Thursday, October 18, 2007

Schwebende Redakteure: Das neue Gebäude der New York Times von Renzo Piano

Frankfurter Rundschau, 15.10.2007



Als Renzo Piano vor 35 Jahren den Auftrag erhielt, ein Kunst- und Kulturzentrum im biederen vierten Pariser Arrondissement zu bauen, konnten der damals junge genueser Architekt und sein britischer Kollege Richard Rogers der Versuchung zur städtebaulichen Provokation nicht widerstehen. Das Centre Pompidou mit seinen grellbunten nach außen gestülpten Eingeweiden wirkt bis heute wie ein Raumschiff, das mitten in der französischen Hauptstadt gelandet ist. Die Frechheit ist Piano im Alter von mittlerweile 68 Jahren jedoch anscheinend abhanden gekommen. Sein erster Wolkenkratzer in Manhattan, das neue New York Times Gebäude, das seit Juni von der Redaktion der wichtigsten amerikanischen Zeitung besetzt wird, nimmt sich in der New Yorker Skyline eher zurückhaltend aus.

Es ist der erste Wolkenkratzer von Piano, der zweite soll demnächst in London folgen. Zuvor hat der Italiener in New York die Stadtvilla des Gründerzeit-Magnaten J-P. Morgan nebst Bibliothek und Kunstsammlung umgebaut – laut einhelliger Meinung der Kritik ein Meisterstück. Dabei vereinte Piano lediglich die beiden alten Häuser durch einen Glaskubus und schuf dadurch eine Lichtdurchflutete Piazza direkt an der geschäftigen Madison Avenue. Im Zentrum der Komposition ist nichts als ein heller, offener Raum.

Auch beim Entwurf des Times-Gebäudes stand für Piano das Schaffen heller, luftiger Innenräume im Vordergrund. Prominentestes Merkmal des 52-stöckigen Bürohauses ist das neuartige Lichtsystem, das es erlaubt, durch die Glasfassade direktes Tageslicht in ausnahmslos alle Büroräume fallen zu lassen, gleichzeitig jedoch die Lichtmenge und Intensität per computergesteuertem Kontrollsystem fein zu dosieren und somit optimal zu nutzen. Zu diesem Zweck ist die Fassade rundum mit 250,000 Keramikrohren bestückt, die wie ein gigantisches Rollo an den Außenwänden hängen und die direkte Sonneneinstrahlung effektvoll brechen. Hinter diesem Vorhang nimmt sich der 348 Meter hohe Times Tower indes völlig zurück – wenn Transparenz Piano’s Ziel war, so hat er dieses erreicht. Die Redakteure schweben, den Blicken von Nachbarn und Passanten an der 42ten Strasse schutzlos ausgeliefert, wie im Nichts über der Manhattaner Westseite zwischen Times Square und dem Busbahnhof Port Authority.

Einen so große Architektur-philsophischen Unterschied zum Centre Pompidou, wie es zunächst erscheinen mag, stellt der Times Tower allerdings gar nicht dar. So wie das Pariser Kunstzentrum sein funktionales Inneres nach Außen kehrt, tut es der Times Tower auch. Und dabei wird sichtbar, wofür Piano und auch die Times gerne stehen möchten. Das energiesparende High-Tech Lichtsystem demonstriert, daß man am Trend zur Bauökolgie nicht nur teilhat, sondern ihn voran treibt und daß man somit seiner Zeit wenigstens eine Nasenlänge voraus ist.

Dieses Zur-Schau-Stellen sowohl der avantgardistischen Beleuchtungs- und Heizungstechnik, als auch der modernen Zeitungsproduktion kommt jedoch einer für das eitle New York gänzlich untypischen ästhetischen und symbolischen Gleichgültigkeit gegenüber dem architektonischen Äußeren gleich. Der Kritiker der New York Sun nannte den Tower deshalb spöttisch, „einen ipod in seinem Stromladesockel, eine Gerätschaft, irgendwo zwischen einem Computer und einer Geschirrspülmaschine“. Paul Goldberger vom New Yorker drückte es etwas zurückhaltender aus: „Ein New Yorker Wolkenkratzer braucht eine gewisse Präsenz. Der Times Tower hingegen ziert sich allzusehr.“ Die Schaffung heller Räume und das Ausbalancieren eines architektonischen Kontextes, wie Piano dies brilliant an kleineren Arbeiten wie der Morgan Library vorführe, so Goldberger, seien für ein Haus, das in einer so mächtigen Skyline bestehen möchte, keine hinreichenden Bauprinzipien.

Das Fehlen einer klaren Position setzt sich in das Innere des Towers fort. Kernstück der neuen New York Times Räume ist der Newsroom, ein beeindruckend weitläufiges offenes Großraumbüro für den Großteil der rund 350 Redakteure und Reporter der Zeitung, das ein gesamtes Stockwerk des viergeschossigen Anbaus hinter dem Tower einnimmt. Der Newsroom ist luftig und hell und die eleganten, aus Kirschholz gezimmerten Arbeitsstationen, die rund um ein begrüntes Atrium angeordnet sind, wirken freundlich und angenehm aber letztlich konventionell. Das Gefühl, daß sich hier die wichtigste Nachrichtenorganisation der Welt für die sich dynamisch wandelnde Medienlandschaft des 21. Jahrhunderts rüstet, bekommt man jedenfalls nicht.

Die Konzeptarmut liegt allerdings sicherlich auch ein wenig an der derzeitigen Konzeptlosigkeit der Times. Der Börsenkurs des Blattes, der Gesamtumsatz und die Anzeigeneinnahmen befinden sich nach wie vor im freien Fall, die Zeitung schrumpft und das stetig wachsende Internetgeschäft kann die Firma noch lange nicht tragen. Erst in der vergangenen Woche stellte die Times ihre Versuche ein, Gebühren für einen Teil ihres Internetangebotes zu erheben und newyorktimes.com somit langfristig auf solidere Beine zu stellen. Ein Redakteur, der nicht genannt werden will, beschreibt die Stimmung im Haus angesichts dieser allgemeinen Verunsicherung derzeit als „geradezu apokalyptisch Wir sind gerade in ein schickes neues Gebäude gezogen, heuern weiterhin smarte junge Leute an und geben weiterhin viel Geld aus, um Qualitätsjournalismus zu betreiben. Die entscheidenden Leute bei der Times scheinen zu denken, daß das Geschäft eine Zukunft hat. Ich kann nur hoffen, daß sie Recht haben.”

Wie diese Zukunft aussehen soll, wie sich etwa die Mischung zwischen Online und Print entwickelt, weiß jedoch auch bei der großen New York Times niemand so recht. Deshalb konnten die Innenausstatter des Newsrooom, die New Yorker Firma Gensler, auch lediglich mit der Vorgabe arbeiten, „insgesamt zwischen allen Redaktionsteilen die Kommunikation erleichtern“, wie Gensler Chefdesigner Rocco Giannetti sagt. So sitzt etwa bei jeder Teilredaktion im Newsroom ein Online-Redakteur, um die Nachrichten und Stories möglichst schon ins Netz füttern zu können, während sie für die Zeitung noch entstehen. Die Journalisten, die im Newsroom keinen Platz mehr gefunden haben, sind per Freitreppen über alle vier Stockwerke mit dem Hauptgeschoß verbunden. Ansonsten, so Giannetti, sei alles im Newsroom so angelegt, daß man es jeder Zeit wieder demontieren und umgestalten kann. Denn wie die Etage in fünf oder zehn Jahren aussehen muß, um die moderne Nachrichtenproduktion zu ermöglichen, weiß derzeit kein Mensch.