Tuesday, June 19, 2007

Das Buch als Fanartikel- Kandidatenliteratur im Präsidentschaftswahlkampf

(Literaturen, Nr 7/2007)

Es dauert noch beinahe anderthalb Jahre, bis Amerika einen Nachfolger von George Bush in das Weisse Haus wählt, aber man gewinnt bisweilen den Eindruck, dass es nur noch ein paar Wochen sind. Aus jeder der beiden Parteien haben knapp ein Dutzend Politiker offiziell ihre Kandidatur bekannt gegeben, obwohl ein solches Abenteuer selbst beim Ausscheiden in der Vorwahl eine acht - bis neun stellige Summe kostet. Die demokratischen Herausforderer halten untereinander bereits Fernsehdebatten ab, die politischen Blogs – seit der überaus erfolgreichen, internetgestützten Kampagne von Howard Dean vor vier Jahren ein unverzichtbares Wahlkampfinstrument - laufen auf Hochtouren. 20 Staaten haben die Vorwahl zur Begrenzung der Kandidatenfelder um Monate vorverlegt – Amerika kann es nicht erwarten, George Bush endlich los zu werden.

Wie weit das Rennen um die Präsidentschaft fortgeschritten ist, ist allerdings bislang wohl noch nirgends so deutlich sichtbar, wie in amerikanischen Buchläden. Die Grabbeltische und Displayregale an den Eingängen überborden mit politischen Büchern. Da drängeln sich die Memoiren des zurückgetretenen CIA-Chefs George Tenet neben ein Traktat des Senators Charles Schumer darüber, wie das Amerika nach George Bush die schwindende Mittelklasse wiederbeleben musss. Gleich sieben Neuerscheinungen entwerfen Strategien für einen Wahlsieg der Demokraten. Am prominentesten ausgestellt werden jedoch die Kandidaten-Bücher – eine Genre für sich, das Autobiografie und Manifest in unterschiedlichster Abmischung und Qualität miteinander vermengt. Fünf neue dieser Werke sind auf dem Markt, sämtlich mit dem Konterfeit des Bewerbers auf dem Umschlag; unzählige ältere aus vorangegangen Kampagnen stehen neu aufgelegt daneben.

Ein Buch zu schreiben ist in den USA zu einer Standard-Wahlkampfmaßnahme für jeden ambitionierten Politiker geworden. Es wird abgehakt, wie die Produktion eines TV-Werbespots, wie die Wahlkampfreden in den Schlüsselstaaten, die Fernsehdebatten und seit neuestem der Blog. Die Verlagsbranche spielt willig mit: „Es ist für jeden Verlag ein unwiderstehliches Geschäft“, gab Verleger David Rosenthal jüngst gegenüber der New York Times zu. „Man bekommt jemanden mit einem hohen Bekannheitsgrad sowie eine Gratis PR-Kampagne frei Haus geliefert.“

Erstaunlicherweise ist für die Kandidaten das Geschäft ähnlich risikolos. Eigentlich müsste man meinen, dass ein gescheiterter Versuch, die eigene Biografie zu einem Bildungsroman zu formen und dabei obendrein ein kohärentes Weltbild zu artikuieren politisch einigen Schaden anrichten kann. Dem ist allerdings anscheinend nicht so. Das Buch von George Bush aus dem Jahr 2000 wurde etwa von der Kritik als „erweiterte Wahlkampfrede“ abgetan, man erfuhr weder etwas Substantielles über Bushs Persönlichkeit noch über seine politische Philosophie, soweit vorhanden. Dennoch wurde Bush gewählt.

Ein Grund dafür, dass die Kandidaten-Literatur zumindest wegen ihres Inhalts politisch folgenlos bleibt, ist, das sie ganz einfach nicht gelesen wird. Bei einer Umfrage der New York Times gaben 70 Prozent der Käufer zu, dass sie überhaupt nicht vor hätten, die Bücher, die sie gekauft haben, auch zu lesen, 15 Prozent waren noch unentschlossen. Nur 15 Prozent wollten tatsächlich wissen ob der Autor überhaupt etwas zu sagen hat und gegebenfalls was. Als Grund dafür, das Buch zu kaufen, wurde vor allem genannt, dass man seine politische Anhängerschaft demonstrieren wolle. Das Buch ist eine Art Fanartikel, wie die Mütze des favorisierten Baseballvereins.

Für die Kandidaten zahlt sich indes das Bücherschreiben beziehungsweise Schreiben-Lassen aus, obwohl kaum jemand die Werke liest. Denn um das Lesen geht es eigentlich gar nicht. Es geht darum, mit einem Foto in den Regalen der Buchhandelsketten und auf den Anzeigenseiten der Magazine präsent zu sein und anlässlich des Erscheinungstermins zu Radio- und Fernsehtalkshows eingeladen zu werden. Und es geht darum, das allgemeine Interesse an der eigenen Person zu eruieren. So entschloss sich Barack Obama nicht zuletzt deshalb zu seiner Kandidatur, weil seine „Gedanken zur Rückeroberung des amerikanischen Traumes“ mit anderthalb Millionen verkauften Exemplaren ein Bestseller war.

Dass ein Politiker ohne wahlstrategische Hintergedanken ein Buch schreibt ist man indes gar nicht mehr gewohnt. So mag dem früheren Vizepräsidenten Al Gore angesichts seiner unermüdlichen Autorentätigkeit niemand glauben, dass er keine Ambitionen hat, ins Weisse Haus einzuziehen. Nach seinen zwei wohlrecherchierten populärwissenschaftlichen Bestsellern zum Klimawandel wäre er nämlich für eine Kampagne hervorragend positioniert. Im Mai kommt Gore mit dem Buch „Angriff auf die Vernunft“ in die Buchhandlungen. In dem Buch beklagt Gore, wie es heisst, den Niedergang der Rationalität im öffentlichen Diskurs. Die Spekulationen, dass er anlässlich der Publikation doch noch seine Kandidatur bekannt gibt, wollen nicht abreissen. Dabei will Gore vermutlich einfach nur gelesen werden.

Sebastian Moll