Monday, October 30, 2006

NBA Saisonstart: Die Dallas Mavericks als Topfavoriten

Mit einer solchen Bürde sind die Dallas Mavericks noch nie in eine NBA Saison gestartet, wie in die, die in dieser Woche beginnt. Das meinungsmaßgebliche Sport-Magazin Sports Illustrated sieht die Mannschaft um Dirk Nowitzki als klaren Titelanwärter. Das Fachmagazin SLAM ebenfalls: „In diesem Jahr werden sie den Job erledigen“, schriebt SLAM in Anspielung auf die knappe Finalniederlage gegen Miami im vergangenen Jahr. Und auf der großten Internet Seite für Sportwetten, pinnaclesports.com, stehen die Quoten für die Mavs bei 4 zu 1 – mit 11zu 2 sind die San Antonio Spurs und Phoenix Suns weit abgeschlagene Zweite.

Kein anderes Team scheint in diesem Jahr den Mavs das Wasser reichen zu können. Im vergangenen Jahr hatte ihnen gegen Miami nur ein Hauch gefehlt, um zum ersten Mal in der Geschichte des Clubs die Trophäe nach Dallas zu holen. Im sechsten Spiel der Serie lagen sie bereits mit 14 Punkten vorne und verspielten in nur einem einzigen schwachen Viertel die Meisterschaft.

In der neuen Saison hängt jedoch über dem Titelverteidiger Miami ein großes Fragezeichen. Shaquille O’Neal bleibt ein Schlüsselspieler der Heat. Gleichzeitig fragt man sich immer mehr, was der alternde Superstar noch bringen kann. Schon vergangenen Jahr waren seine Statistiken über die Saison verteilt wegen häufiger Ausfälle eher mittelmässig, auch wenn er in den Playoffs noch einmal glanzvolle Momente hatte. Seine schmerzenden Knochen werden ihn in diesem Jahr gewiss nicht mehr durch eine volle Saison tragen und Miami muss sich überlegen, mit wie wenig O’Neal das Team auskommen kann.

Auch bei den anderen vermeintlichen Rivalen der Mavericks sieht es nicht so rosig aus. Die Detroit Pistons haben ihren Star Ben Wallace an Chicago verloren. Die Phoenix Suns haben zwar ihren Jungstar Amare Stoudemire zurück, den sie im vergangenen Jahr schmerzlich vermisst haben. Man weiß jedoch nicht, wie gut er seine schwierige Knieoperation überstanden hat. Und auch beim Ex-Champions San Antonio Spurs kämpfen die Top-Spieler Tim Duncan und Manu Ginobili mit chronischen Verletzungen.

In Dallas scheint hingegen alles zum besten bestellt. Team Besitzer Mark Cuban hat im Sommer keine Zeit vergeudet und keine Kosten gescheut, um den Kern seiner Erfolgsmannschaft zusammen zu halten. Dirk Nowitzki bekam einen Scheck über 60 Millionen Dollar um bis 2010 in Texas zu bleiben. Die anderen Säulen des Erfolgs, Jason Terry und Josh Howard erhielten neue Verträge über 57 und 40 Millionen. Und der junge Coach Avery Johnson, genannt der „kleine Genera“, der die Mavericks innerhalb von nur anderthalb Jahren zum absoluten Top Team geformt hat, wurde für weitere fünf Jahre verpflichtet.

Der Kern der erfolgreichen Finalmannschaft des vergangenen Jahres ist also derselbe. Auf den anderen Positionen, schreibt Sports Illustrated, sind die Zugänge durchweg stärker als die Abgänge: Greg Buckner und Devan George verstärken die Verteidigung, und Austin Croshere wird Nowitzki in der Offensive entlasten. „Das ist eine Super-Mannschaft“, sagt Nowitzki, „wir haben alle Chancen, wieder so weit zu kommen, wie im vergangenen Jahr.“


Das klingt unterdessen nicht so optimistisch, wie es vielleicht klingen sollte. Wollen die Mavericks wirklich nur so weit kommen wie im vergangenen Jahr? Oder einen Schritt weiter? Ein wenig scheint Nowitzki und seinen Mannschaftskameraden zum Saisonbeginn die Killermentalität zu fehlen. Die knappe und bittere Finalniederlage sitzt ihnen noch immer tief in den Knochen. „Den ganzen Sommer über musste ich mir das Anhören“, klagt Trainer Avery Johnson. „’Wir waren so nahe dran Coach’. Ich frage dann immer zurück wie man denn wohl aus ‚Beinahe’ einen Volltreffer machen kann? Die Antwort ist, in dem man das eben hinter sich lässt und sich auf seine Ziele konzentriert.“

Das scheint den Mavericks aber noch schwer zu fallen, sie wirken von der Enttäuschung verkatert. „Sicher müssen wir diese Erinnerungen aus dem System kriegen“, sagt Jason Terry. „Aber sie werden uns immer im Kopf rumspuken.“ Auch Dirk Nowitzki kämpft noch mit den Gedanken an den vergangenen Juni: „Wir müssen das hinter uns lassen“, redet er sich und seinen Kollegen zu. Was nur zeigt, dass die Trauerarbeit noch lange nicht abgeschlossen ist. Deshalb empfiehlt Coach Johnson erst einmal, einen Schritt nach dem anderen zu tun. „Es ist jetzt Oktober, wir müssen jetzt noch nicht an das nächste Finale denken.“ Erst einmal geht es darum in einen Spielrhytmus zu kommen, Spiele zu gewinnen. Und so kommt nach und nach auch das Selbstvertrauen wieder zurück. Hoffentlich – denn es ist das einzige, was den Mavericks fehlt um eine Meistermannschaft zu werden.

Friday, October 27, 2006

New York Social Life

Eine ganz normale Woche in meinem New Yorker Sozialleben. Mein Freund Tim, der früher in New York gelebt hat und jetzt in Berlin ist, ist in der Stadt. Er schickt mir zwei emails und hinterlässt drei Voicemails, dass er mich unbedingt treffen möchte. Mittwochabend geht aber nicht, da ist er auf irgendeinem Fundraiser, auch später am Abend nicht, weil er auf dem Event für sein neues Immobiliengeschäft wichtige Leute trifft und es spät werden kann. Donnerstagabend ist er auch schon ausgebucht, er wollte aber Freitag früh anrufen, ob es zum Lunch klappt. Bis jetzt noch nichts von ihm gehört. Glaube ihm aber irgendwie, dass er es wirklich möglich machen wollte. Irgendwie Morgen fliegt er wieder.

Mit meinem Kumpel Peter, mit dem ich früher jeden Sonntag Fahrrad gefahren bin und vortrefflich dabei über Kunst und Politik und Journalismus und Frauen plaudern konnte, will mich schon seit Wochen mal wieder auf ein Bier treffen. Aber er wohnt jetzt mit seiner neuen Freundin zusammen und die trainiert für einen Marathon und deshalb muss er jetzt morgens immer um fünf aufstehen. Deshalb geht er immer schon um neun ins Bett und zwischen seinem Job, der Arbeit an seinem Roman und seiner Tochter, die er zum Ballett bringen muss, haut es irgendwie nie hin. Immerhin war ich am Mittwoch früh um sechs mit ihm und seiner neuen Freundin im Central Park joggen. Die einzige Chance, ihn mal zu sehen. Wir haben über Marathontraining gesprochen.

Mittwoch abend war ich meiner Trauzeugin, der ehemals besten Freundin meiner Ex-Frau zum Geburtstag in einer Bar im East Village eingeladen. Sie hat keine zwei Sätze mit mir geredet. Hatte das Gefühl mein Auftauchen war ihr peinlich. Bin für ihre Szene zu un-hip – sie ist Trendscout und umgibt sich mit lauter Leuten, die genau wissen, was gerade läuft. Das weiß ich natürlich nicht. Bin nach zwei Bier wieder gegangen und habe lieber alleine in einer Bar noch einen genommen.

Davor war ich auf einer Medienparty in einer schicken neuen Lounge in Chinatown. Habe mich sehr angeregt mit einer Schriftstellerin und Kolumnistin vom Wall Street Journal unterhalten. Habe sogar ihre Karte ergattert. Aber auf meine email am nächsten Tag mit einer Einladung zu einem Drink hat sie nur geantwortet, dass sie gerade mit ihrem Freund zusammen gezogen ist und deshalb im Moment keine Zeit für ein Sozialleben außerhalb der Beziehung hat. Bestimmt würde man sich aber mal wieder begegnen. Bis dann!

Mit meiner Ex-Freundin telefoniere ich jeden Tag. Sich zu treffen, sagt sie, könne sie jedoch derzeit nicht ertragen. Ich irgendwie auch nicht. Weiss auch nicht was die Telefoniererei soll.

Nett war’s wie immer mit meinem deutschen Kollegen Andre. Der hat immer Zeit, ist immer aufgeschlossen und unternehmungslustig. Habe dann, wenn wir einen trinken gehen aber immer das Gefühl, dass wir wie zwei Touristen völlig neben dem eigentlichen New Yorker Leben stehen, nicht richtig dazu gehören. Bescheuert eigentlich.

Heute abend gehe ich zu einer polnischen Jazzband. Eine Schweizerin, mit der ich vor zwei Jahren ein paar Mal ausgegangen bin, macht die PR dafür. Ich weiß nicht, ob ich mich für polnischen Jazz interessiere. Würde gerne mit der Schweizerin wieder Kontakt aufnehmen aber außerhalb des Job-Kontextes ist sie nicht zu kriegen. Für mich jedenfalls nicht. Noch nicht. Dummerweise habe ich zwei Pressekarten bekommen anstatt nur einer und die einzige Begleitung, die zur Verfügung stand, ist eine Musikerin, mit der ich vor einiger Zeit eine Affäre hatte. Wird vielleicht ein anstrengeder Abend. Vielleicht auch ein belangloser. Wahrscheinlich sitze ich am Ende wieder alleine in irgendeiner Bar. Am Wochenende will ich meine Ruhe haben. Wird mir bestimmt nicht schwer fallen

Monday, October 23, 2006

Hawaii Ironman: Normann Stadler siegt zum zweiten Mal

In seiner langen Triathlonkarriere hat Normann Stadler schon viele hundert Mal irgendeine Ziellinie überquert. Oft wurde der Sieger des Hawaii-Ironman von 2004 dabei von seinen Gefühlen übermannt und brach in hemmungsloses Schluchzen aus – gleich, ob er gewann oder verlor. Als Stadler an diesem Samstagmachmittag im Hafen von Kailua Kona auf der Hawaii-Insel Big Island zum zweiten Mal Langdistanz-Weltmeister wurde, brach sich bei ihm jedoch nicht ein emotionaler Zusammenbruch Bahn, sondern der Übermut des Triumphators. Weit streckte er beim Einlauf die Arme von sich, wie ein Adler, der auf seine Beute herabsegelt. Dann rammte er einem imaginären Gegenüber die geballte Faust in den Magen um der Menge zu bedeuten, dass er es allen gezeigt hatte.

Normann Stadler, einst für seine schwachen Nerven und seine Labilität bekannt, ist selbstbwusst geworden. „Vor zwei Jahren haben alle gesagt, dass das eine Eintagsfliege ist“, erinnerte er sich nach seinem zweiten Hawaii-Sieg trotzig an seinen ersten im Jahr 2004. Damals war Stadler in seiner Schokoladendisziplin, dem Radfahren, den verdutzten Konkurrenten so weit enteilt, dass sie ihn nicht mehr einholen konnten und er wurde trotz Nachteilen im Wasser und beim Marathon Weltmeister. So etwas, nahmen sich die geschockten Gegner vor, würde ihnen nicht noch einmal passiern. Doch es passierte noch einmal: „Heute habe ich gezeigt“, so Stadler, dass ich nicht nur Rad fahren, sondern auch Schwimmen und Laufen kann.“

In der Tat hatte Stadler schon früh am Morgen im trügerisch ruhigen Pazifik seinen zweiten Hawaii-Sieg vorbereitet. Stadler kämpfte erfolgreich gegen die starken Strömungen unter der glatten Wasseroberfläche an und ließ die Führungsgruppe um den Vorjahressieger und Schwimexperten Faris Al-Sultan um nur 30 Sekunden enteilen. In vergangenen Jahren war Al-Sultan Stadler um bis zu zehn Minuten davon gekrault. In erwartet unwiderstehlicher Manier verwandelte Stadler diesen Rückstand auf dem Rad in einen Vorsprung von elf Minuten und drückte dabei den Streckenrekord für die 180 Kilometer auf 4 Stunden und 18 Minuten. Das entspricht einem Stundenmittel von beinahe 42 Kilometern. So sehr seine Verfolger Al-Sultan und der Australier Chris McCormack sich auch mühten, sie konnten dieses Defizit im Marathon nicht mehr gut machen. Al-Sultan wurde mit acht Minuten Abstand Dritter, McCormack zwei Minten hinter Stadler Zweiter.

Der Titelverteidiger Al-Sultan nahm die Niederlage jedoch gelassen hin. Von zu vielen Wettkämpfen und anstrengenden PR Terminen ausgelaugt war er ohnehin nicht in Bestform nach Hawaii gekommen und so verneigte er sich ohne Neid vor dem neuen Champion: „Normann hat ein großes Rennen gezeigt.“ Vor allem war Al-Sultan jedoch froh, dass sein Erzrivale McCormack Stadler nicht noch einholen konnte. McCormack, fand der Münchner, habe den Sieg nicht verdient, weil er auf dem Rad regelwidrig den Windschatten seiner Mitstreiter in der Verfolgergruppe hinter Stadler ausgenutzt habe. Ein Vorwurf, den auch Stadler bestätigte. „In meinen Augen“, so der neue Champion, „gehört Faris der zweite Platz.“

Der erste Platz gehörte hingegen unumstritten Stadler. Und den gönnte ihm nach einer bitteren Pechsträhne jeder in der Triathlonszene. Im vergangenen Jahr hatte Stadler nach zwei Reifenpannen das Rennen aufgeben müssen. Bei der diesjährigen deutschen Ausgabe des Ironman in Frankfurt war er vom Rad gestürzt und hatte sich blutend und verletzt als elfter ins Ziel geschleppt. Dass er dennoch nicht den Mut und den Glauben an sich verlor, war indes ein weiteres Zeichen seines erstarkten Selbstbewusstseins.

Sein ursprünglicher Wandel von einem hadernden Nervenbündel zu einem furchtlosen Kämpfer, erinnert sich Stadler, kam im Jahr 2002 – dem Jahr seiner bis dahin schlimmsten Vorstellung auf Hawaii. Damals war er völlig eingebrochen und hatte sich mehr als eine Stunde hinter den Favoriten unter körperlichen wie seelischen Qualen ins Ziel gekämpft. Das Erlebnis, so Stadler, habe ihm die mentale Härte gegeben, die diese Sportart ihren Besten nun einmal abverlangt. Im Verlauf des vergangenen Jahres musste er erneut durch ein Tal der Tränen marschieren und er ist erneut mit erhobenem Haupt wieder heraus gekommen. Damit dürfte die Zeit der Zweifel und der Gefühlszusammenbrüche für Normann Stadler wohl endgültig vorbei sein.

Sebastian Moll

Wednesday, October 11, 2006

Schock in New York: Flugzeug rammt Wolkenkratzer

New York. Hal Cohose tippelt unruhig von einem Bein auf das andere und die Worte kommen nur als nervöses Stottern über seine Lippen. Der hagere, etwa 60 Jahre alte Mann steht sichtlich unter Schock. Es ist kurz vor fünf Uhr an einem verregneten Mittwochnachmittag in Manhattan und Cohose musste vor zwei Stunden aus unmittelbarer Nähe dabei zusehen, wie ein Flugzeug in einen Wolkenkratzer donnert. Ein Sportflugzeug hatte ein 50-geschössiges Apartmenthaus auf der Upper East Side gerammt und der Anblick fuhr Cohose, wie vielen New Yorkern nur für fünf Jahre nach dem 11. September, tief in die Glieder: „Das war mir eindeutig zu nahe“, sagt Cohose, während er sich mit seiner Frau unter einem Vordach auf der 74ten Strasse vor dem Regen schützt und darauf wartet, dass er seinen Wagen aus der rund um die Unglücksstelle gesperrten Zone befreien kann.

Cohose war um kurz vor 15 Uhr am Mittwoch mit seiner Frau Barbara bei einem Arzttermin, als direkt gegenüber der Praxis die Maschine des Baseball-Stars Cory Lidle in das 40te Stockwerk des schmucklosen „Belaire“-Wohnhochhauses an der 72ten Strasse rumste. „Es war eine mächtige Explosion“, erinnert sich Cohose, „gefolgt von einem noch schlimmeren Donnern, als die Gebäudetrümmer Sekunden später auf der Strasse aufschlugen.“ Seine Frau, die den Gips von ihrem gebrochenen Fuß entfernt bekommen sollte, fühlte sich sofort an das Attentat des 11. September 2001 erinnert: „Ich hatte fürchterlich Angst.“

Die Furcht, dass erneut Manhattan die Zielscheibe von extremistischen Kamikazefliegern geworden war, zerschlug sich jedoch bald. Schon eineinhalb Stunden nachdem das Propellerflugzeug das Hochahus getroffen hatte, sprach sich rund um die Unglücksstelle herum, dass es sich nicht um einen Anschlag, sondern um den Unfall eines Hobbypiloten gehandelt hatte. Cory Lidle, der mit den New Yorker Yankees erst am Sonntag aus dem Kampf um die US – Baseballmeisterschaft ausgeschieden war, hatte Kontrolle über das Flugzeug verloren, mit dem er etwa eine Viertelstunde zuvor vom Privtaflughafen Teterboro in New Jersey gestartet war. Nach einem Rundflug um die Freiheitsstatue und den East River hinauf wich die Maschine plötzlich vom Kurs ab und zielte, entgegen aller Luftraumbestimmungen auf Manhattan zu. Warum Lidle, der zusammen mit seinem Fluglehrer an Bord war, den Kurs nicht halten konnte, war am Mittwochabend noch unklar. Experten spekulierten, dass der relativ unerfahrene Pilot Lidle im dichten New Yorker Flugverkehr die Nerven verloren hatte.

Nachdem klar wurde, dass sich kein erneutes Terrorattentat zugetragen hatte, verzogen sich bald die Dutzenden von Hubschrauber wieder, die am Nachmittag wie Unheilsboten über Manhattan gedräut hatten. Auch die Feuerwehrzüge, die in Battalionsstärke angerückt waren, waren zum Großteil zum Sonnenuntergang wieder zu ihren Stationen zurück gekehrt. An Verlusten waren nur die beiden Insassen des Flugzeugs zu betrauern. Das Wohnhaus, in dem wie durch ein Wunder nur fünf Menschen leicht verletzt wurden, wurde noch am Abend von der Polizei wieder für die Bewohner geöffnet.

Nur zwei Strassen entfernt, an der Lexington Avenue, war von einer Katastrophe schon um sieben Uhr kaum mehr etwas zu spüren. Die Bars und Restaurants entlang der First Avenue waren wie jeden Abend voll besetzt; die Pendler drängelten sich wie jeden Tag im Berufsverkehr in die U-Bahn Linie 6, die an der Ostseite in Richtung der nördlichen Vororte fährt. „Hat Einigen einen ganz schönen Schreck eingejagt“, sagte ein Geschäftsmann lapidar und gelassen, bevor er sich an der 86ten Strasse entspannt in den Feierabend verabschiedete. Den kurzen urspünglichen Schock hatte er offenkundig schon lange wieder überwunden.


Einige hart gesottene New Yorker hatten sich nicht einmal vorübergehend erschreckt. Richard Saitte etwa, ein Arzt, der in einem Krankenhaus nur drei Strassenzüge von der 72ten Strasse entfernt arbeitet, fand die ganze Aufregung um den Vorfall übertrieben. „Dieses Riesenaufgebot an Polizei hier, die großräumige Sperrung, das ist doch alles eine unglaubliche Überreaktion“, sagte er, während er ungerührt von einem Buchladen zurück zu seiner Arbeitsstelle schlenderte. „Wir leben doch schließlich in New York, da passieren halt Sachen.“


Als in Manhattan die Sonne unterging, hatten sich auch Hal und Barbara Cohose wieder beruhigt. „Im Moment macht es uns am meisten Sorgen, dass es kalt und nass ist und wir hier nicht weg kommen“, sagte Hal Cohose, als es um sieben Uihr noch immer nicht aufgehört hatte zu regnen. „Und vor allem, dass ich morgen noch einmal her kommen muss, weil ich wegen dem Brand nicht zu Ende behandelt werden konnte“, moserte seine Frau Barbara. Der Alltag hatte in New York nur für eine Sekunde lang den Atem angehalten. Ganz anders, als vor fünf Jahren.

Sebastian Moll

Wednesday, October 04, 2006

"Ich bin eine Katastrophe" - Ex Boxweltmeister Mike Tyson boxt für Touristen in Las Vegas

Nachdem er sein Publikum beinahe eine Stunde lang hat warten lassen, steigt Mike Tyson träge und schwerfällig in den Boxring, der irgendwo tief im halbdunklen Inneren des Vegas-Kasinos Aladdin aufgebaut worden ist. Er lässt seine Fäuste faul in die roten Handschuhe sinken, die sein Trainer Jeff Fenech ihm hinhält, schlurft ein wenig an den Seilen entlang auf und ab und fängt dann erst langsam an, rhythmisch zu tänzeln sowie seine noch immer furchterregenden Arme in die Kampfposition zu heben. Das Publikm, das sich drei Reihen tief um den Ring drängt, jubelt.

Doch nach einer guten Viertelstunde ist alles wieder vorbei. Vier, fünf Schlagkombinationen, die Jeff Fenech mit Sparringshandschuhen abfängt, zeigt Tyson der Touristenhorde, dazwischen lässt er sich theatralisch von gleich drei Komparsen, die den Betreuer geben, den Kopf mit Wasser übergießen und sich den Nacken massieren. Danach hat der einst gefürchtetste KO-Schläger der Welt genug. „Ich hasse Training“, gibt er unumwunden zu, als er im Anschluß Fragen aus dem Publikum beantwortet. „Ich habe meine Karriere beendet. Ich bin nur hier, weil ich Geld dafür kriege.“

Mike Tyson macht keinen Hehl daraus, dass das, was er derzeit in Las Vegas abliefert, eine Farce ist. Auf dem Strip – der Hotel- und Kasinomeile, die Vegas definiert – wird mit überdimensionalen Plakaten ein mehrwöchiges „Mike Tyson – Trainingscamp“ angepriesen. Jeden Tag, so werben die Tafeln, übt der böse Mann des Boxsports zwei Stunden lang im Aladdin. Eintritt frei. Wofür er übt weiß allerdings niemand zu sagen. Von einer Serie von Schaukämpfen wird zwar gemunkelt, bestätigen wollen jedoch weder Tyson, noch sein Management, noch das Aladdin das Gerücht. Fest steht, dass er sich nach seinem letzten Titelkampf im vergangenen Jahr endgültig aus dem ernsthaften Profigeschäft verabschiedet hat. „Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr“, sagte er, seelisch und körperlich ausgebrannt, nachdem er in den siebten Runde gegen Kevin McBride das Handtuch geworfen hatte.

„Ich möchte nicht mehr dieser Typ sein“, begründete er damals, dass er endgültig vom Boxen die Nase voll habe. Tyson war der Rolle des gemeingefährlichen, unkontrollierbaren Totschlägers überdrüssig, die ihm anhängt, seit er sich 1986 mit erst 20 Jahren seinen ersten Weltmeistertitel im Schwergewicht holte. Doch er wird die Rolle nicht los, auch wenn er nicht mehr um den Titel boxt. Andere Vegas-Hotels locken die Laufkundschaft mit wilden Tigern, so wie das MGM oder mit Haien in Riesenaquarien, wie das Mandalay Bay. Das Aladdin hat den wilden Tyson. Die Vegas-Touristen, die in pinkfarbenen Hosen und Tennisschuhen den Strip auf und ab flanieren zwischen Shopping, einem Bingo-Spiel und Celine Dion ein wenig erschaudern zu lassen, ist offenbar derzeit für ihn die einzige Art und Weise, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Mike Tyson hat im Lauf seiner Karriere 400 Millionen Dollar verdient. Doch er hat das einmalige Kunststück fertig gebracht, eine solche Summe komplett zu verprassen. Die Party zu seinem dreißigsten Geburtstag kostete eine Million, er gab im Monat 8000 Dollar für die Pflege seiner Tiger aus und 65,000 Dollar für Chauffeure. Seinen häufig wechselnden Begleiterinnen Schmuck für mehrere Hunderttausend zu kaufen, war für Tyson keine Seltenheit. Vor drei Jahren musste er dann persönlichen Bankrott anmelden. 23 Millionen schuldet er den englischen und amerikanischen Steuerbehörden, seiner Ex-Frau, seinen Anwälten, Managern, Trainern, Geschäftspartnern. Und er muss den Unterhalt für sechs Kinder von verschiedenen Müttern aubringen.

Fünfzehn Jahre lang füllte Tyson die großen Boxhallen der Welt, in dem er willig diese Rolle spielte. Die Menschen kamen nicht wie zu Muhammed Ali, weil er ein so überragender Boxer war. Sie wollten Tyson sehen, weil er so gewalttätig und unberrechenbar war wie niemand sonst. Man wusste nicht, ob er seine Gegner nur niederstreckt, ob er versucht, ihnen die Knochen zu brechen oder ob er ihnen sogar ein Stück Fleisch aus dem Ohr beißt, wie 1997 aus dem von Evander Holyfield. Bis zu 30 Millionen pro Abend bekam er dafür. Im Aladdin wird er wohl nur einen Bruchteil dieser Summe verdienen. Aber er zieht noch immer die Leute von der Strasse, er ist noch immer mehr als nur ein abgehalfteter Boxer. Er ist ein Freak, eine Attraktion, so wie früher die bärtigen Damen und die siamesischen Zwillinge auf den Jahrmärkten. Man kommt, um den Unbändigen zu sehen, den Vergwaltiger, den ehemaligen Zuchthäusler, das wilde Tier, den zornigen mißhandelten Jungen aus den Slums von Brooklyn.

Erstaunlicherweise durchschaut Mike Tyson seine deprimierende Lage, die traurige Geschichte, die er aus seinem Leben gemacht hat genau. In der Frage und Antwort-Session, die länger dauert, als davor das sogenannte Training, fragt ihn ein Fan, ob er etwas für die Flutopfer in New Orleans tun wolle. „Ich muss erst einmal mir selbst helfen“, sagt er, alleine mit einem Handtuch auf dem Kopf und einem Mikrofon in der Hand im Ring stehend. „Ich bin auch eine Katastrophe. Nennt mich Katrina-Mike.“

Dann klettert er vom Ring auf den Teppichboden des Kasinos und setzt sich am Ringrand auf einen Hocker. Eine ganze Einheit von Ordnern in dunklen Anügen reihen die Zuschauer zu einer Schlange auf, die sich an den unaufhörlich klingelnden einarmgen Banditen vorbei bis zum Eingang der Expresshochzeits-Kapelle in einem Hinterzimmer windet. Einer nach dem anderen darf sich jetzt mit „Iron-Mike“ fotografieren lassen. Und alle wollen ihn dabei anfassen, ihn umarmen oder ihm die Hand schütteln. Es ist ein bißchen wie in einem Streichelzoo mit Raubtieren. Ich habe Tyson berührt und er hat mir gar nicht weh getan, wird man dann zuhause in Idaho oder Minnesota oder Kyoto zu den Bildern sagen können. Oder es sich zumindest denken. Tyson lässt das geduldig und freundlich über sich ergehen, auch wenn sein Blick nicht verbergen kann, wie sehr ihn das alles quält. „Die Leute glauben, dass ich ein wildes Tier bin. Egal, was ich tue, ich kann das nicht ändern“, sagte er jüngst erst der Zeitung USA Today. Tyson hat sich resigniert in sein Schicksal gefügt und spielt das faule Spiel mehr oder weniger willig mit.

Eine junge Frau in Jogginghosen, die gebannt das bißchen Training verfolgt hat, das Tyson vorher gezeigt hatte, hält sich derweil zurück. Sie will kein Photo, sie bleibt auf ihrem Stuhl sitzen und lässt das Gesehene in ihrem Kopf nachwirken. „Diese Kraft, diese Schnelligkeit“, schwärmt die Französin, die sich als Sylvie vorstellt und als Boxerin zu erkennen gibt, „selbst jetzt noch. Von den vielen vielen Tausend Boxern hat nicht einmal ein Prozent das Talent für so etwas“, schwärmt sie. Für Sylvie ist Tyson vor allem noch immer einer der begnadetsten Athleten aller Zeiten. „Man muss doch seine Leistung im Ring und das was er sonst getan hat auseinander halten“, sagt sie. Tyson, den die Fotografen noch immer umzingeln und gar nicht mehr weglassen wollen, kann das leider nicht hören. Dabei täte es ihm bestimmt gut.

Sebastian Moll