Wednesday, December 13, 2006

Das St. Nick's Pub in Harlem - Wohnstube des Jazz

Der Jazz hat noch eine Heimat in New York. Nicht etwa im neuen Glaspalast Time Warner, wo man in Frack und Fliege zu „Jazz at Lincoln Center“ geht als wäre es ein Symphonieorchester und schon gar nicht in Traditionsclubs wie dem Blue Note oder dem Village Vanguard, die ihre eigene Legende teuer an Touristen und Yuppies vermarkten.

Nein, das Wohnzimmer des New Yorker Jazz ist der St. Nick’s Pub an der 149 ten Strasse in Harlem. Das St. Nick’s Pub ist kaum mehr als ein Kellerloch, ein schmaler Raum im Tiefparterre eines herunter gekommen Mietshauses mit weiß getünchten Backsteinwänden und einer schummerig beleuchteten Bar. Wenn 30 Gäste im St. Nick’s sind ist der Ladenbrechend brechend voll. Trotzdem zwängen sich am Wochenende manchmal 100 Menschen oder mehr hier hinein.

Das hat seinen Grund. Von der winzigen Bühne am Ende des Raumes, die mit mit nichts einem zerlumpten Afro-Batiktuch als Hintergrund dekoriert ist, bekommt man den echtesten und leidenschaftlichsten Jazz der Stadt zu hören. Jeden Abend ab zehn Uhr treiben sich hier die Musiker gegenseitig zu Höchstleistungen an, zu packenden Soli, zu genialischen Neuinterpretationen bekannter und unbekannter Melodien von Gospel über Latin bis Cool. Gespielt wird so lange, wie die Energie im Pub die Musik trägt, bis drei, vier oder auch fünf Uhr. Die Sets sind nicht wie anderswo auf 45 Minuten begrenzt um möglichst viele Menschen pro Abend durch den Club zu schleusen – man sitz, so lange die Musik einen fesselt und trinkt so viel oder wenig wie man will.

Der Eintritt ins St. Nick’s ist frei, ein Bier oder ein Whiskey kostet gerade einmal drei Dollar. Das Essen bringt ein dominikanischer Mann in großen Tupperschüsseln mit – leckere karibische Gerichte, die seine Frau bereitet hat und die er in der Mirkowelle in der Ecke des Raums warm macht. Kosten pro Teller: 3 Dollar. Die Band wird per freiwilliger Spende in einen Plastikeimer bezahlt, genannt „Love Bucket“ oder auch „Fuck it Bucket“ – weil ohnehin schon bankrotten Spender „Fuck-It“ Fluchen, wenn sie am Ende ihre letzten Dollar hineinschmeißen. Im St. Nick’s Pub geht es nicht um Profitmaximierung. Es geht darum einen Ort zu unterhalten, wo die Musik leben und sich entfalten kann.

In letzter Zeit wird das St.Nick’s am Wochenende immer voller. Man sieht immer mehr immer weißere und immer jüngere Gesichter hier. Es scheint als würde das St. Nick’s schick werden – es hat sich herum gesprochen, dass es noch einen „authentischen“ Jazz Club gibt und die Szene nimmt in ihrem Hunger nach wahrhaftigem Erlebnis sogar die lange U-Bahn Fahrt ins obere Harlem und die zwielichtige Nachbarschaft des St.Nick’s in Kauf.

Ziemlich sicher hat auch schon ein findiger Entertainment-Unternehmer sein Auge auf das St. Nick’s geworfen – es wäre ein leichtes, aus dem Laden einen Haufen Geld herauszupressen. Vermutlich wartet er nur, bis die Gegend noch ein wenig akzeptabler wird. Lange dauert das nicht mehr, alleine im vergangenen Jahr ist der Anteil junger Weißer an der Bevölkerung hier oben auffallend gestiegen. Zwei Häuser vom St. Nick’s entfernt kann man jetzt morgens vor der U-Bahn Fahrt sogar schon im „Cafe Bonjour“ Capuccinos schlürfen.

Einstweilen ist das St. Nick’s aber noch was es ist; mit seiner Mischung aus Jazzliebhabern, Stammgästen aus der Nachbarschaft und einer eklektischen Ansammlung von Gestalten aller Hautfarben und aller sozialen Hintergründe - vom Barkeeper, der als Schauspieler in zahlreichen großen Hollywoodproduktionen mit gewirkt hat, bis hin zu Obdachlosen die hier für ein paar Stunden Unterschlupf finden. Einstweilen sitzen die Musiker noch, während sie auf ihren Gig warten im Hinterhof sitzen und rauchen einen Joint rauchen und einstweilen wird man sich hier vom Saxophon und der Trompete durch die Nacht tragen lassen können. Von Melodien, die so dynamisch und hektisch so schön und chaotisch sind wie diese Stadt.