Kein Plan, kein Geld, keine Kraft mehr: Ein Jahr nach Katrina schwindet in New Orleans die Hoffnung

Als der Bostoner Stadtsoziologe John Logan von der Städteplanungsinitiative “Unified New Orleans” hörte, war er zunächst begeistert. „Wow – habe ich gedacht“, sagt der Professor der renommierten Brown-Universität, „genauso würde ich Städteplanung betreiben, wenn ich freie Hand hätte.“ Die erst im Juli verabschiedete Initiative sieht vor, dass die Bürger des zerstörten New Orleans die planerischen Entscheidungen über ihre eigenen Viertel treffen können. Teams professioneller Planer und Architekten werden ihnen mithilfe großzüger Mittel der Rockefeller Foundation als bloße Erfüllungsgehilfen zur Seite gestellt. Von der Idee her also eine Utopie basisdemokratischen Städtebaus.
Doch nachdem Logan mehrfach nach New Orleans gefahren war, um sich das Programm aus der Nähe zu betrachten, verging ihm der Enthusiasmus schnell wieder. „Ich befürchte, die Initiative wird zu einem Papier führen, dass zwar nach einem Städteplanungsdokument aussieht, das aber wenige konkrete Richtlinien für den Wiederaufbau enthält“, sagt Logan, nachdem er eine Reihe von Versammlungen besucht hat, in denen die Nachbarschaftsvereinigungen versucht haben, sich mit den Städteplanern zu verständigen. „Und selbst, wenn ein konkretes Programm dabei herauskommt, weiß kein Mensch, wie etwaige Maßnahmen umgesetzt werden sollen.“
Logan wurde schnell von jenem Pessimismus befallen, der irgendwann jeden beschleicht, der sich in dem Jahr seit der Flutkatastrophe mit den Verhältnissen in New Orleans auseinandersetzt. So idealistisch der neue Plan auf den ersten Blick wirkt – er ist im Kern nichts anderes, als ein letzter verzweifelter Versuch, die Rekonstruktion der Stadt in irgendeiner Weise zu lenken; ein letzter Versuch, die Wiederaufbau-Gelder nicht einfach zu verstreuen oder in korrupten Taschen verschwinden zu lassen sondern sie in eine Vision eines neuen New Orleans zu investieren. Doch nach den Erfahrungen der vergangenen zwölf Monate glaubt kaum jemand mehr so recht daran, dass es je einen koordinierten Wiederaufbau geben wird. „Es gibt keinen Aufbau von unten, von der Basis. Es gibt keinen Aufbau von oben, von der Regierung. Die Stadt ist völlig gelähmt. Es ist eine Tragödie und ein Skandal“, klagt etwa der New Orleaner Schriftsteller Tom Piazza, der nach Katrina in seinem Buch „Why New Orleans Matters“ flammend an die Nation appelliert hatte, den so unersetzlichen wie einzigartigen Kultur-Mix der Stadt zu retten.
Am 15. September 2005 versprach George Bush, über vierzehn Tage nach dem Sturm endlich zum ersten Mal in der Innenstadt von New Orleans stehend, dass die „Stadt größer und besser“ wieder aufgebaut werde, als je zuvor. Die Zerstörung sollte als Chance genutzt werden, die Probleme von New Orleans, die während Katrina so drastisch zu Tage traten – Rassismus, Armut, Verslumung, Kriminilität – beim Wiederaufbau zu lösen. 60 Milliarden wollte er dafür alleine in der Anfangsphase ausgeben.
Bislang hat der Bund nur zehn Milliarden an den Mississippi überwiesen. Weitere Zahlung sind derzeit nicht geplant. Schlimmer noch, George Bush hat die beste Gelegenheit einer zentralen Städteplanung, die Probleme der Stadt tasächlich in Angriff zu nehmen, persönlich sabotiert. Der wohlgemerkt republikanische Kongressabgeordnete Richard Baker aus Louisiana hatte nur Wochen nach Katrina einen Plan vorgelegt, nach dem die Regierung den Bewohnern von New Orleans ihr beschädigtes Eigentum abkauft. Damit wäre allen gedient gewesen – die Obdachlosen hätten eine Starthilfe gehabt und der Staat hätte ausreichend große Teile der zertstörten Stadt in seinem Besitz gehabt, um wirksam neu planen zu können. Doch Geoge Bush hatte ideologische Bedenken: Das Projekt roch ihm zu sehr nach großer Bürokratie und somit letztlich nach Sozialismus.
Auch Bürgermeister Ray Nagin drückte sich aus politischen Gründen um schmerzliche planerische Entscheidungen. Bis heute ist klar, dass die Stadt nicht die Mittel und nicht die Möglichkeiten hatten, ihr gesamtes ehemaliges Gebiet mit der nötigsten Infrastruktur zu versogen: „New Orleans ist finanziell in der Krise. Es gibt kaum Schulen, keine ausreichende medizinische Versorgung, nicht einmal genügend Polizei“, sagt Professor Logan. Dennoch gab Nagin munter Baugenehmigungen an jeden aus, der sein Haus wiederaufbauen wollte. Selbst, wenn es weder Strom noch Wasser gab. Der Grund: Das Sperren oder gar Planieren der beinahe komplett zerstörten, zumeist schwarzen Bezirke wie etwa des Lower Ninth Ward hätte ihn für die Bürgermeisterwahlen im April seine schwarze Wählerbasis gekostet.
Doch auch nach seiner Wiederwahl hat Nagin keine harten Planungsentscheidungen getroffen. Viele Bürger haben unterdessen das Warten auf Vorgaben und Erlaubnisse aufgegeben und nach guter amerikanischer Wildwest-Manier einfach ihre Häuser mitten in völlig zerstörten Gegenden wiederaufgebaut. An Strassen, in denen noch immer mit Schlamm überzogene Autwracks stehen, und in denen die Mehrzahl der Gebäude noch immer verschimmelt und verwüstet sind, stehen vereinzelt frisch renoviert Einfamilienhäuser. Ein surreales Bild. Und nach Ansicht Vieler keine gesunde Entwicklung: „So sehr ich den Geist dieser Leute bewundere“, sagt der Umwelt-Ökonom Richard Campanella von der New Orleaner Tulane Universität, „ich bin mir nicht sicher, ob es so glücklich ist in einer Gegend zu bauen, von der man nicht weiß, ob sie jemals wieder eine Grund-Infrastruktur haben wird.“
Von „Unified New Orleans“ erhofft sich Campanella ebenso wenig wie sein Kollege John Logan. „Es gibt keine Instanz, die die Pläne der einzelnen Nachbarschaften zu einem Ganzen koordiniert. Und es gibt kein Geld, um die Pläne in den Nachbarschaften auch umzusetzen.“ Den Luxus der basisdemokratischen Städteplanung kann die Stadt New Orleans sich in ihrer Lage ganz offenkundig finanziell wie zeitlich nicht leisten. „Wir kommen ohne eine mutige und entschlossene Führung nicht aus“, sagt Campanella. Doch die ist weit und breit nicht in Sicht. In Washington nicht. Und auch nicht in New Orleans.
Sebastian Moll
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