Wednesday, July 25, 2007

Prudhommes Träumereien

Christian Prudhomme wurde richtig gehend böse am Dienstagnachmittag im Kongressszentrum von Pau. Der Tour de France-Direktor schlug mit der Faust auf den Tisch, erhob die Stimme und bediente sich der martialischen Rhetorik des „Krieges“ gegen die Betrüger, in dem „Schlachten gewonnen und verloren“ werden, in dem jedoch er und die Seinen mit äußerster Bestimmtheit voran schreiten werden. So viel mannhafte Leidenschaft passt eigentlich gar nicht so recht zu dem milchgesichtigen 46-Jährigen mit dem sauber gezogenen Scheitenscheitel und den gestärkten Hemdkrägen, der immer noch ein wenig aussieht, wie der Streber aus der Parallelklasse.

Aber Prudhomme kämpft schließlich für die „Träume seiner Kindheit“, wie er sagt und da kann man auch mal ein bißchen aus sich heraus gehen. Vor allem, wenn diese Träume gleich von so vielen Bösewichtern bedroht werden. Schon als Junge hat Prudhomme, wie die meisten kleinen Franzosen, die Tour de France geliebt, ihre Helden und deren legendäre Taten an mythischen Orten angehimmelt. Und jetzt kommen da die Vinkourovs dieser Welt und machen ihm sein schönes Spielzeug kaputt, weil sie lügen und betrügen und sich mit Hilfe von Fremd- oder Kunstblut zu Dingen aufschwingen, zu denen sie eigentlich gar nicht fähig sind. „Raus mit Euch“, rief Prudhomme deshalb der Kasachenbande aus Astana zu, „Euch brauchen wir hier nicht. Euch werden wir das Feld nicht überlassen.“ Doch damit waren die kriegerischen fünf Minuten des braven Herrn Prudhomme noch nicht vorbei. Er kündigte eine Revolution in der Dopingbekämpfung an, von der Laxheit und Trägheit der Verbände hat er die Nase voll. Die Fahrer müssten begreifen, wiederholte der Steifkragen in Sherriff-Laune etwa zehn Mal, dass sie russisches Roulette spielen, wenn sie Dopen.


Der Radsport gibt sich kämpferisch seit der Operacion Puerto, die Toleranz für das Doping ist merklich gesunken. Es ist vermutlich gar nicht falsch, wenn die vielen positiven Dopingfälle, wie der von Vinokourov und der von Patrik Sinkewitz als Zeichen eines verbesserten Kontrollsystems gewertet werden. Das Dumme daran ist, dass es ein Fass ohne Boden zu sein scheint. Je tiefer nun endlich, nach 100 Jahren gemeinsamen Schwelgens in den Leidens-Epen der „Giganten der Landstrasse“ die Rennveranstalter, Journalisten und Funktionäre bohren, desto mehr müssen sie fest stellen, dass es einen sauberen Radsport vielleicht nicht geben kann, ohne dass man das Personal komplett auswechselt.

Die diesjährige Tour wird vermutlich einen Sieger haben, der es geschafft hat, durch geschicktes Jonglieren von Wohnorten und Lizenzen drei Jahre lang praktisch jede Trainingskontrolle zu vermeiden. Und wenn der sklerotische Herr Rasmussen es nicht schafft, dann rückt ein junger Spanier nach, dessen Name nachweißlich auf einer Akte im Büro des Doktor Fuentes stand. Wenn man die Liste der Top Fahrer bei der Tour weiter durchgeht, wird es nicht besser: Levi Leipheimer? Mutmaßlicher Kunde des berüchtigten „Preparatore“ Michele Ferrari. Dann der schweigsame Herr Klöden, der mit bewunderswerter Treue zu seinen gedopten Freunden Jan Ullrich und Matthias Kessler hält und von „Vino“ erst enttäuscht war, als dieser mit seiner Blutpanscherei den Arbeitsplatz von Klöden aufs Spiel setzte. Auf Platz 11? Alejandro Valverde, wiederrum aktenkunder Klient bei Fuentes.

Vermutlich wird man, wenn man die Namen der 160 im Feld verbliebenen Tour-Fahrer durchgeht, nicht viele finden, bei denen es nicht irgendwelche verdächtigen Verbindungen oder Ungereimtheiten gibt. Selbst der sympathische Linus Gerdemann musste sich Fragen gefallen lassen, was denn der dubiose Dottore Cecchini ihm alles so geraten hat, als er den Deutschen noch fit machte.Und angesichts dieser Sachlage muss die Frage erlaubt sein, was der ehrenwerte Herr Prudhomme mit seinem Kampf denn erreichen möchte? Was möchte er denn vor den bösen Dopern retten? Was bleibt denn übrig, wenn das Doping ausgemerzt ist? Die Rhetorik der Hygiene scheint doch im Radsport vergleichsweise unanangebracht. Wenn der Kammerjäger mit dem verpesteten Haus fertig ist, so scheint es, fällt das Gebäude Tour in sich zusammen.

Aber Herr Prudhomme hat ja gesagt, was er retten will – nicht die Tour sondern die Träume seiner Jugend. Er hat schon gut daran getan, von Träumen zu reden, denn in der Jugendzeit des 1960 Geborenen, in den 70er Jahren, war der Radsport vermutlich auf dem Gipfel der gerne so genannten „Verseuchtheit“. Die Dopingkontrollen waren eine Farce, die Fahrer schleppten, laut Zeitzeugen „eimerweise“ Fremdurin zu den Kontrollen, die zumeist angekündigt waren. Die ohnehin lächerlichen Strafen wurden in den rennfreien Wintermonaten abgesessen.

Der Radsport, das ist mittlerweile ein Gemeinplatz, war noch nie dopingfrei. Der Anspruch, dopingfrei zu sein, wurde erst sehr verspätet, in den 60er Jahren erstmals, und bis vor Kuzrem auch nur äußerst halbherzig an den Radpsort heran getragen. Radsport und Doping gehören zusammen und vielleicht ist nicht das Doping der Widersinn, sondern der Versuch, Radsport und Doping zu entwirren.

„Wer vom Doping redet, darf vom Sport nicht Schweigen“ hat der Sportsoziologe Eugen König einmal gesagt. Damit gemeint hat er, dass der moderne Massenspektakelsport nicht, wie die Prudhommes dieser Welt das möchten, ohne Doping zu haben ist. Prudhommes „schöner Traum“ eines homerischen Leidensdramas auf romantischen französischen Landstrassen ohne Medikamente ist, das zeigt die harte Wirklichkeit, ein naiver Unfug. Wer kein Doping haben möchte, der muss das ganze System radikal überdenken.

Das System Spektakelsport ist komplex, seine ganzen Pathologien zu identifizieren würde längerer Abhandlunegn bedürfen. Aber hier ist ein Ausschnitt, der andeutet, woran es hapert. Am Tag, an dem Vino aufflog, lobte L’Equipe, die Sportzeitung, die dem Tour-Veranstalter ASO gehört, in riesigen Lettern über einem ganzseitigen Foto „Die Courage von Vino“. Der heroische Ritt Vinokourovs zum Sieg in Loudenvielle war so recht nach dem Geschmack der Tour-Romantiker – Vinokourov überwand Schmerz und Niederlage und formte sich durch seine Tapferkeit in den rauhen Bergen zu einem Märtyrer. Wiederauferstehung inklusive. Die Tatsache, dass die Tour solche Erzählungen hervorbringt, ist genau der Grund, warum Mr. Prudhomme von ihr träumt und sie retten mag. Mr. Vinokourov versteht das, er ist auch ein großer Fan von Superheldengeschichten, vor allem wenn er sowohl der Autor als auch der Hauptdarsteller ist. Deshalb ist er Radprofi, das liebt er an seinem Sport. So sehr mag er diese Stories, dass er nicht lange zögert, bei der Fabrikation dieser Geschichten Dinge zu tun, die ihm nicht gut bekommen. Das tut man eben so in der Branche, weil es anders ja auch gar nicht geht.

Vielleicht sollte Herr Prudhomme also einsehen, dass er seine Romanzen nicht ohne Drogen bekommt. Vielleicht sollte er einsehen, dass seine Träuemereien Teil des Problems sind. Und vielleicht sollten wir uns alle unseren Geschmack an den großen Sportdramen abgewöhnen. Wir wissen ja nun zu genüge, wie pervers die Methoden ihrer Produktion sind.