Saturday, September 29, 2007

Amerikas Stehaufmännchen: Rekordquarterback Brett Favre ist nicht tot zu kriegen

So etwas hatte es im Football noch nie gegeben. Minutenlang spendeten am 22. Dezember 2003 die Fans der Oakland Raiders Brett Favre, dem Quarterback der gegnerischen Grennbay Packers nach verlorenem Spiel Szenenapplaus. Und das, obwohl die Raiders-Fans als die streitsüchtigsten und unfairsten Anhänger in der National Football League (NFL) gelten. Favre hatte gerade das Schweinslederei insgesamt 399 Yards weit geworfen, dabei vier Mal einen Fänger gefunden, der damit punktete und seine Mannschaft zu einem 41-7 Sieg über die Raiders geführt. Es war das beste Spiel seiner Karriere.

Aber es war nicht alleine seine Leistung, die Favre die Sympathien der Gegner eintrug. Der Mann aus Mississippi ist eine Ikone, er steht schon lange über kleinlichen Rivalitäten und Provizialitäten. Jeder der Football liebt, liebt auch Brett Favre, auch wenn er die Verteidigung der eigenen Mannschaft wieder einmal schwindlig spielt. Und so werden vermutlich auch an diesem Sonntag wieder die gegnerischen Fans, diesmal die der Minnesota Vikings, dem 37 Jahre alten Kapitän von Greenbay applaudieren. Dann nämlich, wenn Favre zum 421. Mal in seiner nun 16 Jahre alten Profi-Laufbahn eine Vorlage zu einem Touchdown wirft und damit den ewigen Rekord des Über-Quarterbacks Dan Marino bricht.


Warum alle Favre lieben, kann man begreifen, wenn man sich die Umstände jenes Spiels gegen die Raiders 2003 in Erinnerung ruft. Am Abend zuvor war Favres Vater Irvin, der zugleich sein allererster Trainer gewesen war, nahe der Heimat der gemischt cajun-französisch- und indianisch-stämmigen Familie nach einem Herzinfarkt in einen Graben gefahren und eine halbe Stunde später gestorben. Brett entschloß sich, trotzdem aufzulaufen. Schließlich hatte er seit seinem ersten Einsatz als Start-Quarterback der Packers 1992 nicht ein einziges Spiel verpasst. Bis heute lässt sich Favre durch nichts und niemanden davon abhalten, Helm und Schulterpolster anzuziehen und seinen Job auszuüben. 260 Spiele in Folge hat er jetzt zu Buche stehen - ein Rekord, der vielleicht noch beeindruckender und beständiger ist, als die 421 Touchdown-Pässe.

Amerika liebt Favre, der von 1995 bis 1997 drei Mal in Folge zum wertvollsten Spieler der Liga (MVP) gekürt wurde, für diese an Sturheit grenzende Unbeirrbarkeit. Er ist ein klassischer amerikanischer Held, einer wie John Wayne oder wie der legendäre Texas-Gründer Sam Houston, Männer, die man besoffen hinter irgendeinem Gebüsch hervor zerren und auf ihr Pferd setzen konnte und die dann zuverlässig gegen renitente Indianer oder mexikanische Banditen im Dienste des Guten und Gerechten ihre Heldentaten vollbrachten.

Genau so begann die Laufbahn von Favre. Als er erstmals 1987 für sein College Southern Mississippi aufgestellt wurde, musste er sich noch beim Aufwärmen vom schweren Alkoholgenuss in der Nacht zuvor mehrmals übergeben. Trotzdem führte er seine Mannschaft mit zwei Touchdown-Pässen zum Sieg. Immer wieder hatte der harte Mann aus dem Süden seither mit Widrigkeiten zu kämpfen, die andere Footballer vom Spielfeld fern gehalten hätten: Ausgekugelte Schultern, abgesplitterte Knochen, gebrochene Daumen, entzündete Ellbogen, sowie eine schwere Abhängigkeit von Schmerzmitteln. Seine Frau litt unter Brustkrebs und seine Familie verlor im Hurricane Katrina ihr Haus aber Favre tat stets, was Favre tun musste.

Bis vor zwei Jahren waren die Fans in so viel unverblümten Machismo, der so herrlich zu diesem Männer-Sport passt, ganz vernarrt. Doch 2005 drohte die Stimmung gegen Favre zu kippen. Die Packers legten mit gerade einmal vier Siegen bei 12 Niederlagen eine miserable Saison hin und viele glaubten, das läge daran, daß der mittlerweile grauhaarige Favre sich weigere, für Jüngere Platz zu machen. Doch Favre blieb stur, spielte weiter und ist in diesem Jahr so stark, wie schon lange nicht mehr. Drei Spiele in Folge haben die Packers, die 1996 zuletzt die Superbowl holten, zum Saisonstart gewonnen und liegen auf Playoff-Kurs. Und das interessiert Favre wesentlich mehr als der Passrekord. „Wenn wir nicht gewinnen, bedeutet der Rekord gar nichts“, sagt er. Favre will nicht als ein abgehalfterter Star in Erinnerung bleiben, der ein paar Jahre zu lange gespielt hat. Er will bis zum Ende der ewig junge Hitzkopf bleiben, den nichts anficht und der durch nichts tot zu kriegen ist. Und Amerika jubelt ihm dabei wieder zu, wie eh und je. Denn wer will schließlich nicht ein Leben lang 16 sein?