Thursday, February 21, 2008

Stell Dir vor es ist Boxen und keiner schaut zu: Vor dem Klitschko-Kampf im Madison Square Garden

Nicht, dass für den Kampf nicht ausreichend geworben wird. In beinahe allen New Yorker U-Bahnwaggons hängen Annoncen für die Partie zwischen Sultan Ibragimov und Vladimir Klitschko und am Madison Square, wo die Schwergewichtsweltmeister am Samstag gegeneinander in den Ring steigen, prangt ein zehn Meter hohes Banner mit dem Konterfeit der beiden Männer. Doch direkt vor der Arena, auf der wuseligen Siebten Avenue in Midtown Manhattan, weiß trotzdem keiner der Passanten etwas von dem als „Kampf der Kämpfe“ vermarkteten Event. „Ist Tyson nicht mehr Weltmeister?“, meint Ira Blumberg, ein junger Geschätsmann, während er von der Pennsylvania Station unterhalb des Garden über den Bürgersteig zu seinem Taxi hastet. „Interessant, dass sie mich nach Boxen fragen“, sagt Leon Levy, ein gediegener älterer Herr, der mit einer Zeitung unter dem Arm den Boulevard entlang schlendert. „Ich habe früher alle Boxkämpfe gesehen, zu der Ali-Frazier-Zeit, aber ich habe schon lange nichts vom Boxen gehört oder gelesen.“

Das Vereinigungsmatch zwischen den Weltmeistern der beiden Boxverbände WBO und IBF findet in New York, das bei Kämpfen von Joe Louis oder Muhammed Ali im Garden in einen kollektiven Boxrausch verfiel, praktisch keine Beachtung. Die Zeitungen sind voll von den Dopingskandalen im Baseball und vom Verkauf des Basketball-Stars Jason Kidd nach Dallas. Boxen hingegen findet in der Tagespresse praktisch nicht statt. Drei Tage vor dem angeblich größten Kampf seit 1999 waren zudem noch reichlich Tickets für gerade einmal 150 Dollar zu haben. Und Experten wie Dave Anderson, altgedienter Boxreporter der New York Times, erwarteten auch nicht, dass der Garden bis Samstag ausverkauft sein würde. „Zum Boxen gehen hier doch nur noch alte weiße Männer, die sich an die großen Zeiten des Boxens erinnern und Latinos. Der Mainstream interessiert sich in Amerika nicht mehr dafür.“

Der offensichtlichste Grund für die Krise des Schwergewichtsboxens in Amerika ist das Fehlen eines amerikanischen Stars. Spätestens seit Lennox Lewis, eigentlich jedoch, seitdem Mike Tysons Karriere durch seinen ersten Gefängnisaufenthalt 1992 unterbrochen wurde, fehlt in Amerika der starke Mann, der die Massen fesselt. Deshalb stiegen die großen Fernsehnetzwerke nach und nach aus dem Boxen aus – heute gibt es den Sport nur noch auf dem Kabelkanal HBO zu sehen, der in US Haushalten nicht Teil der Kabelgrundversorgung ist.

Der Programmdirektor von HBO, Ross Greenberg, der auf den Sport setzt, weigert sich freilich dennoch, von einer Krise des Boxens zu reden. „Die meisten Zeitungsredakteure haben dem Boxsport den Rücken gekehrt und versuchen jetzt im Nachhinein, Gründe für ihre Entscheidung zu finden“, schiebt er die Verantwortung für das Problem seinen Print-Kollegen zu. In Wahrheit, so Greenberg, gebe es jedoch ein breites Publikum für das Boxen. Um seine These zu belegen, verweist Greenberg darauf, dass erst im Dezember zwei Millionen Menschen je 54 Dollar bezahlt hätten, um im Pay Per View-Verfahren den Kampf im Super-Weltergewicht zwischen Floyd Mayweather und Oscar De La Hoya zu sehen. Weitere vier Millionen hätten sich das Spektakel später im freien Kabelfernsehen in der Zusammenfassung angeschaut. Thomas Hauser, wie Dave Anderson ein altgedienter New Yorker Boxreporter und Buchautor entgegnet auf Greenbergs Argumentation allerdings: „Klar redet Greenberg sich das schön. Er ist ein Boxpromoter wie alle anderen. Fakt ist, dass die Einschaltquoten von HBO jährlich sinken.“ Genaue Vergleichszahlen wollte HBO auf Anfrage dieser Zeitung nicht nennen.

Einig ist man sich unter amerikanischen Boxexperten auf jeden Fall, dass es der Verbreitung des Sport nicht eben gut tut, vier verschiedene Weltmeister zu haben, deren Namen obendrein noch kaum ein Amerikaner aussprechen kann. Der Vereinigungskampf zwischen Klitschko und Ibragimov schafft da nur begrenzt Abhilfe: „Ich finde es überzogen, hier von einem echten Vereinigungskampf zu sprechen“, sagt Thomas Hauser. „Man kann das doch nicht wirklich ernst nehmen.“ Wenn man tatsächlich den besten Schwergewichts-Boxer der Welt ermitteln wollte, stimmt Hauser in den Chor vieler frustrierter Boxliebhaber ein, dann müsse man Klitschko gegen Nikolai Valuev antreten lassen.

Aber auch der Sieger dieses Kampfes könnte wohl nur schwerlich die Popularität des Boxens in den USA retten. Wie wenig Zugkraft Klitschko hier hat, sieht man alleine daran, dass HBO nicht das Risiko eingeht, den Ibragimov-Klitschko-Fight als lukrative Pay Per View-Sendung anzubieten. „So weit sind wir hier noch nicht, dazu müssen wir unseren Bekanntheitsgrad noch deutlich erhöhen“, sagt Klitschko-Manager Bernd Bönte, der zugibt, dass der Fight am Samstag vor allem dazu dienen soll, die Marke Klitschko in Amerika besser einzuführen. Der ansonsten ausgesprochen umgängliche Klitschko selbst reagierte derweil während einer Pressekonferenz am Mittwoch auf seine mangelnde Popularität in den USA ungewohnt schnippisch. Er rede nicht gerne darüber, wie oft er von Fans angesprochen werde, wenn er in New York durch die Stadt laufe, hieß es. Oft wird es wohl nicht gewesen sein.