Friday, October 26, 2007

On God: Norman Mailer entwirft seine eigene Religion

Lange war Norman Mailers vor rund zehn Jahren veröffentlichtes „Jesus Evangelium“ ein seltsamer Fremdkörper im Lebenswerk des New Yorker Erzählers, ein bizarrer theologischer Ausflug eines Mannes, der sich vorher 50 Jahre lang einen Namen als wohl kaum der Frömmigkeit verdächtiger Chronist seiner Epoche gemacht hatte. Als zu Beginn diesen Jahres nun der erste Roman des jüdisch erzogenen Mailer seit diesem Jesus-Buch, „Das Waldschloß“ in den USA erschien - eine Biographie des jungen Anti-Christen Hitler - schwante so manchem jedoch, daß Mailer sich zum Ende seines Lebens und seiner Schriftsteller-Karriere ernsthaft in Fragen von Gut und Böse, sowie Diesseits und Jenseits verbissen hatte.

Seit vergangener Woche ist nun endgültig gewiß, daß Mailers Gedanken offenkundig schon seit langem vorwiegend um Gott und den Teufel, kreisen. Am letzten Dienstag kam ein Bändchen mit dem Titel „On God“ in die US-Buchhandlungen, in dem Mailer dem Journalisten und Literaturwissenschaftler Michael Lennon die Grundzüge seines privaten Glaubenssystems erläutert. Es ist eine ebenso krude wie erstaunlich elaborierte theologische Konstruktion mit Anleihen bei Milton, den indischen Religionen, der Gnosis und der Manichäer. So ausformuliert ist der Mailerismus, dass man meinen könnte, er habe auf seine alten Tage vor, eine eigene Religion zu gründen.


In „On God“ wird deutlich, dass es Mailer mit dem Teufel in seinem Hitler-Buch tatsächlich ernst gemeint hatte. Der war laut Mailer im „Waödschloß“ personlich zugegen, als Adolf Hitler am 20. April 1889 emfangen wurde. Das Interesse des Leibhaftigen am Fall Hitler hatte die Tatsache erregt, daß der spätere Massenmörder Produkt eines Inzests war – zwischen dem Waldviertler k.und k. Zollinspektor Alois Schicklgruber nämlich und seiner Nichte Klara Pölzl, die bei Mailer auch noch dessen Tochter ist. Der Inzest als Bruch eines der Grundtabus jedweder Zivilisation ließ den „Ganz Bösen“, wie der oberste Dienstherr des Erzählers Dieter bei Mailer heißt, das große Potenzial des jungen Hitler wittern.

Der Roman endet nach rund 470 recht ermüdenden Seiten mit dem Schulabschluß Hitlers, was Hitler mit seinem weiteren Leben anstellt, setzt Mailer als bekannt voraus. Dokumentieren wollte er lediglich, wie der Keim des Bösen gesät wurde und langsam zu sprießen begann. Hitler hatte sich mit allerlei Perversionen vertraut gemacht, hatte gelernt, dass einige Kreaturen sterben müssen, damit andere überleben und daß ein mißhandelter Hund weiterhin sein Herrchen liebt. Sowohl seine Schwester, als auch sein Rektor sagten ihm hellsichtig voraus, dass er wohl nie ein besonders guter Mensch werden würde.

Offensichtlich hatte der Teufel zu diesem Zeitpunkt schon den Kampf um die Seele Adolf Hitlers gewonnen und damit einen absoluten Volltreffer gelandet. Mit Hilfe dieser einen Seele gelang es ihm, das gesamte 20. Jahrhundert nach Punkten für sich zu entscheiden. Als guter Manichäer sieht Mailer die Menschheitsgeschichte als ewiges Ringen zwischen Gut und Böse und glaubt, im Verlauf seines langen Lebens ein deutliches Kippen des Kräftegleichgewichtes zugunsten des Letzteren gesehen zu haben. Der offensichtlichste Beweis dafür sind der Holocaust und die Atombombe, der Zweite Weltkrieg und Vietnam und insgesamt die Tatsache, dass die Menschheit in letzter Zeit ein bislang ungeahntes destruktives Potenzial entfaltet. Im 20 Jahrhundert, so Mailer, hat der Teufel die Technik als seine bislang teuflichste Waffe entdeckt und scheint damit auf dem besten Wege zu sein, sich im ewigen Ringen mit seinem Widersacher zu behaupten.

Um fair zu bleiben – ganz so naiv wie das alles klingt ist Mailers Sicht von Gut und Böse nicht. Sein Glaube ist deutlich weniger karikaturhaft, als etwa der evangelikale Fundamentaslismus. So gesteht er beispielsweise dem Subjekt eine Rolle im großen kosmischen Kampf zu: „Wir sind keine passiven Zuschauer, während Gott und der Teufel Krieg führen“, sagt er, „sondern eine dritte Kraft, die allerdings nicht immer genau weiß, wo sie steht.“ Das Gute und das Böse sind keine reinen Substanzen, wie die Evangelikalen glauben machen wollen, die Fronten verlaufen alles andere als deutlich. Und vor allem ist der Ausgang des Kampfes offen, während bei den Evangelikalen fest steht, daß das Königreich Gottes kommt. Für Mailer kann jedoch alles noch schief gehen und im Moment sieht auch alles danach aus.

So muß man Mailer vielleicht sogar dafür dankbar sein, daß er den Diskurs über das Böse in Amerika nicht den Fundamentalisten überlässt und ihm zumindest vergleichsweise Einiges an Komplexität verleiht. Mit dem gesamten 20 Jahrhundert als Perspektive weiß Mailer einerseits, daß man um das Nachdenken über das Böse nicht umhin kommt und andererseits, daß der Aufenthaltsort des Guten und des Bösen nicht so einfach und schon gar nicht nach Nationalitäten oder Konfessionen geordnet zu bestimmen ist.

Und doch bleibt das Mailer’sche Böse seltsam banal. Im Vergleich etwa zu Hannah Arendts philosophischem Nachdenken über das Böse wirkt sein Theologisieren zuteifst naiv. Nachzuvollziehen ist es allenfalls im Zusammenhang der amerikanischen Geistesgeschichte, in der die Formulierung einer persönlichen, undogmatischen Spiritualität eine lange Tradition hat. Die zahllosen amerikanischen Religionen und Sekten aber auch ernst zu nehmende Denkschulen wie Transzendentalismus und Pragmatismus bezeugen die Macht dieser Tradition, die der Kulturkritiker Harold Bloom in seiner Studie „The American Religion“ als so etwas wie den Grundstock des amerikanischen Nationalcharakters beschrieb. Daß Mailer so freimütig mit Begriffen wie Gut und Böse herum hantiert und sie zu einer Privatreligion formt, wird in diesem Kontext verständlich. Einen aufgeklärten Mitteleuropäer lässt es freilich trotzdem zusammenzucken.