Monday, July 30, 2007

Tour - Quo Vadis?

Paris. Hans-Michael Holczer ist eigentlich ein Mann, der ausgesprochen klar sieht und klar denkt. Aber wenn man den Chef der Berufsradsportgruppe Gerolsteiner fragt, wo seine Branche steht und wo es mit ihr hingeht, weiß er keine Antwort. „Ich bin im Augenblick ehrlich gesagt orientierungslos“, sagt der ehemalige Mathematiklehrer mit den Händen in der Hosentasche und hochgezogenen Schultern. „Es kann alles passieren.“

Eines weiß Holczer allerdings, nämlich, dass die Todesanzeigen für die Tour, die in der vergangenen Woche etwa von der Titelseite verschiedener französischer Zeitungen prangten, voreilig waren. Die Abgesänge auf das größte Radrennen der Welt seien blanke Hysterie - mit der Realität der Tour hätten sie nur wenig zu tun. Der Popularität der Tour hätten die Fälle Rasmussen, Vinokourov und Sinkewitz jedenfalls nur begrenzt geschadet und so lange die Millionen in Frankreich die Strassen säumen, lassen sich auch die Sponsoren nur bedingt vom Doping abschrecken. „Unsere Partner lassen uns nicht fallen“, bekräftigte am Samstag Tour-Chef Christian Prudhomme.

Die Supermarktkette „Champion“, Präsentierer des getupften Bergtrikots, hat sich etwa gerade erst für zwei weitere Jahre der Tour verschrieben. „Wir sind stolz darauf, den Kampf gegen das Doping zu unterstützen“, gibt der Marketing-Direktor von Champion, Eric Marchyllie, vor. Ob Champion wirklich so wegen des Dopings besorgt ist, darf man freilich hinterfragen. Immerhin hat Champion seit Jahren Richard Virenque als Repräsentanten unter Vertrag und Virenque war zwar 1998 in die Doping-Affäre Festina verwickelt. Allerdings ist er auch einer der populärsten französischen Sportler und da nimmt man es mit der Anti-Doping-Haltung nicht so genau.

Weil Fans und Sponsoren das Doping-Thema weit weniger dramatisch bewerten als die Medien, ist die Tour vorerst noch wirtschaftlich quietschgesund. Die Auswirkungen der Dopingskandale werden eher schleichend als katastrophal sein. So richtig werden sie wohl erst spürbar, wenn bestehende Verträge nach und nach neu verhandelt werden. Dann wird sich zeigen, inwiefern die Interessenten das Doping als Grund für eine Preisminderung ins Feld führen können und somit eine noch immer weiträumige Verbreitung ihres Markennamens zum Schnäppchenpreis bekommen.

Aus sportlicher Sicht birgt diese Situation sowohl Chancen als auch Risiken. Das negative Szenario für den Radsport wäre das Modell Astana: Dubiose Investoren kaufen zum Discount dopingbelastete Restbestände auf, um ihre persönliche Eitelkeit zu befriedigen. Um den Sport und dessen Zukunft scheren sie sich wenig, sie führen Mannschaften oder Rennen unseriös und fügen dem ohnehin krisengeschüttelten Sport großen Schaden zu. Sollte sich dieses Modell durchsetzen würde der Radsport wohl endgültig ins Halbseidene abgleiten.

Es kursieren bereits sogar Gerüchte, dass solche Financiers ein Auge nicht nur auf einzelne Teams oder Rennen, sondern auf den Radsport als Ganzen geworfen haben. Hans Michael Holczer schätzt den Wert des gesamten Sports auf derzeit 350 Millionen Euro jährlich, Tendenz fallend. Das ist ein Betrag, den ein einzelner Großinvestor oder eine Investorengruppe – ein Ölmilliardär aus dem Osten oder dem Nahen Osten oder ein chinesischer Konzern etwa -durchaus stemmen könnten.

Auch einem holländischen Investmentfonds wird nachgesagt, den gesamten Sport kaufen zu wollen. Hinter dem Fond steckt der Vizepräsident des Radsport-Verbandes UCI, Hein Verbruggen, der als der starke Mann im Verband gilt. Wegen dessen privater Investment-Interessen mutmaßt Prudhomme auch, dass Verbruggen gezielt die Dopingfälle Sinkewitz und Rasmussen mitten in die Tour hat platzen lassen. Die Skandale sollten den Preis des gesamten Radports inklusive der attraktiven Tour drücken.

Prudhomme hat indes seine eigenen Pläne. Er will – das klang bei seiner feurigen Rhetorik gegen den Verband in den vergangenen Tagen durch - nicht nur die Unabhängigkeit der Tour erhalten; er will mit den anderen Profi-Radrennen, die zur Tour-Gruppe gehören, eine von der UCI-Pro-Tour autonome Rennserie etablieren. Kern der Liga wären die französischen und deutschen Mannschaften, die während dieser Tour eine Vereinigung für einen sauberen Radsport gegründet haben. Mit ihnen und mit jedem, der sich ihnen anschließen möchte, kündigte Prudhomme am Samstag an, werde es einen Gipfel im Oktober geben, bei dem über ein „neues System“ nachgedacht wird. Sogar über die Wiedereinführung von Nationalmannschaften wird in diesem Zusammenhang geredet. Durch ihre offensive Anti-Doping Politik wäre diese Serie dauerhaft glaubhaft für Sponsoren und könnte zudem die Reputation des Radsports ausbessern. Mit ähnlichen Gedanken wie Prudhomme spielen Hans Michael Holczer, T-Mobiles Bob Stapleton, sowie andere, unkonventionell denkende Geister im Profiradsport: Eine unabhängige, rein kommerzielle Rennserie zu starten, die von den progressiven Kräften im Radsport modern geführt und vermarktet wird. Vorbild wären straff gemanagte Profi-Sport Unternehmen wie etwa die Formel 1 oder die US-Footballiga NFL.

Ein seriös geführter, durchkommerzialiserter Sport mit einem eindeutigen Bekenntnis gegen das Doping auf der einen Seite; ein Verramschen und Abgleiten des Sports auf der anderen - das sind wohl derzeit die beiden Richtungen, in die es mit dem Radsport gehen könnte. Bis erkennbar wird, in welche, werden allerdings wohl Monate, wenn nicht Jahre vergehen. Möglicherweise wird der Sport sich auch spalten und sich in beide Richtungen entwickeln. Es wird spannnend sein, diesen Prozess zu beobachten, denn so, wie der Radsport die schlimmsten Probleme des modernen Hochleistungssports verkörpert, könnte er auch aufzeigen, wie die Zukunft des Profi- und Show-Sports als Ganzes aussehen könnte. Eines wird der Radsport allerdings ganz sicher nicht – weil er so zutiefst moralisch verrottet ist durch einen apokalyptischen Feuersturm von der Erde gefegt werden. Auch, wenn die Moralisten unter den Kommentatoren sich das manchmal wünschen.