Thursday, February 14, 2008

Einer lügt hier - Die Dopinganhörungen von Roger Clemens vor dem US-Abgeordnetenhaus

Roger Clemens hatte die Stirn in Falten gelegt, die Augen waren verkniffen und die Mundwinkel nach unten gezogen. Ob er verstehe, dass er hier unter Eid steht, fragte der schwarze Kongressabgeordnete Elijah Cummings aus Maryland von seinem Pult herab den ehemaligen Baseballstar. „Ja, Sir“, erwiderte Clemens mit einem hörbaren Klos im Hals. Ob er sich bewusst sei, was dies bedeute, hakte der Parlamentarier nach. „Ja, Sir“, erwiderte der massige Ex-Rekordschlagmann erneut mit bebender Stimme von seiner Anklagebank aus.

Die Frage von Cummings war eine nachdrückliche Erinnerung an das Baseball-Idol, dass es bei seiner Aussage vor dem Doping-Untersuchungsausschuß des US-Abgeordnetenhauses am Mittwoch um mehr ging, als nur um seinen Ruf und um die Glaubwürdigkeit der Rekorde und Titel aus Clemens’ langer Karriere. Würde Clemens unter Eid erneut behaupten, er habe nie gedopt und würde sich später heraus stellen, dass das eine Falschaussage ist, würde dem 45 Jahre alten Texaner eine Anklage wegen Meineides drohen. So, wie die Anklage, die derzeit sein Kollege Barry Bonds in San Francisco am Hals hat und die ihm Jahre im Gefängnis einbringen könnte. Gleich sechs FBI Agenten saßen am Mitwoch auf dem Capitol Hill in Washington im Publikum, um Material für eine mögliche Strafverfolgung zu sammeln.

Es ging also um viel, auch wenn der Vorsitzende des Kommittees Tom Davis wiederholt betonte, dass die Anhörung keine Gerichtsverhandlung sei. Das Kommittee, so Davis, sei lediglich daran interessiert, die Glaubwürdigkeit des Mitchell-Reports sicher zu stellen – jenes Dossiers des ehemaligen Senators George Mitchell, der im Dezember nach zwei Jahren Recherche zu dem Schuss gekommen war, dass im Nationalsport Baseball über mindestens ein Jahrzehnt lang flächendeckend gedopt wurde. In dem Bericht war zusammen mit rund 80 Kollegen auch Clemens genannt worden. Sein ehemaliger Trainer Brian McNamee hatte nämlich gegenüber Mitchell ausgesagt, Clemens über Jahre hinweg mit dem Wachstumshormon und mit Steroiden versorgt zu haben. Doch Clemens hatte die Aussagen McNamees geleugnet und in den letzten Wochen mit einer großangelegten PR-Kampagne seinen ehemaligen Betreuer zu diskreditieren versucht. Ganze Detektiv-Teams hatte Clemens los geschickt, um Material zu finden, mit dem er McNamee übel beleumunden kann.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, ließ das hohe Gremium nun die beiden ehemaligen Partner ihre widersprüchlichen Aussagen unter Eid wiederholen. Es war ein Nervenspiel zwischen Clemens und dem schmalen, blassen McNamee, der einst den kräftigen Werfer fit gemacht hatte. Einer der beiden würde Meineid begehen müssen und die Frage war, ob es der Lügner dabei schafft, die Contenance zu wahren. Keiner der beiden zerbrach letztlich an dem Druck, doch Clemens’ Behauptungen wirkten Live im nationalen Fernsehen noch fadenscheiniger, als in den zahllosen Interviews, die er seit der Veröffentlichung des Mitchell-Reports vor zwei Monaten gegeben hatte.

Als Clemens mit der Aussage seines Kumpels und ehemaligen Mannschaftskollegen Andy Petitte konfrontiert wurde, Clemens habe diesem gegenüber mehrfach die Einnahme von HGH zugegeben, wusste Clemens etwa nur zu sagen, dass sich Petitte wohl verhört haben muss. Um das Mißverständnis plausibel zu machen, versuchte Clemens zu erklären, dass er wohl damals von seiner Frau gesprochen haben muss, die sich von McNamee HGH gegen Alterungserscheinungen habe spritzen lassen. Damit widersprach sich Clemens jedoch selbst, denn er hatte vorher ausgesagt, seine Frau habe erst 2003 von McNamee HGH bekommen. Die Gespräche mit Petitte hatten jedoch schon 1999 und 2000 stattgefunden. Schlimmer noch wurde es für Clemens, als der Abgeordnete Stephen Lynch aus Massachussetts ein äztliches Gutachten von 1998 über ein Hämatom an Clemens’ Hintern vorlegte. Das Hämatom, so das einstimmige Urteil der Sachverständigen, die Lynch befragt hatte, habe nie und nimmer von Vitamin-Injektionen stammen können, wie Clemens dies behauptet. Nach Anabolika-Spritzen seien solche Schwellungen hingegen typisch.

Die eidesstaatlichen Aussagen von Brian McNamee und somit der gesamte Mitchell Report, für den McNamee ein zentraler Informand war, wirkten da schon deutlich glaubhafter. Schon alleine die Tatsache, dass die anderen beiden langjährigen Doping-Patienten von McNamee, Petitte und Chuck Knoblauch, McNamees Geständnisse sowohl gegenüber Mitchell, als auch gegenüber dem Kongressausschuss voll bestätigt hatten, stellten Clemens’ Leugnungen in ein äußerst ungünstiges Licht. Die Inkongruenzen in McNamees verschiedenen Aussagen der vergangenen Monate erklärte der sichtlich gequälte Trainer damit, dass er so lange wie möglich und so weit wie möglich seinen ehemaligen Brötchengeber und Freund habe schützen wollen. Das war deutlich plausibler als Clemens’ verstrickte Geschichten über eine angebliche Anti-Aging Kur seiner Frau.

Trotzdem waren längst nicht alle Abgeordneten von Clemens’ Schuld überzeugt. Der republikanische Kongressmann Dan Burton, ein rechtschaffener Mittelwestler aus dem Bibelstaat Indiana etwa, ging mit einer zehnminütigen Haßtirade wie wildgeworden auf McNamee los. Als notorischen Lügner beschimpfte er den Trainer, ohne diesen überhaupt zu Wort kommen zu lassen und fragte ihn, wie er denn dazu komme, das Ansehen eines „der Titanen“ des Sports zu beschmutzen. In den Tagen vor der Anhörung war Clemens im Abgeordnetenhaus von Büro zu Büro gegangen, um für seine Sache zu werben und es wurde berichtet, dass einige der Parlamentarier sich bei dieser Gelegenheit hatten Autogramme geben lassen. Gewiss war Burton einer von ihnen. Wie viele Amerikaner will der Mann aus Indiana offenkundig noch immer nicht wahr haben, was in seinem Lieblingssport vor sich geht. Spätestens, wenn Clemens vor Gericht steht und Bonds im Gefängnis sitzt, wird Amerika aber wohl daran nicht mehr vorbei schauen können.