Thursday, November 22, 2007

Zockst Du noch oder wohnst Du schon? Die Verwandlung der Wall Street in ein Luxuswohnviertel

Financial Times Deutschland, 16. 11. 2007

Der kleine Schusterladen von Minas Polychronakis ist zum Bersten voll um die Mittagszeit – Geschäftsleute lassen sich von seinen drei Schuhputzern die edlen Ledergaloschen polieren, elegante Damen bringen Pumps mit abgebrochenen Absätzen zur Reparatur und Touristen kaufen Imprägnierspray für ihre Turnschuhe. Das Geschäft des 66 Jahre alten gebürtigen Kreters an der Wall Street läuft ordentlich aber der gebückt hinter der Theke hin und her humpelnde Grieche klagt trotzdem über sein Schicksal. Die Verluste, die er während der Krisenjahre nach dem 11. September gemacht hat, sagt er, könne er nie wieder gut machen und deshalb habe er seinen herbei gesehnten Ruhestand auf unbestimmte Zeit verschieben müssen. Vor allem aber kann er sich nicht damit abfinden, dass der Finanzdistrikt, in dem er seit 1970 die Schuhe der Börsianer in Schuß hält, nie wieder so sein wird, wie er einmal war.

Früher, berichtet der freundliche kleine Mann, hätten tagein tagaus die Makler bei ihm Schlange gestanden. Die Financiers seien jedoch rar geworden und seine neue Klientel könne die alte nicht ersetzen. „Das Gebäude, in dem wir sind, Wall Street Nr.67,“ illustriert er seine Situation, „war früher das Bankhaus Brown Brothers. Da haben 8000 Leute gearbeitet. Jetzt sind es 400 Luxuswohnungen mit gerade einmal 1000 Menschen.“ Und die bräuchten auch nicht wie seine alten Kunden ständig auf Hochglanz gewienerte Schuhe.

Polychronakis will trotzdem weiter machen so lange er kann, weil die Wall Street, wie er sagt, nun einmal seine Heimat ist. Es ist allerdings eine Heimat, die er selbst nicht mehr wieder erkennt. Der einst wuselige Platz direkt vor der Börse etwa ist selbst zur Rush-Hour am Morgen vergleichsweise ruhig – zwischen den Battalionen uniformierter Terrorismus-Schützer tummeln sich mehr fotografierende Japaner als Broker. Aus der Eingangstür des Hochhauses gegenüber, dem alten Hauptquartier von J.P. Morgan schieben mexikanische Babysitter Kinderwägen zum Spazieren an die Luft. Das altehrwürdige Bankhaus ist seit drei Jahren ein Apartment-Komplex mit 380 Designerwohnungen für Gutverdienende. Im Erdgeschoß bietet Hermes seine Schals und Handtaschen an, um die Ecke bestaunen schüchterne Reisende und Ladies mit Luxus-Neigungen die prunkvollen Auslagen der neuen Wall Street-Filliale von Tiffany’s. Direkt daneben dekoriert das Nobelrestaurant Cipriani wie beinahe jeden Tag seinen Ballsaal für irgendeine verschwenderische Prominentengala am Abend.

Die Wall Street, einst das Zentrum der Finanzwelt, ist derzeit dabei, sich in einen exklusiven Wohn- und Einkaufsbezirk zu verwandeln. Vom Finanzgeschäft ist kaum noch etwas übrig – große Häuser wie Lehmann Brothers, Morgan Stanley und Bear Stearns sind schon längst nach Midtown Manhattan umgezogen, demnächst verläßt auch noch Merrill Lynch, die im World Financial Center gegenüber von Ground Zero sitzen, das Viertel; die einzige Investmentbank, die noch direkt an der Wall Street residiert, ist die Deutsche Bank. Auch die Börse selbst stirbt im Zuge die Digitalisierung des Finanzgeschäfts langsam ab – noch in diesem Monat werden zwei der verbleibenden vier Handelsräume geschlossen.

Der 11. September hat diesen Prozess zwar beschleunigt, ausgelöst hat er ihn jedoch nicht. „Das fing schon in den 80er Jahren an, als Morgan Stanley wegzog“, erinnert sich Heiko Thieme, der damals an der Wall Street für die Deutsche Bank handelte und jetzt seine eigene Investmentfirma von seinem Heim im New Yorker Wohnvorort Stamford aus führt. Die alten Zeiten, als man noch im Lucheon Club auf dem dritten Stock der Stock Exchange bei Austern und Champagner oder in Harry’s Bar am Hanover Square am Abend Geschäfte abschloß und die Börsianer sich in den gedrängten Gassen des alten Manhattan ihre eigene Welt geschaffen hatten, so Thieme, sei spätestens seit Mitte der Neunziger Jahre verloren.

Erst die Zerstörung des World Trade Center öffnete jedoch die Tür für risikofreudige Investoren mit neuen Ideen, wie etwa den hasidischen Brooklyner Juden Shaya Boymelgreen. Durch Steuererleichterungen angelockt kaufte er das eigentlich zum Abriss frei gegebene historische Morgan-Stammhaus Nummer 23 Wall Street/15 Broad Street zum Dumpingpreis von 100 Millionen und ließ es 2003 in ein Luxusapartment-Haus umwandeln. Nur ein Jahr nach der Fertigstellung waren die zwischen 650,000 und acht Millionen Dollar teuren, von Phillippe Starck gestalteten, Einheiten weg. Der Erfolg ermutigte Nachahmer – etwa die Hälfte der alten Art Deco-Hochhäuser an der Westseite der nur wenige hundert Meter langen Wall Street sind mittlerweile Luxus-Condominiums, zum Teil mit Fünfsterne-Hotelbetrieben durchmischt wie an der von David Rockwell umgebauten Nummer 75.

Wenn man heute die Wall Street hinunter läuft flattern überall über der Gasse bunte Fahnen, die in großen Lettern zum Wohnungskauf animieren sollen. Wo früher Empfangshallen zu Bürohochhäusern waren sind nun Fitnesstudios und Gourmet-Lunchcafes, sowie eine BMW-Niederlassung. In der parallel verlaufenden Maiden Lane hat gerade der Edelsupermarkt Christede’s eröffnet, Buchläden und Einrichtungshäuser sowie rund 20 Hotels für gehobene Geschätsreisende und Touristen sind in der Gegend geplant. Auf der für den Verkehr gesperrten Stone Street, nur einen Block von der Wall entfernt, haben ein Dutzend Restaurants und Bistros Tische auf das Kopfsteinpflaster gestellt und verbreiten mitteleuropäisches Altstadtflair.

Die Politiker der Stadt New York freuen sich über all diese Aktivität in dem von den Terrorangriffen des 11.September vernarbten Viertel. Die sechs Milliarden an Wiederaufbauzuschüssen und Steuererleichterungen für Lower Manhattan von der öffentlichen Hand scheinen sich auszuzahlen, das Leben ist an die Wall Street zurück gekehrt. Manos Polychronakis hat von diesen Milliarden gerade einmal 28,000 Dollar bekommen, wie er erzählt - zu wenig, um die Flautejahre nach 2001 zu überstehen, wie er klagt. „Ich habe den Preis dafür bezahlt, dass das Viertel jetzt wieder kommt und die Immobilieninvestoren sich satt verdienen können“, klagt er. „Wenn ich wie viele andere in eine andere Gegend umgezogen wäre, ging es mir jetzt gut.“ Polychronakis’ Schuhgeschäft war nicht die Art von Einzelhandel, die man mit Macht an der neuen, schicken Wall Street halten wollte, er ist heute ein Fremdkörper und es ist beinahe ein Ärgernis, dass er trotz allem hier weiter gemacht hat. Aber noch gibt es ja ein paar Bänker hier, die täglich mit glänzenden Schuhen das Börsenparkett betreten wollen. Und so lange die noch hier sind, bleibt auch Manos.

Wall Street Distrikt Adressen:

Tiffany’s, 37 Wall Street

Hermes, 5 Broad Street

Cipriani Restaurant
55 Wall Street Phone: 212-699-4099


Bistro Patisserie Financier
62 Stone Street
22 344 5600

Delmonico’s Steak House,
55 Beaver Street
212 509 1144


Harry’s Bar
1 Hanover SqNew York NY 212 425 3412

Tuesday, November 20, 2007

In eigener Sache

Sebastian Moll hat heute in Berlin den mit 5000 Euro dotierten Journalisten-Preis Bahnhof verliehen bekommen. Er bekam die Auszeichnung für seine Reportage über das Leben im Grand Central Terminal in Manhattan in der Welt am Sonntag vom März diesen Jahres.

Lesen Sie näheres unter http://www.ludwig-koeln.de/unternehmensgruppe/v2/journalistenpreis.php

Thursday, November 15, 2007

Der Baseball-Boss: Spielerberater Scott Boras

Der Baseball tut sich in den vergangenen Jahren schwer im Kampf gegen die anderen US-Sportarten Basketball und Football um die Gunst der Fans. Wenigstens einmal im Jahr konzentriert sich jedoch die ganze amerikanische Sport-Nation auf das Baseball – bei der Finalserie um die Meisterschaft, die World Series nämlich. So verfolgten 21 Millionen Millionen Zuschauer heuer die vier Partien zwischen Colorado und Boston. Als gerade die Spannung ihrern Höhepunkt erreichte, in der Halbzeit der vierten und entscheidenden Partie, stahl jedoch jemand den beiden Finalisten die Show, der mit der Meisterschaft nichts zu tun hatte: Die Meldung machte die Runde, dass der Superstar Alex Rodriguez vorzeitig seinen Vertrag mit den enttäuschend in der ersten Playoff-Runde ausgeschiedenen New York Yankees kündigt. Es war der teuerste Vertrag in der Geschichte des Baseballs, er lief über 10 Jahre sowie 252 Millionen Dollar.


Wer immer die Meldung genau zu diesem Zeitpunkt lanciert hatte, wollte offenkundig sicherstellen, dass er damit so viel Aufmerksamkeit erregt, wie nur irgend möglich. Bislang möchte jedoch niemand zugeben, dass er es war, der mit der Nachricht an die Öffentlichkeit gegangen ist - weder die Yankees noch der Agent von Rodriguez, Scott Boras. Doch wer sich auch nur ein bißchen im amerikanischen Sport auskennt, geht davon aus, dass es Boras war, der die Information so wirkungsvoll plaziert hat. Boras – der erfolgreichste Agent im amerikanischen Sport – ist ein Meister des Vertragspokers und um seine Ziele zu erreichen, setzt er geschickt alle Mittel ein, die ihm zur Verfügung stehen; und auf der Liste dieser Mittel stehen die Medien ganz oben.

Welches Ziel Boras genau mit Rodriguez verfolgt ist allerdings bis heute, 14 Tage nachdem die Boston Red Sox Meister wurden, noch immer nicht ganz klar – Rodriguez ist noch immer ohne Anstellung. Zunächst wurde gemutmasst, dass Boras die Neuverhandlung des Vertrags zwischen Rodriguez und den Yankees erzwingen wollte. Dafür spricht, dass sich der „A-Rod“ genannte Star-Schlagmann gerade eine Wohnung für 50 Millionen an der New Yorker Fifth Avenue gekauft hat. Die New York Post will weiterhin erfahren haben, dass Boras’ Verhandlungsposition mit den derzeit in massiven Umwälzungen begriffenen Yankees 350 Millionen über 12 Jahre war – eine deutliche Aufbesserung von A-Rods Einkommen gegenüber den aus seinem derzeitigen Vertrag verbleibenden 90 Millionen. Die Ankündigung während der World Series schien zu diesem Ziel zu passen – am folgenden Tag heuerten die Yankees nämlich den neuen Trainer Joe Girardi an und Rodriguez Kündigung sollte wohl auf keinen Fall wie eine Reaktion auf diese Besetzung der Trainerstelle aussehen. Das hätte ein mögliches zukünftiges Arbeitsverhältnis zwischen Rodriguez und Girardi doch arg strapaziert.

Kurz darauf meldete jedoch das New York Magazine, dass Boras auch mit den Chicago Cubs verhandele. Und nicht nur das – Boras hatte darüber hinaus mit verschiedenen Anteilseignern des Clubs gesprochen. Ziel war es offenbar gewesen, sie zum Verkauf ihrer Aktien zu bewegen. Diese Anteile sollten wiederrum Teil des Vertragspakets für Rodriguez werden – ein Konstrukt, dass es Chicago erleichtern sollte, sich einen Spieler zu leisten, der mit geschätzten 30 bis 35 Millionen pro Jahr einhändig einen Großteil des Gesemtbudgets beansprucht.


Einen solchen Vertrag – bei dem einem Spieler beim Kauf gleich ein Teil des Clubs überschrieben wird - gab es im Baseball bislang noch nie. Aber Scott Boras hat auch noch nie davor zurück geschreckt, auf Neuland vorzustoßen. In seiner mittlerweile 22 Jahre andauernden Laufbahn als Agent hat Boras den Sport komplett verändert: Als er anfing, verdienten die Spieler im Jahresdurchschnitt 46,000 Dollar. Das Recht, frei mit mehreren Vereinen zu verhandeln, hatten sie sich gerade erst erstritten und sie begannen zaghaft, davon auch Gebrauch zu machen. Heute verdienen die Spieler im Liga-Durchschnitt drei Millionen pro Jahr. Und wie der Fall Rodriguez zeigt, treten sie den Vereins-Eignern und Liga-Bossen gegenüber mindestens als gleichberechtigt auf.

Boras, der selbst als Profi nie einen Vertrag in der ersten Liga bekommen hatte, fing 1985 neben seinem Job als Rechtsanwalt damit an, Spieler zu beraten. Seine ersten Jobs bestanden darin, Neuprofis davon abzuraten, das erstbeste Angebot anzunehmen und in ihrer Unerfahrenheit ihre Seele zu verkaufen. Boras gelang es, den Zugriff der Clubs auf junge Talente zu beschränken, in dem er mit juristischer Finesse Lücken in Verträgen und Regularien ausmachte. Heute wird als „Boras Effekt“ im US-Sport die Entwicklung bezeichnet, dass sich Spieler ihrer Rechte nicht nur bewusst sind, sondern sie mit Macht und Selbstbewusstsein in Anspruch nehmen.

Dieses Image gefällt Boras – er stellt sich gerne als unermüdlicher Kampfer für die Rechte der Athleten dar. So argumentiert er beispielsweise, dass Rodriguez mit seiner Anziehungskraft als Spieler und als Star für jeden Verein 80 Millionen Dollar pro Jahr wert sei. Da sei es nur gerecht, dass der Spieler davon 30 abbekommt. Er selbst, auch darauf ist Boras stolz, zieht von den Vertragssummen gerade einmal fünf Prozent Kommission ab. Die addieren sich allerdings bei seinen derzeit 65 Spielern auf rund 250 Millionen Dollar pro Jahr. Die gesammelten Vertragssummen seiner Klienten belaufen sich auf mehr als eine Milliarde. Keine schlechte Entschädigung für jemanden, dem es nur darum geht, gegen die Ausbeutung von Sportlern durch die bösen Kapitalisten in den Vereinsvorständen zu kämpfen.

Monday, November 12, 2007

Der gefallene Held - Barry Bonds drohen 30 Jahre Gefängnis und das jähe Karriereende

Dass jeder irgendwann von der Lüge eingeholt wird ist ein schöner Glaubenssatz, gültig alleine in einer Welt die besser ist, als diese. Für den Sport galt dieser Satz jedenfalls bislang nicht – sonst würde etwa Lance Armstrong nicht auf seiner Ranch in Texas sitzen und seine Millionen zählen und auch Jan Ullrich dürfte nicht hoffen, sich noch ohne Zivilstrafe aus seinen Dopingaffären ziehen zu können. Im US-Sport scheint sich die Utopie einer letztlich doch noch gerechten Welt jedoch nach und nach zu bewahrheiten: Nach Olympiasprinterin Marion Jones wird nun auch Baseballstar Barry Bonds nach Jahren des Leugnens von seinen Dopingbetrügereien eingeholt.

Am Donnerstag wurde Bonds, der erst im vergangenen August den ewigen Homerunrekord Hank Aaarons überbot, durch ein Bundesgericht in San Francisco angeklagt. Der Vorwurf ist allerdings nicht etwa die Einnahme oder der Erwerb von Anabolika, gegen die es keine rechtliche Handhabe gibt. Bonds wird dafür zur Verantworung gezogen, dass er 2003 als Zeuge im Verfahren gegen die kalifornische Firma BaLco wegen Vertriebs von Dopingmitteln im großen Stil Meineid begangen hatte. Bonds hatte damals mehrfach beteuert, niemals selbst etwas mit Anabolika zu tun gehabt zu haben. Jetzt wollen die kalifornischen Ankläger jedoch Beweise dafür haben, dass Bonds damals gelogen hat. Wenn die Anklage Erfolg hat, könnte Bonds bis zu 30 Jahre hinter Gitter wandern.

Noch ist nicht klar, welche Beweise die Staatsanwaltschaft jetzt hat, die sie nicht schon seit Jahren besitzt. Beobachter weisen allerdings auf den Umstand hin, dass die unabhängige Untersuchungskommission über Dopingpraktiken im Baseball unter Senator George Mitchell erst vor einer Woche ihre Ermittlungen abgeschlossen hat und sich derzeit daran macht, ihren Bericht zu verfassen. Irgendjemand, der in der Kommission mitarbeitet, scheint allerdings der Veröffentlichung schon seit einiger Zeit vorzugreifen und gezielt Ermittlungs-Zwischenstände an Journalisten und Staatsanwälte weiter zu geben. So wurde erst vor drei Wochen bekannt, dass Paul Byrd von den Cleveland Indians für 25,000 Dollar Wachstrumshormon bei einer Klinik in Florida eingekauft hat. Die Infornmation konnte eigentlich nur aus den Mitchell-Protokollen stammen. Aus derselben Quelle, wird nun gemutmasst, stammen die neuen Beweise gegen Bonds.

Auf jeden Fall ist die Anklage gegen Bonds nach der Überführung von Marion Jones ein weiterer Erfolg der US-Behörden im Anti-Doping-Kampf, den sie den trägen Institutionen des amerikanischen Sports aus der Hand genommen haben, seit 2003 der BaLco Skandal platzte. Kurz danach wurde die Mitchell-Kommission gegründet und Staatsanwälte im ganzen Land taten sich zusammen, um konzertiert Doping-Netzwerke und Vertriebsstrukturen aufzudecken. Nur diesen Bemühungen ist es zu verdanken, dass Bonds nun endlich aus dem Verkehr gezogen werden kann. Der Chef der Baseball-Liga, Bud Selig, schaute indes zwar mißmutig aber tatenlos zu, wie Bonds den Rekord von Aaron brach, während er in jedem Stadion ausgepfiffen wurde und das Image der Liga mit jedem Homerun ein Stück mehr zerdepperte.

Jetzt ist Selig jedoch Bonds dank der Staatsanwälte endgültig los. Obwohl er noch immer einer der besten Spieler der Liga ist, wollten die San Francisco Giants nach der vergangenen Saison Bonds’ Vertrag nicht verlängern. Sollte es bislang Teams gegeben haben, die trotz des PR-Risikos noch versucht waren, den mittlerweile recht preisgünstigen Star anzuheuern, dürften sie sich seit Donnerstag derartige Gedanken aus dem Kopf geschlagen haben. Ein Spieler mit einer Anklage vor einem Bundesgericht ist nicht mehr vermittelbar.

Der bullige Schlagmann aus Kalifornien wird sich derweil, falls er aller Evidenz zum Trotz auch nur zu einem Funken von Selbstkritik fähig ist, angesichts seines jähen Laufbahn-Endes über seine Dummheit grämen. Sein Mitverdächtiger in der BalCo-Geschichte Jason Giambi hatte 2003 bei seiner Zeugenaussage zugegeben, dass er gedopt hatte. Da die Liga zum Zeitpunkt des Delikts noch kein nennenswertes Dopingreglement besaß, wurde Giambi nicht gesperrt und so spielt er weiterhin unbehelligt bei den New York Yankees Baseball. Man hat ihm verziehen. Bonds hingegen ist schon längst für alle Freunde des Sports eine Haßfigur – nicht zuletzt, weil er kaltschnäuzig seinen ehemaligen Trainer Greg Andersen anderthalb Jahre lang wegen Verweigerung der Aussage hinter Gittern schmoren ließ, um ungestört seinen Rekord aufstellen zu können. Am Donnerstag ist Andersen nun freigelassen worden. Man braucht ihn nicht mehr, jetzt hat man ja Bonds selbst am Schlafittchen. Alles Lügen und Leugnen hilft ihm nun wohl nichts mehr – es ist nur noch das traurige Symptom einer schweren Soziopathologie.

Sunday, November 11, 2007

Der alte Mann und das Biest - Zu Tod von Norman Mailer

Frankfurter Rundschau, 12. 11., 2007


Wären da nicht die letzten zehn Jahre seines Lebens und Schaffens gewesen würde man Norman Mailer ausschließlich als Chronisten des 20. Jahrhunderts nach 1945 in Erinnerung behalten – jener Zeitspanne, die man, ob das einem behagt oder nicht, wohl als die amerikanische Epoche des Weltgeschehens bezeichnen muss. Mailer berichtete aus dem Zentrum dieser Ära – angefangen mit seinem Kriegsroman „Die Nackten und die Toten“ von 1948 über seine preisgekrönte Reportage vom großen Protestmarsch auf Washington von 1968 „The Armies of the Night“, einem Schlüsselroman der Sechziger Jahre, bis hin zu seinen Büchern über Marilyn Monroe, Muhammed Ali, die erste Mondlandung und den zum Tode verurteilten Doppelmörder Gary Gilmore. Doch 1997 wendete sich der Brooklyner Jude scheinbar unvermittelt Fragen der Religion zu, die ihn bis an sein Lebensende nicht mehr los ließen: Zunächst mit einer in der ersten Person erzählten Jesus-Biografie, dann mit seinem Hitler-Roman „Das Schloss im Wald“, in dem er sehr ernsthaft das Wirken des Bösen in der Welt untersucht und schließlich mit einem Interview in Buchlänge zum Thema Gott, das erst vor wenigen Wochen erschien.

Möglicherweise war diese Hinwendung Mailers zum Transzendentalen jedoch gar kein so großer Bruch in seiner Biografie, wie dies zunächst erscheinen mag. Als Mailer 1943, 20-Jährig, von Harvard abging wusste er bereits, dass er den großen amerikanischen Roman schreiben wollte. Er dachte und redete in einem Atemzug von sich, Tolstoy und Dostojevsky und er war enttäuscht, dass die US-Armee ihn 1944 in den Pazifik entsandte und nicht nach Frankreich, um an der Invasion mitzuwirken. Mailer wollte mit gerade einmal 21 den authoritativen Roman zum Zweiten Weltkrieg schreiben und dazu wollte er dort sein, wo Geschichte gemacht wurde. Mailer, dessen Mutter ihn „perfekt“ fand und ihn das auch wissen ließ, besaß von Anfang an das Selbstbewusstsein des Genies, des Auserwählten. Und als solcher wähnte er sich in besonders engem Kontakt mit den höheren Mächten: Der Gott, den er in seinem letzten Interview zeichnet, ist nicht zufällig eine Art Schriftsteller. Mailer stellt die Schöpfung und seine eigenen Schöpfungen unverholen auf eine Stufe. So ist das Interview nicht weniger als der Entwurf und die Gründung einer eigenen Religion, des Mailerismus, wenn man so will.

Mailer war sich durchaus der Tatsache bewusst, dass sein Selbstbewusstsein bisweilen an Größenwahn grenzte. Schon in der Einleitung zu den „Armies of the Night“, dessen Erzähler dem Leser in der dritten Person als Norman Mailer vorgestellt wird, schreibt er, dass der brave Alltags-Mailer immer wieder von einem „wilden Biest“ heimgesucht wird, „einem Egomanen, der nicht daran glaubt, dass es irgendetwas gibt, dass ausserhalb seiner Reichweite liegt.“ Gleichzeitig gesteht Mailer, dass er dieses Biest sehr mag, ja, dass er es für unverzichtbar hält, denn es sei „furchtlos und geistreich.“ Kurz – ohne dieses Biest wäre der Schriftsteller Mailer nicht ausgekommen.

Das Biest, das ihn wohl unter anderem dazu trieb, 1960 mit dem Messer auf seine zweite Frau Adele Morales los zu gehen sowie 1969 dem Schauspieler Rip Torn das Ohr abzubeissen, war zweifellos zugleich seine Muse. Mailer liebte dieses Biest und erhob es 1957 in seinem Aufsatz „The White Negro“ gar zum Ideal des Intellektuellen in der amerikanischen Gesellschaft. Der „White Negro“ oder „Hipster“, kurz der Greenwich Village-Boheme jener Epoche, rebellierte gegen die Konventionen und Moralismen eines engstirnigen Kleinbürgertums und wagte sich in der Hoffnung auf Unmittelbarkeit und Authentizität des Erlebens mutig in das gefährliche Terrain des Tabubruchs -inklusive des Tabus der Gewalt.

Dass Norman Mailer sich bis hin zum Entwurf seiner Privattheologie den Hipster, den Aussenseiter im Besitz einer höheren Wahrheit, zum Ideal nahm, reihte ihn in die Tradition großer amerikanischer Schriftsteller ein. Eine ganze Schule amerikanischer Literaturkritiker, zu denen unter anderem Harold Bloom und Richard Poirier gehören, charakterisieren diese Tradition durch ein Selbstbild des Autors, das der Figur des „Hipsters“ recht genau entspricht: Seit Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoreau ist laut dieser Theorie der amerikanische Intellektuelle eine Figur, die einen besonderen Zugang zum göttlichen Willen verspürt. Dieser Zugang ist in der amerikanischen Denktradition an eine Verpflichtung zur Grenzüberschreitung gekoppelt, dazu, der eigenen Intuition mehr zu trauen als jedewedem gesicherten Wissen und vor allem, hinaus in die Welt zu gehen, jede Überlieferung hinter sich zu lassen und das Leben mit der Autorität des Beseelten gänzlich neu zu erfahren sowie aufzuzeichnen.

Besonders dieses Hinausgehen in die Welt als Imperativ hat sich Norman Mailer zu Herzen genommen. Schriftstellerei und Journalismus, Roman und Reportage waren bei ihm nicht zu unterscheiden. Schon „Die Nackten und die Toten“ basierten auf Mailers persönlichen Erlebnissen im Pazifikfeldzug der US-Armee, mit den „Armies of the Night“ begründete er jedoch endgültig das neue Genre der Roman-Reportage. Tom Wolfe, selbst ein großer Freund dieser Form, taufte dieses Genre „the new journalism“ und beschrieb es als Non-Fiction, die gründliche journalistische Recherche mit der Sprache und der erzählerischen Raffinesse der Belletristik verbinde. Die Erfindung der Form, von Zeitgenossen wie Truman Capote nachgeahmt und auf die Spitze getrieben, sollte nachhaltige Auswirkungen sowohl auf den Journalismus, als auch auf die Literatur haben.

Die Originalität, die sich in Mailers Genre-Gründung Bahn bricht, war freilich ein direktes Resultat seines übersteigerten Selbstbewusstseins und seiner Respektlosigkeit gegenüber jeglicher Konvention. Derselbe rebellische Geist, Mailers „Biest“, leitete ihn jedeoch Zeit seines Lebens dazu an, immer wieder übers Ziel hinaus zu schießen – wenn er etwa seine Frau attackierte oder wenn er sich am Ende seines Lebens als Relgionsgründer gerierte. Doch der eine Mailer war ohne den anderen wohl nicht zu haben. Heute nehmen wir Abschied von beiden.

Monday, November 05, 2007

Madison Square - Alexanderplatz. Berlin möchte sich mit einem Kulturfestival in New York als Weltstadt darstellen

Lesen Sie unter:


http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,515256,00.html

Saturday, November 03, 2007

Fahrt ins Leben. Vor sechs Jahren verlor Formel 1 Pilot Alex Zanardi beide Beine. Heute startet er beim New York Marathon

Es ist mild geworden in der New Yorker Spätherbstsonne, warm beinahe, und Alex Zanardi steht der Schweiß auf der Stirn. Der freundliche Italiener mit den blonden Locken hat gerade eine Trainingsrunde durch den Central Park gedreht und sitzt jetzt auf der Zieltribüne des Marathons vom Sonntag, für den er zwei Tage vor dem Start ein letztes Mal seine Form und sein Hand-Bike getestet hat. „Sie entschuldigen, wenn ich sitzen bleibe“, witzelt er grinsend, während er sich das Gesicht mit einem Handtuch abtrocknet. Die Begrüßung ist makaber, denn der ehemalige Formel 1-Pilot hat bei einem Rennunfall auf dem Lausitzring vor sechs Jahren beide Beine verloren. Aber sie ist macht es einem auch leicht, sich mit Zanardi auf Augenhöhe zu unterhalten. Dieser Mann, das ist sofort klar, stellt sich seiner Behinderung und will auf keinen Fall mit Samthandschuhen angefasst werden.

So ging Zanardi nach seinem Unfall von Anfang an auch mit sich selbst um. Er tat sich nie Leid und begriff sein Schicksal nie als Tragödie. Stattdessen akzeptierte er die veränderten Vorzeichen seiner Existenz und machte ansonsten so gut es ging weiter wie bisher. Er brachte sich mit Schwimmen, Kayakfahren und Kraftübungen körperlich in Form, lernte in Rekordzeit auf Prothesen zu laufen und fuhr so bald es ging wieder Autorennen. 2006 gewann er zwei Läufe zur Tourenwagen-WM und steuerte beim BMW-Weltfinale furchtlos einen umgebauten Formel 1-Boliden. „Ich musste mich nie dazu zwingen, zu denken, das Leben ist trotzdem lebenswert“, sagt er. „Die Dinge, die ich mit meinen Armen und Händen tun kann, füllen mich voll aus.“

Zu diesen Dingen ist vor sechs Wochen ein neues hinzu gekommen: Marathon. Bei einem Partygespräch im September erzählte ein Manager der italienischen Nudelfabrik Barilla dem Rennfahrer aus Bologna, dass die Firma nach einem Weg suche, sich bei den großen Laufveranstaltungen der Welt präsentieren zu können. Zanardi sagte ohne zu zögern, dass er ihr Mann für dieses Vorhaben sei. Zwei Wochen später saß Zanardi in einem Handbike und trainierte. „Ich bin gleich beim ersten Mal 42 Kilometer gefahren. Danach wusste ich wenigstens schin mal, dass die Distanz kein Problem wird.“

Seitdem trainiert er jeden zweiten Tag mit dem Sportgerät, dass, wie er sagt, für ihn eine Offenbarung ist. „Ich bin sehr froh, dass ich diesen Sport entdeckt habe, er macht mir ungeheuer Spaß.“ Das Handbiken ist Teil von Zanardis Leben geworden und er wird es, davon ist er überzeugt, auch nach dem New Yorker Marathon weiter betreiben. Auf die Frage, ob dieses Training seinen Gesamtzustand verbessere und seine Rehabilitation voran treibe, reagiert er allerdings ein wenig gereizt: „Es ist ja nicht so, daß ich vorher nichts gemacht habe. Die Fitness war da, die Muskeln waren da. Ich musste mich nur an eine neue Bewegung gewöhnen.“

Gerade einmal ein Monat dieser Gewöhnung, das weiß Zanardi, hat jedoch sicher nicht ausgereicht, um in die Weltklasse vor zu stossen und sich Hoffnung auf einen Sieg in New York machen zu dürfen. Allerdings, sagt er, werde er „ganz bestimmt alles daran setzen, so viele meiner 120 Konkurrenten hinter mir zu lassen, wie ich nur irgendwie kann.“ Nach wie vor sei er durch und durch ein Wettkämpfer, auch daran habe der Unfall nichts geändert. „Ich habe lediglich gelernt, zu akzeptieren, dass ich nicht immer alles gewinnen kann“, sagt er. Diese Gelassenheit, so Zanardi, sei aber eher auf die Reife seiner mittlerweile 41 Jahre zurück zu führen, als auf sein Schicksal.

Ausser, dass er zwei Gliedmassen verloren hat, darauf besteht Zanardi immer wieder, hat sein Unfall für ihn nichts verändert.Zanardi versteht sich genauso wie vor dem 15. September 2001 als Vollblut-Sportler und so schließt er auch keine zweite Karriere als Marathon-Fahrer neben seiner ersten als Autorennfahrer aus. „Ich will mich auf nichts fest legen, aber wie ich mich kenne, wird New York in diesem Jahr nicht mein letztes Rennen sein.“ So ist Alex Zanardi nun einmal – und so war er schon immer. Der Italiener hat keine inspirierende, hollywoodhafte Geschichte davon zu erzählen, wie sein Schicksalsschlag ihn verändert und erleuchtet hat. Was an Zanardi inspiriert ist vielmehr die Kunst, sich sein Leben und die Freude daran durch nichts aus der Bahn bringen zu lassen.

Friday, November 02, 2007

Studienstadt New York - Schnell und einzigartig

Lesen Sie unter:

http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,514572,00.html