepunkt erreichte Blickensdörfers Hass, nachdem Tour Co-Direktor Felix Levitan um kurz vor 18 Uhr im Pressesaal von Carpentras mit tonloser Stimme bekannt gab, dass Tom Simpsons Herz im Krankenhaus von Avignon aufgehört hatte zu schlagen. Blickensdörfer schaute sich um und beobachtete den französischen Kollegen Jean Leuillot dabei, wie er „weinend und stöhnend und trotzdem hurtig“ seine Reportage über den Tod von Simpson zu Papier brachte, wohl wissend, dass dieser Artikel viele tausend Menschen ebenfalls zu Tränen rühren würde. „Leuillot genoss seine Trauer“, schrieb Blickensdörfer. „Er spürte die Blicke auf sich gerichtet, und sein Verhalten war das des Mimen, dem die Ausstrahlung seiner Verzweiflung Befriedigung verschaffte.“

Der Tod von Tom Simpson rüttelte Hans Blickensdörfer für einen flüchtigen Augenblick lang wach. Für einen Moment erkannte der Reporter den Wahnsinn und den Zynismus jenes Spektakels, das ihn vorher und nachher jahrzehntelang zu mitreissenden Reportagen inspirierte. Reportagen, die er wenigstens einen Tag lang als Werbetexte für einen Menschen verachtenden Zirkus durchschaute. Noch das elende Verrecken auf dem glühenden Asphalt verwandelten diese pompösen Oden an das Heldentum in eine schaurig-schöne Seifenoper zum Morgenkaffee.

Der Tod von Tom Simpson löste allerdings nur bei Wenigen eine solch klare Einsicht aus oder gar, wie bei Blickensdörfer, eine Scham über die eigene Rolle im brutralen Gladiatorenspiel der Tour de France aus. Kaum jemand stellte wie Blickensdörfer an jenem Tag die Tour grundsätzlich in Frage. Die meisten Angehörigen der Radsportfamilie gingen noch am Tag von Simpsons Tod, spätestens jedoch am Tag danach zur Tagesordnung über. Dass gedopt wird überraschte eigentlich niemanden, dass einer daran stirbt ist zwar bedauerlich, aber ein Risiko, das eben zu dieser mörderischen Veranstaltung dazu gehört. Niemand hatte nach dem Tod von Simpson ein wirklich ausgeprägtes Interesse daran, die Tour zu reformieren. Und daran hat sich, wie die trägen und zähen Reaktionen auf die Doping-Skandale von 1998 und von 2006 zeigen, im Grunde bis heute nichts geändert.

Eine vorübergehende Debatte in den französischen Zeitungen darüber, ob die Anforderungen der Tour nicht unmenschlich seien, wurde nach Simpsons Tod rasch wieder erstickt. Tour-Direktor Jacques Goddet verwies auf Autorennen und auf das Bergsteigen als Disziplinen, bei denen wesentlich mehr Sportler ums Leben kamen, als im Radsport. Co-Direktor Levitan zeigte in einer bis heute beliebten Geste mit dem Finger auf die Medien, die „den geringsten Vorfall über die Maßen“ aufbliesen. Der Tod eines Menschen war Levitan anscheinend nicht gravierend genug, um darum ein großes Aufhebens zu machen.

Die Fahrer zeigten sich angesichts des Todes von Simpson ähnlich dickhäutig. Der Lance Armstrong jener Zeit, der fünffache Tour-Sieger Jacques Anquetil – dafür berüchtigt bis zu 235 Tage pro Jahr Rennen zu fahren - gab ein wenig glaubwürdiges Lippenbekenntnis für eine geringere Gesamtbelastung der Rennfahrer über die Saison hinweg ab. Die Tour für die Fahrer selbst leichter zu machen, konnte er sich nicht vorstellen: „Wenn die Tour leicht wäre, wäre sie nicht mehr die Tour“, sagte er. Im selben Atemzug erneuerte Anquetil ohne rot zu werden seine häufig vorgetragene Forderung, kontrolliertes Doping für Profis unter ärztlicher Aufsicht frei zu geben.

Auch den meisten von Anquetils Kollegen blieben nach Simpsons Tod die Speed-Pillen nicht im Hals stecken. Wie Anquetil zur Begründung seines Plädoyers für eine kontrollierte Freigabe bemerkte, hatten Radprofis schon immer Stimulanzien eingenommen und sie hatten nun nicht vor, ihre Gewohnheiten plötzlich zu ändern. Bei den Dopingkontrollen während der Tour1968 fiel zwar kaum ein Fahrer auf. Das lag aber nicht etwa daran, dass die Fahrer etwas aus Simpsons Tod Anst gelernt hatten, sondern vielmehr an der Laxheit der Tests.

Der Historiker Christopher Tompson beschreibt in seinem Tour de France-Buch, wie einfach es damals für die Fahrer war, „eimerweise“ Fremdurin zu den Dopingproben zu tragen. Zudem wurden die Tests zumeist angekündigt, man konnte bequem die Präparate rechtzeitig absetzen. Und wenn tatsächlich einmal jemand erwischt wurde, konnte er zumeist ohne Schwierigkeit die Strafen abwenden. So erwirkte der Sieger der 67er Tour, Roger Pingeon, vor Gericht, dass seine ohnehin nur vier Monate kurze Sperre wegen Amphetamin-Mißbrauchs wieder ausgesetzt wurde. Die Dopingbekämpfung, die zu Beginn der 60er Jahre im Radsport eingesetzt hatte, war weitgehend eine Farce.

Dass er den Tod von Simpson nicht verhinderte war eine eklatante Blamage dieses halbherzigen Anti-Dopingkampfes. Aber selbst diese Peinlichkeit bewirkte nicht, dass entschlossen gegen Doping vorgegangen wurde. Der französische Staat, der 1965 ein Anti-Doping Gesetz erlassen und 1966 unter lautem Protest der Fahrer die ersten Tests bei der Tour durchgeführt hatte, wollte sich offenkundig nicht unbeliebt machen, in dem er eine so populäre Veranstaltung, ein „nationales Monument“ gar, torpediert. Er übergab die Dopingkontrollen an den Radsport-Verband, der seinerseits wenig Interesse daran zeigte, mit vielen positiven Tests schlechte Publicity zu erzeugen.


Erst 1998 machte der französische Staat in Person der kommunistischen Gesundheitsministerin Marie-George Buffet von den Mitteln, die er seit 1965 und seit der Novelle des Anti-Doping-Gesetzes 1989 in den Händen hielt, Gebrauch. Die Reaktion der Fahrer war die gleiche wie bei den ersten Dopingtests 1966 – man war entrüstet. Das Peloton streikte, aber nicht etwa wegen der Unbarmherzigkeit des Rennens, sondern dagegen, „wie Kriminelle“ behandelt zu werden. Das Publikum sollte sein „Schauspiel der Strapaze“, wie Blickensdörfer es genannt hatte, bekommen – schließlich ist dieses Schauspiel die ökonomische Grundlage der Tour und aller an ihr Beteiligten. Wie dieses Schauspiel produziert wird und dass die Methoden dazu – in den 90er Jahren war es hauptsächlich der Gebrauch des Blutdopingmittels EPO – lebensgefährlich sind, ging niemanden etwas. Das war und ist Betriebsgeheimnis.

Auch von den Funktionären wurde der Übergriff 1998 als unangemessene Einmischung betrachtet. Er verstehe die Entrüstung der Fahrer, sagte der Präsident des Radsportverbandes UCI, Hein Verbruggen. Und Tour-Chef Jean Marie Leblanc gab trotzig bekannt: „Wir wollen die Tour, die Fahrer wollen die Tour und die Fans, denen wir verpflichtet sind wollen die Tour. Auch wenn die Intellektuellen in Paris das nicht verstehen.“ Die Tour ist, was sie ist, und auch wenn Leblanc das so deutlich nicht auszudrücken wagte, gehören die schmutzigen Seiten eben dazu.

Ganz ähnlich hatte bereits Tour-Direktor Jacques Goddet 1967 reagiert. Nach dem Tod von Simpson rief er zwar theatralisch zur moralischen Erneuerung der gesamten Gesellschaft auf, um den wachsenden Drogenmißbrauch in allen Bereichen einzudämmen. An seiner eigenen Veranstaltung sah er jedoch nichts Problematisches, nichts, was etwa den Mißbrauch von Pharmazeutika fördere.

Die Tour war für Goddet eine Art Schaukasten für die wundervollen Errungenschaften der Moderne. Goddet liebte die Technik und er liebte die Beschleunigung, die das Leben im 20. Jahrhundert erfuhr und von beidem – Technik und Geschwindigkeit - gab es bei der Tour reichlich. Der Athlet war für Goddet der Vorreiter dieser „Modern Times“, ein „freiwilliger Märtyrer“ für den Fortschritt, wie er schrieb. Auf den Gedanken, dass all diese Beschleunigung und all dieser Fortschritt den unmodernen alten Körper vielleicht überfordern könnte, kam Goddet gar nicht erst.

Die Athleten und Manager waren da realistischer. Ein Jahr zuvor hatte Gaston Plaud, der Direktor von Tom Simpsons Mannschaft, gesagt: „Wer bei der Tour an den Start geht, weiß worauf er sich einlässt.“ Tom Simpson wusste offenkundig, was er trat, er hatte innerlich den Teufelspakt mit dem Radsport unterzeichnet. Vor der Etappe von Marseille nach Carpentras hatt er mehr als acht Minuten Rückstand auf den Gesamtführenden Roger Pingeon. Eine gnadenlose Attacke am Mont Ventoux war seine letzte Chance auf das Gelbe Trikot. Dass eine solche Attacke ohne Hilfsmittel nur wenig Aussicht auf Erfolg haben würde, wusste er auch. Und er war sich mit Sicherheit der Tatsache bewusst, dass er mit der Kombination aus Drogen und der Belastung, die ihm bei seinem Angriff bevorstand, seine Unversehrtheit riskierte.

Insofern war der Tod von Tom Simpson zwar ein Unglück aber aus Radsportsicht keine Katastrophe. Es war ein mehr oder weniger einkalkulierter Betriebsunfall. Dass so etwas im Prinzip beim Spektakel Tour jederzeit vorkommen kann, war schon immer allen klar. Der tödliche Sturz des Spaniers Francesco Cepeda 1935 am Galibier etwa, schlug bis auf eine kurze Meldung unter dem Rennbericht des Tages und einer Schweigeminute am nächsten Tag kaum Wellen. Die Zeitung L’Auto schrieb, dass Cepeda bei der treuen Erfüllung seiner Pflicht gestorben sei – wie ein braver Soldat, zu dessen Geschäft das Sterben nun mal dazu gehört.

Der Tod ist eine Grundzutat des Radsports, und ein wenig macht er auch seine Faszination aus. Lance Armstrong sagte einmal, dass seine Liebe zum Radsport nicht zuletzt darauf gründe, dass der Sport mit der ganzen Palette menschlicher Erfahrungen aufwarten könne – inklusive dem Tod. Armstrong spielte auf den Tod seines Mannschaftsgefährten Fabio Casartelli an, der 1995 nach einem Sturz auf einer Pyrenäenabfahrt mit dem Kopf gegen eine Strassenbegrenzung prallte. Aber Armstrongs Aussage lässt sich ohne Weiteres verallgemeinern. Dass das Drama der Tour todernst ist, macht seinen besonderen Kitzel aus.

Die Art und Weise, wie die Radsportwelt auf den Tod von Tom Simpson reagierte belegt nur allzu deutlich, dass sie den Tod auf der Landstrasse als Berufsrisiko toleriert. Um das Risiko auszuschließen, hätte der Radsport nach 1967 zu etwas völlig anderem mutieren müssen, zu etwas bravem, harmlosen, zu etwas, das mit Sicherheit auf alle Beteiligten eine deutlich geringere Anziehung ausübt. Das ist nicht geschehen und bis heute möchte das niemand wirklich.

Vor seiner Großattacke im vergangenen Jahr, nach der er positiv auf Testosteron getestet wurde, lag Floyd Landis beinahe exakt so im Rennen wie 1967 sein Kollege Simpson vor dem 13. Juli. Landis hatte sich weder von den Gesundheitsrisiken des Dopings schrecken lassen, noch hatte ihn der Rauswurf von Ivan Basso und Jan Ullrich zu Beginn der Tour vom Doping abgehalten. Und so machte die Tour von 2006 deutlich, dass der Starrsinn des Radsports, der sich in den Äußerungen von Verbruggen und Leblanc 1998 gezeigt hatte, gegen die Moralvorstellungen von Journalisten, „Intellektuellen“ aus Paris, Verbänden und letztlich auch gegen den Staat behauptet hatte. „Es hat sich nichts geändert“, sagte der Ex-Radprofi Paul Kimmage, der als einer der wenigen Insider in seinen Memoiren ausgepackt hatte, als er 2006 als Journalist zur Tour zurück kehrte. „Ich werde bis heute als Verräter behandelt, während überführte Dopingsünder wie David Millar nach ihrer Sperre mit offenen Armen empfangen werden.“

Angesichts dieser offenkundigen Unreformierbarkeit lässt der Radsport beim Betrachter damals wie heute wohl nur zwei Haltungen zu. Die eine ist, sich von dem gesamten Betrieb und allen, die an ihm Teil haben, angewidert abzuwenden – so wie Hans Blickensdörfer das am 13. Juli 1967 wenigstens ein paar Stunden lang tat. Die andere ist, sich der Faszination des Spektakels zu überlassen und die schmutzigen kleinen Geheimnisse, die dahinter stecken, auszublenden. So, wie es Hans Blickensdörfer bereits 1968 wieder tat. Und mit ihm die komplette Tour-Karawane.

Wednesday, July 11, 2007

"Billig und unsensibel". Wie ausländische Tour-Journalisten die Doping Hysterie in den deutschen Medien beurteilen


Als Fabian Cancellera am Montagnachmittag mit einem fulminanten Antritt über den Schlossplatz von Compiegne dem Etappensieg entgegenstob, hielt es niemanden mehr auf den schlichten Holzstühlen, die in der Turnhalle des örtlichen Gynasiums für die schreibenden Journalisten aufgereiht waren. Die gewöhnlich eher abgerühten Reporter scharten sich um die Fernsehbildschirme, hielten wie gemeine Fans den Atem an und brachen in Szenenapplaus aus, als Cancellara nur Zentimeter vor Erik Zabel sein Rennrad über die Ziellinie drückte.

„Sicher weiß ich, welche Probleme dieser Sport hat“, sagte der Korrespondent der Pariser Sportzeitung L’Equipe, Phllippe LeGars, der auch stehend applaudiert hatte, kurz darauf. „Aber es ist doch noch immer ein schöner Sport.“ Seine Leidenschaft für den Sport, so LeGars, sei gewiss nach der Festina Affäre 1998 einer gewissen Desillusionierung gewichen, aber sie sei noch immer vorhanden. Er passe bei seinen Berichten seither auf, nicht mehr in Überschwenglichkeit zu verfallen und Superlative sowie Adjektive wie „heroisch“ und „grandios“ zu vermeiden. Aber er berichte selbstverständlich weiter über Radrennen. Es seien schließlich Ereignisse wie jedes andere auch und er empfinde es als seine journalistische Pflicht, sie zu würdigen.

LeGars’ Meinung entspricht der Mehrheitsmeinung im internationalen Pressetross bei der Tour de France. Alle französischen Zeitungen sowie der International Herald Tribune beispielswiese machten am Dienstag ihre Sportseite mit dem Sieger Cancellara auf, selbst die bürgerliche LeMonde, die sich seit Jahren mit ihrer harten Linie profiliert, wenn es um Doping geht. Alleine der Figaro widmet sich auf seiner zweiten Sportseite in einem Interview mit dem früheren Tour-Sieger Laurent Fignon dem Thema Doping. Die Berichterstattung zur Tour de France ist hierzulande schon längst zur Normalität zurückgekehrt.

Die Tatsache, dass sich viele deutsche Medien noch immer in das Dopingthema verbeissen, befremdet viele Journalisten bei der Tour. „Sicher berichte ich über Doping, wenn es morgen einen neuen Fall gibt“, sagt etwa Samuel Abt, der seit 30 Jahren für die New York Times und den International Herald Tribune die Tour begleitet. „Aber im Moment muss man das Thema doch an den Haaren in die Tour hereinschleifen.“ Die Entscheidung einiger deutscher Zeitungen, den Sport zu ignorieren und die gesamte Veranstaltung nur noch als Treffen einer organisierten Verbrecherbande darzustellen, hält Abt für „billig und unsensibel.“ Es sei verabscheuungswürdig und arrogant, so Abt, „jegliche athletische Anstrengung als unwürdig abzutun. Zumal in Deutschland zwei Mannschaften mit jungen Leuten sich bemühen, alles richtig zu machen.“ Das Dopingproblem, so Abt, sei ja schließlich nicht neu und er frage sich, wo denn die ganzen investigativen deutschen Reporter 1997 gewesen seien, als das gedopte Team Telekom die Tour gewann. Damals, so Abt, habe er aus Deutschland nicht viele Fragen gehört.

Andere Kollegen haben ein wenig mehr Verständnis als Abt für die Reaktion der deutschen Medien auf die Enthüllungen der vergangenen Monate. „Das war bei uns nach dem Festina-Skandal 1998 genauso“, sagt Phillippe LeGars. Auch Lars Werge vom dänischen „Ekstra Bladet“ findet das „normal“. „Als sich 1999 der Verdacht gegen Riis immer mehr verdichtete, haben wir uns auch beinahe ausschließlich auf Doping konzentriert.“ Allerdings, so Werge, habe das nach etwa zwei Jahren sowohl die Journalisten, als auch die Leser ermüdet und man sei zu einer gemischteren Themenauswahl zurück gekehrt. Ganz auf die Berichterstattung über den Radsport zu verzichten, sei indes nie in Frage gekommen.

„Ich kann als Journalist ja auch nicht den Irak Krieg ignorieren, nur weil ich ihn nicht mag“, stimmt Phillippe Le Gars Werges Einschätzung zu, dass man die Tour als Reporter nicht übergehen kann. Der Journalist, so LeGars, sei doch vor allem Zeuge und Beobachter. „Ich bin nicht allwissend. Ich habe 1996 auch Bjarne Riis als großen Champion bezeichnet.“ Sicher, so LeGars, wisse er jetzt mehr, aber man können eben immer nur mit dem arbeiten, was man jeweils weiß und wahrnimmt. Die Lehre daraus sei für ihn, so LeGars, dass „der Sport ein offenes Buch ist, das immer weiter geschrieben wird und nie zu Ende ist.“ Die Suche nach letzten Wahrheiten und abschließenden Urteilen hat er schon lange aufgegeben.

Sebstian Moll

Tuesday, July 10, 2007

Alt VS. Neu. Der Kampf um die Zukunft des Radsports


Bob Stapleton ist eigentlich ein höflicher und offener Mensch. Es ist nicht seine Art, Leute warten zu lassen und so war es umso auffälliger, dass der T-Mobile-Macher sich anderthalb Stunden Zeit ließ, bevor er am Montag vor das schmucklose Holiday Inn an einem Autobahnzubringer in Ghent trat, um die langsam ungehalten werdenden Reporter mit einem Statement zu bedienen. Stapleton hatte keine Lust auf dieses Gespräch, keine Lust, schon wieder auf irgendwelche Dopinganschuldigungen zu reagieren.

Als er dann endlich vor die Kameras und Mikrofone trat, tat er dies freilich trotzdem mit der Professionalität, die man von einem hochrangingen Konzernmanager wie ihm erwarten darf. Er befürworte selbstverständlich jedwede Form des investigativen Journalismus, leitete er seinen Kommentar ein. Er sehe jedoch keine Veranlassung, aufgrund der aufgetauchten Dokumente über Doping im Team Mapei 2001 etwas gegen die Fahrer seiner Mannschaft zu unternehmen, die weiland bei Mapei unter Vertrag standen. „ Seit Michael Rogers und Patrick Sinkewitz bei T-Mobile sind, ist ihr Verhalten vorbildlich. Das ist alles, was zählt.“

Rückhaltlose Aufklärung von allem, was in der Vergangenheit war, erklärte Stapleton später, nachdem die Kameras abgeschaltet sind, interessiere ihn mittlerweile nicht mehr so sehr, wie dies vielleicht noch vor einem halben Jahr der Fall gewesen sei. „Die Operacion Puerto hat mir da eine Lektion erteilt. Die Widerstände dagegen, alles aufzuklären, sind einfach zu groß. Wichtiger ist es jetzt, dass wir nach vorne schauen.“

Stapleton hat sich offenbar damit abgefunden, dass man nicht ganz ohne das Personal der Vergangenheit und ohne den Glauben an die Wandelbarbarkeit des Individuums auskommt. So hat Stapleton etwa auch noch nicht Patrick Lefevere aufgegeben, den schwer belasteten Vorsitzenden der Vereinigung der Profi-Radteams, den Stapleton erst vergangene Woche als „Vertreter des alten Denkens“ bezeichnet hat. Pikanterweise war Lefevere auch der Chef des Mapei Teams, dem Reporter der ARD jetzt systematisches Doping nachweisen wollen. „Wir wissen doch schon lange, dass es Doping bei Mapei gegeben hat“, sagt Stapleton dazu. „Aber die Mannschaft wurde aufgelöst. Das ist vorbei“

Allerdings, glaubt Stapleton, dass Lefevere noch immer zu wenig tue, um den Kampf gegen das Doping voranzubringen. Der ganze Reform-Prozess im Radsport gestalte sich viel zäher, als er sich das je gedacht habe. Aber Stapleton hat einen langen Atem auf dem Weg zu seiner Vision des Radsports der Zukunft.

Den braucht er allerdings auch. Denn der Radsport ist nach wie vor bis in seine Tiefen von den „Alten“ durchsetzt. „Wenn man die alle rausschmeißt“, sagte der ehemalige Ullrich-Betreuer Rudy Pevenage am Montag der Süddeutschen Zeitung, „dann bleibt keiner mehr übrig.“ In das gleiche Horn stieß der suspendierte Direktor des Teams Milram, Gianluca Stanga am Dienstag gegenüber französischen Zeitung L’Equipe: „Wenn man mich verurteilt, muss man alle verurteilen.“

Stanga äußerte sich in dem Inteview zu den Vorwürfen Jörg Jacksches, er habe 1997 beim Team Polti den deutschen Jungprofi persönlich in die Geheimnisse des Dopings eingewiesen. Er könne sich nicht erklären, so Stanga, warum Jaksche dies alles erfinde. Vielleicht, spekulierte er, seien einige Mißverständnisse ja darauf zurück zu führen, dass Jaksche damals noch nicht so gut Italienisch gesprochen habe.

Stanga, der unter anderem als Mannschaftsleiter bei Chateau d’Ax 1987 den später gerichtlich verurteilten Dottore Michele Ferrari als Mannschaftsarzt beschäftigte, behauptete in dem Interview, er habe nie jemanden zum dopen angeleitet. Sein einziger Fehler, so Stanga, sei es gewesen, dass er „die Augen vor dem Dopingproblem verschlossen“ habe.“ Das war immerhin ein Ansatz von Selbsterkenntnis. Für einen echten Dialog mit Männern wie Stapleton erscheint es jedoch noch immer ein wenig dürftig


Sebastian Moll
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