Friday, September 08, 2006

Mitschuld an den Anschlägen? Der 1.. September und das Kino

Das Attentat auf das World Trade Center am 11. September 2001 war zweifelsohne eine Inszenierung: Die Al Qaeda-Terroristen hatten es darauf angelegt, ikonische Bilder zu erzeugen. Die Rechnung ging auf - Die Inszenierung wurde von den elektronischen Medien dankbar aufgezeichnet, bis zum Überdruß in die ganze Welt ausgestrahlt und hat sich tief in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt.

Kritischen Geistern fiel die finstere Genialität dieser gekonnte Medienmanipulation selbstverständlich sofort auf. Noch in der Woche nach dem 11. September entbrannte eine Debatte darüber, warum die Bilder vom einstürzenden World Trade Center trotz ihrer skandalösen Neuheit so merkwürdig vertraut erschienen. Die Antwort lag auf der Hand: Osama Bin Laden kannte die Bilderwelt von Hollywood. Vorlage für seine Attentate waren Filme wie „Brennendes Inferno“ und „Independence Day“; dass sich die Bilder nahtlos in unser westliches Vorstellungs-Repertoire dessen einfügen, was eine Katastrophe ist, war kalkuliert. Damit war freilich klar, dass die Amerikaner mit ihrer globalen Kultur -Hegemonie selbst an dem Attentat mitschuld sind: Hollywood war indirekt für den 11. September verantwortlich.

Möglicherweise hat Hollywood sich den Vorwurf der Mitschuld am 11. September zu Herzen genommen. Das wäre zumindest eine Erklärung dafür, dass erst im fünften Jahr nach dem 11. September die ersten Filme über den Katastrophentag in die Kinos gekommen sind. Erst in diesem Frühjahr lief „United 93“ des britischen Regisseurs Paul Greengrass – ein Doku-Drama über die Ereignisse in jenem entführten Flugzeug, das am 11. September über einem Acker in Pennsylvania abstürzte. Und nur wenige Wochen vor dem Jahrestag brachte Oliver Stone sein „World Trade Center“ in die Kinos – die Geschichte zweier Polizisten, die in den Trümmern des World Trade Center verschüttet um ihr Überleben kämpfen.

Interessanterweise wählen beide Filme das Genre des Katastrophenfilms, um die Geschichte des 11. September zu erzählen – also genau jenes Genre, für das Bin Laden die Vorlage geliefert hat. John Hobermann, Filmkritiker der New Yorker Village Voice nennt „United 93“ einen Remake der „Airport“-Filme aus den 70er und 80er Jahren und „World Trade Center“ eine Neuauflage von „Flammendes Inferno“. Allerdings vermeiden es beide sorgsam, die allseits bekannten TV-Bilder der einstürzenden Turm-Bauten auszubeuten. In „United 93“ sind sie gar nicht zu sehen, in „World Trade Center“ sind sie klar als TV-Bilder kenntlich gemacht. Durch den Fernsehbildschirm auf der Leinwand schafft Oliver Stone Distanz zu diesen Bildern hofft, sie dadurch zu entschärfen.

Ansonsten war es jedoch ebenso vorhersehbar wie enttäuschend, dass Hollywood nichts anderes eingefallen ist, als konventionelle Genre-Filme, um den 11. September darzustellen. „Die Anschläge des 11. September waren so filmgerecht, dass sie zwanglos in bestehenden Kriegs- und Katastrophengenres dargestellt werden können“, sagt so auch der Münchner Amerikanist und Medienwissenschaftler Christof Decker. Genau das hat Hollywood getan – auch wenn, so Decker, „ein derartiges Ereignis tatsächlich nach einer weniger stereotypen Reaktion verlangt.“ Immerhin entscheiden sich die Filme dagegen, die Vorlage des Kriegs-Genres zu verwenden und weigern sich somit, für den 11. September jenen Kontext aufzumachen, in dem die Bush-Regierung diesen Tag gerne sehen möchte: Als Startschuss nämlich für den sogenanten „Krieg gegen den Terror“.

Man kann indes nur hoffen, dass 9/11-Filme nicht dank Stone und Greengras nun auf alle Zeit auf das Katastrophengenre festgelegt sind. Wünschenswerter wäre, dass mit dem 11. September als Filmsujet experimentiert wird, so, wie das etwa Spike Lee schon ein Jahr nach dem Attentat getan hat. Die klaffende Grube am Ground Zero ist in Lees Film „The 25th hour“ eindeutig der optische Mittelpunkt. Das Thema hingegen sind drei Brüder aus Brooklyn, die von ihrem Leben und der Stadt New York angewidert und deprimiert sind. Der Film thematisert die persönlichen Folgen von 9-11 – eine kollektive Niedergeschlagenheit und Orientierungslosigkeit, von der sich gerade New York bis heute noch nicht erholt hat. Man hat lediglich gelernt, sie zu übergehen und irgendwie weiter zu machen. Von Hurra-Patriotismus und Kriegseuphorie ist in New York freilich nichts zu spüren.

Noch schneller als Spike Lee reagierten die Macher der Spider Man Comics auf den 11. September. Im Dezember 2001 kam die „schwarze Ausgabe“ von Spiderman auf den Markt – heute ein Kult-Objekt, das auf dem Sammler-Markt bis zu 200 Dollar bringt. Das Heft war, wie die Schreiber zugeben, eine Betroffenheitsproduktion, aus dem Gefühl entstanden, nicht normal weiter zeichnen zu können. Fans nahmen es den Zeichnern jedoch übel, dass sie die Realität in die Welt der Superhelden hineingelassen hatten – dort passieren schließlich gewöhnlich viel katastrophalere Dinge, als dass Häuser einstürzen. Und trotzdem machen diese Dinge Superhelden normalerweise nicht, so wie in der schwarzen Ausgabe, hilflos. Die Stunde, verteidigt sich Schreiber John Romita, habe jedoch danach verlangt, die Genregesetze und die Superhelden-Logik zu durchbrechen.

In der Zeit unmittelbar nach dem Attentat schien es geboten, künstlerische Konventionen zu hinterfragen. Der Comic-Zeichner Art Spiegelman etwa fand es unangemessen, nach dem 11. September in gewohnter Weise Geschichten zu erzählen, obwohl er mit seiner presigekrönten „Maus“-Serie sogar den Holocaust zu einer Geschichte verarbeitet hatte. Der 11. September war Spiegelman jedoch noch zu nahe, zu verwirrend und so löst sich sein Band „In the Shadow of No Towers“ von 2004 in ein kaleidoskopisches Nebeneinander verschiedenster Formen, Stile und Erzählstränge auf. Das einzige bleibende Bild des 11. September, dass Spiegelman geschaffen hat, sind die Figuren, die auf dem Rückendeckel des Bandes von großer Höhe (einem Wolkenkratzer?) herunter purzeln. In der Luft hängend, in Panik, – so sieht Spiegelman sich seit dem 11. September. Ein Fallnetz oder gar fester Boden sind nicht in Sicht.

Sebastian Moll