Monday, October 29, 2007

Red Sox Nation: Das Team aus Boston ist nach seinem zweiten Titelgewinn Amerikas unangefochtenes Baseball-Team Nummer Eins

New York. Als „Anders, ganz anders“, beschrieb Mike Lowell, Schlagmann der Boston Red Sox seinen zweiten Meisterschafts-Gewinn im Baseball im Vergleich zu seinem ersten 2003, als er am Sonntag seine Trophäe für die beste Einzelleistung in der Meisterschaftsserie gegen die Colorado Rockies entgegen nahm. „Damals, 2003 mit den Florida Marlins“, erinnerte sich der 33-Jahre alte gebürtige Puerto Ricaner, während er mit Champagner-getränktem T-Shirt vor der Umkleidekabine im Coors Stadion in Denver stand, „hat niemand von uns erwartet, dass wir gewinnen. Da waren wir die Underdogs. Von den Boston Red Sox wird hingegen immer der Sieg verlangt.“

Die Red Sox, die ihre Finalgegner, Aussenseiter Colorado mit vier Siegen in der „World Series“ glatt wegputzten, sind mittlerweile im amerikanischen Baseball eines jener Teams, für die alles andere als ein Meisterschaftsgewinn eine Enttäuschung ist. Finaleinzug oder gar nur das Erreichen der Playoff-Runde ist für die Bostoner seit ihrem letzten Titel 2004 kein anstrebenswertes Ziel mehr, die Ansprüche sind gewachsen. Spätestend mit ihrem Sieg in dieser Saison haben die Red Sox die Rolle des Über-Vereins eingenommen, des FC Bayern des Baseball, die bislang die New York Yankees innehatten.

Dabei waren die Red Sox über Jahrzehnte der Inbegriff der Underdogs. Vor 2004 hatten sie zuletzt 1918 die Meisterschaft gewonnen, eine Wiederholung wollte ihnen einfach nicht gelingen. Man sprach von einem Fluch, der auf Boston lastete, dem „Curse of the Bambino.“ Mit Bambino war dabei der große Babe Ruth gemeint, der 1919 von Boston nach New York wechselte und dabei das Glück scheinbar mit an den Hudson nahm. New York gewann seither 26 Titel, ihre Erzrivalen aus Neu-England nicht einen einzigen. Im Halbfinale 2004, nach 86 Jahren, wendete sich das Blatt jedoch endlich. Boston machte einen Rückstand von drei Spielen wett, gewann die Serie und daraufhin auch die Meisterschaft gegen St. Louis.

Der Titelgewinn änderte alles für die Boston Red Sox. Die Art und Weise wie die Mannschaft sowohl ihre Geschäfte, als auch ihren Sport betrieb, wandelte sich radikal. Der Fenway Park, das Heimstadion den Red Sox, war plötzlich ganzjährig ausverkauft und auch Auswärts wollten mehr Leute die Red Sox sehen, als jede andere Mannschaft. Der Spartensender ESPN überträgt seit 2004 sämtliche Spele der Red Sox, eine Ehre, die ansonsten nur den Yankees zuteil wird. Das Budget des Clubs wuchs auf 143 Millionen Dollar an, was zwar noch immer um 47 Millionen geringer ist als das der Yankees aber mit Abstand größer als das aller anderen Vereine. Spektakuläre Transfers wurden möglich wie zuletzt der Einkauf des japanischsn Stars Daisuke Matsusaka für 103 Millionen über drei Jahre. Um andere Spitzenspieler wie Jose Contreras stritten sich die Red Sox mit den Yankees bis zum letzten Cent.

Die Wiederholung des Meisterschaftsgewinns gelang zwar trotzdem nicht sofort wieder. Er ließ aber auch keine 86 Jahre mehr auf sich warten. In den Playoffs diesen Jahres waren die Red Sox eindeutig die dominierende Mannschaft, ihr Finalgegner Colorado hatte nicht den Hauch einer Chance. Die einst übermächtigen Yankees hingegen zerfallen derzeit regelrecht. Nach dem Erstrundenaus in den Playoffs weigerte sich Trainer Joe Torre einen neuen Vertrag zu unterzeichnen. Ebenso Superstar Alex Rodriguez, von dem nun erwartet wird, dass er bei Boston unterzeichnet.

In New York nimmt man den verlorenen Status als Spitzenmannschaft der Liga indes alles andere als gelassen hin. Team-Besitzer Hank Steinbrenner will von einer „Red Sox“-Nation, von der immer mehr gesprochen wird, nichts hören. „Wenn es eine Red Sox Nation gibt“, geiferte er jüngst miesepeterig, „dann gibt es ein Yankees Universum. Ohne die Rivalität mit uns wären die Red Sox gar nichts. In den letzten 12 Jahren haben wir vier Titel gewonnen, die Red Sox nur zwei.“ Doch all das neidische Meckern nützt Steinbrenner nichts, Amerika hat längst die Red Sox zur nationalen Baseball-Mannschaft Nummer Eins erkoren. Zuletzt hat sich sogar der Präsidentschaftskandidat und ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giulianai zu den Red Sox bekannt. Der US-Baseball hat wohl endgültig eine neue Hackordnung.

Friday, October 26, 2007

On God: Norman Mailer entwirft seine eigene Religion

Lange war Norman Mailers vor rund zehn Jahren veröffentlichtes „Jesus Evangelium“ ein seltsamer Fremdkörper im Lebenswerk des New Yorker Erzählers, ein bizarrer theologischer Ausflug eines Mannes, der sich vorher 50 Jahre lang einen Namen als wohl kaum der Frömmigkeit verdächtiger Chronist seiner Epoche gemacht hatte. Als zu Beginn diesen Jahres nun der erste Roman des jüdisch erzogenen Mailer seit diesem Jesus-Buch, „Das Waldschloß“ in den USA erschien - eine Biographie des jungen Anti-Christen Hitler - schwante so manchem jedoch, daß Mailer sich zum Ende seines Lebens und seiner Schriftsteller-Karriere ernsthaft in Fragen von Gut und Böse, sowie Diesseits und Jenseits verbissen hatte.

Seit vergangener Woche ist nun endgültig gewiß, daß Mailers Gedanken offenkundig schon seit langem vorwiegend um Gott und den Teufel, kreisen. Am letzten Dienstag kam ein Bändchen mit dem Titel „On God“ in die US-Buchhandlungen, in dem Mailer dem Journalisten und Literaturwissenschaftler Michael Lennon die Grundzüge seines privaten Glaubenssystems erläutert. Es ist eine ebenso krude wie erstaunlich elaborierte theologische Konstruktion mit Anleihen bei Milton, den indischen Religionen, der Gnosis und der Manichäer. So ausformuliert ist der Mailerismus, dass man meinen könnte, er habe auf seine alten Tage vor, eine eigene Religion zu gründen.


In „On God“ wird deutlich, dass es Mailer mit dem Teufel in seinem Hitler-Buch tatsächlich ernst gemeint hatte. Der war laut Mailer im „Waödschloß“ personlich zugegen, als Adolf Hitler am 20. April 1889 emfangen wurde. Das Interesse des Leibhaftigen am Fall Hitler hatte die Tatsache erregt, daß der spätere Massenmörder Produkt eines Inzests war – zwischen dem Waldviertler k.und k. Zollinspektor Alois Schicklgruber nämlich und seiner Nichte Klara Pölzl, die bei Mailer auch noch dessen Tochter ist. Der Inzest als Bruch eines der Grundtabus jedweder Zivilisation ließ den „Ganz Bösen“, wie der oberste Dienstherr des Erzählers Dieter bei Mailer heißt, das große Potenzial des jungen Hitler wittern.

Der Roman endet nach rund 470 recht ermüdenden Seiten mit dem Schulabschluß Hitlers, was Hitler mit seinem weiteren Leben anstellt, setzt Mailer als bekannt voraus. Dokumentieren wollte er lediglich, wie der Keim des Bösen gesät wurde und langsam zu sprießen begann. Hitler hatte sich mit allerlei Perversionen vertraut gemacht, hatte gelernt, dass einige Kreaturen sterben müssen, damit andere überleben und daß ein mißhandelter Hund weiterhin sein Herrchen liebt. Sowohl seine Schwester, als auch sein Rektor sagten ihm hellsichtig voraus, dass er wohl nie ein besonders guter Mensch werden würde.

Offensichtlich hatte der Teufel zu diesem Zeitpunkt schon den Kampf um die Seele Adolf Hitlers gewonnen und damit einen absoluten Volltreffer gelandet. Mit Hilfe dieser einen Seele gelang es ihm, das gesamte 20. Jahrhundert nach Punkten für sich zu entscheiden. Als guter Manichäer sieht Mailer die Menschheitsgeschichte als ewiges Ringen zwischen Gut und Böse und glaubt, im Verlauf seines langen Lebens ein deutliches Kippen des Kräftegleichgewichtes zugunsten des Letzteren gesehen zu haben. Der offensichtlichste Beweis dafür sind der Holocaust und die Atombombe, der Zweite Weltkrieg und Vietnam und insgesamt die Tatsache, dass die Menschheit in letzter Zeit ein bislang ungeahntes destruktives Potenzial entfaltet. Im 20 Jahrhundert, so Mailer, hat der Teufel die Technik als seine bislang teuflichste Waffe entdeckt und scheint damit auf dem besten Wege zu sein, sich im ewigen Ringen mit seinem Widersacher zu behaupten.

Um fair zu bleiben – ganz so naiv wie das alles klingt ist Mailers Sicht von Gut und Böse nicht. Sein Glaube ist deutlich weniger karikaturhaft, als etwa der evangelikale Fundamentaslismus. So gesteht er beispielsweise dem Subjekt eine Rolle im großen kosmischen Kampf zu: „Wir sind keine passiven Zuschauer, während Gott und der Teufel Krieg führen“, sagt er, „sondern eine dritte Kraft, die allerdings nicht immer genau weiß, wo sie steht.“ Das Gute und das Böse sind keine reinen Substanzen, wie die Evangelikalen glauben machen wollen, die Fronten verlaufen alles andere als deutlich. Und vor allem ist der Ausgang des Kampfes offen, während bei den Evangelikalen fest steht, daß das Königreich Gottes kommt. Für Mailer kann jedoch alles noch schief gehen und im Moment sieht auch alles danach aus.

So muß man Mailer vielleicht sogar dafür dankbar sein, daß er den Diskurs über das Böse in Amerika nicht den Fundamentalisten überlässt und ihm zumindest vergleichsweise Einiges an Komplexität verleiht. Mit dem gesamten 20 Jahrhundert als Perspektive weiß Mailer einerseits, daß man um das Nachdenken über das Böse nicht umhin kommt und andererseits, daß der Aufenthaltsort des Guten und des Bösen nicht so einfach und schon gar nicht nach Nationalitäten oder Konfessionen geordnet zu bestimmen ist.

Und doch bleibt das Mailer’sche Böse seltsam banal. Im Vergleich etwa zu Hannah Arendts philosophischem Nachdenken über das Böse wirkt sein Theologisieren zuteifst naiv. Nachzuvollziehen ist es allenfalls im Zusammenhang der amerikanischen Geistesgeschichte, in der die Formulierung einer persönlichen, undogmatischen Spiritualität eine lange Tradition hat. Die zahllosen amerikanischen Religionen und Sekten aber auch ernst zu nehmende Denkschulen wie Transzendentalismus und Pragmatismus bezeugen die Macht dieser Tradition, die der Kulturkritiker Harold Bloom in seiner Studie „The American Religion“ als so etwas wie den Grundstock des amerikanischen Nationalcharakters beschrieb. Daß Mailer so freimütig mit Begriffen wie Gut und Böse herum hantiert und sie zu einer Privatreligion formt, wird in diesem Kontext verständlich. Einen aufgeklärten Mitteleuropäer lässt es freilich trotzdem zusammenzucken.

Tuesday, October 23, 2007

Adeles Glanz: Ron Lauder zeigt in seine teure Klimt-Sammlung

Lesen Sie unter:

http://www.tagesspiegel.de/kultur/;art772,2405604

Monday, October 22, 2007

Katastrophenhilfe oder Zynismus: Neue US Krimiserie spielt im zerstörten New Orleans

Es gibt wohl kaum eine Kulisse, die sich für Krimis so gut eignet, wie eine zerstörte Stadt. Die düstere Atmosphäre, die zerstörte Straßenzüge ausstrahlen, die unzähmbare Anarchie, die unweigerlich in einer Trümmerlandschaft ausbricht – das sind unwiderstehliche Zutaten zu formidablen Thrillern. Und so war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis ein abenteuerlustiger Produzent ein Kamerateam in das erbittert um seine Zukunft ringende New Orleans schickt.

Der einzige Grund, warum noch nicht mehr Filmemacher dieser Versuchung erlegen sind, ist wohl, daß man sich an dem politisch hoch aufgeladenen Thema New Orleans in den USA noch immer leicht die Finger verbrennt. TV-Produzent Jonathan Lisco hat zwei Jahre, nachdem die Wasser des Lake Pontchartrain durch den Deich an der 17. Straße brachen, dieses Risiko auf sich genommen und prompt dafür von allen Seiten Prügel bezogen. Seine Krimiserie „K-Ville“ (wie Katrina-Ville), die in der vergangenen Woche auf dem Kabelkanal Fox anlief, wurde von der amerikanischen Kritik in der Mehrheit verrissen.

Die größte Klage der Rezensenten war dabei, daß Lisco recht konventionelle Räuber- und Gendarm-Geschichten erzähle. Die Episoden könnten genauso gut in New York, Los Angeles oder Las Vegas spielen und es sei bedauerlich, so der Tenor, daß Lisco nicht mehr aus New Orleans gemacht habe. Die Stadt und ihr besonderes Spannungsfeld, ihr post-apokalyptisches, morbides Ambiente und ihre besonderen Probleme, so die Kritik, kämen hinter allzu ausführlichen und zum Überdruß vertrauten Schießereien und Autojagden nicht so recht zum Zug. Die gepeinigte Stadt verdiene eine angemessenere, weniger klischierte Behandlung, fand der San Francisco Chronicle, ein „beliebiger Nullachtfünfzehn Krimi“, sei die Serie, moserte der Chicago Tribune und USA Today fand „K-Ville“ gar geschmacklos. Vielleicht, fragte sich der Kritiker der auflagenstärksten US-Zeitung angesichts der Beliebigkeit der Plots und der Vertrautheit der Ästhetik, solle man New Orleans bis auf weiteres gänzlich vor der Verwurstung druch die Massen-Unterhaltungsindustrie schützen.

Kurioserweise beschwerten sich diejenigen am wenigsten, die dem Thema am Nähesten stehen. Dave Walker, der Kritiker der New Orleaner Tageszeitung Times Picayune – die für ihre heroische Berichterstattung während des Hurrikans mit einem Pulitzer ausgezeichnet wurde – wollte zunächst einmal fest halten, daß man im Big Easy für die etwa 17 Millionen Dollar, die die Dreharbeiten in die örtliche Wirtschaft gepumpt hätten, ausgesprochen dankbar sei. Ansonsten war Walker gegenüber „K-Ville“ hin- und her gerissen. Gut fand er, daß die Sendung New Orleans davor bewahre, vom nationalen Radar zu verschwinden. Kritisch stimmte ihn lediglich, weniger als das Abrufen bekannter Krimi-Konventionen, die Tatsache, daß New Orleans in K-Ville als „dauerhaft verstümmelte“ Stadt gezeigt werde, „in der die Gesetzlosigkeit vollkommen außer Kontrolle“ geraten sei.

So möchte New Orleans nicht gesehen werden, denn schließlich ist der Tourismus der bislang noch einzig halbwegs intakte Wirtschaftszweig der Stadt. Da ist es wenig zuträglich, daß selbst die Hauptfigur der Serie, der schwarze Kommissar Marlin Boulet, nicht nur gegen die Widerstände seiner Freunde und Familie sondern vor allem auch gegen sich selbst ankämpft, New Orleans nicht zu verlassen. „Die Stadt wird nie mehr wieder so werden, wie sie war“, versucht seine Frau den psychisch und körperlich zutiefst erschöpften Detective davon zu überzeugen, anderswo neu anzufangen. „Nicht, wenn niemand mehr dafür kämpft“, entgegnet Boulet trotzig.

Der Konflikt zwischen dem schier aussichtslosen Kampf um die wahrscheinlich unwiderbringlich versunkene einstige Heimat und der Versuchung, einfach alles hinter sich zu lassen, ist das trotz aller nervenden branchenüblichen Pyrotechnik doch klar erkennbare Leitmotiv von „K-Ville“. So schafft es Boulet nicht, sich nicht mit seinem ehemaligen Partner zu versöhnen, der während der schweren Tage unmittelbar nach der Flut die Nerven verlor und einfach davon fuhr. Boulet gibt dem Ex-Kollegen zu verstehen, daß er den Impuls, zu fliehen, nachvollziehen kann – verzeihen kann er die Flucht dennoch nicht. Denn wenn er das könnte, würden wohl seine eigenen mühsam aufrecht erhaltenen Dämme gegen die Versuchung, sich aus dem Staub zu machen, brechen.

Diese Charakterisierung von Boulet steht offenkundig stellvertretend für den Seelenzustand einer Stadt, die sich wider den Verstand gegen ihren endgültigen Untergang stemmt. Herr Lisco will Amerika an das ermattete und verzweifelte New Orleans erinnern, über das sonst kaum jemand mehr reden mag. Die quietschenden Reifen und die Schießereien sind dabei sicher überflüssig. Aber sie garantieren immerhin einen Sendeplatz zur besten Zeit auf einem großen Kabelkanal.

Thursday, October 18, 2007

Schwebende Redakteure: Das neue Gebäude der New York Times von Renzo Piano

Frankfurter Rundschau, 15.10.2007



Als Renzo Piano vor 35 Jahren den Auftrag erhielt, ein Kunst- und Kulturzentrum im biederen vierten Pariser Arrondissement zu bauen, konnten der damals junge genueser Architekt und sein britischer Kollege Richard Rogers der Versuchung zur städtebaulichen Provokation nicht widerstehen. Das Centre Pompidou mit seinen grellbunten nach außen gestülpten Eingeweiden wirkt bis heute wie ein Raumschiff, das mitten in der französischen Hauptstadt gelandet ist. Die Frechheit ist Piano im Alter von mittlerweile 68 Jahren jedoch anscheinend abhanden gekommen. Sein erster Wolkenkratzer in Manhattan, das neue New York Times Gebäude, das seit Juni von der Redaktion der wichtigsten amerikanischen Zeitung besetzt wird, nimmt sich in der New Yorker Skyline eher zurückhaltend aus.

Es ist der erste Wolkenkratzer von Piano, der zweite soll demnächst in London folgen. Zuvor hat der Italiener in New York die Stadtvilla des Gründerzeit-Magnaten J-P. Morgan nebst Bibliothek und Kunstsammlung umgebaut – laut einhelliger Meinung der Kritik ein Meisterstück. Dabei vereinte Piano lediglich die beiden alten Häuser durch einen Glaskubus und schuf dadurch eine Lichtdurchflutete Piazza direkt an der geschäftigen Madison Avenue. Im Zentrum der Komposition ist nichts als ein heller, offener Raum.

Auch beim Entwurf des Times-Gebäudes stand für Piano das Schaffen heller, luftiger Innenräume im Vordergrund. Prominentestes Merkmal des 52-stöckigen Bürohauses ist das neuartige Lichtsystem, das es erlaubt, durch die Glasfassade direktes Tageslicht in ausnahmslos alle Büroräume fallen zu lassen, gleichzeitig jedoch die Lichtmenge und Intensität per computergesteuertem Kontrollsystem fein zu dosieren und somit optimal zu nutzen. Zu diesem Zweck ist die Fassade rundum mit 250,000 Keramikrohren bestückt, die wie ein gigantisches Rollo an den Außenwänden hängen und die direkte Sonneneinstrahlung effektvoll brechen. Hinter diesem Vorhang nimmt sich der 348 Meter hohe Times Tower indes völlig zurück – wenn Transparenz Piano’s Ziel war, so hat er dieses erreicht. Die Redakteure schweben, den Blicken von Nachbarn und Passanten an der 42ten Strasse schutzlos ausgeliefert, wie im Nichts über der Manhattaner Westseite zwischen Times Square und dem Busbahnhof Port Authority.

Einen so große Architektur-philsophischen Unterschied zum Centre Pompidou, wie es zunächst erscheinen mag, stellt der Times Tower allerdings gar nicht dar. So wie das Pariser Kunstzentrum sein funktionales Inneres nach Außen kehrt, tut es der Times Tower auch. Und dabei wird sichtbar, wofür Piano und auch die Times gerne stehen möchten. Das energiesparende High-Tech Lichtsystem demonstriert, daß man am Trend zur Bauökolgie nicht nur teilhat, sondern ihn voran treibt und daß man somit seiner Zeit wenigstens eine Nasenlänge voraus ist.

Dieses Zur-Schau-Stellen sowohl der avantgardistischen Beleuchtungs- und Heizungstechnik, als auch der modernen Zeitungsproduktion kommt jedoch einer für das eitle New York gänzlich untypischen ästhetischen und symbolischen Gleichgültigkeit gegenüber dem architektonischen Äußeren gleich. Der Kritiker der New York Sun nannte den Tower deshalb spöttisch, „einen ipod in seinem Stromladesockel, eine Gerätschaft, irgendwo zwischen einem Computer und einer Geschirrspülmaschine“. Paul Goldberger vom New Yorker drückte es etwas zurückhaltender aus: „Ein New Yorker Wolkenkratzer braucht eine gewisse Präsenz. Der Times Tower hingegen ziert sich allzusehr.“ Die Schaffung heller Räume und das Ausbalancieren eines architektonischen Kontextes, wie Piano dies brilliant an kleineren Arbeiten wie der Morgan Library vorführe, so Goldberger, seien für ein Haus, das in einer so mächtigen Skyline bestehen möchte, keine hinreichenden Bauprinzipien.

Das Fehlen einer klaren Position setzt sich in das Innere des Towers fort. Kernstück der neuen New York Times Räume ist der Newsroom, ein beeindruckend weitläufiges offenes Großraumbüro für den Großteil der rund 350 Redakteure und Reporter der Zeitung, das ein gesamtes Stockwerk des viergeschossigen Anbaus hinter dem Tower einnimmt. Der Newsroom ist luftig und hell und die eleganten, aus Kirschholz gezimmerten Arbeitsstationen, die rund um ein begrüntes Atrium angeordnet sind, wirken freundlich und angenehm aber letztlich konventionell. Das Gefühl, daß sich hier die wichtigste Nachrichtenorganisation der Welt für die sich dynamisch wandelnde Medienlandschaft des 21. Jahrhunderts rüstet, bekommt man jedenfalls nicht.

Die Konzeptarmut liegt allerdings sicherlich auch ein wenig an der derzeitigen Konzeptlosigkeit der Times. Der Börsenkurs des Blattes, der Gesamtumsatz und die Anzeigeneinnahmen befinden sich nach wie vor im freien Fall, die Zeitung schrumpft und das stetig wachsende Internetgeschäft kann die Firma noch lange nicht tragen. Erst in der vergangenen Woche stellte die Times ihre Versuche ein, Gebühren für einen Teil ihres Internetangebotes zu erheben und newyorktimes.com somit langfristig auf solidere Beine zu stellen. Ein Redakteur, der nicht genannt werden will, beschreibt die Stimmung im Haus angesichts dieser allgemeinen Verunsicherung derzeit als „geradezu apokalyptisch Wir sind gerade in ein schickes neues Gebäude gezogen, heuern weiterhin smarte junge Leute an und geben weiterhin viel Geld aus, um Qualitätsjournalismus zu betreiben. Die entscheidenden Leute bei der Times scheinen zu denken, daß das Geschäft eine Zukunft hat. Ich kann nur hoffen, daß sie Recht haben.”

Wie diese Zukunft aussehen soll, wie sich etwa die Mischung zwischen Online und Print entwickelt, weiß jedoch auch bei der großen New York Times niemand so recht. Deshalb konnten die Innenausstatter des Newsrooom, die New Yorker Firma Gensler, auch lediglich mit der Vorgabe arbeiten, „insgesamt zwischen allen Redaktionsteilen die Kommunikation erleichtern“, wie Gensler Chefdesigner Rocco Giannetti sagt. So sitzt etwa bei jeder Teilredaktion im Newsroom ein Online-Redakteur, um die Nachrichten und Stories möglichst schon ins Netz füttern zu können, während sie für die Zeitung noch entstehen. Die Journalisten, die im Newsroom keinen Platz mehr gefunden haben, sind per Freitreppen über alle vier Stockwerke mit dem Hauptgeschoß verbunden. Ansonsten, so Giannetti, sei alles im Newsroom so angelegt, daß man es jeder Zeit wieder demontieren und umgestalten kann. Denn wie die Etage in fünf oder zehn Jahren aussehen muß, um die moderne Nachrichtenproduktion zu ermöglichen, weiß derzeit kein Mensch.

Friday, October 12, 2007

Friedensnobelpreis für Al Gore: Amerikas unbequemer Wahrsager

George Bush hat in den sieben Jahren seiner Regierung getan, was er nur konnte, um den Ruf der Vereinigten Staaten als sorgloseste Umweltverschmutzer der Erde zu befördern. Seine beharrliche Weigerung, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen und den Austoß von Treibhausgasen in den USA zu begrenzen, sein Drängen, die Naturschutzgebiete von Alaska für Ölbohrungen freizugeben und die Blockade seiner Partei von Gesetzen, die effektiv die Kilometerleistung pro Liter Treibstoff reduzieren, zeichnen das Bild einer dem Klimawadel gegenüber gänzlich gleichgültigen und zutiefst verantwortungslosen Nation.

Doch seit etwa zwei Jahren sind Bush und seine Partei mit dieser Haltung in den USA zunehmend isoliert. Einer Umfrage der New York Times in diesem Sommer zufolge glauben 76% der Amerikaner, dass ohne Verzug etwas gegen den Klimawandel getan werden müsse. Ökologisches Bewusstsein genießt in der amerikanischen Gesellschaft mittlerweile einen breiten Konsens. Bürgermeister und Gouverneure tun, was in ihrer Macht steht, Washington zum Trotz zumindest auf lokaler Ebene die Umwelt zu schützen. Erst in der vergangenen Woche hat der populäre Präsidentschaftskandidat Barack Obama verkündet, dass er im Fall seiner Wahl bis 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen auf das Niveau von 1990 zurück schrauben wolle. Und dieser Stimmungswandel in den USA ist vor allem das Verdienst von Al Gore.

Gore ist mit dem Film „Eine unangenehme Wahrheit“ über den globalen Klimawandel zu den Amerikanern durch gedrungen. Die Dokmentation von David Guggenheim zeigte Ausschnitte von Al Gores Diashow, mit der er durch Amerika tingelt, seit er in der umstrittenen Präsidentschaftswahl 2000 George Bush geschlagen gab und schnitt sie mit Szenen zusammen, die Gore dem Zuschauer als Privatmann näher bringen. Die Wirkung des Films entstand aus Gores Fähigkeit, in seinen Präsentationen die wissenschaftlichen Komplexitäten des Klimawandels in die Sprache des einfachen Amerikaners zu übersetzen. Zum anderen trug zum Erfolg des Films die Glaubwürdigkeit Gores als Person bei: Die Tatsache, dass Gore sich aus der Politik zurückgezogen hat, um der Sache des Klimaschutzes besser dienen zu können, macht seine Leidenschaft für dieses Thema besonders glaubwürdig.

Die Kritik von Wissenschaftlern an der Ungenauigkeit von Gore sowie eine Klage vor einem englischen Gericht gegen die Verwendung des Films als Unterrichtsmaterial konnten seiner Wirkung nichts anhaben. Sowohl der Londoner Highcourt, als auch die US-Klimatologen, die auf ungesicherte Behauptungen in der „Unbequemen Wahrheit“ hinwiesen, räumten die grundsätzliche Richtigkeit von Gores Argument ein. Und selbst George Bush beugt sich mittlerweile der umgeschwugenen Stimmung in seinem Land zumindest insoweit, als er die Tatsache des Klimawandels nicht mehr leugnet.

Monday, October 08, 2007

Nirgends zu Hause: Orhan Pamuk und Salman Rushdie diskutieren in New York über den Begriff der Heimat

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http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/?em_cnt=1221535

Saturday, October 06, 2007

Sex-Mobbing im US Profi-Sport - Angestellte des Madison Square Garden bekommt 11,6 Millionen Schadensersatz

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http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,509637,00.html

Friday, October 05, 2007

Die Last der Lüge - Marion Jones gesteht Doping

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http://www.taz.de/index.php?id=sport&art=5635&id=sport-artikel&src=MT&cHash=e3704540a4

Thursday, October 04, 2007

Exit Zuckerman - Philp Roth gibt seinem Alter Ego den Laufpass

Lesen Sie unter:

http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/?em_cnt=1220015

Wednesday, October 03, 2007

Schwarze als "primitiv" gezeichnet - US TV Serie Cavemen provoziert Bürgerrechtler

Dem US-Autoversicherer Geico ist etwas gelungen, womit sich die Assekuranz-Branche gewöhnlich nicht eben leicht tut. Mit seiner jüngsten TV-Kampagne hat Geico den konservativen Muff abgeschüttelt, der traditionell dem Gewerbe anhaftet und sich als pfiffig, ja sogar als Hip positioniert. Alle Spots ihrer „Caveman“-Serie sind Instant-Klassiker auf Youtube, die Figuren darin – drei ins moderne Amerika verpflanzte Neanderthaler - sind so kultig, daß sich auf Hollywood-Parties und auf der Tribüne bei Baseball-Spielen die Leute zu Heerscharen als Höhlenmenschen verkleiden. So gut haben die „Cavemen“ eingeschlagen, daß das Fernsehnetzwerk ABC ab 2. Oktober mit den drei Primitiven sogar seine Sitcom-Serie startet.

Der Humor der Spots und mutmaßlich auch der Serie beruht auf einer simplen Prämisse: Hinter ihrem vorzeitlichen Äußeren sind Nick, Joel und Andy hoch kultiviert. Sie lesen Tolstoi, spielen Golf, bestellen in ausgesuchten Restaurants Dinge wie Bratente an Mango-Salsa und gehen wie die überwiegende Mehrheit der urbanen US-Elite zum Psychoanalytiker. Alleine wegen ihrer extravaganten Schädelform schaffen sie es jedoch nicht, das Vorurteil der Primitivität abzuschütteln. Und das wiederrum führt zu allerlei tragikomischen Begebenheiten.

So arbeitete im ersten Spot Neanderthaler Nick als Tontechniker an der Aufnahme einer Autoversicherungs-Werbung, bei der der Sprecher den Vertragsabschluss als „so einfach“ anpreist, daß „sogar ein Höhlenmensch“ das hinbekomme. Pikiert schmeißt Nick das Mikrofon hin und stiebt aus dem Studio. Die folgenden Spots spinnen die paradoxe Komik des zivilisierten Wilden immer weiter: Bei einem Abendessen in einem trendigen Lokal versuchen sich die Versicherungs-Manager bei Nick zu entschuldigen, nur um sich dabei in weitere diskriminierende Äußerungen zu verheddern. Das gleiche Schicksal widerfährt Nicks Therapeutin, als sie versucht, die Ursache seiner Depressionen – die permanente Diskriminierung nämlich herunter zu spielen. Und so weiter.

Die Kritik findet das allerdings überhaupt nicht zum Schmunzeln. Bei der Präsentation der TV-Serie Ende Juli war die Atmosphäre alles andere als heiter. Mit den „Höhlenmenschen“, entrüsteten sich die Reporter, das sei ja wohl klar, seien nicht Neanderthaler sondern schwarze Amerikaner gemeint und deren Darstellung als primitiv verstärke auf unverantwortliche Art und Weise rassische Vorurteile. Daß mit den Cavemen eigentlich Menschen dunkler Hautfarbe gemeint seien sei deutlich daran abzulesen, daß sich Nick, Andy und Joel in der Pilot-Episode an den gleichen Klischees abarbeiten müssen, wie gewöhnlich Afro-Amerikaner – daß sie besonders begabte Athleten seien etwa oder besonders gut im Bett.

Das hatten die Produzenten Josh Gordon und Mike Schiff so nicht erwartet. Im Gegenteil - eigentlich dachten sie, ihre Serie sei besonders „PC“ weil sie ja rassische Stereotypen gerade ad Absurdum führt. Und so versuchten sie sich stammelnd herauszureden, in dem sie behaupteten, sie hätten bei der Konzeption der Serie selbstverständlich keine bestimmte ethnische Gruppe im Sinn gehabt. Es sei ihnen vielmehr um eine Art allgemeiner Entfremdungserfahrung gegangen .

Das kauft Gordon und Schiff allerdings niemand so recht ab. „Es ist völliger Unsinn, daß die Produzenten nicht gezielt mit bestimmten Stereotypen spielen“, sagte etwa die schwarze Publizisten Debra Dickerson, die sich in ihren Büchern und Essays mit dem Stand der Rassenbeziehungen in den USA beschäftigt, gegenüber Spiegel Online. Trotzdem kann Dickerson jedoch nicht verstehen, worüber sich die ach so rechtschaffenen Reporter aufregen. „Die Serie ist ganz offensichtlich sowohl von der Machart her, als auch intellektuell billig“, so Dickerson. „Darauf darf man doch gar nicht einsteigen.“ Die Leute, die sich so vorhersehbar über solche Dinge entrüsten nennt Dickerson eine „Bürgerrechtsindustrie“: „Die tun das doch vor allem, um sich selbst zu legitimieren. An den wahren Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft ändern sie hingegen gar nichts.“

In die gleiche Kerbe schlägt der Kulturwissenschaftler Stanley Fish, der die Cavemen-Kontroverse in der New York Times kommentierte. „Das ganze Gerede über Stereotypen dient der amerikanischen Linken doch nur dazu, sich selbst zu beweihräuchern. Man respektiert Gott und die Welt und denkt, man habe damit unheimlich viel bewegt. Dabei hat man gar nichts getan. Respekt ist eine inflationäre Währung“, sagt Fish im Gespräch mit Spiegel Online. Man sollte endlich aufhören, sich darüber Gedanken zu machen, wie welche Gruppe in der Pop-Kultur dargestellt wird und stattdessen anfangen darüber zu reden, warum zu viele Menschen hungrig, arm, ungebildet und obdachlos sind.

Rassendiskriminierung, das glauben US-Intellektuelle wie Fish und Dickerson, ist nicht mehr das große Problem des Landes. Gerade an den „Cavemen“, so Fish, sehe man doch, daß im Mainstream zum Thema Toleranz längst Konsens herrscht: So sehr nämlich, daß eine Komödie, die sich mehr oder weniger erfolgreich gegen Diskriminierung stellt, zur besten Sendezeit läuft. Tabu sei hingegen nach wie vor der viel dringlichere Diskurs über die soziale Ungerechtigkeit des kapitalistischen Systems unter dem Minderheiten aller Toleranz zum Trotz noch immer am meisten leiden. Darüber sollte man laut Fish mal eine Fernsehserie machen. Komisch wäre die allerdings wohl nicht.