Tuesday, August 07, 2007

Hot Town - Was New Yorker tun, wenn der Asphalt glüht und die Luft zu dick zum Atmen wird


(Welt am Sonntag, 5.8. 2007)


Ein Presslufthammer dröhnt. Gereizte Taxifahrer hupen. Jemand, der die Qual der unentrinnbaren Hitze nicht mehr aushält, trommelt einen verzweifelt Beat auf einer blechernen Mülltonne. So beginnt „Hot Town“ von den Lovin’ Spoonful“ – der wohl berühmteste Song über den Sommer in New York. Und so ist New York im August. Erbarmungslos. Brutal. Keine Spur von „easy living“ oder sinnlicher Trägheit, wie die, von der George Gerschwin’s „Summertime“ erzählt.

Die Strassen glühen. Jeder Schritt ist eine Qual. Das Hemd klebt am Leib, die Müllsäcke am Strassenrand stinken zum Himmel. Es gibt kein erfrischendes Grün, keine kühlende Brise. Nur das gleissende Licht der Augustsonne, die schon am Morgen keine Schatten mehr zu werfen scheint. Ein diabolischer Bass-Riff setzt ein. „All around people walking half dead – walking in the sidewalk, hotter than a match head” – Menschen wandeln wie Zombies durch die Strassen, kurz davor, wie Streichhölzer in Flammen aufzugehen. Jeder, der einmal um diese Jahreszeit in der Stadt war, weiß, wovon John Sebastian damals, 1966, gesungen hat.

Wer irgend kann flieht während dieser Hundstage aus der Stadt. Wie in Paris ist im Juli der Anteil der Einheimischen, die man in New York antrifft, so niedrig wie zu keiner anderen Jahreszeit. Die gesamte Zunft der Psychotherapeuten beispielsweise lässt ihre nun auch noch von der Hitze geplagte Kundschaft den Juli über im Stich und verzieht sich in ihre Strandhäuser auf Long Island. Bis zum Labor Day, Anfang September, verlagert sich das gesellschaftliche Leben der Stadt dorthin, in die Hamptons, jene gediegenen Örtchen am Atlantik mit ihren teuren Restaurants und Boutiquen und ihrer Yachtclub-Atmosphäre. Wer unbedingt in die Stadt muss, legt seine Termine auf höchstens zwei Tage pro Woche und pendelt mit dem Shuttle Bus, dem Hampton-Jitney, für eine Stippvisite in die heisse Hölle und wieder hinaus.

Es verdient allerdings nicht jeder New Yorker wie die Therapeuten 150 Dollar pro Stunde und kann sich zusätzlich zur teuren Stadtmiete ein noch teureres Refugium am Meer leisten. Es gibt auch die, die ausharren müssen und versuchen, aus einer unmöglichen Lage das Beste zu machen. Eine Fähigkeit, die New Yorker allerdings zur Perfektion beherrschen. Denn schließlich ist dies ja die Definition des Überlebens in New York, gleich, ob es draussen 40 Grad plus hat oder 10 Grad minus – sich nicht nur in einer Katastrophe einzurichten, sondern das Leben in der Katastrophe zu einer Kunstform zu kultivieren.

In jenen Wohnbezirken etwa, die noch nicht von der Gentrification – der grassierenden Luxussanierung der Stadt – befallen sind, schwappt im Juli noch immer das pralle Leben aus den Häusern auf die Strasse. Trotz der Verbreitung von Klimaanlagen haben sich beispielsweise in Harlem Traditionen gehalten, wie das „Stoop-Hanging“, der Brauch, an heissen Sommertagen auf dem Treppenabsatz bis in die Nacht vor der Tür zu sitzen, zu Plaudern und herum zu albern und die Nachbarschaft zu pflegen. Die Kinder drehen noch immer die Hydranten auf, tollen im Wasserstrahl herum und verwandeln die eigene Wohnstrasse in ihren privaten Pflasterstrand.

Auch die Spielplätze der Stadt werden im Sommer zur abendlichen Zuflucht vor den beklemmenden, viel zu kleinen Wohnungen. Überall, wo ein Basketball-Korb hängt, findet ein wildes Turnier statt und überall wo ein Turnier stattfindet, findet auch eine Party statt. An den „Rucker“ an der 155ten Strasse oder den „Cage“ an der West Fourth Street, die legendärsten städtischen Courts, kommen etwa jeden Abend Tausende von Leuten, um ihre lokalen Basketball-Helden zu feiern und um laute Hip Hop Musik zu hören. Man drängt sich um die an sich trotslosen Betonfelder und hofft dabei, dass einer der Multimillionen-Dollar NBA-Profis auftaucht und mitspielt. Und oft hat man auch Glück – für die Stars ist es eine Ehre, in der Nachsaison in New York auf der Strasse zu spielen und damit zu zeigen, dass sie ihre Wurzeln nicht vergessen haben.

Die weitaus meisten New Yorker, die der Hot Town nicht entfliehen können, drängt es jedoch ans Wasser, wenn die Luft in den Strassen zu dick zum Atmen wird. Seit gut zehn Jahren hat New York wieder entdeckt, dass es so viel Ufer hat, wie keine andere Stadt der USA und seither trotzt es der postindustriellen Brache am East River, am Hudson und entlang der New York Bay einen Kilometer nach dem anderen für die Freizeit und die Erholung ab. So kann man sich heute an der Nordspitze von Manhattan auf ein Fahrrad schwingen und unbehelligt vom mörderischen Manhattaner Verkehr mit einer kühlenden Brise auf dem Gesicht und dem Geruch von Salzwasser in der Nase beinahe 30 Kilometer lang am Hudson entlang bis an den Südzipfel der Insel fahren.

Es ist eine Reise, bei der man die Stadt in ihrer betörenden Vielfalt erleben und ihre rastlose Dynamik erleben kann, ohne dass man sich tatsächlich in ihre glühenden Strassen begeben muss. Gleich zu Beginn der Tour, unter der George Washington Bridge im Norden Manhattans etwa prallt wie an so vielen Stellen der Stadt eine größenwahnsinnige Moderne auf Spuren des alten New York und erzeugt einen jener verstörenden, Jazz-artigen Brüche, die charakteristisch sind für diese Stadt. Wie verloren steht auf einem Felsvorprung im mächtigen Hudson dort ein alter Leuchtturm, der einst die Schiffe auf Kurs in Richtung des New Yorker Hafens brachte. Unter dem gigantischen Stahlskelett der Brücke wirkt der „Little Red“, wie New Yorker den roten Leuchtturm liebevoll nennen, jedoch wie ein Versehen, wie ein Krümel, den die Visionäre der Moderne beim Aufräumen übersehen haben.

Ähnlich deplaziert und doch irgendwie anrührend kommen einem die mexikanischen Fischer vor, die wenig weiter ihre Angel in den Hudson halten. Sie sind Vorposten der lärmenden Latino-Kultur, die sich auf der Höhe des vorwiegend dominikanischen Viertels Washington Heights am Flussufer mit Grillgelagen und Salsa aus den Heckklappen ihrer Autos breit macht. Der Dunst ihrer gegrillten Fische und Schweinefüsse hängt schwer über dem Ufer, bis er von den noch weniger angenehmen Gerüchen der Kläranlage verdrängt wird, die ab der 145ten Strasse den Radweg vom Flussufer verdrängt. Direkt dahinter kann sich der Radfahrer jedoch auf Fairway’s freuen, einen Lebensmittel-Großmarkt am Fluss, in dem er sich nicht nur verpflegen, sondern auch in dem riesigen Kühlraum für verderbliche Ware vorübergehende Erleichterung verschaffen kann.

Ab der 130ten Strasse quetscht sich der Radweg in Richtung Süden dann zwischen das Wasser und den West Side Highway. Links schrimen Kirschbäume den Pfad von der Fahrbahn ab, in die Steine am Fluss rechts baut ein anonymer Künstler seit Jahren bizarre Skulpturen aus Treibholz. Das Publikum wird deutlich Weisser und gehört immer deutlicher der Mittelschicht an. Die Skater und Jogger mehren sich, aber auch Akademiker von der anliegenden Columbia Universität, die zum Lesen im Sommer die Bänke hier unten der Bibliothek vorziehen. Weiter geht es am Boat Basin vorbei, jener Mischung aus Segelhafen und Anlegeplatz für Hausboote, wo das Hudson Ufer das überraschend gediegene Flair etwa der Binnenalster oder der Croisette annimmt. Sogar ein Cafe mit Flussblick gibt es hier, das zum kühlen Bier allerdings leider nur sehr mittelmässige Hamburger serviert.

Etwa eine dreiviertel Stunde ist es nach dieser Labung noch bis zum Ground Zero und zur Fähre an die Freiheitsstatue, an den zum Teil renovierten und begrünten alten Piers vorbei, entlang der stillgelegten, rostigen und überwucherten Hochbahn, die selbst demnächst in einen Park verwandelt wird. Immer dramatischer werden jetzt die Blicke auf die Skyline von Midtown links und von Downtown vor einem im Süden.

Wenn es genau jetzt dämmert und die Abendsonne im hochgradig verschmutzten Himmel über New Jersey psychedelische Farben annimmt, dann ist das Timing perfekt. Dann biegt man links vom Flussuferweg in die Chambers Street ein und durchquert das schmale Südmanhattan in wenigen Minuten, um zusammen mit Touristen, Horden von Fotografen sowie romantisch veranlagten Einheimischen auf der Brooklyn Bridge den Sonnenuntergang zu geniessen.

Vom Panoramaasuguck in der Mitte der Brücke aus streckt zur linken Hand die Freiheitsstatue ihre Fackel in den Abendhimmel. Am Südzipfel Manhattans legt die gelbe Fähre nach Staten Island ab. In den Wolkenkratzern gehen die Bürolampen Stockwerk für Stockwerk an, die Spitze des Empire State Building zur Rechten, hinter der Manhattan Bridge, erglüht in buntem Scheinwerferlicht. Vom Meer her streicht angenehm der Wind um den Oberkörper.
Auf der Brooklyner Seite des East River ragt ein Steg ins Wasser, auf dem die Menschen stehen, den Ausblick und die Stimmung geniessen und dabei ein Eis aus der anliegenden Brooklyn Ice Cream Factory schlecken. Daneben schillert aus dem Bauch eines stillgelegten Kahns bläulich das „Floating Pool“ im East River, das hier seit Juli den Brooklynern kostenlos Kühlung und Badespass verschafft. Am Manhattaner Ufer, direkt unterhalb des Woolworth Building beginnt ein alter Schwarzweissfilm über die Leinwand am „Elevated Acre“, einer neuen Parkanlage im Fluss, zu Flimmern. Und immer noch hängen die Lovin’ Spoonful im Ohr: „Cool Town, Evening in the City, Go Out and find a girl. Come On Come On and dance all night. Despite the heat it’ll be alright. In the Summer. In the City.

Sebastian Moll


Hot Tipps.

Fahrradverleih: Für $30/Tag bei Toga Bikes, West End Avenue an der 64ten Strasse. Mit dem Fahrrad auf der West-Seite am Fluss entlang die ganze Länge der Insel abfahren und wer noch kann, weiter über die Brooklyn Bridge, an der Brooklyner Waterfront unter der Verranzano Bridge hindurch bis an die Strände von Coney Island und Far Rockaway. Es gibt in jedem Fahrradladen kostenlose Fahrradkarten für die Stadt mit Radwegverzeichnis.

Boat Basin, 79te Strasse am Hudson River. Am Segelhafen sitzen, das Treiben beobachten, ein kühles Bier trinken.

Brooklyn Ice Cream Factory. Legendäre Eisdiele direkt unter der Brooklyn Bridge auf der Brooklyner Seite. Spektakulärer Ausblick auf Manhattan.

Strand. New Yorker lieben den Strand von Sandy Hook. Von Downtown Manhattan fährt eine Fähre durch die New Yorker Bucht unter der Verranzano Brigde hier her. Man kann das Fahrrad mit auf die Fähre nehmen um von der Anlegestelle in Sandy Hook zum Strand zu kommen. Kein Bus, Auto oder Zug ist nötig, wie bei den meisten anderen Stränden.

Ungewöhnliches urbanes Sommerabenteuer: Kayakfahren durch die Bronx auf dem Bronx-River http://www.bronxriver.org/whatWeDoRec.cfm

Schwimmbäder. Seit 4. Juli hat auf einem alten Kahn zwischen Pier 4 und 5 in Brooklyn ein volles, 50 Meter langes Schwimmbad eröffnet. Es war in diesem Sommer DIE Attraktion.

Open-Air Kino. Es ist schon fast ein Glaubensstreit, welches Open Air Kino in New York das Beste ist: An der 42ten Strasse hinter der Public Library im Bryant Park; am Elevated Acre, 55 Water Street am East River; beim Brooklyn Bridge Festival unter der Brooklyn Bridge oder in Hoboken in New Jersey, wohin man mit der Fähre übersetzen kann. Der Vorteil hier: Man sieht die Manhattaner Skyline im Hintergrund. Die meisten Festivals zeigen Filme mit einem New Yorker Thema.

Open Air Konzerte. Beinahe alle New Yorker Parks haben Serien mit kostenlosen Sommerkonzerten. Das Veranstaltungsmagazin Time Out New York informiert über die aktuellen Termine. Am coolsten ist die Szene wohl im Prospect Park in Brooklyn.

Shakespeare in the Park. Eine New Yorker Sommertradition – Kostenlose Shakespeare Inszenierungen im Central Park mit hochkarätiger Besetzung. Das ganztägige Anstehen für Karten gehört zum Ritual und artet in ein riesiges gemeinschaftliches Picknick aus.

Top Adresse zum Essen und Trinken unter freiem Himmel: Alma’s in Red Hook in Brooklyn, 187 Columbia Street. Auf dem Dach mit Premium-Blick auf Manhattan Margaritas schlürfen und Nouveau-Latino Küche geniessen.

Der kälteste Spot: Der Kühlraum mit der Frischfleisch- und Frischfischtheke im Fairway’s Market, 133te Strasse und 12th Avenue.

Strassenbasketball. Jeden Abend Juni bis September am legendären „Rucker“, 155te Strasse und Frederick Douglass Boulevard oder am „Cage“ West 4th Street und 6th Avenue.
Der Sountrack zum article auf youtube:
Lovin Spoonful, Summer in the City: