Friday, December 29, 2006

Kritik des Dopings: Über Betroffenheit und Moral

Unmittelbar nach der diesjährigen Tour de France bat ich den Berliner Sportsoziolgen Eugen König um ein Interview. König beschäftigt sich seit vielen Jahren wissenschaftlich mit dem Thema Doping und ich erhoffte mir von ihm inmitten der sich hysterisch überschlagenden Debatten um den gefallenen deutschen Radstar Jan Ullrich und die Verderbtheit seiner Sportart eine nüchterne Einschätzung der neuesten Ereignisse im Hinblick auf ihre Bedeutung für den Sport als Ganzen. Doch Herr König hatte keine Lust sich einzumischen: „Ich habe mich entschlossen“, ließ er freundlich wissen, „zu der geradezu inflationären sportapokalyptischen Rede über Doping, die zumeist von distanzloser, moralistischer Betroffenheit gespeist ist, und der ich daher zutiefst mißtraue, gegenwärtig nicht noch ein weiteres Statement hinzuzufügen.“


Das war schlußendlich auch nicht nötig. Denn was König schon 1996 in seinem Grundsatz-Traktat „Kritik des Dopings“ geschrieben hatte, reichte aus, um das, was sich da in Frankreich und Spanien zugetragen hatte, deutlich schärfer zu sehen. Der Soziologe regte sich seinerzeit leidenschaftlich über das Gerede vom Doping als „Krebsgeschwür“ und „Seuche“ und vom Dopingphänomen als „Sumpf“ auf. Und genau das war auch 2006 wieder das Vokabular, in dem die Dopingfälle vor, während und nach der Tour verhandelt wurden. Neu war lediglich Jan Ullrichs neuer Titel als „Top-Dopingsünder“.

Aber auch diese Auszeichnung zeugt von jener Geisteshaltung, die König gereizt hatte. Es handelt sich dabei um eine ebenso weit verbreitete wie selbstgerechte Moralisierung des Dopingproblems, die mit der eher mittelalterlich anmutenden Titulierung der Deliquenten als „Sünder“ auf die Spitze getrieben wird. Das Dopingproblem zum Problem ruchloser Einzelner zu machen, dient laut König jedoch nur einem Zweck: Eine wirklich grundsätzliche Diskussion über Doping und den modernen Sport zu vermeiden.

König ist mit seinem Frust über die vorherrschende Moralisierung des Dopingproblems nicht alleine. Jeder, der sich auf einer etwas tieferen Ebene mit Doping und Leistungssport auseinander setzt, versucht, gegen eine solche Trivialisierung des Problems anzugehen. „Die herkömmlichen Versuche, Doping als moralisches Versagen von Trainern, Athleten und Sportfunktionären zu verniedlichen“, schreiben etwa Karl Heinrich Bette und Uwe Schminak im Vorwort zu ihrem Buch „Doping im Hochleistungssport“, das erst in diesem Juli neu aufgelegt wurde, „können wenig befriedigen. Sie reduzieren komplexe soziale Sachverhalte auf subjektive Befindlichkeiten, Motivationen und Schwächen. Das primäre Festmachen an Tätern erweist sich für eine Veränderung der eingefahrenen Praxis als wenig hilfreich.“

Der Moral-Diskurs, so die Soziologen, gleiche einer „Rhetorik der Hygiene“. Er tut so, als gebe es einen „sauberen, guten Sport“, den es vor dem „Übel des Dopings“ in der Person deliquenter Einzelner zu retten gilt. Dem halten die Gesellschaftswissenschaftler entgegen, dass Doping in einem Leistungssport, in dem es um viel Geld und um Existenzen geht, in dem es das Ziel ist, physiologische Grenzen immer weiter zu verschieben und in dem alle Mittel der Technik und der Wissenschaft Recht sind, vollkommen logisch ist. „Wer über Doping redet“, so König, „darf vom Sport nicht schweigen.“

Das Argument mag nicht neu sein, aber es lohnt sich zur Abkühlung der derzeitig überhitzten Dopingdiskussionen, es in Erinnerung zu rufen. Die recht wilkürliche Grenzziehung zwischen Höhentraining und EPO-Gebrauch etwa verdeutlicht, wie schwer es ist, „normalen“ Sport und unerlaubte Hilfe sinnvoll voneinander zu trennen.. Es ist eine künstliche Grenze, eine, die in sich stetig wandelnden Dopingreglements immer wieder neu verhandelt werden muss. Ganz gewiss ist es jedoch keine essentielle Demarkation zwischen einem „natürlichen“ Sport und einem dekandeten Robotersport.

Deshalb ist der Grad der Aufregung etwa um Jan Ullrich auch nur schwer nach zu vollziehen. Der Doper wird nicht von einem Tag zum anderen zu einem kriminellen Finsterling, während er vorher ein tugendhafter Held war. Er war vorher eine hochgetunte Hochleistungsmaschine und ein täglicher Spektakellieferant. Und ist es nachher noch immer. Er hat lediglich eine Regel gebrochen.

Die Bigotterie der Moralisten registriert die Szene sehr sensibel, auch wenn sie selten vermag, dies zu präzise zu artikulieren. Schon seit dem Tag seiner Kündigung beschwert sich Jan Ullrich darüber, dass er wie ein Verbrecher behandelt wird. Eine Klage, die man seit den Polizeirazzien bei der Tour 1998 unter Radsportlern immer wieder hört – nicht zuletzt beim Tour Sieger von 1998 und späteren Sebstmörder Mrco Pantani. Das Wechselbad von Heroisierung und Dämonisierung, der Fall vom Halbgott zum „Top-Sünder“ kommt bei den Betroffenen als hinterhältig und unfair an. Manche, wie Pantani, schaffen es nicht, das zu verkraften.

Auch die Betreuer sind von dem Ausmaß der Entrüstung über den Dopinggebrauch verblüfft. In einem Gespräch mit mir formulierte der Sportmediziner Georges Mouthon, der vor fünf Jahren von einem belgischen Gericht wegen illegaler Medikamentenabgabe verurteilt worden war, seine Kritik an der Moralisierung der Dopindebatte wie folgt: „Für mich als Mediziner ist es nicht unmoralisch zu dopen. Für mich ist es unmoralisch, den Sportlern nicht dabei zu helfen, diese unmenschlichen Belastungen auszuhalten.“ Zur Diskussion sollte laut Mouthon nicht die Schuld des Sportlers und derer, die ihm helfen, stehen. Die Empörung sollte sich vielmehr gegen das System des Spektakelsports richten, das etwa von einem Radprofi 150 Renntage pro Jahr mit jeweils sechs Stunden Rasen am Limit verlangt. Und das alles im Dienst stabiler Fernsehpräsenz und somit satter Werbeverträge.

In dem Verweis auf das Ganze ist sich der Dopingarzt mit dem Soziologen verblüffend einig. Schuld am Doping sind alle – vom Sportler und dem Fan über den Verbandsfunktionär bis zum Reporter. Oder, was auf das gleiche herauskommt, keiner. Vielmehr haben der verschwindende Skalenertrag eines Trainings am körperlichen und technischen Limit, sowie eine wild gewordene Kommerzialiserung eine Eigendynamik angenommen, die niemand mehr unter Kontrolle hat.

Der Blick auf das ganze System ist sicher kein hübsches Panorama. Zum Vorschein tritt ein atemloses Hetzen nach einem winzigen Vorteil in einer überdrehten Wettbewerbskultur - ohne Rücksicht auf die Folgen und ohne höheren Sinn. Oder wie König schreibt, eine „zwanghafte und grenzenlose Selbst- und Fremdausbeutung.“ Eine wirklich wirksame Sport-Reform, die dieses System neu kalibriert ist schwer vorstellbar – der Sport schreitet unaufhaltsam seiner Perversion und letztlich seiner Selbstzerstörung entgegen, während auf den Rängen unbeirrt weitergejubelt wird. Die Athleten müssten es sich leisten können zu verlieren, hat Königs Kollege Uwe Schimank unlängst im Interview dem Feuilleton der Süddeutschen Zeitung als einzig denkbaren Lösungsansatz angeboten. Nur um dann gleich einzuschränken, dass das ja der grundlegenden Logik des Leistungssports widersprechen würde. Dabeisein war eben noch nie alles. Und wird es bestimmt so schnell auch nicht werden.

Siehe auch:

http://www.spiegel.de/sport/sonst/0,1518,druck-439300,00.html

Tuesday, December 19, 2006

Kunst erleben statt Schlange stehen: Die kleinen Museen New York's

Es ist schon prima in einer Stadt mit so vielen Weltklasse-Museen zu leben. Als New Yorker kann man herrlich am Freitagabend mal schnell ins Metroplitan, sich die Expressionisten anschauen, die man schon immer mal sehen wolte, man kann in der Mittagspause schauen, was es im Guggenheim Neues gibt oder sich im Frühjahr in den Skulpturengarten des Moma setzen, um die Zeitung zu lesen.

Doch in letzter Zeit nimmt die Freude an den Kunsinstitutionen dieser Stadt zusehends ab. Überall wird es immer voller. An der 53ten Strasse sieht man schon aus zwei Blocks Entfernung, wie sich die Touristen vor dem Eingang des MoMa aufreihen, von uniformierten Museumsangestellten freundlich aber sehr bestimmt an endlosen Samtkrodeln entlang ordentlich aufgereiht. Einmal drin ist es kaum möglich, sich auch nur ein einziges Bild in Ruhe anzuschauen: Wenn man sich nicht selbst unverschämt auf Nasenlänge davor stellt, tut das bestimmt jemand anderes. Der Rest der Urlaubs-Kunstgeniesser, die sich auf allen sechs Stockwerken auf die Füße treten, versuchen sich durch nachdrückliches Schubsen in Position zu bringen.

So ist es mittlerweile in allen Museen, die bei einem New York-Besuch als „Muss“ gelten. Bisweilen bringt man einer spektakulären Ausstellung zuliebe trotzdem die Geduld auf, sich durch die Räume zu drängeln, in denen es nicht selten zugeht wie beim Kaufhof im Winterschlussverkauf. Zugleich weicht man als New Yorker jedoch immer mehr auf die kleineren Museen der Stadt aus. Und entdeckt dabei Charmantes, Überraschendes und häufig nicht weniger Interessantes als im Moma oder im Guggenheim. Hier eine winzige und subjektive Auswahl aus dem Riesenangebot der rund 150 Museen von New York.


Isamu Noguchi Museum

Der berühmte japanisch-amerikanische Bildhauer und Landschaftsarchitekt Isamu Noguchi richtete vor 50 Jahren am Vernon Boulevard im Stadtteil Queens seine Werkstatt ein, weil dort die Steinmetze der Stadt ihre Geschäfte hatten. In seiner ehemalige Wirkungsstätte direkt am East River ist heute eine lichtdurchströmte Ausstellung seiner sinnlichen Werke nebst einem bezaubernden Skulpturengarten mit Kaffee zu sehen. Ein Kleinod der Ruhe, Schönheit und Besinnlichkeit innmitten der hektischen Stadt und ein herrlicher Halbtagesausflug in eine New Yorker Gegend, die man ansonsten wohl kaum kennenlernen würde.
The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum, 32 Vernon Boulevard, Long Island City, NY 11106, www.noguchi.org, $15 Dollar für Erwachsene, Studenten und Senioren $5. Wochenends fährt ein Pendelbus nach Queens zum Museum ab der Ecke Park Avenue und 70te Strasse vor der Asia Society.

The Morgan Library

Früher bestand die Stadtvilla des Gründerzeitfinanciers J.P. Morgan aus dusteren verstaubten Studierräumen, in denen der Magnat protzig seine zusammengekauften Kunstschätze zur Schau stellte. Seit der Star-Architekt Renzo Piano im vergangenen Jahr das Anwesen umgebaut hat, ist die Library hingegen eines der beliebtesten Sonntagsziele der New Yorker. Die Hauptattraktion ist der von Piano gestaltete Lichthof mit Cafe. Wenn man schon einmal da ist, schaut man sich aber auch gerne die Gemäldesammlung von Morgan, sowie die Wechselausstellungen an.

The Morgan Library and Museum, 225 Madison Avenue/36th Street, New York, NY 10016-3405. wwwthemorgan.org, $12 für Erwachsene, $8 für Studenten und Senioren.

The Museum of Sex

Sex im Museum? Ganz genau. Das Museum of Sex zeigt Darstellungen von Sexualität in verschiedenen Epochen und verschiedenen Kuturkreisen und untersucht dabei, wie in den jeweiligen Gesellschaften über Sex gedacht und gesprochen wurde. Das geht von erotischen Zeichnungen aus dem Japan des 18.Jahrhunderts bis zu verwackelten und unscharfen amerikanischen Pornofilmen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Eine ebenso anrgendes wie bildendes Erlebnis. Eintritt leider erst ab 18.

Museum of Sex, 233 Fifth Avenue/27th Street, New York, NY, 10016, www.museumofsex.com, 212 689 6337. $14.50 Erwachsene, $13.50 Studenten und Senioren.

The Skyscraper Museum

Um Wolkenkratzer in New York zu sehen, muss man nur nach oben schauen – wozu also in ein Wolkenkratzer-Museum gehen? Beispielsweise um etwas über die Geschichte des Wolkenkratzer-Baus in New York zu erfahren; darüber, welche technischen Fortschritte überhaupt zum Wolkenkratzer und später zu immer höheren und moderneren Gebäuden geführt haben, um Fotos und Filme vom Bau des Empire State Building zu sehen oder, um in Zeitungsausschnitten die hitzigen Debatten um den Bau des World Trade Center 1973 nachzulesen. Das Museum ist nur Schritte von Ground Zero entfernt und zugleich direkt am Battery Park, der Anlegestelle der Fähre zur Liberty Statue.

The Skyscraper Museum, 39 Battery Place, New York, NY, 10280, www.skyscraper.org, Erwachsene $5, Senioren, Studenten, Kinder, $2,50.

Dia Art Foundation.

Die Dia Stiftung fördert seit den 70er Jahren die amerikanische Avantgarde-Kunst. Als ihre Ausstellungsräume im Stadtteil Chelsea für die zum Teil monumentalen Werke solcher Stars wie Michael Heizer, Andy Warhol, Dan Flavin oder Richard Serra zu klein wurden und 2002 in ein altes Druckereigebäude ausserhalb der Stadt umzogen, wurde das neue Museum als brilliantes Gesamtkunstwerk gefeiert. Man erreicht es bequem in einer Drieviertelstunde mit dem Zug vom Grand Central Terminal aus und kann sich auf der Fahrt am romantischen Hudson Valley ergötzen. In New York City hat Dia allerdings auch noch zwei Ausstellungen: Die mittlerweile legendären Installationen „The Broken Kilometer“ und den „Earth Room“ von Walter de Maria.

Dia:Beacon Riggio Galleries, 3 Beekman Street, Beacon, NY 12508 www.diaart.org, Erwachsene $10, Schüler und Studenten $7. Den Zug ab Grand Central Terminal in Richtung Poughkeepsie nehmen, vom Bahnhof Beacon sind es drei Minuten zu Fuß. Zuginformation: www.mta.info. Ein Zugfahrschein kostet etwa $10. Der Earth Room ist im zweiten Stock in der Nummer 141 Wooster Street in SoHo, der Broken Kilometer: Nummer 393 West Broadway, ebenfalls in SoHo.

The Drawing Center

Das Drawing Center mutet an wie eine Galerie – ein großer Loft-Raum hinter einer Ladenfront im vornehmen Shopping District Soho. Der einzige gemeinnützige Kunstverein der USA ist aber alles andere als ein kommerzieller Kunstbetrieb. Er beherbergt seit 1977 immer wieder hoch gepriesene Ausstellungen rund um das Medium Zeichnen – von Michelangelo bis zur zeitgenössischen Avantgarde. Das Drawing Center ist eine der renommiertesten New Yorker Kunsinstitutionen. Auf jeden Fall während des Shoppings in SoHo vorbei schauen – zumal der Eintritt frei ist.

35 Wooster Street, Ecke Grand New York, www.drawingcenter.org. Eintritt frei.

Stadtteilmuseen: Brooklyn und Bronx.

Die Museen der Stadtteile Brooklyn und Bronx haben offensichtlich kleinere Budgets als ihre großen Geschwister in Manhattan. Dennoch stellen ehrgeizige Kuratoren hier immer wieder Ausstellungen auf die Beine, die die Leute in die U-Bahn und in eine fremde Umgebung locken. So läuft in Brooklyn derzeit noch eine Werkschau der Kult-Fotografin Annie Leibowitz. Das Bronx Museum wurde gerade von der schicken Architekturfirma Firma Arquitectonica erweitert und legt, der Bevölkerung des Viertels entsprechend, seinen Schwerpunkt auf lateinamerikanische Kunst. Verbinden Sie den Besuch mit einer Entdeckungs-Expedition durch die Viertel fernab der Touristenströme.

Bronx Museum, 1040 Grand Concourse an der 165ten Strasse, Bronx, NY, 10456, Erwachsene $5, Studenten und Senioren $3. http://www.bronxmuseum.org/,

Brooklyn Museum, 200 Eastern Parkway, Brooklyn, NY, 11238-6052, www.brooklynmuseum.org., Erwachsene $8, Schüler und Studenten $4.


Für einen Überblick über alle New Yorker Museen schauen Sie unter:

http://www.ny.com/museums/all.museums.html
oder unter:

http://www.nymuseums.com/.

Wednesday, December 13, 2006

Das St. Nick's Pub in Harlem - Wohnstube des Jazz

Der Jazz hat noch eine Heimat in New York. Nicht etwa im neuen Glaspalast Time Warner, wo man in Frack und Fliege zu „Jazz at Lincoln Center“ geht als wäre es ein Symphonieorchester und schon gar nicht in Traditionsclubs wie dem Blue Note oder dem Village Vanguard, die ihre eigene Legende teuer an Touristen und Yuppies vermarkten.

Nein, das Wohnzimmer des New Yorker Jazz ist der St. Nick’s Pub an der 149 ten Strasse in Harlem. Das St. Nick’s Pub ist kaum mehr als ein Kellerloch, ein schmaler Raum im Tiefparterre eines herunter gekommen Mietshauses mit weiß getünchten Backsteinwänden und einer schummerig beleuchteten Bar. Wenn 30 Gäste im St. Nick’s sind ist der Ladenbrechend brechend voll. Trotzdem zwängen sich am Wochenende manchmal 100 Menschen oder mehr hier hinein.

Das hat seinen Grund. Von der winzigen Bühne am Ende des Raumes, die mit mit nichts einem zerlumpten Afro-Batiktuch als Hintergrund dekoriert ist, bekommt man den echtesten und leidenschaftlichsten Jazz der Stadt zu hören. Jeden Abend ab zehn Uhr treiben sich hier die Musiker gegenseitig zu Höchstleistungen an, zu packenden Soli, zu genialischen Neuinterpretationen bekannter und unbekannter Melodien von Gospel über Latin bis Cool. Gespielt wird so lange, wie die Energie im Pub die Musik trägt, bis drei, vier oder auch fünf Uhr. Die Sets sind nicht wie anderswo auf 45 Minuten begrenzt um möglichst viele Menschen pro Abend durch den Club zu schleusen – man sitz, so lange die Musik einen fesselt und trinkt so viel oder wenig wie man will.

Der Eintritt ins St. Nick’s ist frei, ein Bier oder ein Whiskey kostet gerade einmal drei Dollar. Das Essen bringt ein dominikanischer Mann in großen Tupperschüsseln mit – leckere karibische Gerichte, die seine Frau bereitet hat und die er in der Mirkowelle in der Ecke des Raums warm macht. Kosten pro Teller: 3 Dollar. Die Band wird per freiwilliger Spende in einen Plastikeimer bezahlt, genannt „Love Bucket“ oder auch „Fuck it Bucket“ – weil ohnehin schon bankrotten Spender „Fuck-It“ Fluchen, wenn sie am Ende ihre letzten Dollar hineinschmeißen. Im St. Nick’s Pub geht es nicht um Profitmaximierung. Es geht darum einen Ort zu unterhalten, wo die Musik leben und sich entfalten kann.

In letzter Zeit wird das St.Nick’s am Wochenende immer voller. Man sieht immer mehr immer weißere und immer jüngere Gesichter hier. Es scheint als würde das St. Nick’s schick werden – es hat sich herum gesprochen, dass es noch einen „authentischen“ Jazz Club gibt und die Szene nimmt in ihrem Hunger nach wahrhaftigem Erlebnis sogar die lange U-Bahn Fahrt ins obere Harlem und die zwielichtige Nachbarschaft des St.Nick’s in Kauf.

Ziemlich sicher hat auch schon ein findiger Entertainment-Unternehmer sein Auge auf das St. Nick’s geworfen – es wäre ein leichtes, aus dem Laden einen Haufen Geld herauszupressen. Vermutlich wartet er nur, bis die Gegend noch ein wenig akzeptabler wird. Lange dauert das nicht mehr, alleine im vergangenen Jahr ist der Anteil junger Weißer an der Bevölkerung hier oben auffallend gestiegen. Zwei Häuser vom St. Nick’s entfernt kann man jetzt morgens vor der U-Bahn Fahrt sogar schon im „Cafe Bonjour“ Capuccinos schlürfen.

Einstweilen ist das St. Nick’s aber noch was es ist; mit seiner Mischung aus Jazzliebhabern, Stammgästen aus der Nachbarschaft und einer eklektischen Ansammlung von Gestalten aller Hautfarben und aller sozialen Hintergründe - vom Barkeeper, der als Schauspieler in zahlreichen großen Hollywoodproduktionen mit gewirkt hat, bis hin zu Obdachlosen die hier für ein paar Stunden Unterschlupf finden. Einstweilen sitzen die Musiker noch, während sie auf ihren Gig warten im Hinterhof sitzen und rauchen einen Joint rauchen und einstweilen wird man sich hier vom Saxophon und der Trompete durch die Nacht tragen lassen können. Von Melodien, die so dynamisch und hektisch so schön und chaotisch sind wie diese Stadt.

Thursday, December 07, 2006

Tailgating: Was die Amerikaner wirklich am Football begeistert

Das Krachen von harten Lederkugeln auf Baseballschlägern wird in Amerika erst wieder im Frühjahr zu hören sein, die Basketball-Playoffs fangen gar erst im Juni an und so gehören die Wintermonate in den USA dem Football. Quer über den Kontinent wird in der Vorweihanchtszeit erbittert um den Einzug in die Finalrunden gerangelt und gerannt – vom Profisport bis hinunter in die High-School-Ligen

Über die kompletten 90 Seiten ihrer Ausgabe der vergangenen Woche feierte deshalb die Sportzeitschrift Sports Illustrated die Glorie und die Faszination von Amerika’s liebstem Sport. Dabei ließen die Autoren allerdings den Aspekt des Sportes aus, der noch viel mehr als die kontrollierte Prügelei auf dem Spielfeld Amerika mobilisiert: Das Tailgating. Wesentlich mehr Menschen als bei den Spielen der NFL und der College Ligen auf der Tribüne sitzen, stehen auf den Parkplätzen rund um die Stadien an den Heckklappen ihrer Autos, grillen alles von Hotdogs bis zu Rinderhälften und trinken vom Vorabend des Spiels bis in die Morgenstunden danach Unmengen von Bier.

Das Tailgating-Ritual, an dem bei großen Spielen bis zu einer halben Million Menschen teilnehmen, hat dabei nur entfernt etwas mit Football zu tun. „Es kommt auf die Freunde an, die man trifft, auf die Party und auf den Sport“, schreibt etwa das Magazin für amerikanische Traditionen, American Heritage. „In genau dieser Reihenfolge. Und oft ist der letzte Punkt dieser Liste verzichtbar.“

Beim Tailgating geht es um mehr, als darum, ein Team anzufeuern. So glaubt der New Orleaner Koch Joe Cahn, der es sich zum Lebensinhalt gemacht hat in seinem Wohnwagen von Tailgate zu Tailgate quer durch das Land zu fahren, dass das Tailgating einen dringenden Bedarf in der Gesellschaft des modernen Amerika deckt: „Es ist der einzige Ort, an dem Amerikaner noch wirklich zusammen kommen. Man kann quasi durch den Garten der Leute laufen, es gibt keine Zäune, man sagt wildfremden Leuten Hallo und trinkt ein Bier zusammen. In den Nachbarschaften der amerikanischen Städte und Ortschaften passiert das nicht mehr.“

Die Sehnsucht nach einem solchen Gemeinschaftserlebnis ist offenbar überwältigend. Dael Jaeger, der Parkwächter des Lambeau Field, dem legendären Stadion der Green Bay Packers, muss sich etwa standhaft gegen Bestechungsversuche wehren, um besonders günstige Parkplätze frei zu halten. „Ich bekomme bis zu einem Monatsgehalt angeboten.“ Das ist deutlich mehr, als eine Stadionkarte kosten würde. Aber wer brav auf der Tribüne sitzt verpasst ohnehin nur das eigentliche Ereignis: Die Party auf dem Parkplatz.

Sebastian Mol