Wednesday, July 11, 2007

"Billig und unsensibel". Wie ausländische Tour-Journalisten die Doping Hysterie in den deutschen Medien beurteilen


Als Fabian Cancellera am Montagnachmittag mit einem fulminanten Antritt über den Schlossplatz von Compiegne dem Etappensieg entgegenstob, hielt es niemanden mehr auf den schlichten Holzstühlen, die in der Turnhalle des örtlichen Gynasiums für die schreibenden Journalisten aufgereiht waren. Die gewöhnlich eher abgerühten Reporter scharten sich um die Fernsehbildschirme, hielten wie gemeine Fans den Atem an und brachen in Szenenapplaus aus, als Cancellara nur Zentimeter vor Erik Zabel sein Rennrad über die Ziellinie drückte.

„Sicher weiß ich, welche Probleme dieser Sport hat“, sagte der Korrespondent der Pariser Sportzeitung L’Equipe, Phllippe LeGars, der auch stehend applaudiert hatte, kurz darauf. „Aber es ist doch noch immer ein schöner Sport.“ Seine Leidenschaft für den Sport, so LeGars, sei gewiss nach der Festina Affäre 1998 einer gewissen Desillusionierung gewichen, aber sie sei noch immer vorhanden. Er passe bei seinen Berichten seither auf, nicht mehr in Überschwenglichkeit zu verfallen und Superlative sowie Adjektive wie „heroisch“ und „grandios“ zu vermeiden. Aber er berichte selbstverständlich weiter über Radrennen. Es seien schließlich Ereignisse wie jedes andere auch und er empfinde es als seine journalistische Pflicht, sie zu würdigen.

LeGars’ Meinung entspricht der Mehrheitsmeinung im internationalen Pressetross bei der Tour de France. Alle französischen Zeitungen sowie der International Herald Tribune beispielswiese machten am Dienstag ihre Sportseite mit dem Sieger Cancellara auf, selbst die bürgerliche LeMonde, die sich seit Jahren mit ihrer harten Linie profiliert, wenn es um Doping geht. Alleine der Figaro widmet sich auf seiner zweiten Sportseite in einem Interview mit dem früheren Tour-Sieger Laurent Fignon dem Thema Doping. Die Berichterstattung zur Tour de France ist hierzulande schon längst zur Normalität zurückgekehrt.

Die Tatsache, dass sich viele deutsche Medien noch immer in das Dopingthema verbeissen, befremdet viele Journalisten bei der Tour. „Sicher berichte ich über Doping, wenn es morgen einen neuen Fall gibt“, sagt etwa Samuel Abt, der seit 30 Jahren für die New York Times und den International Herald Tribune die Tour begleitet. „Aber im Moment muss man das Thema doch an den Haaren in die Tour hereinschleifen.“ Die Entscheidung einiger deutscher Zeitungen, den Sport zu ignorieren und die gesamte Veranstaltung nur noch als Treffen einer organisierten Verbrecherbande darzustellen, hält Abt für „billig und unsensibel.“ Es sei verabscheuungswürdig und arrogant, so Abt, „jegliche athletische Anstrengung als unwürdig abzutun. Zumal in Deutschland zwei Mannschaften mit jungen Leuten sich bemühen, alles richtig zu machen.“ Das Dopingproblem, so Abt, sei ja schließlich nicht neu und er frage sich, wo denn die ganzen investigativen deutschen Reporter 1997 gewesen seien, als das gedopte Team Telekom die Tour gewann. Damals, so Abt, habe er aus Deutschland nicht viele Fragen gehört.

Andere Kollegen haben ein wenig mehr Verständnis als Abt für die Reaktion der deutschen Medien auf die Enthüllungen der vergangenen Monate. „Das war bei uns nach dem Festina-Skandal 1998 genauso“, sagt Phillippe LeGars. Auch Lars Werge vom dänischen „Ekstra Bladet“ findet das „normal“. „Als sich 1999 der Verdacht gegen Riis immer mehr verdichtete, haben wir uns auch beinahe ausschließlich auf Doping konzentriert.“ Allerdings, so Werge, habe das nach etwa zwei Jahren sowohl die Journalisten, als auch die Leser ermüdet und man sei zu einer gemischteren Themenauswahl zurück gekehrt. Ganz auf die Berichterstattung über den Radsport zu verzichten, sei indes nie in Frage gekommen.

„Ich kann als Journalist ja auch nicht den Irak Krieg ignorieren, nur weil ich ihn nicht mag“, stimmt Phillippe Le Gars Werges Einschätzung zu, dass man die Tour als Reporter nicht übergehen kann. Der Journalist, so LeGars, sei doch vor allem Zeuge und Beobachter. „Ich bin nicht allwissend. Ich habe 1996 auch Bjarne Riis als großen Champion bezeichnet.“ Sicher, so LeGars, wisse er jetzt mehr, aber man können eben immer nur mit dem arbeiten, was man jeweils weiß und wahrnimmt. Die Lehre daraus sei für ihn, so LeGars, dass „der Sport ein offenes Buch ist, das immer weiter geschrieben wird und nie zu Ende ist.“ Die Suche nach letzten Wahrheiten und abschließenden Urteilen hat er schon lange aufgegeben.

Sebstian Moll