Tuesday, September 12, 2006

"Die amerikanische Intelligenz ist einheitlich gegen Bush" - Intreview mit dem Schriftsteller T.C. Boyle

Herr Corraghessen Boyle, was sind Ihre Erinnerungen an die Zeit rund um den 11. September 2001?

Ich hatte damals zum Glück sehr viel zu tun, ich habe an den letzten Korrekturen meines Romans Drop City gearbeitet und musste gleichzeitig eine Lesereise vorbereiten. Deshalb hatte ich gar nicht die Zeit mir, wie viele andere, den ganze Tag lang die Bilder im Fernsehen anzusehen oder die Ereignisse emotional an mich heran zu lassen. Den ganzen Horror dieses Tages habe ich erst später realisiert.

Was ging Ihnen damals durch den Kopf?

Es wurde mir plötzlich bewusst, wie sehr wir Amerikaner gehaßt werden. Und dann hat man sich gewundert, dass man das nicht früher verstanden hat. Wir haben den Nahen Osten seit Generationen attackiert, zerstört und unterjocht und hätten wissen müssen, dass so etwas irgendwann passiert. Und natürlich hat die Reaktion der Bush-Regierung das alles tausendfach verschlimmert – auf Generationen hinaus.

Welchen Effekt hat der 11. September im Rückblick auf die amerikanische Intelligenz gehabt?

Eines ist klar – die amerikanische Intelligenz ist einheitlich gegen George Bush. Darüberhinaus finde ich es bislang schwer, allgemeine Aussagen zu treffen.

Was ist die wichtigste Folge des 11. September für die amerikanische Kultur und die amerikanische Gesellschaft insgesamt?

Die amerikanische Gesellschaft wird nur noch von Angst geleitet. Angst vor Anarchie und Chaos im Nahen Osten. Angst vor einem neuen Attentat. Diese Angst führt wohl leider zu noch mehr Fremdenhass und noch mehr Rassismus. Und sie wird rigoros von der Politik ausgebeutet.

Viele Ihrer Kollegen haben den 11. September zum literarischen Thema gemacht – John Updike, Jonathan Safran Foer, Ian McEwen. Ihr letztes Buch „Talk Talk“ hingegen hatte Identitätsdiebstahl zum Thema. Warum schreiben Sie nicht über den 11. September?

Nun, ich bin Künstler und Künstler haben zum Glück die Freiheit, sich mit dem zu beschäftigen, was ihre Träume ihnen diktieren. Ich fühle mich bislang noch nicht dazu bewegt, über den 11. September zu schreiben, obwohl ich mir sicher bin, dass er über kurz oder lang meine Arbeit beeinflussen wird. Wie genau, kann ich aber noch nicht sagen.

Aber Sie waren bislang mmer ein sehr politischer Schriftstelle. Ihr Buch „America“ hat die jetztige Debatte über illegale Einwanderung und die Grenze zu Mexiko um 10 Jahre vorweg genommen.


Ja und er wird heute mehr gelesen, als je zuvor. Aber ich möchte mich nicht von einem bestimmten Ereignissen kidnappen lassen. Mich interessieren im Moment in erster Linie die Auswirkungen neuer Technologien auf unser Leben. Da lag das Thema des Identitätsdiebstahls auf der Hand. In „Talk Talk“ geht es aber auch darum, welche Überwachungsmöglichkeiten die neuen Technologien -biometrische Ausweise, Grenzkontrollen mittels Augenscans und so weiter - dem Staat bieten und welche Risiken das birgt. Und das ist in der Welt nach dem 11. September ja auch ein wichtiges Thema. Insofern glaube ich nicht, dass ich irrelevant bin, weil ich mir den 11. September noch nicht direkt zum Thema gemacht habe.

Viele Ihrer Kollegen – Schriftsteller, Filmemacher, bildende Künstler – haben sich seit dem 11. September bemüssigt gefühlt, viel unmittelbarer politische Kunst zu machen oder gar die Grenze von der Kunst zur Politik gänzlich zu überschreiten. Warum erzählen Sie scheinbar unberührt weiter Ihre Geschichten?


Ich denke, wenn ich mein ganzes Können in einen politischen Essay stecken würde, wäre dieser bestimmt sehr wirkungsvoll. Aber ich kann Themen so nicht angehen. Wenn ich etwas verstehen will, dann muss ich mich dem Thema durch das Erzählen annähern. Sie ergeben erst durch die Erzählung Sinn für mich. Ich kann und willl meinen Lesern nicht meine Meinung aufzwingen. Ich will sie verführen.

Dadurch drücken Sie sich aber auch um eine klare Position.

Sicher, das tue ich bewusst. Die meisten Dinge lassen sich nicht sauber in Ja oder Nein, Gut oder Böse auflösen. Die meisten Dinge sind zwiespältig und kompliziert. Ich finde etwa in der Frage der illegalen Einwaderung die linke Position - Grenzen auf – ebenso simplistisch wie die Konservative – Grenzen zu. Für die meisten Dinge gibt es keine einfache Lösung, so wie die Politik es uns immer weiß machen will. Politiker müssen so tun, als gebe es eine Lösung. Ich muss das zum Glück nicht. Aber meine Leser wissen schon, wofür und wogegen ich stehe.

Zum Beispiel gegen George Bush.

Ja. Er hat einen Holocaust angerichtet, er demontiert unsere Grundrechte. Er hat unter dem unsinnigen Slogan „Krieg gegen den Terror“ das Land für 100 Jahre bankrott gemacht und im Nahen Osten eine Situation geschaffen, deren Folgen wir noch lange nicht absehen können.

Sie haben gesagt, die gravierendste Folge des 11. September für die amerikanische Gesellschaft sei das ständige Leben in Angst. Wie wirkt sich das auf Ihr Leben aus?

Nun, man verdrängt vieles im Alltag – gerade hier in Kalifornien, wo wir schon immer mit der täglichen Gefahr eines Erdbebens leben. Aber es schießt einem immer wieder durch den Kopf. Man kann ja auch gar nicht mehr anders, als daeran zu denken, wenn man etwa am Flughafen in diesen Sicherheitsschlangen steht, wo die Prozeduren immer absurder und immer entwürdigender werden. Für mich ist das besonders schlimm, ich habe Fliegen schon immer gehaßt, weil das eine Situation ist, in der ich nicht die Kontrolle habe. Das ist noch um ein Vielfaches Schlimmer geworden.