Monday, May 28, 2007

Lokalnachrichten vom anderen Ende der Welt - Zwei Reporter in Mumbai berichten per Internet über eine kalifornische Kleinstadt

James MacPherson kann nicht so ganz verstehen, warum ausgerechnet er jetzt alles abkriegt. Die Nachrichtenagentur Reuters, klagt der Herausgeber einer lokalen Nachrichtenwebsite in Pasadena, einem Vorort von Los Angeles, habe schließlich schon seit zwei Jahren ein Büro in Bangalore. Dort sitzen mittlerweile 1,600 Journalisten, von denen mehr als 100 aus der Ferne über den US – Finanzmarkt berichten. Aber wenn er mit seinem Kleinstbudget zwei kostengünstige Journalisten in Mumbai anheuere, dann sei das Geschrei groß.

Man muss dem Mann recht geben, die Globalisierung des Journalismus hat er nicht erfunden. Dennoch erregte seine Geschichte in den vergangenen Wochen in den USA deutlich größeres Aufsehen als weiland das Outsourcing bei Reuters. Denn wesentlich deutlicher noch als die Entscheidung des Nachrichtenriesen führte MacPhersons Auftragsvergabe vor Augen, was konsequentes Denken in weltwirtschaftlichen Zusammenhängen aus der Nachrichtenbranche machen kann. Die beiden Billigschreiber in Mumbai berichten für MacPherson über Dinge wie die Stadtverordnetenversammlung zur gestiegenen Kriminalitätsrate in Pasadena oder die Erfolge des örtlichen Softball-Teams. Lokalnachrichten vom anderen Ende der Welt – der Fall von MacPhersons website Pasadena Now stellt alles auf den Kopf, was man sich gemeinhin unter Journalismus vorstellt.

Für MacPherson war der Schritt, sich Reporter in Indien zu suchen, trotz aller scheinbaren Absurdität keine „verschrobene Schnapsidee eines Hinterwäldlers“, wie er sagt, sondern eine nüchterne Geschäftsentscheidung. Seit Jahren, so MacPherson, habe er in Kalifornien nach kompetenten Journalisten gesucht, die jene Qualität liefern, die er sich für seine website wünscht. Doch im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten, waren keine zu finden: „Entweder sie kosteten zu viel oder sie waren zu unerfahren oder sie hatten keine Lust, bis ein Uhr früh Stadtverordnetenversammlungen zu besuchen. Ich hätte hier für einen vernünftigen Reporter etwa 4,500 Dollar im Monat ausgeben müsse. In Indien bezahle ich etwa 1,000.“ Dafür bekommt MacPherson von jedem Reporter zwei Berichte pro Tage, sechs Tage pro Woche, plus wöchentlich zwei Features im Umfang von rund 700 Wörtern.

Die Wahl von Indien als Standort für seine neuen Mitarbeiter fiel MacPherson nicht schwer. Das Land hat eine hohe Dichte an Akademikern, deren zweite Muttersprache Englisch ist und die in England oder in den USA ausgebildet worden sind. Einer der Schreiber in Mumbai, freut sich MacPherson,. habe sogar in Kalifornien studiert und kenne Pasadena. Obendrein war die Rekrutierung in Mumbai denkbar simpel – das computerfreundliche Land ist ausgezeichnet mit den USA vernetzt. So hat die website Craigslist – ein kostenloser Online- Kleinanzeigenmarkt für alle größeren US-Städte – Ableger in Mumbai, Bangalore und Neu Delhi. Innerhalb von Stunde,n nachdem er auf Craigslist unkompliziert die Stelle ausschrieb, hatte MacPherson bereits zwei passende Bewerber gefunden.

Die beiden Tele-Reporter werden von MacPherson und dessen Kollegen in Pasadena mit Informationspaketen für ihre Geschichten versorgt: Niederschriften von Interviews, Hintergrundinformationen, in manchen Fällen Videos. Die Stadtverordnetenversammlungen von Pasadena können sie sich teilweise sogar per webcast live im Internet anschauen. Ihre Arbeit, so MacPherson, bestehe im rein mechanischen Ausformulieren dessen, was er ihnen vorgibt: „Ich entscheide noch immer selbst, was in eine Geschichte kommt und was nicht und worauf es ankommt. Ich habe nur nicht die Zeit, mich hinzusetzen und die Dinge auf den Punkt zu bringen.“ Wirklich journalistisch, darauf besteht MacPherson, sei die Leistung seiner Indian Connection jedoch nicht. Die journalistische Kompetenz sei nach wie vor Made in USA.

Trotzdem muss sich der findige Internet-Publizist harsche Kritik gefallen lassen. „Das ist ein wahrhaft trauriges Bild dessen, was aus dem amerikanischen Journalismus werden könnte“, kommentierte etwa Bryce Nelson, Journalismus-Professor und Bürger von Pasadena die neuen Praktiken von Pasadena Now. Niemand, der bei Trost sei, würde jemandem seine Berichterstattung anvertrauen, der die Personen und Institutionen nicht einschätzen kann und der nicht vor Ort ist, um Zwischentöne aufzuschnappen.

Entrüstete Traditionalisten wie Nelson werden es allerdings wohl kaum schaffen, den Trend aufzuhalten, der am Beispiel von Pasadena Now so drastisch deutlich wird. Die Medienbranche ist schon lange nicht mehr von den Mechanismen des globalen Marktes ausgenommen – schon gar nicht in einer Zeit, in der Auflagen und Anzeigenaufkommen sinken, der Kostendruck auf die Verlagshäuser steigt und die Möglichkeiten des Internet es schwer machen, den Verlockungen zum Auslagern zu widerstehen. So hat die World Association of Newspapers Ende des vergangenen Jahres in einer Umfrage unter 350 Nachrichtenorganisationen in Asien, Amerika und Europa ermittelt, dass beinahe alle dieser Firmen Pläne haben, Teile ihres Geschäfts in Billiglohnländer zu verlagern. Reuters ist mit seinen Wall-Street-Reportern in Bangalore ein Pionier dieser Entwicklung aber schon lange nicht mehr alleine: Neben Pasadena Now haben bereits ein gutes Dutzend amerikanischer und britscher Zeitungen Teile ihres Betriebs nach Indien ausgelagert.

Verfechtern des konventionellen Vor-Ort- Journalismus bleibt angesichts dieses Trends nur noch die Hoffnung, dass die Leser auf Dauer den Qualitätsunterschied zwischen originärer Berichterstattung und dem Abschreiben von Videokonferenzen spüren. „Der Journalismus ist die einzige Branche, die glaubt, es würde keiner merken, wenn man das Produkt systematisch schlechter macht“, sagt Robert Gunnison, Journalismus-Professor an der Universität Berkeley in San Francisco. Die Leute, glaubt Gunnison, würden jedoch genau merken, ob sie in „einem Motorrad oder in einem klimatisierten Reisebus“ durch die Nachrichtenlandschaft fahren. Und wer an das Motorradfahren gewöhnt ist, davon ist Gunnison überzeugt, der steigt nicht so schnell wieder in einen Bus, wenn er es vermeiden kann.
Sebastian Moll