Wednesday, July 18, 2007

Warum die Hysterie? Kommentar zum Fall Sinkewitz

Das Team T-Mobile hat sicherlich gut daran getan, im vergangenen Jahr einen Amerikaner zu seinem Manager zu ernennen. Amerikaner haben, so will es das nationale Stereotyp, eine deutlich höhere Toleranz für die Wirklichkeit als Deutsche. Der Deutsche neigt dazu, die Dinge an einem oft unerreichbaren Ideal zu messen und sich schlecht gelaunt und beleidigt von ihnen abzuwenden, wenn sie sich weigern, diesen Idealen zu entsprechen. Amerikaner hingegen sind Pragmatiker und finden sich mit der Unvollkommenheit der Welt ab, ohne daran zu verzagen.

Solche nationalen Stereotypen treffen bekanntlich nicht immer zu aber doch meistens. Man nehme beispielsweise die Reaktion von Bob Stapleton auf die positive Dopingprobe von Patrick Sinkewitz. Sicher war der Mann aus Seattle nicht erfreut darüber, aber es war für ihn auch kein Grund, apokalyptische Töne anzustimmen und dem Radsport enttäuscht den Rücken zu kehren. Er wertete es als Zeichen dafür, dass man Fortschritte im Dopingkampf gemacht habe – schließlich wurde Sinkewitz ja erwischt. Und er wertete es zugleich als offensichtlches Zeichen dafür, dass es noch viel zu tun gibt. Vielleicht sogar als Zeichen dafür, dass es einen ganz sauberen Sport nie geben wird. Was aber für ihn ganz gewiss kein Grund ist, dieses Ideal nicht weiter anzustreben.

Die deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender hingegen wandten sich innerhalb von nur zwei Stunden nach der Meldung über die Dopinprobe von Sinkewitz von der Tour und vom Radsport ab. Radsport soll nur gezeigt werden, so die in dieser Geste implizierte Politik, wenn er hundertprozentig sauber ist. Unter dieser Prämisse war es freilich bereits naiv überhaupt zur Tour anzureisen. Hat man denn ernsthaft geglaubt, dass es ein Jahr nach der Operacion Puerto kein Doping im Radsport mehr gibt?

Ganz abgesehen davon, dass auch ein durch und durch verseuchter Sport ein Gegenstand journalistischer Betrachtung wäre, tut man mit einer solchen Haltung dem Radsport und mit ihm dem Sport insgesamt unrecht. Es fehlt in Deutschland manchmal am Maß in der Betrachtung. Der Radsport ist vermutlich nicht hundertprozentig versaut und er wird vermutlich nie hundertprozentig sauber sein. Aber wenn man sich von allen Dingen in der Welt abwenden wollte, die moralisch nicht hundertprozentig rein sind, bliebe nicht viel übrig.

Fest steht: Die Tour de France ist ein faszinierendes Ereignis, das Millionen von Menschen fesselt und zueinander bringt. Fest steht auch, dass es im Radsport Kräfte gibt, die sich einen fairen Wettbewerb wünschen und die beträchtliche Anstrengungen unternehmen, diesen zu gewährleisten. Sicherlich gibt es gerade im Radsport auch starke und einflussreiche Kräfte, die an der Betrugskultur hängen, die diesen Sport seit Jahrzehnten prägt. Der Radsport gibt eben vorläufig ein kompliziertes, unaufgeräumtes Bild ab. Ein Bild, das aber gleichzeitig interessant ist und in dem sich viel bewegt. Amerikaner wie Bob Stapleton können mit dererlei Unaufgeräumtheiten und Gemengelagen gut leben, sie wissen sie sogar zu schätzen. Wir könnten uns in dieser Hinsicht von ihnen etwas abschauen.