Monday, March 03, 2008

Grau als Idee: Jasper Johns am Metropolitan Museum

Wenn man ohne lange Nachzugrübeln die wichtigsten Künstler der US-Nachkriegsavantgarde aufzählen soll, ist Jasper Johns zweifellos einer der ersten Namen, die einem in den Sinn kommen. In seinem Werk laufen die wichtigsten Entwicklungslinien der modernen amerikanischen Kunst zusammen: Johns steht an der Kreuzung von abstraktem Expressionismus, Pop-Art und Minimalismus.

Trotzdem lässt sich seine Kunst in keine dieser Schulen sauber einordnen. Zu eigenwillig und zu komplex ist dazu seine Arbeit – es ist eigentlich unmöglich, Johns auf einen handlichen Begriff zu bringen. Genau das haben aber James Rondeau und Douglas Druick vom Art Institute of Chicago mit ihrer Ausstellung „Gray“ gewagt, die seit dieser Woche am Metropolitan Museum of Art in New York zu sehen ist. „Gray“ versucht dem Besucher das Werk Johns’ zu erschließen, in dem sie seine Auseinandersetzung mit einer einzigen Farbe, der Farbe Grau, untersucht. Für Druick und Rondeau wird Johns über seinen Umgang mit Grau – das sie eher als Zustand, denn als Farbe begreifen - besser zugänglich, als durch irgendeine andere Kategorie.

Verblüffenderweise haben die Kuratoren sich mit diesem Ansatz nicht verhoben. Im Gegenteil, es ist ihnen ein echte Entdeckung geglückt. Eine „wundervolle Ausstellung“ nennt die New York Times die Schau, „die Schattenretrospektive einer Karriere innerhalb einer Karriere.“ Grau, das falle einem beim Gang durch die Räume im zweiten Stock des Metropolitan wie Schuppen von den Augen, sei jene „Farbe, die den Kern von Jasper Johns Sensibilität trifft, jener Ton, der auf natürliche Weise mit Johns fundamentaler Reserviertheit und hartnäckiger Ambiguität korrespondiert, sowie mit seinem einsamen Standpunkt und seiner intellektuellen Rigorosität.“
Wie gut Jasper Johns’ Beschäftigung mit Grau das Wesen seines Schaffens trifft wird schon im ersten Raum der Ausstellung deutlich. Dort hängt das Gemälde „False Start“ von 1959, das 2006 für 80 Millionen Dollar als teuerstes Bild eines lebenden Künstlers an den Hedge Fund Manager Kenneth Grifffin verkauft wurde. Dem „Fehlstart“ der Ausstellung zur Seite gestellt ist „Jubilee“, ebenfalls von 1959. Die beiden Bilder sind Negative von einander: Der „Fehlstart“ ist eine mit grellen Farben überzogene Leinwand, in die durch Schablonen gemalt die Wörter Blau, Orange, Gelb, Weiß und Grau eingelassen sind. Die Farbnamen sind manchmal in der Farbe gemalt, die sie bezeichnen, meistens passen Name und Farbe jedoch nicht zusammen. „Jubilee“ ist indes praktisch ein Abzug des ersten Bildes. Allerdings sind die Farben durch die gesamte Palette von Grautönen zwischen Weiß und Schwarz ersetzt worden.

Wie die Farbe Grau selbst, die keine Farbe sondern eher eine Vielfalt von Schattierungen ist der Diptychon zutiefst ambiguös. Die Farbbezeichnungen werden von ihrem Signifikat losgelöst und somit der Status beider in Frage gestellt. Die Schrift wird, solchermassen von ihrer Bedeutungsfunktion enthoben, zur Malerei, die ihrerseits jedoch als Stempel keinen Verweis auf einen gestalterischen Willen zulässt. Die Farbe selbst bleibt eine stummes unaussprechliches Etwas, das nur auf sich selbst verweist, auf jene „Materialität“, die Johns Zeit seines Lebens in den Vordergrund zu stellen suchte.

Insofern kann man das jubelnde graue Tableau als Lösung des Problems lesen, das sich Johns in dem Fehlfarben-Bild gestellt hatte. In jener Phase seines Schaffens Ende der 50er Jahre war Jasper Johns intensiv auf der Suche nach einem Weg, jegliche Emotion zu überwinden. Davon kündet schon seine berühmte Verwendung wiedererkennbarer Ready-Made Symbole wie der amerikanischen Fahne oder von Zielscheiben – Dinge, die, wie Johns sagt, „das Auge schon kennt“ und die deshalb die Aufmerksamkeit von der Darstellung und dem Dargestellten auf den künstlerischen Prozeß lenken. Farblich war es das Grau, das ihm eine ähnlich strenge Konzentration auf das Malen anstatt auf das Gemalte erlaubte: „Mir ging es in diesen frühen Arbeiten vor allem darum, ein Gefühl von Wirklchkeit zu erzeugen“, sagte Johns in einem Interview für den New Yorker Ausstellungskatalog. „Durch die Verwendung von Grau wird die phsyische Existenz von Gegenständen intensiviert. Grau beraubt das Werk jener Aufgeregtheit, die durch Farbe entsteht. Übrig blieb das, was ich damals wohl als Realität empfunden habe.“

Diese Funktion des Ent-Emotionalisierens und der Betonung des Materials sowie des Schaffensprozesses besitzt die Farbe Grau, wie die Ausstellung zeigt, bei Jasper Johns bis in die späten 60er Jahre. Da ist etwa „Tennyson“ von 1958, bei dem Johns mit Hilfe verschiedener Rahmungen innerhalb des Bildes sechs Ebenen erzeugt, die jedoch alle mit der selben grauen Wachs-Enkaustik überzogen sind. Die Konstruktion verweist auf ein Inneres des Bildes doch in diesem Inneren ist nichts als die Farbe Grau in ihrer wachsigen Konsistenz. Der aufgestempelte Name Tennyson erinnert an den viktorianischen Dichter, der sich seines Seins in der Welt auf ähnlich existentialistisch-minimalistische Art und Weise wie Johns versichert hat.

Auch an seinen berühmtesten Motiven hat Johns den Effekt der Farbe Grau ausprobiert. Unter den 120 grauen Stücken der Ausstellung finden sich auch gut zwei Dutzend amerikanische Fahnen und Zielscheiben. Dabei erscheint, wie bei dem Schritt vom „False Star“ zu „Jubilee“ die Vergrauung wie eine Verfeinerung und Verstärkung des ursprünglichen Gedankens der Arbeit. Die generischen Symbolformen werden durch die Farbe Grau noch mehr ihrer symbolischen Funktion beraubt und die Aufmerksamkeit auf die sinnlichen Qualitäten des Werkes gelenkt.

In den Siebziger Jahren, als Johns’ Arbeit zunehmend weniger stringent und methodisch wurde, begann die Bedeutung der Farbe Grau für ihn abzunehmen. Doch die zugleich ernüchternde Kraft von Grau und ihr vieldeutiger, unsicherer Status als Farbe, ließ ihn nie ganz los. So arbeitete Johns wie selbstverständlich wieder in Grau nachdem er zu Beginn der 80er Jahre im Vorbeifahren an einer Autobahn jenes Schraffur-Muster entdeckt hatte, das ihn fortan ähnlich wie die Fahne und die Zielscheibe vorher über viele Jahre hinaus beschäftigt. Und auch in seinen neuesten Werken – der „Catenary“ Serie, in der er Schnüre vor bemalte Leinwände hängt, spielt Grau wieder eine wichtige Rolle – diesmal als Milieu, das es ihm erlaubt ohne Bruch Abstraktion und Repräsentation, sowie verschiedene Medien zu mischen.

Die Ausstellung am Metropolitan ist ein kuratorischer Coup- es ist Druick und Rondeau gelungen, mit einer einzigen klaren Idee ein gänzlich neues Licht auf eine der komplexesten Figuren moderner Avantgarde-Kunst zu werfen und sie dabei greifbarer zu machen. Zugleich zwingt sie den Besucher dazu, über Grau nicht bloß als Farbe, sondern als Konzept nachzudenken – und somit tief in die Welt von Jasper Johns vorzudringen.