Thursday, September 07, 2006

Ende einer Provinzposse: Fünf Jahre nach dem 11. September wird am Ground Zero endlich gebaut

(Frankfurter Rundschau vom 7.9.2006)

Man hat sich schon so an die Stille in der Grube auf dem World Trade-Center-Gelände gewöhnt, dass das in den letzten Wochen dort erwachende Leben beinahe irritiert. Fast fünf Jahre lang erinnerte das Karree zwischen Church-, West-, Liberty- und Vesey Street an den Todesstreifen der früheren deutsch- deutschen Grenze: ein menschenleeres Sandloch mit ein paar Baucontainern, schwer von Polizei und Militär bewacht und von einem vier Meter hohen Stahlgitter-Zaun umgeben. Seit dem Juni 2006 fahren dort unten jedoch Bagger auf und ab, Bauarbeiter rufen sich Anweisungen zu, und es sprießen sogar ein paar Betonwände aus der Erde.

Mittlerweile steht sogar fest, was am Ground Zero gebaut werden woll. Grob jedenfalls. Nach langen und harten Kämpfen hat es im Früjahr endlich eine Einigung um den Entwurf und die Kosten der Gedenkstätte gegeben; und der egomane Pächter des Geländes, Larry Silverstein, hat nach zähem Kampf endlich die Hoheit über den geplanten „Freedom Tower“ an die öffentliche Hand übergeben, damit auch hier endlich das Fundament ausgehoben werden kann. Vorher hatte Silverstein monatelang verheimlicht, dass er das Geld für den Bau gar nicht aufbringen kann.

Viele New Yorker interessiert es allerdings gar nicht mehr besonders, wann und was jetzt am Ground Zero gebaut wird. Der anfängliche städteplanerische Enthusiasmus, der bei den überfüllten Bürgerversammlung unmittelbar nach dem 11. Septmber 2001 spürbar war, ist einem großen Kater gewichen. „Der Wiederaufbau sollte ursprünglich eine symbolische Auferstehung aus der Asche werden“, schreibt der Architekturkritiker Nicolai Ourousoff in der New York Times. „Stattdessen ist er zu einem halluzinatorischen Albtraum geworden: Einer Achterbahnfahrt aus Trauer, Naivität, Schuldzuweisungen, politischem Ränkespiel und Paranoia. „Solange der Schmerz und die Angst so frisch sind und so lange es Kräfte gibt, die beides auszubeuten bereit sind“, schließt Ourousoff, „wird am Ground Zero nichts von Wert entstehen.“

Der erste Akt der peinlichen Posse um die World Trade Center-Bebauung war die Entmachtung von Daniel Libeskind und seinem viel gepriesenen Generalplan für das Gelände. Urspünglich war der Architekt des Berliner Holocaust-Museums Mitglied der Jury für den Neuplanungs-Wettbewerb gewesen. Angesichts der enttäuschenden Beiträge griff Libeskind jedoch selbst zum Zeichenstift. Sein Entwurf – eine Spirale von fünf Türmen, die in dem 1776 amerikanische Fuß hohen Freedom Tower kulminierte – begeisterte die New Yorker. Er verkörperte wenigstens ein gewisses Gespür für die Symbolik des Ortes, das andere Pläne vermissen ließen.

Es dauerte jedoch nicht lange bis jeder, der in dem Prozess etwas zu sagen hatte, an Libeskinds Entwurf etwas herum zu nörgeln hatte. Die Lower Manhattan Development Corporation (LMDC) – eine öffentliche Körperschaft, die zur Wiederbelebung des am 11. September teilzerstörten Viertels gegründet wurde – wollte Libeskinds Gedenkstätte um die Hälfte verkleinern, um Platz für Parkplätze zu schaffen. Ausserdem verlegte die LMDC die geplante Bahnstation und zerstörte somit Libeskinds „Lichtkeil“, durch den am 11. September jeden Jahres das Licht ohne Schatten auf die Erde fallen sollte.

Zu alle dem machte Libeskind noch eine vergleichsweise gute Miene. „Wir arbeiten in einer großen Stadt und nicht im Studio, da muss man sich arrangieren“, sagte Libeskind. Doch als Larry Silverstein anfing, an dem Entwurf für den Freedom Tower herum zu pfuschen, wurde selbst Libeskind fuchsig. Als Silverstein mehr nutzbare Bürofläche im Freedom Tower forderte, nahm sich Libeskind einen Anwalt. Den Machtkampf verlor er schließlich trotzdem. Gouverneur Pataki, der sich mit einem raschen Wiederaufbau politisch profilieren wollte, stärkte Silverstein politisch den Rücken; Silverstein heuerte mit dem uninspirierten Bürobauer David Childs seinen eigenen Architekten und setzte ihn Libeskind vor die Nase. Libeskind wurde zu einer Art Berater für den Bau eines Gebäudes degradiert, das mit seinem Entwurf kaum mehr etwas gemein hatte. „Finster, erdrückend, klobig “, nannte die New York Times den verkrüppelten Entwurf.

Dass Silverstein schließlich in diesem Frühjahr die Bauherrschaft über den Freedom Tower an den Grundtsückseigner, die staatliche Hafen-, Flughafen- und Brückenbetriebsgesellschaft Port Authority abgeben musste, ist freilich hochgradig ironisch. Erst beraubte Silverstein die Neuplanung des Geländes jeglicher Inspiration, jetzt muss er von der Bühne abtreten. Bis er so weit war, nachzugeben, schaffte er es jedoch noch, den Baubeginn um weitere vier Monate zu verzögern. Solange hatte er mit Bürgermeister Bloomberg und Gouverneur Pataki um die Kontrolle über Ground Zero gerungen.

Bloomberg hatte Larry Silverstein schon immer skeptisch gegenüber gestanden. Er kannte den Grundstücksmogul und durchschaute seine Strategie. Silverstein wollte die staatlichen Förderungen einstreichen, sich mit dem Freedom Tower ein Denkmal setzen und sich dann mit dicken Profiten aus dem Staub machen. „Wir hätten dann mit einem halb bebauten Grundstück und mit leeren Kassen da gestanden“, so Bloomberg. Dass Silverstein nicht die nötigen 7 Milliarden hat, um das gesamte Grundstück zu bebauen, ahnte der Bürgermeister. Und weil er richtig lag, konnte er Silverstein auch letztlich in die Knie zwingen.

Gourverneur Pataki hielt jedoch noch lange zu Silverstein. Pataki hat Ambitionen, nach Ende seiner Amtszeit in New York für die US-Präsidentschaft zu kandidieren. Deshalb wollte er bis zum Beginn des Vorwahlkampfes in diesem Herbst am Ground Zero Bewegung sehen – der Neubau dort sollte sein politisches Vermächtnis als Gouverneur sein. Und Silverstein hatte Pataki stets schnelle Resultate versprochen. Erst, als Pataki klar wurde, dass Silverstein seine Versprechen nicht einlösen kann, ließ auch er den Spekulanten fallen.

Eine ähnliche Erfahrung wie Daniel Libeskind machte am Ground Zero der junge Architekt Michael Arad, der den Wettbewerb für die Gestaltung der Gedenkstätte gewann. Zwar musste sich der 34-jährige gebürtige Israeli nicht mit einem größenwahnsinnigen Immobilienhai herumärgern; doch Arad und seine Ideen gerieten trotzdem genauso zwischen die Mühlräder zänkischer Interessengruppen - von den Angehörigen der Opfer über die Lower Manhattan Development Corporation bis hin zu Daniel Libeskind selbst, der sich offenbar im Verlauf des ganzen Prozesses an die New Yorker Gepflogenheiten angepasst hatte.

Arads Entwurf war einer von 5200 Vorschlägen zur Gestaltung der Gedenkstätte gewesen, die der Libeskinds Master-Plan vorsah. Seine Vision ließ schlicht den Grundriss der beiden Zwillingstürme leer. Die schwarzen Quadrate sollten von Wasser umspült werden, das in die Löcher hinein floß. Über Rampen konnte der Besucher am herabstürzenden Wasser entlang 10 Meter in die Tiefe wandeln, wo in einer Galerie die Namen der Verstorbenen in eine Steinwand geritzt sein sollten. Die Reihenfolge der Namen sollte wahllos sein – so wie der Tod im World Trade Center wahllos und willkürlich war. Die Jury war von Arads Entwurf begeistert. Doch wie bei Libeskinds Entwurf hielt die Liebe nur so lange, bis es daran ging, wirklich loszulegen.

Zunächst bekam Arad Probleme mit den Angehörigen der Opfer. Sie störten sich daran, dass die Namen nicht in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt werden sollten und man ihre verstobenen Nächsten deshalb nicht gleich finden konnte. In die Kritik an der Namensliste stimmte dann bald auch Bürgermeister Bloomberg ein: Die städtischen Bediensteten, die Feuerwehrleute und Polizisten fand er, solten gesondert aufgeführt werden.

Der nächste Zank entbrannte, als die Angehörigen der Opfer erfuhren, dass Arad die leeren Quadrate nicht exakt an der Stelle plazieren wollte, wo die Türme gestanden hatten. Arad hatte sie um ein paar Meter verschoben, damit er innerhalb von Libeskinds Generalplan die Rampen unterbringen konnte, auf denen die Besucher in die Tiefe wandeln sollten. Das Wandeln auf den Rampen, so Arad, sei der zentrale Bestandteil der Erfahrung, die der gedenkende Besucher an dieser Stätte machen soll. Die Familien fanden die Verschiebung der Grundrisse hingegen pietätlos.

Mit Daniel Libeskind legte Arad sich an, weil er das von Libeskind geplante Kulturzentrum verschieben wollte. Der Bau, so Arad, verstelle den Eingang zu seinem Mahnmal. Zusammen mit dem Architekten Peter Walker, einem Vermittler, den die LMDC benannt hatte, ging Arad persönlich zu Libeskind, um diese Angelegenheit zu klären. „Es war furchtbar, ich musste die beiden zwei Mal trennen und in verschiedene Zimmer setzen“, erinnert sich Walker. Schließlich einigte man sich dennoch auf den Kompromiß, das Kulturzentrum in Zwei zu teilen.

Das größte Problem für Arad war es indes, dass er als junger Architekt kein eigenes großes Büro im Hintergrund hatte. So verlangte er von den der LMDC, dass sie ihm für das Projekt eine Infrastruktur zur Verfügung stellt. Die LMDC sah hingegen die Not von Arad als Chance, ihn zu kontrollieren. Mit immer neuen Architekturfirmen, die der LMDC wohl gesonnen waren, sollte Arad zusammen arbeiten; er zerstritt sich ausnahmslos mit allen. Ein Jahr verstrich ohne Fortschritt bei Planung und Bau, bis sich Arad und die LMDC auf eine Partnerschaft mit einer kleinen Firma im Greenwich Village geeinigt hatten.

Von Arads Entwurf ist dennoch letztlich nicht viel übrig geblieben. Nachdem die geschätzten Kosten für die Gedenkstätte auf beinahe eine Milliarde Dollar gestiegen waren, schritt Bürgermeister Bloomberg ein. Er strich alle Elemente, die den Entwurf originell gemacht hatten und verwandelte das Mahnmal in „eine bemerkenswerte Banalität“, wie Nicolai Ourousoff in der New York Times schrieb. „Es ist nicht mehr übrig geblieben, als ein beliebiges Wasserspiel in irgendeinem Bürokomplex. Es wird jetzt völlig klar, dass es den Leuten an den entscheidenden Stellen bei der Auswahl von Arad nicht um seine jugendliche Begabung ging, sondern nur darum, jemanden zu haben, den man kontrollieren kann“, schloß Ourousoff. Das Kontrollieren war zwar schwieriger geworden, als ursprünglich geplant. Letztlich gelang es aber dann doch.

Bei all diesen eher provinziell anmutenden Machtspielen um den Südzipfel von Manhattan, ist freileich Eines unter den Tisch gefallen: Eine wirklich grundsätzliche Diskussion darüber, was eine angemessene Nutzung des Geländes wäre und was New York wirklich braucht. So stand der Bau von Bürotürmen nie in Frage. Das einzige Gebäude an dem Gelände, das bereits wieder steht - ein von Larry Silverstein gebautes belangloses Bürohochhaus - hat jedoch bislang erst eines seiner 52 Stockwerke vermietet. Für den Freedom Tower interessiert sich noch überhaupt niemand.

Derweil ziehen immer mehr Privatpersonen in die leerstehenden Büros an der Wall Street, in die die geflüchteten Finanzunternehmen nach dem 11. September nicht wieder zurück gekehrt sind. Wohnungen sind offenbar das, was die Stadt viel dringender braucht als noch mehr Bürofläche und sie würden ein Viertel wieder beleben, das schon durch den Bau des World Trade Center zu einer dysfunktionalen Geschäftsmonokultur verkommen war. Aber man sollte ja die Hoffnung nicht aufgeben, dass der ganze Vorgang doch noch ein gutes Ende nimmt. Verwunderlich wäre es jedenfalls nicht, wenn morgen die Bagger innehalten und die ganze Debatte von Neuem beginnt.