Thursday, September 14, 2006

Die feinste Nase von New York. Chandler Burr ist der erste Parfumkritiker der Welt




“Was halten Sie denn davon?”, sagt Chandler Burr und streckt mir seinen Unterarm entgegen. Ich schließe die Augen und ziehe den Duft des Parfums ein, das der Mitvierziger mit dem sauberen Kurzhaarschnitt und dem frechen, wachen Blick auf seiner Haut verteilt hat. Mir fällt als einzige Assoziation Rasierseife ein aber das behalte ich lieber für mich. „Was denken Sie denn“ gebe ich feige zurück, um mir eine sichere Blamage zu ersparen.

„Ich denke, es ist sehr schwerfällig, sehr finster“, hebt Burr mit Bestimmtheit an und richtet sich dazu in seinem Straßencafestuhl auf, als wolle er eine Rede halten. „Es ist konservativ, beinahe schon reaktionär und das meine ich durchaus in einem politischen Sinn. Es gibt sich große Mühe, alle Klischees zu befriedigen, die man von einem männlichen Parfum im Kopf hat. “ Der Stab ist gebrochen über den Duft, Burr lehnt sich selbstzufrieden zurück und schlägt die Beine übereinander.

Der Hersteller des Dufts, dessen Namen Burr verschweigt, dürfte es fortan wohl schwer haben mit seinem neuen Wasser zu reüssieren – denn Chandler Burr ist in Sachen Duft der meinungsmachende Mann. Burr ist der einzige hauptberufliche Parfumkritiker der Welt und seine Kolumne in der Lifestyle-Beilage der New York Times bestimmt, was man in dieser Saison trägt. Und was eben nicht.

Das ist eine große Verantwortung in einer Branche, in der mit einem einzigen Produkt Hunderte von Millionen umgesetzt werden. Das weiß Chandler Burr und deshalb nimmt er seinen Job auch ausgesprochen ernst. Zwar, sagt er, seien seine Urteile letztlich subjektiv. Das sei nicht anders, als bei jedem anderen Kunstrkitiker, fügt er an und unterstreicht damit, dass er das Parfummachen für einen Akt hält, der eher mit Dichten oder Komponieren vergleichbar ist, als mit indutriellem Produktdesign. Doch er bemühe sich dennoch, objektive Qualitätsstandards aufrechtzuhalten. Ausserdem verstehe er es, so Burr, „wie jeder Kunstkritiker“, seine Geschmacksurteile zu reflektieren. „Subjektiv springe ich nicht auf Vetiver an“, nennt er ein Beispiel. Objektiv sei Guerlains Vetiver hingegen ein exquisit komponierter Duft

Zu seinen Urteilen gelangt Burr, indem er ein Parfum 24 Stunden lang trägt und stündlich aufzeichnet, wie sich der Duft entwickelt. Ein zentrales Kriterium ist dabei die Entfaltung: hält sich der Duft oder verflüchtigt er sich rasch, wie das bei vielen Parfums der Fall ist, die nur für die Probe an der Kaufhaustheke gemacht werden? Ein weiterer wichtiger Maßstab ist die sogenannte „Sillage“, der Nachlauf, also die Art, wie sich der Duft im Raum verbreitet.

Die Parfums auf der eigenen Haut zu tragen hält Burr entgegen verbreiteter Vorurteile für eine völlig ausreichende Testmethode, um sich ein Urteil bilden zu können. „Ich halte es für kompletten Unfug, dass Parfums an verschiedenen Menschen verschieden riechen. Ein gutes Parfum, verändert sich nicht, wenn es unterschiedliche Leute tragen.“ Ein guter Duft ist immer ein guter Duft und deshalb findet Burr auch nicht, dass es spezielle Parfums für Männer und für Frauen geben sollte: „Jeder sollte tragen können, was er will“, sagt der bekennende Homosexuelle, dessen erstes Buch vor 20 Jahren sich mit den genetischen Grundlagen der sexuellen Orientierung beschäftigt hat. „Dass es ‚männliche’ oder ‚weibliche’ Düfte geben soll, hat die Branche doch nur erfunden, damit heterosexuelle Männer die Hemmung davor ablegen, Parfum zu tragen.“

Eine derart nüchterne Betrachtungsweise ist charakteristisch für Chandler Burr. Burr ist nicht, wie man meinen könnte, in erster Linie ein Ästhet und ein Schwärmer. Viel stärker ausgeprägt als sein raffinierter Geschmack ist sein klarer Intellekt. Auf dem Papier ist er zwar ein klassischer New Yorker Dandy – hoch gebildet, smart, gesellschaftlich arriviert und bis in die Haarspitzen kultiviert. Doch er trägt andererseits seine Kultiviertheit genauso wenig vor sich her, wie seine Homosexualität. Eine Affektiertheit im Stil von Truman Capote wäre ihm fremd – für derartige Exaltiertheit ist er viel zu analytisch veranlagt. So erscheint er in Shorts und Sandalen zum Interview, der Treffpunkt ist ein beliebiges Schnellcafe mit Selbstbedienung in seiner Nachbarschaft Murray Hill – ihrerseits eine der unaufgeregtesten Wohngegenden von Manhattan. Kein teurer Anzug, kein Lunch in einem Nobelrestaurant in Midtown, wo man als Normalsterblicher keinen Tisch bekommt. Und es gibt keine übertriebene Gestik, keine thetralische Intonation der Sätze, stattdessen scharfe, präzise Antworten.

So entsprang Burrs Interesse an Parfum ursprünglich auch nicht aus exzentrischer Schwelgerei sondern auss naturwissenschaftlicher Neugier. Burr war poltischer Korrespondent für das Nachrichtenmagazin U.S.News in Paris, als das Phänomen des Geruchs ihn zu beschäftigen begann. „Selbst hatte ich bis dahin nie Parfum getragen und hatte mir auch nie über den Geruchssinn groß Gedanken gemacht“, sagt er. Bis er an einem kalten Januarmorgen 1998 auf einem Bahnsteig am Gare du Nord mit einem freundlichen Italiener ins Gespräch kam.

Der Mann war der Biophysiker Luca Turin und die beiden verstanden sich so gut, dass sie im Eurostar bis nach London das Abteil teilten. Am Ende der Reise wusste Burr, womit er sich im kommenden Jahr beschäftigen wollte. Er wollte ein Buch über Turin schreiben, der gerade dabei war, die Geruchs-Forschung zu revolutionieren. Bislang hatte man angenommen, dass die menschliche Nase auf verschiedene Molekülformen reagiert. Turin hingegen war dabei nachzuweisen, dass es Molekülvibrationen sind, die unsere Nasenschleimhäute wahrnehmen.

Burrs Buch „Der Kaiser des Geruchs“ war ein Erfolg in den USA – es wurde von der Kritik als hervorragendes Beispiel von spannendem Wissenschaftsjournalismus gefeiert. Eins führte zum anderen – Burr schrieb als nächstes eine ausführliche Reportage für das Intellektuellenmagazin „New Yorker“ über die großen französischen Parfumdesigner, die derzeit ebenfalls zu einem Buch wächst. Schließlich machte die New York Times ihn zu ihrem ersten und einzigen Parfumkritiker.

Dass die Times für Burr eine solche Stelle schuf, passt hervorragend in das derzeitige gesellschaftliche Klima von New York. Manhattan ist in den vergangenen Jahren zunehmend zu einem Exklusiv-Standort einer globalen Elite geworden. Arbeiter sind schon lange von der Insel verschwunden und auch der normale Mittelstand kann sich die Monatsmieten von rund 3000 Dollar für eine gewöhnliche Zweizimmerwohnung nicht mehr leisten. Was bleibt sind die hochgebildeten Gutverdiener, die in den besten und teuersten Restaurants und Boutiquen sowie bei den hochklassigsten Kultureinrichtungen ihren hochverfeinerten Neigungen nachgehen können.

Das durchschaut Chandler Burr freilich genau. „Natürlich ist Parfum überflüssig“, sagt er, „so, wie jede Kunst überflüssig ist. Aber es macht uns doch zu komplexeren, besseren Menschen.“ So ganz mag der harte, rationale Persönlichkeitsanteil von Burr jedoch trotzdem nicht in dieser Welt der eitlen Sinnesverfeinerung aufgehen. „Ich habe gerade einen Auftrag für einen Artikel über islamischen Fundamentalismus angenommen“, erzählt Burr nach einem Handytelefonat mit der Anzeigenabteilung der Times, die wissen möchte, ob das neue Lauder Parfum in seiner nächsten Rezension denn gut wegkommt. „Ich vermisse die politische Berichterstattung doch sehr“, seufzt er. Dann schaut Burr auf seine unaufdringlich elegante Uhr und verabscheidet sich eilig. Es ist Zeit, die Post bei dem koreanischen Gemüseladen im Erdgeschoß von Burrs Apartmenthaus abzuholen. Wieder ein Stapel Pakete, mit vielen aufwendig gestalteten Flacons, die es auszupacken und zu beschnuppern gilt, um New York dann mit eleganten Formuliereungen zu erklären, wie es in diesem Herbst zu riechen hat.

Tuesday, September 12, 2006

"Die amerikanische Intelligenz ist einheitlich gegen Bush" - Intreview mit dem Schriftsteller T.C. Boyle

Herr Corraghessen Boyle, was sind Ihre Erinnerungen an die Zeit rund um den 11. September 2001?

Ich hatte damals zum Glück sehr viel zu tun, ich habe an den letzten Korrekturen meines Romans Drop City gearbeitet und musste gleichzeitig eine Lesereise vorbereiten. Deshalb hatte ich gar nicht die Zeit mir, wie viele andere, den ganze Tag lang die Bilder im Fernsehen anzusehen oder die Ereignisse emotional an mich heran zu lassen. Den ganzen Horror dieses Tages habe ich erst später realisiert.

Was ging Ihnen damals durch den Kopf?

Es wurde mir plötzlich bewusst, wie sehr wir Amerikaner gehaßt werden. Und dann hat man sich gewundert, dass man das nicht früher verstanden hat. Wir haben den Nahen Osten seit Generationen attackiert, zerstört und unterjocht und hätten wissen müssen, dass so etwas irgendwann passiert. Und natürlich hat die Reaktion der Bush-Regierung das alles tausendfach verschlimmert – auf Generationen hinaus.

Welchen Effekt hat der 11. September im Rückblick auf die amerikanische Intelligenz gehabt?

Eines ist klar – die amerikanische Intelligenz ist einheitlich gegen George Bush. Darüberhinaus finde ich es bislang schwer, allgemeine Aussagen zu treffen.

Was ist die wichtigste Folge des 11. September für die amerikanische Kultur und die amerikanische Gesellschaft insgesamt?

Die amerikanische Gesellschaft wird nur noch von Angst geleitet. Angst vor Anarchie und Chaos im Nahen Osten. Angst vor einem neuen Attentat. Diese Angst führt wohl leider zu noch mehr Fremdenhass und noch mehr Rassismus. Und sie wird rigoros von der Politik ausgebeutet.

Viele Ihrer Kollegen haben den 11. September zum literarischen Thema gemacht – John Updike, Jonathan Safran Foer, Ian McEwen. Ihr letztes Buch „Talk Talk“ hingegen hatte Identitätsdiebstahl zum Thema. Warum schreiben Sie nicht über den 11. September?

Nun, ich bin Künstler und Künstler haben zum Glück die Freiheit, sich mit dem zu beschäftigen, was ihre Träume ihnen diktieren. Ich fühle mich bislang noch nicht dazu bewegt, über den 11. September zu schreiben, obwohl ich mir sicher bin, dass er über kurz oder lang meine Arbeit beeinflussen wird. Wie genau, kann ich aber noch nicht sagen.

Aber Sie waren bislang mmer ein sehr politischer Schriftstelle. Ihr Buch „America“ hat die jetztige Debatte über illegale Einwanderung und die Grenze zu Mexiko um 10 Jahre vorweg genommen.


Ja und er wird heute mehr gelesen, als je zuvor. Aber ich möchte mich nicht von einem bestimmten Ereignissen kidnappen lassen. Mich interessieren im Moment in erster Linie die Auswirkungen neuer Technologien auf unser Leben. Da lag das Thema des Identitätsdiebstahls auf der Hand. In „Talk Talk“ geht es aber auch darum, welche Überwachungsmöglichkeiten die neuen Technologien -biometrische Ausweise, Grenzkontrollen mittels Augenscans und so weiter - dem Staat bieten und welche Risiken das birgt. Und das ist in der Welt nach dem 11. September ja auch ein wichtiges Thema. Insofern glaube ich nicht, dass ich irrelevant bin, weil ich mir den 11. September noch nicht direkt zum Thema gemacht habe.

Viele Ihrer Kollegen – Schriftsteller, Filmemacher, bildende Künstler – haben sich seit dem 11. September bemüssigt gefühlt, viel unmittelbarer politische Kunst zu machen oder gar die Grenze von der Kunst zur Politik gänzlich zu überschreiten. Warum erzählen Sie scheinbar unberührt weiter Ihre Geschichten?


Ich denke, wenn ich mein ganzes Können in einen politischen Essay stecken würde, wäre dieser bestimmt sehr wirkungsvoll. Aber ich kann Themen so nicht angehen. Wenn ich etwas verstehen will, dann muss ich mich dem Thema durch das Erzählen annähern. Sie ergeben erst durch die Erzählung Sinn für mich. Ich kann und willl meinen Lesern nicht meine Meinung aufzwingen. Ich will sie verführen.

Dadurch drücken Sie sich aber auch um eine klare Position.

Sicher, das tue ich bewusst. Die meisten Dinge lassen sich nicht sauber in Ja oder Nein, Gut oder Böse auflösen. Die meisten Dinge sind zwiespältig und kompliziert. Ich finde etwa in der Frage der illegalen Einwaderung die linke Position - Grenzen auf – ebenso simplistisch wie die Konservative – Grenzen zu. Für die meisten Dinge gibt es keine einfache Lösung, so wie die Politik es uns immer weiß machen will. Politiker müssen so tun, als gebe es eine Lösung. Ich muss das zum Glück nicht. Aber meine Leser wissen schon, wofür und wogegen ich stehe.

Zum Beispiel gegen George Bush.

Ja. Er hat einen Holocaust angerichtet, er demontiert unsere Grundrechte. Er hat unter dem unsinnigen Slogan „Krieg gegen den Terror“ das Land für 100 Jahre bankrott gemacht und im Nahen Osten eine Situation geschaffen, deren Folgen wir noch lange nicht absehen können.

Sie haben gesagt, die gravierendste Folge des 11. September für die amerikanische Gesellschaft sei das ständige Leben in Angst. Wie wirkt sich das auf Ihr Leben aus?

Nun, man verdrängt vieles im Alltag – gerade hier in Kalifornien, wo wir schon immer mit der täglichen Gefahr eines Erdbebens leben. Aber es schießt einem immer wieder durch den Kopf. Man kann ja auch gar nicht mehr anders, als daeran zu denken, wenn man etwa am Flughafen in diesen Sicherheitsschlangen steht, wo die Prozeduren immer absurder und immer entwürdigender werden. Für mich ist das besonders schlimm, ich habe Fliegen schon immer gehaßt, weil das eine Situation ist, in der ich nicht die Kontrolle habe. Das ist noch um ein Vielfaches Schlimmer geworden.

Sunday, September 10, 2006

Cooles Wohnen am Ground Zero: Die World Center Gegend fünf Jahre danach

(taz vom 9.11. 2006)

Andy Czeghedi hat nicht viel zu tun in letzter Zeit, sein Fotogeschäft „World Trade Camera“ direkt gegenüber von Ground Zero ist meistens leer. Ab und zu macht er ein Paßbild oder repariert einem Touristen die Kamera, in der Regel langweilt sich jedoch der kleine Mann mit der dicken Knollennase, der seit seiner Einwanderung aus Ungarn 1956 hier unten im Finanzdistrikt am Südzipfel von Manhattan arbeitet. Deshalb hat Andy viel Zeit zu meckern und das tut er gerne und ausgiebig.

Nach dem 11. September habe ihn die Stadtregierung mit allerlei finanziellen Anreizen von seinem alten Standort an der Wall Street hier an den Ground Zero gelockt, erzählt Andy. Dann hätten die Stadtteil-Wiederaufbau-Zahlungen auf einmal aufgehört. Revitalisiert sei jedoch gar nichts – Geschäftleute gebe es nicht und die Katastrophen-Touristen würden auch immer weniger: „Ich meine wie lange kann man denn auch in ein Gott verdammtes Loch starren? Fünf Jahre sind jetzt vergangen!“

Andy hat die Nase voll, er hat schon ein großes Schild in sein Fenster gehängt, auf dem er sein Geschäft zur Untervermietung anbietet. Das Viertel rund um das World Trade Center-Gelände ist wegen dem endlosen politischen Gezerre zwischen den verschiedenen Interessengruppen gelähmt. Niemand weiß, was hier einmal werden wird und vor allem nicht, wie lange das noch dauert. Und deshalb verlieren Leute wie Andy langsam die Geduld und den Mut.

Immerhin ist seit ein paar Monaten in dem verwüsteten Karree zwischen West- und Church-, Vesey- und Liberty Street Aktivität zu beobachten. Wo bis vor wenigen Wochen noch durch den vier Meter hohen Stahl-Gitter Zaun rund um das Gelände nichts anderes zu sehen war, als ein paar Baucontainer und säuberlich in den Sand gestapelte Latten und Stahlträger fahren jetzt Bagger auf und ab, man hört, wie sich Bauarbeiter Anweisungen zurufen und es wachsen ein paar Betonwände aus der zehn Meter tiefen Grube. Erst in diesem Frühjahr hatte Pächter Larry Silverstein endlich dem Druck von Bürgermeister Michael Bloomberg, Gouverneur George Pataki sowie den New Yorker Medien nachgegeben, endlich etwas zu tun. Silverstein hatte offensichtlich nicht genug Geld gehabt, seine grandiosen Baupläne zu verwirklichen und musste schließlich die Hoheit über das Gelände reuig an die öffentliche Hand abtreten, damit hier überhaupt einmal etwas passiert.

An der Südseite und an der Ostseite des im vollgstopften Manhattan so auffallend leeren Quadranten stehen jeweils ein paar Dutzend Touristen an den Gittern. Sie wirken verloren, denn ausser einer Baustelle, die sich von keiner anderen Baustelle der Welt unterscheidet, gibt es nichts zu sehen. An der Ostseite, wo schon seit anderthalb Jahren der Pendlerbahnhof nach New Jersey wieder in Betrieb ist, sind zum Jahrestag wenigstens großformatige Fotos vom 11. September, sowie eine Chronologie der Ereignisse jenes Tages zu bestaunen. Eine Gruppe junger Kanadier steht ergriffen vor der Chronologie und vergißt bei der Lektüre offenkundig ihre lärmende, hetzende New Yorker Umgebung. „Es kommt alles wieder, wie das damals war“, sagt Tim Hutchinson, ein sportlicher junger Typ, der zum ersten Mal in New York ist, mit gedämpfter Stimme. Man flüstert hier pietätvoll, auch wenn nur Meter entfernt die Taxi hupen und aus der Grube das Wummern von Presslufthammern dröhnt

Die augenblickliche Zustand des Ortes macht ihn eigentlich gänzlich ungeeignet als Gedenk- und Pilgerstätte. Die Versuche, dennoch eine andächtige Atmosphäre zu schaffen, bis in ein paar Jahren endlich die umstrittene Gedenkstätte fertig ist, wirken unbeholfen. Das beschädigte Gebäude der Deutschen Bank an der Südseite des Geländes, aus dem immer noch mühsam Leichenteile geborgen werden, ist mit einem verwitterten schwarzen Netz verhangen. Am Zaungitter der Grube wird auf Blechschildern darum gebeten, von fliegenden Souvenirhändlern nichts zu kaufen. Ihre Stände mit Katastrophenkitsch wurden schon vor zwei Jahren vertrieben. Trotzdem streunen sie noch immer um die Touristen herum und zücken in vermeintlich unbeobachteten Augenblicken Postkarten mit heroischen Feuerwehrleuten und ähnlichem aus ihren Mänteln.

Für diejenigen, die damals wirklich hier waren, hat das ganze Pietätsgetue unterdessen etwas Verlogenes. Wie es hier am 11. September 2001 wirklich war, wissen nur sie und keine Gedenkstätte wird jemals vermögen, das jemandem zu vermitteln, der es nicht erlebt hat. „Die Fotos, vor denen da am Zaun jetzt die Leute stehen“, sagt Andy der Fotohändler etwa, „haben nichts beängstigendes. Ich habe am 11. September da drüben an der Ecke Fulton Street und Wall Street gestanden. Das war beängstigend.“ Mehr will Andy dazu nicht sagen, jedes weitere Wort wäre zu viel.

Die meisten, die damals hier waren, wollen wie Andy eigentlich lieber nicht mehr über diesen Tag reden. Jimmy, der Barkeeper vom Irish Pub O’Hara’s, nur hundert Meter von Ground Zero entfernt, etwa winkt gleich ab. „Ich habe keine Zeit zu reden, ich habe zu viel zu tun“, sagt er, auf den 11. September 2001 angesprochen. Dabei sitzen nur drei Gäste an der Theke des düsteren Schankraums, und die sind alle mit Getränken versorgt. Schon jetzt, drei Wochen vor dem 11. September hat Jimmy von dem Erinnerungsrummel zum Jahrestag die Nase voll: „Es ist jeden Tag ein Kamerateam hier, ich kann nicht mehr“, entschuldigt er sich ein wenig später für sein Schweigen.

Man kann es verstehen. Die täglichen pathetischen Fernsehdokumentationen, der PR-Lärm um die sentimentale Hollywood-Verfilmung der Katastrophe, „World Trade Center“, das penetrante lärmende Hick-Hack zwischen den Familien der Angehörigen, den Politiken, den Journalisten, den Designern und Architekten und Gott und der Welt darüber, was nun die angemessene Form des Andenkens ist, nervt schon, wenn man den Tag nicht in New York oder gar am Ground Zero erlebt hat. All das kann nur eine Trivialisierung der Erfahrung sein. Wer da war, schweigt deshalb lieber und weigert sich, sein Trauma zur medialen oder politischen Ausschlachtung feil zu bieten.

Als das Gespräch an der Bar auf die Zukunft des Viertels kommt, taut Jimmy dann aber doch noch auf. Wie es weiter geht beschäftigt die Leute, die hier wohnen, viel mehr, als das, was war. Jedenfalls reden sie lieber darüber. „Die wollen aus dem Viertel noch ein schickes Yuppie- und Boutiquenviertel machen“, klagt Jimmy, der seit 20 Jahren bei O’Haras Guiness ausschenkt. „Als gäbe es davon nicht schon genügend in New York.“

Die Greenwich Street, in der O’Hara’s liegt, ist ein Strassenzug, wie es ihn nur noch selten gibt in Manhattan. Er erinnert an die 70er Jahre, bevor alles aufgeräumt und renoviert und teuer wurde. Alles ist ein wenig verfallen und schmuddelig hier, ausser O’Hara’s gibt es einen Strip-Club, die „Pussycat Lounge“, einen Boxclub, wo man von der Strasse aus bei den Sparrings zuschauen kann und einen Porno-Videoverleih. Das ist Jimmys Biotop aber er weiß genau, dass die Tage der alten Greenwich Street gezählt sind. Der einzige Grund, warum sie noch nicht dem allgemeinen Sanierungs- und Verteuerungs-Trend zum Opfer gefallen ist, ist, dass das ganze Viertel seit 2001 so in der Luft hängt.

Allerdings kriecht die Yuppiefizierung trotz der Lähmung am Ground Zero schon jetzt in die Gegend. Viele der Finanzfirmen, die bis zum 11. September ihre Niederlassungen rund um das World Trade Center und an der Wall Street hatten, sind nicht mehr zurück gekehrt. Die Konzentration einer Branche an einem Fleck war im Internet-Zeitalter ohnehin ein Anachronismus, das Attentat hat den Dezentralisierungsprozess nur beschleunigt. Die ehemaligen Büroräume in den alten Hochhäusern, oft Art-Deco Prachtstücke aus den 1900er und 1910er Jahren, werden jetzt zu schicken Luxus-Lofts ausgebaut.

Es ist in den vergangenen zwei Jahren cool geworden in den Finanzdistrikt zu ziehen. Die Nähe zur Todesgrube verstärkt sogar noch das Avantgarde-Prestige derer, die sich hierher wagen. „Es ist unglaublich spannend hier zu wohnen“, schwärmt etwa Ty Osbaugh, ein Designer bei der Architekturfirma Gensler, die ihren Sitz im Viertel auch nach dem 11. September behalten hat. Osbaugh hat sich gerade eine Mansardenwohung im 30. Stock eines Bürogebäudes von 1907 an der Wall Street gekauft hat. „Das einzige Problem ist, dass es hier noch keine Infrastruktur gibt“, sagt er.

Doch auch die siedelt sich langsam an. Immer mehr schicke Restaurants und Bistros eröffnen rund um die Wall Street, direkt neben der Börse gibt es seit kurzem ein riesiges Fitness-Studio. Und die Edelsupermarktkette Whole Foods hat auf der Greenwich Street, nur Schritte von O’Hara’s entfernt, Räume angemietet. Jimmys Ängste sind also durchaus berechtigt.

Anders als Jimmy halten Städteplanungsexperten unterdessen die beginnende Umwandlung des Viertels in ein Wohnviertel für eine positive Entwicklung. Man ist sich einig, dass der Finanzidistrikt schon lange vor dem 11. September ein problematisches Viertel war. Gewachsene Strukturen mit einem Nebeneinander von Wohnen und Erwerb gab es am „großen Zeh“ von Manhattan, wie der Südzipfel der Insel auch genannt wird, seit 100 Jahren nicht mehr. Das World Trade Center hat dann in den 70er Jahren dem ohnehin aus dem Gleichgewicht geworfenen Viertel endgültig den Todesstoss versetzt und eine dysfunktionale Geschäftsmonokultur etabliert. Am besten fänden es Experten von den Kritikern der großen Tageszeitungen bis hin zum Bürgermeister deshalb auch, wenn anstatt neuer Bürotürme auch am Ground Zero Wohnungen und Geschäfte enstehen würden.

Leute wie Jimmy und Andy hatten sich hingegen mit dem Finanzdistrikt arrangiert. Auch wenn er nach modernen akdemischen Planungskriterien ein Monstrum war. Jimmy schenkte den Bankiers nach der Arbeit Bier aus, Andy machte ihnen auf dem Weg nach Hause Paßbilder und verkaufte ihnen Fotoapparate. „Die Gegend hier ist keine Wohngegend, das ist Blödsinn“, motzt deshalb Andy. Daran, was hier in den kommenden Jahren vielleicht entsteht oder auch nicht, will er gar keine Gedanken verschwenden. Er wird seinen Laden am Trinity Place wohl vermieten und sich in seinem Haus in Queens zur Ruhe setzen. Andys Welt ist am 11. September zusammen mit den Zwillingstürmen in sich zusammen gefallen.

Friday, September 08, 2006

Mitschuld an den Anschlägen? Der 1.. September und das Kino

Das Attentat auf das World Trade Center am 11. September 2001 war zweifelsohne eine Inszenierung: Die Al Qaeda-Terroristen hatten es darauf angelegt, ikonische Bilder zu erzeugen. Die Rechnung ging auf - Die Inszenierung wurde von den elektronischen Medien dankbar aufgezeichnet, bis zum Überdruß in die ganze Welt ausgestrahlt und hat sich tief in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt.

Kritischen Geistern fiel die finstere Genialität dieser gekonnte Medienmanipulation selbstverständlich sofort auf. Noch in der Woche nach dem 11. September entbrannte eine Debatte darüber, warum die Bilder vom einstürzenden World Trade Center trotz ihrer skandalösen Neuheit so merkwürdig vertraut erschienen. Die Antwort lag auf der Hand: Osama Bin Laden kannte die Bilderwelt von Hollywood. Vorlage für seine Attentate waren Filme wie „Brennendes Inferno“ und „Independence Day“; dass sich die Bilder nahtlos in unser westliches Vorstellungs-Repertoire dessen einfügen, was eine Katastrophe ist, war kalkuliert. Damit war freilich klar, dass die Amerikaner mit ihrer globalen Kultur -Hegemonie selbst an dem Attentat mitschuld sind: Hollywood war indirekt für den 11. September verantwortlich.

Möglicherweise hat Hollywood sich den Vorwurf der Mitschuld am 11. September zu Herzen genommen. Das wäre zumindest eine Erklärung dafür, dass erst im fünften Jahr nach dem 11. September die ersten Filme über den Katastrophentag in die Kinos gekommen sind. Erst in diesem Frühjahr lief „United 93“ des britischen Regisseurs Paul Greengrass – ein Doku-Drama über die Ereignisse in jenem entführten Flugzeug, das am 11. September über einem Acker in Pennsylvania abstürzte. Und nur wenige Wochen vor dem Jahrestag brachte Oliver Stone sein „World Trade Center“ in die Kinos – die Geschichte zweier Polizisten, die in den Trümmern des World Trade Center verschüttet um ihr Überleben kämpfen.

Interessanterweise wählen beide Filme das Genre des Katastrophenfilms, um die Geschichte des 11. September zu erzählen – also genau jenes Genre, für das Bin Laden die Vorlage geliefert hat. John Hobermann, Filmkritiker der New Yorker Village Voice nennt „United 93“ einen Remake der „Airport“-Filme aus den 70er und 80er Jahren und „World Trade Center“ eine Neuauflage von „Flammendes Inferno“. Allerdings vermeiden es beide sorgsam, die allseits bekannten TV-Bilder der einstürzenden Turm-Bauten auszubeuten. In „United 93“ sind sie gar nicht zu sehen, in „World Trade Center“ sind sie klar als TV-Bilder kenntlich gemacht. Durch den Fernsehbildschirm auf der Leinwand schafft Oliver Stone Distanz zu diesen Bildern hofft, sie dadurch zu entschärfen.

Ansonsten war es jedoch ebenso vorhersehbar wie enttäuschend, dass Hollywood nichts anderes eingefallen ist, als konventionelle Genre-Filme, um den 11. September darzustellen. „Die Anschläge des 11. September waren so filmgerecht, dass sie zwanglos in bestehenden Kriegs- und Katastrophengenres dargestellt werden können“, sagt so auch der Münchner Amerikanist und Medienwissenschaftler Christof Decker. Genau das hat Hollywood getan – auch wenn, so Decker, „ein derartiges Ereignis tatsächlich nach einer weniger stereotypen Reaktion verlangt.“ Immerhin entscheiden sich die Filme dagegen, die Vorlage des Kriegs-Genres zu verwenden und weigern sich somit, für den 11. September jenen Kontext aufzumachen, in dem die Bush-Regierung diesen Tag gerne sehen möchte: Als Startschuss nämlich für den sogenanten „Krieg gegen den Terror“.

Man kann indes nur hoffen, dass 9/11-Filme nicht dank Stone und Greengras nun auf alle Zeit auf das Katastrophengenre festgelegt sind. Wünschenswerter wäre, dass mit dem 11. September als Filmsujet experimentiert wird, so, wie das etwa Spike Lee schon ein Jahr nach dem Attentat getan hat. Die klaffende Grube am Ground Zero ist in Lees Film „The 25th hour“ eindeutig der optische Mittelpunkt. Das Thema hingegen sind drei Brüder aus Brooklyn, die von ihrem Leben und der Stadt New York angewidert und deprimiert sind. Der Film thematisert die persönlichen Folgen von 9-11 – eine kollektive Niedergeschlagenheit und Orientierungslosigkeit, von der sich gerade New York bis heute noch nicht erholt hat. Man hat lediglich gelernt, sie zu übergehen und irgendwie weiter zu machen. Von Hurra-Patriotismus und Kriegseuphorie ist in New York freilich nichts zu spüren.

Noch schneller als Spike Lee reagierten die Macher der Spider Man Comics auf den 11. September. Im Dezember 2001 kam die „schwarze Ausgabe“ von Spiderman auf den Markt – heute ein Kult-Objekt, das auf dem Sammler-Markt bis zu 200 Dollar bringt. Das Heft war, wie die Schreiber zugeben, eine Betroffenheitsproduktion, aus dem Gefühl entstanden, nicht normal weiter zeichnen zu können. Fans nahmen es den Zeichnern jedoch übel, dass sie die Realität in die Welt der Superhelden hineingelassen hatten – dort passieren schließlich gewöhnlich viel katastrophalere Dinge, als dass Häuser einstürzen. Und trotzdem machen diese Dinge Superhelden normalerweise nicht, so wie in der schwarzen Ausgabe, hilflos. Die Stunde, verteidigt sich Schreiber John Romita, habe jedoch danach verlangt, die Genregesetze und die Superhelden-Logik zu durchbrechen.

In der Zeit unmittelbar nach dem Attentat schien es geboten, künstlerische Konventionen zu hinterfragen. Der Comic-Zeichner Art Spiegelman etwa fand es unangemessen, nach dem 11. September in gewohnter Weise Geschichten zu erzählen, obwohl er mit seiner presigekrönten „Maus“-Serie sogar den Holocaust zu einer Geschichte verarbeitet hatte. Der 11. September war Spiegelman jedoch noch zu nahe, zu verwirrend und so löst sich sein Band „In the Shadow of No Towers“ von 2004 in ein kaleidoskopisches Nebeneinander verschiedenster Formen, Stile und Erzählstränge auf. Das einzige bleibende Bild des 11. September, dass Spiegelman geschaffen hat, sind die Figuren, die auf dem Rückendeckel des Bandes von großer Höhe (einem Wolkenkratzer?) herunter purzeln. In der Luft hängend, in Panik, – so sieht Spiegelman sich seit dem 11. September. Ein Fallnetz oder gar fester Boden sind nicht in Sicht.

Sebastian Moll

Thursday, September 07, 2006

Ende einer Provinzposse: Fünf Jahre nach dem 11. September wird am Ground Zero endlich gebaut

(Frankfurter Rundschau vom 7.9.2006)

Man hat sich schon so an die Stille in der Grube auf dem World Trade-Center-Gelände gewöhnt, dass das in den letzten Wochen dort erwachende Leben beinahe irritiert. Fast fünf Jahre lang erinnerte das Karree zwischen Church-, West-, Liberty- und Vesey Street an den Todesstreifen der früheren deutsch- deutschen Grenze: ein menschenleeres Sandloch mit ein paar Baucontainern, schwer von Polizei und Militär bewacht und von einem vier Meter hohen Stahlgitter-Zaun umgeben. Seit dem Juni 2006 fahren dort unten jedoch Bagger auf und ab, Bauarbeiter rufen sich Anweisungen zu, und es sprießen sogar ein paar Betonwände aus der Erde.

Mittlerweile steht sogar fest, was am Ground Zero gebaut werden woll. Grob jedenfalls. Nach langen und harten Kämpfen hat es im Früjahr endlich eine Einigung um den Entwurf und die Kosten der Gedenkstätte gegeben; und der egomane Pächter des Geländes, Larry Silverstein, hat nach zähem Kampf endlich die Hoheit über den geplanten „Freedom Tower“ an die öffentliche Hand übergeben, damit auch hier endlich das Fundament ausgehoben werden kann. Vorher hatte Silverstein monatelang verheimlicht, dass er das Geld für den Bau gar nicht aufbringen kann.

Viele New Yorker interessiert es allerdings gar nicht mehr besonders, wann und was jetzt am Ground Zero gebaut wird. Der anfängliche städteplanerische Enthusiasmus, der bei den überfüllten Bürgerversammlung unmittelbar nach dem 11. Septmber 2001 spürbar war, ist einem großen Kater gewichen. „Der Wiederaufbau sollte ursprünglich eine symbolische Auferstehung aus der Asche werden“, schreibt der Architekturkritiker Nicolai Ourousoff in der New York Times. „Stattdessen ist er zu einem halluzinatorischen Albtraum geworden: Einer Achterbahnfahrt aus Trauer, Naivität, Schuldzuweisungen, politischem Ränkespiel und Paranoia. „Solange der Schmerz und die Angst so frisch sind und so lange es Kräfte gibt, die beides auszubeuten bereit sind“, schließt Ourousoff, „wird am Ground Zero nichts von Wert entstehen.“

Der erste Akt der peinlichen Posse um die World Trade Center-Bebauung war die Entmachtung von Daniel Libeskind und seinem viel gepriesenen Generalplan für das Gelände. Urspünglich war der Architekt des Berliner Holocaust-Museums Mitglied der Jury für den Neuplanungs-Wettbewerb gewesen. Angesichts der enttäuschenden Beiträge griff Libeskind jedoch selbst zum Zeichenstift. Sein Entwurf – eine Spirale von fünf Türmen, die in dem 1776 amerikanische Fuß hohen Freedom Tower kulminierte – begeisterte die New Yorker. Er verkörperte wenigstens ein gewisses Gespür für die Symbolik des Ortes, das andere Pläne vermissen ließen.

Es dauerte jedoch nicht lange bis jeder, der in dem Prozess etwas zu sagen hatte, an Libeskinds Entwurf etwas herum zu nörgeln hatte. Die Lower Manhattan Development Corporation (LMDC) – eine öffentliche Körperschaft, die zur Wiederbelebung des am 11. September teilzerstörten Viertels gegründet wurde – wollte Libeskinds Gedenkstätte um die Hälfte verkleinern, um Platz für Parkplätze zu schaffen. Ausserdem verlegte die LMDC die geplante Bahnstation und zerstörte somit Libeskinds „Lichtkeil“, durch den am 11. September jeden Jahres das Licht ohne Schatten auf die Erde fallen sollte.

Zu alle dem machte Libeskind noch eine vergleichsweise gute Miene. „Wir arbeiten in einer großen Stadt und nicht im Studio, da muss man sich arrangieren“, sagte Libeskind. Doch als Larry Silverstein anfing, an dem Entwurf für den Freedom Tower herum zu pfuschen, wurde selbst Libeskind fuchsig. Als Silverstein mehr nutzbare Bürofläche im Freedom Tower forderte, nahm sich Libeskind einen Anwalt. Den Machtkampf verlor er schließlich trotzdem. Gouverneur Pataki, der sich mit einem raschen Wiederaufbau politisch profilieren wollte, stärkte Silverstein politisch den Rücken; Silverstein heuerte mit dem uninspirierten Bürobauer David Childs seinen eigenen Architekten und setzte ihn Libeskind vor die Nase. Libeskind wurde zu einer Art Berater für den Bau eines Gebäudes degradiert, das mit seinem Entwurf kaum mehr etwas gemein hatte. „Finster, erdrückend, klobig “, nannte die New York Times den verkrüppelten Entwurf.

Dass Silverstein schließlich in diesem Frühjahr die Bauherrschaft über den Freedom Tower an den Grundtsückseigner, die staatliche Hafen-, Flughafen- und Brückenbetriebsgesellschaft Port Authority abgeben musste, ist freilich hochgradig ironisch. Erst beraubte Silverstein die Neuplanung des Geländes jeglicher Inspiration, jetzt muss er von der Bühne abtreten. Bis er so weit war, nachzugeben, schaffte er es jedoch noch, den Baubeginn um weitere vier Monate zu verzögern. Solange hatte er mit Bürgermeister Bloomberg und Gouverneur Pataki um die Kontrolle über Ground Zero gerungen.

Bloomberg hatte Larry Silverstein schon immer skeptisch gegenüber gestanden. Er kannte den Grundstücksmogul und durchschaute seine Strategie. Silverstein wollte die staatlichen Förderungen einstreichen, sich mit dem Freedom Tower ein Denkmal setzen und sich dann mit dicken Profiten aus dem Staub machen. „Wir hätten dann mit einem halb bebauten Grundstück und mit leeren Kassen da gestanden“, so Bloomberg. Dass Silverstein nicht die nötigen 7 Milliarden hat, um das gesamte Grundstück zu bebauen, ahnte der Bürgermeister. Und weil er richtig lag, konnte er Silverstein auch letztlich in die Knie zwingen.

Gourverneur Pataki hielt jedoch noch lange zu Silverstein. Pataki hat Ambitionen, nach Ende seiner Amtszeit in New York für die US-Präsidentschaft zu kandidieren. Deshalb wollte er bis zum Beginn des Vorwahlkampfes in diesem Herbst am Ground Zero Bewegung sehen – der Neubau dort sollte sein politisches Vermächtnis als Gouverneur sein. Und Silverstein hatte Pataki stets schnelle Resultate versprochen. Erst, als Pataki klar wurde, dass Silverstein seine Versprechen nicht einlösen kann, ließ auch er den Spekulanten fallen.

Eine ähnliche Erfahrung wie Daniel Libeskind machte am Ground Zero der junge Architekt Michael Arad, der den Wettbewerb für die Gestaltung der Gedenkstätte gewann. Zwar musste sich der 34-jährige gebürtige Israeli nicht mit einem größenwahnsinnigen Immobilienhai herumärgern; doch Arad und seine Ideen gerieten trotzdem genauso zwischen die Mühlräder zänkischer Interessengruppen - von den Angehörigen der Opfer über die Lower Manhattan Development Corporation bis hin zu Daniel Libeskind selbst, der sich offenbar im Verlauf des ganzen Prozesses an die New Yorker Gepflogenheiten angepasst hatte.

Arads Entwurf war einer von 5200 Vorschlägen zur Gestaltung der Gedenkstätte gewesen, die der Libeskinds Master-Plan vorsah. Seine Vision ließ schlicht den Grundriss der beiden Zwillingstürme leer. Die schwarzen Quadrate sollten von Wasser umspült werden, das in die Löcher hinein floß. Über Rampen konnte der Besucher am herabstürzenden Wasser entlang 10 Meter in die Tiefe wandeln, wo in einer Galerie die Namen der Verstorbenen in eine Steinwand geritzt sein sollten. Die Reihenfolge der Namen sollte wahllos sein – so wie der Tod im World Trade Center wahllos und willkürlich war. Die Jury war von Arads Entwurf begeistert. Doch wie bei Libeskinds Entwurf hielt die Liebe nur so lange, bis es daran ging, wirklich loszulegen.

Zunächst bekam Arad Probleme mit den Angehörigen der Opfer. Sie störten sich daran, dass die Namen nicht in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt werden sollten und man ihre verstobenen Nächsten deshalb nicht gleich finden konnte. In die Kritik an der Namensliste stimmte dann bald auch Bürgermeister Bloomberg ein: Die städtischen Bediensteten, die Feuerwehrleute und Polizisten fand er, solten gesondert aufgeführt werden.

Der nächste Zank entbrannte, als die Angehörigen der Opfer erfuhren, dass Arad die leeren Quadrate nicht exakt an der Stelle plazieren wollte, wo die Türme gestanden hatten. Arad hatte sie um ein paar Meter verschoben, damit er innerhalb von Libeskinds Generalplan die Rampen unterbringen konnte, auf denen die Besucher in die Tiefe wandeln sollten. Das Wandeln auf den Rampen, so Arad, sei der zentrale Bestandteil der Erfahrung, die der gedenkende Besucher an dieser Stätte machen soll. Die Familien fanden die Verschiebung der Grundrisse hingegen pietätlos.

Mit Daniel Libeskind legte Arad sich an, weil er das von Libeskind geplante Kulturzentrum verschieben wollte. Der Bau, so Arad, verstelle den Eingang zu seinem Mahnmal. Zusammen mit dem Architekten Peter Walker, einem Vermittler, den die LMDC benannt hatte, ging Arad persönlich zu Libeskind, um diese Angelegenheit zu klären. „Es war furchtbar, ich musste die beiden zwei Mal trennen und in verschiedene Zimmer setzen“, erinnert sich Walker. Schließlich einigte man sich dennoch auf den Kompromiß, das Kulturzentrum in Zwei zu teilen.

Das größte Problem für Arad war es indes, dass er als junger Architekt kein eigenes großes Büro im Hintergrund hatte. So verlangte er von den der LMDC, dass sie ihm für das Projekt eine Infrastruktur zur Verfügung stellt. Die LMDC sah hingegen die Not von Arad als Chance, ihn zu kontrollieren. Mit immer neuen Architekturfirmen, die der LMDC wohl gesonnen waren, sollte Arad zusammen arbeiten; er zerstritt sich ausnahmslos mit allen. Ein Jahr verstrich ohne Fortschritt bei Planung und Bau, bis sich Arad und die LMDC auf eine Partnerschaft mit einer kleinen Firma im Greenwich Village geeinigt hatten.

Von Arads Entwurf ist dennoch letztlich nicht viel übrig geblieben. Nachdem die geschätzten Kosten für die Gedenkstätte auf beinahe eine Milliarde Dollar gestiegen waren, schritt Bürgermeister Bloomberg ein. Er strich alle Elemente, die den Entwurf originell gemacht hatten und verwandelte das Mahnmal in „eine bemerkenswerte Banalität“, wie Nicolai Ourousoff in der New York Times schrieb. „Es ist nicht mehr übrig geblieben, als ein beliebiges Wasserspiel in irgendeinem Bürokomplex. Es wird jetzt völlig klar, dass es den Leuten an den entscheidenden Stellen bei der Auswahl von Arad nicht um seine jugendliche Begabung ging, sondern nur darum, jemanden zu haben, den man kontrollieren kann“, schloß Ourousoff. Das Kontrollieren war zwar schwieriger geworden, als ursprünglich geplant. Letztlich gelang es aber dann doch.

Bei all diesen eher provinziell anmutenden Machtspielen um den Südzipfel von Manhattan, ist freileich Eines unter den Tisch gefallen: Eine wirklich grundsätzliche Diskussion darüber, was eine angemessene Nutzung des Geländes wäre und was New York wirklich braucht. So stand der Bau von Bürotürmen nie in Frage. Das einzige Gebäude an dem Gelände, das bereits wieder steht - ein von Larry Silverstein gebautes belangloses Bürohochhaus - hat jedoch bislang erst eines seiner 52 Stockwerke vermietet. Für den Freedom Tower interessiert sich noch überhaupt niemand.

Derweil ziehen immer mehr Privatpersonen in die leerstehenden Büros an der Wall Street, in die die geflüchteten Finanzunternehmen nach dem 11. September nicht wieder zurück gekehrt sind. Wohnungen sind offenbar das, was die Stadt viel dringender braucht als noch mehr Bürofläche und sie würden ein Viertel wieder beleben, das schon durch den Bau des World Trade Center zu einer dysfunktionalen Geschäftsmonokultur verkommen war. Aber man sollte ja die Hoffnung nicht aufgeben, dass der ganze Vorgang doch noch ein gutes Ende nimmt. Verwunderlich wäre es jedenfalls nicht, wenn morgen die Bagger innehalten und die ganze Debatte von Neuem beginnt.