Thursday, November 16, 2006

Shopping in New York: Aus dem Internet firsch auf den Tisch

So einfach kann Einkaufen sein. Fünf Minuten zwischen der Mittagspause und der nächsten Konferenz reichen aus, um sich kurz auf die Website des Online-Supermarkts einzuwählen. Schnell ein Filet Mignon nebst dem dazu emfohlenen Cabernet Sauvignon in den Warenkorb geklickt und das darunter stehende Rezept dazu ausgedruckt; dann ein Kopfsalat dazu, ein frisches Brot und noch ein Pfund Kaffee für’s Frühstück; schließlich als Lieferzeit den frühen Abend eingetippt und fertig. Kaum ist man dann zuhause klingelt es an der Tür und ein freundlicher Bote stellt alles frisch und direkt in die Küche. Der Feierabend kann beginnen.

Lebensmitteleinkauf per Internet klingt nach Science Fiction. Ist es aber nicht. Jedenfalls nicht in New York City. Seit dem September 2002 spart sich eine wachsende Anzahl gestresster New Yorker den zeitaufwändigen Supermarktbesuch und klickt sich stattdessen durch die virtuellen Gemüseregale und Fleischtheken von freshdirect.com. Rund 100,000 regelmässige Kunden hat Fresh Direct mittlerweile sowie einen Umsatz von über 100 Millionen Dollar im Jahr.

Der Erfolg von Fresh Direct ist nicht zuletzt deshalb so erstaunlich, weil das Unternehmen kurz nach dem Platzender Dot.Com-Blase zur Jahrtausendwende in den USA gegründet wurde. „Die Leute haben gesagt, ‚Du bist verrückt’, als ich mich damals unserem Gründer Joe Fedele angeschlossen habe“, erzählt etwa David McInerney, Mitbegründer und Einkausleiter von Fresh Direct. „Das war die Zeit, als eine Internet-Firma nach der anderen Pleite ging. Aber ich wusste, dass wir die richtige Vision haben.“

Joe Fedele kannte den New Yorker Lebensmittelmarkt aus langjähriger unmittelbarer Erfahrung. Bevor Fedele Fresh Direct gründete, leitete er eine Großmarkthalle für Endverbraucher auf einem ausgedienten Dockgelände am Hudson River. Wegen der billigen Miete auf der Industriebrache konnte er die Preise niedrig halten und zudem das Geschäft so groß machen, dass es sich lohnte, die Ware direkt vom Erzeuger einzukaufen. Bis heute ist „Fairway“, wie die Halle heißt, deshalb ein Renner unter New Yorkern und so wusste Fedele genau, wie groß die Nachfrage nach günstigen und frischen Lebensmitteln in der Stadt ist. Deshalb zögerte er auch nicht, als der Vorläufer von Freshdirect, die Firma Webvan, Konkurs anmeldete. Fedele kaufte die Konkursmasse billig auf und startete das Unternehmen neu: Mit einer leistungsfähigeren Software, einer peppigen Website, einem zuverlässigerem Lieferdienst und garantiert frischer Ware.

Fresh Direct löst alle Einkaufsprobleme der New Yorker auf einmal. Wegen der horrenden Mieten sind die Preise in den städtischen Supermärkten extrem hoch, die Qualität, insbesondere von Obst und Gemüse hingegen eher mittelmässig. „Ehrlich gesagt ist das meiste, was man in Manhattan zu kaufen bekommt, überteuerter Mist“, sagt etwa Karen Solomon, eine Architektin, die an der 42ten Strasse in Midtown Manhattan wohnt.

Die schlechte Versorgungslage wird dadurch verschärft, dass in New York Supermärkte dünn gesät sind. Viele New Yorker haben gar keinen Markt, der für sie fußläufig erreichbar ist. „Ich wohne in Harlem“, klagt die Anthropologie-Professorin Diana Rubens, begeisterte Fresh Direct-Nutzerin. „Ich muss 20 Minten U-Bahn fahren bis zum nächsten Markt.“ Über ein Auto verfügt Rubens wie die meisten New Yorker nicht und so ist der Heimtransport von Einkäufen für sie oft beschwerlich. Wie auch für Karen Solomon: „Ich bin nicht zuletzt deshalb zu Fresh Direct gewechselt“, sagt Solomon, „weil ich keine Lust mehr hatte, mein Katzenstreu quer durch die Stadt zu schleppen.“

Angesichts der besonderen Gegebenheiten dieser Stadt trifft das Angebot von Fresh Direct in New York voll ins Schwarze. Ob sich der Online-Lebensmitteleinkauf hingegen auch anderswo so vehement durchsetzen wird, ist fraglich. An Orten, an denen der traditionelle Einkauf noch gut und günstig ist, wird sich die Gewohnheit, in den Laden zu gehen, wohl deutlich schwerer durchbrechen lassen. Selbst New Yorker, die sich an die Annehmlichkeiten von Fresh Direct gewöhnt haben, vermissen bisweilen das Erlebnis des nicht-virtuellen Shoppings: „Mir fehlt die Spontaneität, mir fehlt die Möglichkeit von Impuls-Käufen“, sagt die Anthropologin Diana Rubens.

Einstweilen plant deshalb Fresh Direct auch keine Ausweitung auf andere Städte. „Wir wollen erst hier den Betrieb perfektionieren, vorher duplizieren wir das lieber nicht. Wir wissen ja nicht, welche Probleme auftauchen, wenn wir weiter wachsen“, sagt Joe Fedele. „Wenn man auf dem Mond spazieren geht, weiß man ja auch nicht, wann der nächste Krater kommt.“