Friday, July 13, 2007

Männer der Schmerzen

Schon lange sind die Etappen bei der Tour de France nicht mehr so langsam wie in diesem Jahr, gerade einmal 37 Stundenkilometer war das Peloton am Freitag im Schnitt durch die Bourgogne gegondelt. Das sind fast fünf km/h langsamer als im vergangenen Jahr über die gesamten Strecke rund um Frankreich und doch war es einer der härtesten Renntage in der Laufbahn von Alexander Vinokourov und Andreas Klöden. Wenige Kilometer vor dem Ziel des Tagesabschnitts, den Tom Boonen in einem Spurt gewann, mit dem er Erik Zabel das Grüne Trikot wieder entriss - schlug Vinokourov drei Kreuze. So dankbar war der eigentlich gar nicht fromme Kasache, dass er diesen Tag überstanden hatte.

Fünfeinhalb Stunden hatten er und Klöden sich unter starken Schmerzen bei hochsommerlicher Hitze über mittelfranzösische Landstrassen gequält. „Andreas hatte starke Beschwerden beim Sitzen und Alexander konnte kaum Kraft auf die Pedale bringen“, berichtet im Ziel der Sportliche Leiter des Teams, Mario Kummer. „Zum Glück war das heute eine Bummeletappe.“ Wäre es wie zu Armstrongs Zeiten im Feld zur Sache gegangen, hätten die beiden Tour-Favoriten möglicherweise gestern schon die Segel streichen müssen. Nach schweren Stürzen am Donnerstag sind die beiden Astana-Vorfahrer schwer lädiert: Andreas Klöden hat einen Haarriss am Steißbein, Alexander Vinokourov tiefe schmerzhafte Fleischwunden an beiden Knien.

Doch so schnell geben sich Helden nicht geschlagen. „Ich akzeptiere das Leiden“, hatte Alexender Vinokourov am Start gesagt. „Ich hatte eine schlimme Nacht“ beschrieb Andreas Klöden seinen Zustand. „Aber ich werde alles versuchen.“ Schließlich ruhen ja die Erwartungen der ganzen kasachischen Nation auf Vinokourov und Klöden. Der radsportverrückte Verteidigungsminister Danial Achmetov hat immerhin für vier Jahre jeweils zwölf Millionen Euro bei sieben kasachischen Konzernen locker gemacht, damit das an Uran-, Zink-, Stahl- und Ölvorkommen reiche zentralasiatische Land sich als aufstebende Wirtschaftsmacht in das westliche Bewusstsein drängt. Am besten, indem gleich zwei Mann mit den kasachischen Landesfarben auf dem Trikot in Paris auf dem Siegerpodest stehen.

Dieses große Ziel ist jetzt jedoch erst einmal aus der Greifweite des kasachischen Vorradlers Vinokourov und seines deutschen Stellvertreters Klöden entrückt. Dafür machten die beiden am Freitag als echte Radsport-Heroen auf sich aufmerksam, als Männer, die unvorstellbare Qualen auszuhalten bereit sind. Und das ist der Stoff, aus dem Tour-Legenden geboren werden. Tour-Chef Christian Prudhomme, bezeichnete einmal das Leiden als die Essenz des Mythos Tour de France. Insofern sind die beiden Astana-Männer tapfere Botschafter nicht nur des Heimatlandes ihrer milliardenschweren Sponsoren, sondern auch brave Arbeiter an der französischen Nationalmythologie.

Der letzte große Mann der Schmerzen bei der Tour war 2003 der Amerikaner Tyler Hamilton, der mit einem gebrochenen Schlüsselbein Gesamtvierter wurde und eine Etappe gewann. Er stürzte während der ersten Etappe, man konnte ihm mit einer wohligen Mischung aus Sadismus, Mitgefühl und Bewunderung genüßlich drei Wochen lang dabei zusehen, wie er mit von der Pein entstellten Gesichtszügen Millionen von quälenden Pedaltritten erduldete. Hamilton war der Publikumsliebling jener Tour, die Radsportwelt vergötterte ihn. Jedenfalls bis er im Jahr darauf wegen Blutdopings aus dem Verkehr gezogen wurde. Man mag die Martyrer, sie machen die Tour erst so richtig schön. Wenn sie zwielichtige Mediziner konsultieren, um das alles leichter oder wenigstens schneller zu überstehen, mag man das hingegen nicht so gerne. Insofern sollte man sich vielleicht wünschen, dass Vinokourov und Klöden den Mut haben, bald auszusteigen. Es ist allerdings zu befürchten, dass ihre ein Leben lang eingeübte Radlermentalität sie dazu treibt, durchzuhalten.

Sebastian Moll