Sunday, July 29, 2007

UCI VS ASO: Radsport vor der endgültigen Spaltung

Angoulheme. Wenn Marcus Burghardt an die diesjährige Tour zurückdenkt, erinnert er sich vor allem an einen Augenblick. Es war am Schlussanstieg der Alpenetappe nach Tignes und der junge T-Mobile Profi kämpfte weit hinter dem Feld darum, in der Karenzzeit und somit im Rennen zu bleiben. Nur wenige Kilometer unterhalb des Gipfels dann ein Schock – auf der Strasse lag, nach einem Zusammenprall mit einem Zuschauer bewußtlos und schwer blutend, sein Mannschaftskamerad Patrik Sinkewitz. „Ich dachte noch, das ist jetzt unmenschlich hier vorbei zu fahren“, sagt Burghardt, zwei Tage vor Paris auf der Terrasse des Hotels Orsay gegenüber des Bahnhofs von Montauban sitzend. „Aber ich musste doch im Rennen bleiben.“

Als Radprofi bei der diesjährigen Tour de France brauchte man vor allem eine Fähigkeit, um seinen Job zu erledigen, nämlich die, Dinge auszublenden und einfach weiter zu stramplen. Die Tatsache etwa, dass die Tour und der ganze Radsport auf der Kippe stehen und dass niemand weiß wie und ob es mit diesem Sport weitergehen soll. „Ich möchte eigentlich die nächsten zehn Jahre in diesem Sport bleiben“, sagt der 24 Jahre alte Zschopauer etwa. Aber Burghardt weiß auch genau, dass er damit nicht unbedingt planen kann. Niemand weiß heute, in welcher Form der Profi-Zirkus weiter existieren oder was aus der Tour de France wird. Nicht einmal, ob es im kommenden Jahr noch ein Team T-Mobile gibt und Marcus Burghardt noch einen Arbeitsplatz hat, ist sicher.

Eine Entwicklung zeichnete sich immerhin am vorletzten Tour-Tag deutlich ab: Es wird wohl zu einer Spaltung des Radsports kommen. Am Start des Einzelzeitfahrens in Cognac hielten die Tour-Chefs Christian Prudhomme und Patrice Clerc, mit einer Hundertschaft von Reportern im strömenden Regen unter eine Zeltplane gekauert, eine wütende Rede gegen den Radsportverband UCI, der “gewissenlos und machiavellistisch“ die Tour untergrabe. Durch ihre lässliche Haltung habe die UCI der Tour in diesem Jahr „schwere Schläge“ versetzt, beschwerte sich Prudhomme. Und deshalb werde man es sich in Zukunft nicht mehr gefallen lassen, daß dopingverdächtige Fahrer wie Sinkewitz, Moreni und Rasmussen zur Tour zugelassen werden. Deshalb werde sich die Tour aus dem bisherigen System des Profiradsports wohl endgültig ausklinken.

Wie das neue System aussehen solle, so Prudhomme und Clerc, soll bei einem Gipfel im Oktober diskutiert werden, zu dem alle „Kräfte geladen werden, die es mit einem neuen Radsport ernst meinen.“ Klar ist bislang nur soviel: Die Tour-Organisation ASO will in Zukunft absolute Kontrolle darüber, wer bei ihrem Rennen und den anderen Rennen, die sie veranstaltet, mitmachen darf und wer nicht. „Wir werden einen ethischen Pass von jedem verlangen, der bei unseren Wettbewerben startet“, so Prudhomme. Er hoffe zwar sehr, dass sich viele Teams für diesen Weg entscheiden. „Wenn es aber nur 12 anstatt 20 Mannschaften sind, dann halten wir auch eine Tour mit nur 12 Mannschaften ab.“

Pat McQuaid, der Präsident der so böse gescholtenen UCI, stand derweil etwas verloren vor den Gittern des Tour-Village, des Zeltdorfes am Start jeder Etappe, im Regen und wunderte sich über solch offene Feindseligkeiten. Nicht einmal Zutritt zum Village und den anderen abgesperrten Bereichen hatte McQuaid, weil Prudhomme ihn zur unerwünschten Person erklärt hatte. „Ich kann doch gar nichts für die ganzen Dinge, die die Tour mir vorwirft“, verteidigte sich der gedrungene Ire, während er seinen Sakko-Kragen gegen den Niederschlag hochzog. „Ich wollte noch nie der Tour schaden.“ Die Pläne der Tour, sich von der UCI unabhängig zu machen, nannte er „einen großen Fehler“ und „ganz schlecht für den Kampf gegen das Doping.“ Ganz abgesehen davon glaubte McQuaid, habe die Tour-Holding Gesellschaft ASO gar nicht das Recht, sich unabhängig zu machen: „Die Tour gehört nicht der ASO, sie gehört der Radsport-Familie.“

In dieser Formulierung schwang freilich eine Warnung mit und die Tour wird in den nächsten Wochen zu klären haben, unter welchen juristischen Voraussetzungen sie sich überhaupt von McQuaids Organisation lossagen kann. Marcus Burghard und seinen jungen Kollegen bringt diese Sachlage im Hinblick auf ihre Zukunftsperspektive indes im Moment wenig. Es wird noch eine Weile dauern, bis sich die Konturen des Radsports der Zukunft abzeichnen. Bis dahin bleibt den jungen Profis wohl weiterhin nur eines: Strampeln und Ausblenden.