Monday, May 21, 2007

Kultur ohne Erinnerung - Don DeLillos neuer Roman Falling Man

Der Tagesspiegel, 21.5.2007


Früher oder später musste wohl ein 9-11 Roman vom Don DeLillo koomen. Kein anderer amerikanischer Schriftsteller war so für dieses Thema prädestiniert, wie der vielleicht tiefgründgste Kritiker und Chronist der amerikanischen Kultur nach 1945. Die großen Themen, über die seit 2001 gesprochen wird, sind Themen, die DeLillo seit Jahrzehnten beschäftigen: Amerikanische Hybris und die Provokation, die sie darstellt, Terrorismus und religiöser Fanatismus, vor allem jdeoch die Undurchdringlichkeit der Medienbilder, die jegliches Ereignis im Moment seines Auftretens in Geschichte verwandeln und wirkliches Verstehen dauerhaft verhindern. Wenn Osama Bin Laden ihm nicht zuvor gekommen wäre, hätte Don DeLillo sich sicherlich irgendwann so etwas wie den 11. September ausgedacht.

Nun ist Bin Laden DeLillo aber zuvor gekommen und der Autor, der seinen Berufsstand schon in seinem Roman „Mao II von 1991“ in direkter Konkurrenz zu dem von Bin Laden sah, ist seither ungewohnt wortkarg. 2003 kam DeLillo mit der etwas blassen Novelle „Cosmopolis“ auf den Markt, die den 11. September völlig ausblendete und dafür auch heftig kritisiert wurde. Und sein neues Werk „Falling Man“, das sich direkt mit 9-11 auseinander setzt, bleibt nach den großen kulturkritischen Entwürfen DeLillos in „White Noise“ und vor allem in seinem Joyce-haften Opus von 1997 „Underworld“ der Tragweite des Ereignisses auf den ersten Blick seltsam unangemessen.

Falling Man wirkt zunächst so, als habe DeLillo sich eher widerwillig dem Druck gebeugt, auch etwas zum 11. September zu sagen, obwohl er alles, was das Ereignis und dessen Folgen begreifbar machen könnte schon tausend Mal gesagt hat. Wie um den Erwartungen einer großen zusammenhängenden Deutung von 9-11 auszuweichen, konzentriert sich DeLillo auf den Alltag einer New Yorker Kleinfamilie im Jahre 2001 in seiner ganzen Trivialität. Der 11. September frisst sich zwar in das Leben von Lianne und Keith und ihrem Sohn Justin, nicht jedoch als großes einschneidendes Ereignis. Es bietet keine plötzliche befreiende Erkenntnis und es erlöst sie auch nicht aus ihrer grundsätzlichen Desorientierung und Verlorenheit. Im Gegenteil, er verstärkt diese nur. Mehr passiert in Falling Man nicht, der große kulturtheoretische Essay in Romanform, der an Underworld und White Noise anknüpft, findet nicht statt.

Man tut DeLillo jedoch Unrecht tun, wenn man ihm wie zahlreiche Kritiker in den USA unterstellt, dass er aus Ideenlosigkeit und vielleicht auch Lustlosigkeit in die Banalität abgeglitten ist. Vielmehr ringt DeLillo in Falling Man, vor aller Augen damit, was Schreiben nach dem 11. September überhaupt noch sein oder bedeuten kann. Auch wenn die Frage etwa in Jonathan Safran Foers und in Ian McEwans 9-11-Romanen mitschwingt ist Falling Man das erste Buch, das sich dieser Frage in ihrer ganzen Tiefe stellt, auch wenn sie letztlich nicht restlos beantwort wird.

Da ist etwa der Kreis von Alzheimer Patienten, den Lianne nach dem 11. September zu betreuen beginnt. Sie macht Schreibübungen mit den Patienten, lässt sie Erinnerungen, so weit vorhanden oder Geschichten auzeichnen. „Sie erschrak manchmal“, schreibt DeLillo, „angesichts der Ausfälle, der finsteren Vorboten eines Geistes, der jene Haftreibung verliert, die Individualität ermöglicht. Sie steckten tief in der Sprache, den verdrehten Buchstaben, dem verlorenen Wort am Ende eines sich abkämpfenden Satzes.“ Dennoch ist der Kurs nach dem 11. September ein voller Erfolg – „unaufhaltsam“ wollen Liannes Schützlinge über das eine Thema schreiben, das sie alle nicht mehr loslässt: „Die Flugzeuge“, wie DeLillo das Attentat auf das World Trade Center zumeist abkürzt.

Die Schreibgruppe der Erinnerungslosen ist nicht die einzige Metapher für das Schreiben nach dem 11. September in Falling Man – es wimmelt davon. Da ist etwa Justin, der Sohn der Famlie, der es sich auferlegt hat, nur noch in einsilbigen Worten zu sprechen: „Es hilft mir dabei, mein Denken zu verlangsamen“, begründet der Teenager die Übung. Eine Kultur die das Reden und das Reflektieren verlernt hat, die kein Gedächtnis und keine Identität mehr hat, wacht in Falling Man auf und bemüht sich mit rührender Vergeblichkeit, das schon lange Verlorene wieder zu gewinnen: Sprache, Bedeutung, Sinn.

Es ist ein Gemeinplatz, Don DeLillo der Postmoderne zuzurechnen, auch wenn er sich stets gegen dieses wie gegen alle anderen Labels gewehrt hat. Unbestreitbar ist jedoch, dass der Verlust einer konsensfähigen Realität eine Grundprämisse von DeLillos Werk bis 2001 war. Die Kennedy-Ermordung beispielsweise hat DeLillo in „Libra“ ja vor allem deshalb gefesselt, weil sie einen solchen Konsens in Amerika endgültig zerschlug. Nach einem halben Jahrhundert im Nebel der Virtualität, der nicht zuletzt auch das Werk von DeLillo antrieb, versucht Amerika jetzt, stotternd und stammelnd so etwas wie Verbindlichkeit und Wirklichkiet wieder zu gewinnen.

Doch dafür ist es vielleicht zu spät. Keith, die Hauptfigur von Falling Man – dem der Titel des Romans ebenso gilt, wie einem Performance-Künstler, der den Todessturz aus dem World Trade Center nachstellt – endet auf der Suche nach Halt als Dauergast im Unterhaltungsnirvana Las Vegas. Er kann nicht anders, als sich sich in seinem verzweifelten Verlangen nach Authentizität völlig im Ersatz aufzulösen. Etwas anderes hat er nicht gelernt. Sein Gegenpol, der Terrorist Hamad, optiert hingegen, von denselben Gefühlen der Abgestumpftheit und Uneigentlichkeit geplagt, zum Selbstmordattentat. Das sind die Optionen, die die Welt nach dem 11. September, wie DeLillo sie sieht, anzubieten hat.

So ist Falling Man letztlich beim genaueren hinschauen doch jene Art von Kulturdiagnose, die man von DeLillo erwartet. Dass er diese in einer scheinbar unterkomplexen Erzählung unterbringt, ist dabei wohl weniger ein Versagen im Angesicht der Post-9-11-Welt, als vielmehr ein Etappenerfolg bei der redlichen Suche nach einer angemessenen Kunst für das neue Jahrtausend.