Friday, December 29, 2006

Kritik des Dopings: Über Betroffenheit und Moral

Unmittelbar nach der diesjährigen Tour de France bat ich den Berliner Sportsoziolgen Eugen König um ein Interview. König beschäftigt sich seit vielen Jahren wissenschaftlich mit dem Thema Doping und ich erhoffte mir von ihm inmitten der sich hysterisch überschlagenden Debatten um den gefallenen deutschen Radstar Jan Ullrich und die Verderbtheit seiner Sportart eine nüchterne Einschätzung der neuesten Ereignisse im Hinblick auf ihre Bedeutung für den Sport als Ganzen. Doch Herr König hatte keine Lust sich einzumischen: „Ich habe mich entschlossen“, ließ er freundlich wissen, „zu der geradezu inflationären sportapokalyptischen Rede über Doping, die zumeist von distanzloser, moralistischer Betroffenheit gespeist ist, und der ich daher zutiefst mißtraue, gegenwärtig nicht noch ein weiteres Statement hinzuzufügen.“


Das war schlußendlich auch nicht nötig. Denn was König schon 1996 in seinem Grundsatz-Traktat „Kritik des Dopings“ geschrieben hatte, reichte aus, um das, was sich da in Frankreich und Spanien zugetragen hatte, deutlich schärfer zu sehen. Der Soziologe regte sich seinerzeit leidenschaftlich über das Gerede vom Doping als „Krebsgeschwür“ und „Seuche“ und vom Dopingphänomen als „Sumpf“ auf. Und genau das war auch 2006 wieder das Vokabular, in dem die Dopingfälle vor, während und nach der Tour verhandelt wurden. Neu war lediglich Jan Ullrichs neuer Titel als „Top-Dopingsünder“.

Aber auch diese Auszeichnung zeugt von jener Geisteshaltung, die König gereizt hatte. Es handelt sich dabei um eine ebenso weit verbreitete wie selbstgerechte Moralisierung des Dopingproblems, die mit der eher mittelalterlich anmutenden Titulierung der Deliquenten als „Sünder“ auf die Spitze getrieben wird. Das Dopingproblem zum Problem ruchloser Einzelner zu machen, dient laut König jedoch nur einem Zweck: Eine wirklich grundsätzliche Diskussion über Doping und den modernen Sport zu vermeiden.

König ist mit seinem Frust über die vorherrschende Moralisierung des Dopingproblems nicht alleine. Jeder, der sich auf einer etwas tieferen Ebene mit Doping und Leistungssport auseinander setzt, versucht, gegen eine solche Trivialisierung des Problems anzugehen. „Die herkömmlichen Versuche, Doping als moralisches Versagen von Trainern, Athleten und Sportfunktionären zu verniedlichen“, schreiben etwa Karl Heinrich Bette und Uwe Schminak im Vorwort zu ihrem Buch „Doping im Hochleistungssport“, das erst in diesem Juli neu aufgelegt wurde, „können wenig befriedigen. Sie reduzieren komplexe soziale Sachverhalte auf subjektive Befindlichkeiten, Motivationen und Schwächen. Das primäre Festmachen an Tätern erweist sich für eine Veränderung der eingefahrenen Praxis als wenig hilfreich.“

Der Moral-Diskurs, so die Soziologen, gleiche einer „Rhetorik der Hygiene“. Er tut so, als gebe es einen „sauberen, guten Sport“, den es vor dem „Übel des Dopings“ in der Person deliquenter Einzelner zu retten gilt. Dem halten die Gesellschaftswissenschaftler entgegen, dass Doping in einem Leistungssport, in dem es um viel Geld und um Existenzen geht, in dem es das Ziel ist, physiologische Grenzen immer weiter zu verschieben und in dem alle Mittel der Technik und der Wissenschaft Recht sind, vollkommen logisch ist. „Wer über Doping redet“, so König, „darf vom Sport nicht schweigen.“

Das Argument mag nicht neu sein, aber es lohnt sich zur Abkühlung der derzeitig überhitzten Dopingdiskussionen, es in Erinnerung zu rufen. Die recht wilkürliche Grenzziehung zwischen Höhentraining und EPO-Gebrauch etwa verdeutlicht, wie schwer es ist, „normalen“ Sport und unerlaubte Hilfe sinnvoll voneinander zu trennen.. Es ist eine künstliche Grenze, eine, die in sich stetig wandelnden Dopingreglements immer wieder neu verhandelt werden muss. Ganz gewiss ist es jedoch keine essentielle Demarkation zwischen einem „natürlichen“ Sport und einem dekandeten Robotersport.

Deshalb ist der Grad der Aufregung etwa um Jan Ullrich auch nur schwer nach zu vollziehen. Der Doper wird nicht von einem Tag zum anderen zu einem kriminellen Finsterling, während er vorher ein tugendhafter Held war. Er war vorher eine hochgetunte Hochleistungsmaschine und ein täglicher Spektakellieferant. Und ist es nachher noch immer. Er hat lediglich eine Regel gebrochen.

Die Bigotterie der Moralisten registriert die Szene sehr sensibel, auch wenn sie selten vermag, dies zu präzise zu artikulieren. Schon seit dem Tag seiner Kündigung beschwert sich Jan Ullrich darüber, dass er wie ein Verbrecher behandelt wird. Eine Klage, die man seit den Polizeirazzien bei der Tour 1998 unter Radsportlern immer wieder hört – nicht zuletzt beim Tour Sieger von 1998 und späteren Sebstmörder Mrco Pantani. Das Wechselbad von Heroisierung und Dämonisierung, der Fall vom Halbgott zum „Top-Sünder“ kommt bei den Betroffenen als hinterhältig und unfair an. Manche, wie Pantani, schaffen es nicht, das zu verkraften.

Auch die Betreuer sind von dem Ausmaß der Entrüstung über den Dopinggebrauch verblüfft. In einem Gespräch mit mir formulierte der Sportmediziner Georges Mouthon, der vor fünf Jahren von einem belgischen Gericht wegen illegaler Medikamentenabgabe verurteilt worden war, seine Kritik an der Moralisierung der Dopindebatte wie folgt: „Für mich als Mediziner ist es nicht unmoralisch zu dopen. Für mich ist es unmoralisch, den Sportlern nicht dabei zu helfen, diese unmenschlichen Belastungen auszuhalten.“ Zur Diskussion sollte laut Mouthon nicht die Schuld des Sportlers und derer, die ihm helfen, stehen. Die Empörung sollte sich vielmehr gegen das System des Spektakelsports richten, das etwa von einem Radprofi 150 Renntage pro Jahr mit jeweils sechs Stunden Rasen am Limit verlangt. Und das alles im Dienst stabiler Fernsehpräsenz und somit satter Werbeverträge.

In dem Verweis auf das Ganze ist sich der Dopingarzt mit dem Soziologen verblüffend einig. Schuld am Doping sind alle – vom Sportler und dem Fan über den Verbandsfunktionär bis zum Reporter. Oder, was auf das gleiche herauskommt, keiner. Vielmehr haben der verschwindende Skalenertrag eines Trainings am körperlichen und technischen Limit, sowie eine wild gewordene Kommerzialiserung eine Eigendynamik angenommen, die niemand mehr unter Kontrolle hat.

Der Blick auf das ganze System ist sicher kein hübsches Panorama. Zum Vorschein tritt ein atemloses Hetzen nach einem winzigen Vorteil in einer überdrehten Wettbewerbskultur - ohne Rücksicht auf die Folgen und ohne höheren Sinn. Oder wie König schreibt, eine „zwanghafte und grenzenlose Selbst- und Fremdausbeutung.“ Eine wirklich wirksame Sport-Reform, die dieses System neu kalibriert ist schwer vorstellbar – der Sport schreitet unaufhaltsam seiner Perversion und letztlich seiner Selbstzerstörung entgegen, während auf den Rängen unbeirrt weitergejubelt wird. Die Athleten müssten es sich leisten können zu verlieren, hat Königs Kollege Uwe Schimank unlängst im Interview dem Feuilleton der Süddeutschen Zeitung als einzig denkbaren Lösungsansatz angeboten. Nur um dann gleich einzuschränken, dass das ja der grundlegenden Logik des Leistungssports widersprechen würde. Dabeisein war eben noch nie alles. Und wird es bestimmt so schnell auch nicht werden.

Siehe auch:

http://www.spiegel.de/sport/sonst/0,1518,druck-439300,00.html