Monday, July 23, 2007

Rasmussen und die Blutbeutel - eine ehemaliger Kamerad packt aus

Der Radsport hat über die Jahre einen Reflex entwickelt, mit dem er auf Verräter reagiert. Ob es Paul Kimmage war oder Willy Voet, Rolf Aldag, Jesus Manzano oder Jörg Jaksche, die ausgepackt haben – die Reaktion auf ihre Doping-Geständnisse und -Enthüllungen war immer die gleiche. Sie wurden diskriminiert und diskreditiert, als „durchgeknallte Märchenerzähler“ beschimpft und es wurde ihnen unterstellt, aus Eitelkeit oder Gewinnsucht ihre ehemaligen Kollegen übel zu beleumunden. Der amerikanische Mountainbiker Whitney Richards blieb allerdings bislang von dererlei Beschimpfungen verschont. „Ich kenne ihn, ich kann aber seine Geschichten nicht bestätigen“, war alles, was der Tour-Führende Michael Rasmussen in der vergangenen Woche über seinen ehemaligen Trainingspartner zu sagen hatte. Richards hatte gegenüber der Radsport Website VeloNews bezeugt, dass Rasmussen das Blutdopingmittel „Hemopur“ von den USA nach Italien schmuggeln wollte.

Vielleicht hält sich Rasmussen zurück, weil er wirklich, wie Richards insistiert, „eigentlich ein wirklich netter Kerl und kein Monster ist.“ Vielleicht aber auch, weil es sehr schwierig ist, Richards egoistische Motive für seine Enthüllung zu unterstellen. Richards hat kein Buch geschrieben, er ist in keiner Talkshow aufgtreten und er hat von keinem großen Magazin fünf- oder sechsstellige Summen verlangt. Er eher scheu und er es graut ihm vor der Welle an Medienanfragen, die jetzt wohl auf ihn zu rollt. Richards hat die Geschichte einem Freund in seiner Heimat Colorado erzählt, der bei VeloNews arbeitet. Bekommen hat er dafür nichts.


Und doch konnte er mit der Geschichte nicht mehr an sich halten. Am vergangenen Montag, als Michael Rasmussen das Gelbe Tirkot übernahm, sagte der magere Däne ohne die Miene zu verziehen, dass man ihm trauen könne, als er bei einer Pressekonferenz gefragt wurde, ob er denn sauber sei. Der Augenblick war Richards unerträglich. „Ich konnte nicht mehr schweigen“, sagte er dem irschen Reporter David Walsh von der Londoner Sunday Times. „Ich hätte mich an einem Betrug mitschuldig gemacht.“

So entschloss sich Richards, der Welt zu berichten, wie er vor fünf Jahren mit Rasmussen zusammen nach Italien in ein Trainingslager fahren wollte und wie Rasmussen ihn bat, ihm aus Amerika doch einen Karton mit Fahrradschuhen mitzubringen; wie Richards den Karton öffnete und darin die Beutel mit dem künstlichen Hämoglobin fand; wie er die Beutel in den Müll warf, weil er Angst hatte beim Schmuggeln erwischt zu werden; und wie er sich von Rasmussen eine Rüge deshalb einfang, weil „das Zeug scheissteuer war.“

Doch Richards fühlt sich nicht besser oder befreit, nachdem er das seine dazu beigetragen hat, Rasmussens Betrug am Zuschauer, an seinen Gegnern und an der Tour de France zu verhindern. „Ich demontiere jemanden, der für viele Leute ein Held ist“, sagt er, „und das fühlt sich nicht gut an.“ Ausserdem mag Richards noch immer Rasmussen persönlich: „Er ist sehr nett, sehr freundlich und höflich.“ Sogar die Frauen der beiden ehamligen Radl-Genossen waren eine Zeit lang eng befreundet.


Vor allem jedoch kann sich Richards in die Situation von Rasmussen hinein versetzen. Nachdem er entdeckt hatte, dass Rasmussen dopt, so der Amerikaner zu David Walsh, habe der Däne versucht sich zu erklären: „Verstehst Du, Whitney“, hatte Rasmussen gesagt, „ich habe keinen Studienabschluss, so wie Du. Ich habe nur das Radfahren. Wenn ich nichts gewinne im Radsport dann habe ich gar nichts.“ Das konnte Richards nachvollziehen. Und es stürzte ihn in einen Gewissenskonflikt, den er fünf Jahre mit sich herumtrug.


Dass Richards nun ausgepackt hat, löst für ihn diesen Konflikt nicht auf. Er tat, was er glaubte tun zu müssen, wohl ist ihm nicht dabei. Zumal er sich nicht sicher sein kann, dass seine Aussage tatsächlich den Tour-Sieg eines Betrügers verhindert. Irgendwann im Lauf der Woche will der Radsportverband UCI Richards verhören. Inzwischen fährt Rasmussen einen Tag nach dem anderen in Richtung Paris. Und wenn der Verband so rasch handelt, wie man das von ihm gewohnt ist, trägt Rasmussen das Gelbe Trikot vielleicht auch noch auf den Champs Elysees. Vielleicht wird es ihm dann in ein paar Monaten wieder aberkannt und es wird sich ein langatmiger Marsch durch die sportjuristischen Instanzen anschließen. Das wäre dann die zweite Tour in Folge ohne Sieger.