Monday, July 10, 2006

Markus Fothen will nicht werden wie Jan Ullrich

Bordeaux. Markus Fothen bewegt sich auf der großen Bühne so, als täte er das seit Jahren. Im Garten des Hotel La Reserve in einem ruhigen Wohnvorort von Bordeaux drängeln sich die Reporter mit ihren Kameras und Mikrofonen um den erst 24 Jahre alten Fahrer des Teams Gerolsteiner, der überrachsend nach dem ersten Zeitfahren der Tour de France auf dem vierten Gesamtrang liegt. Er antwortet gelassen auf jede Frage, nimmt sich Zeit, um eine aufrichtige Antwort zu finden und schaut dem Frager mit seinen frechen dunkelbraunen Augen freundlich ins Gesicht, während er ungehetzt spricht.

Auf dem Rad bewegt sich der Tour Debütant nicht weniger konzentriert und routiniert. Am Samstag, beim Zeitfahren von Rennes, schoß der ehemalige Juniorenweltmeister in dieser Disziplin auf den siebten Rang. Das ist absolute Weltspitze. Selbst sein eigener Teamchef Hans Michael Holczer, war von dem Ergebnis „von den Socken.“. Imponierend war dabei indes vor allem die scheinbare Abgebrühtheit von Fothen. Der sommersprossige junge Mann ging so sachlich und von jugendlichem Lampenfieber unbelastet zu Werk, als sei dies nicht das größte Radrennen der Welt, sondern ein Juniorenrennen in der Nähe seines Heimatortes Karst bei Düsseldorf.

Sein vermeintlicher Team-Kapitän, der Amerikaner Levi Leipheimer, sagt, er habe „noch nie jemanden gesehen, der zum ersten Mal bei Tour fährt und so dabei so cool ist.“ Leipheimer, Tour-Sechster im vergangenen Jahr, weiß wo von er spricht. Denn er selbst hat, obwohl er schon seit fünf Jahren zur Weltspitze gehört, noch immer mit den Nerven zu kämpfen. Ein wahrscheinlicher Grund dafür, dass er bei jenem Zeitfahren, bei dem Fothen so glänzte, sechs Minuten verlor und somit jede Hoffnung auf den Tour Sieg.

Seitdem liegt es nahe, den deutlich besser positionierten Markus Fothen zum Gerolsteiner Kapitän zu küren. Zumal er im vergangenen Jahr bei seiner ersten großen Landesrundfahrt, dem Giro d’Italia schon gezeigt hat, dass er auch im Hochgebirge mit den Besten mitkommt. Das hielte Fothen selbst jedoch für verfrüht. „Unsere Kapitäne heißen Georg Totschnig und Levi Leipheimer“, wiederholt er gebetsmühlenhaft.

Andere sehen das anders. Georg Totschnig, der Österreicher, der im vergangenen Jahr die größte Bergetappe der Tour gewann, sagte zur Kapitänsfrage bei Gerolsteiner: „Ich denke wir sind jetzt drei.“ Teamchef Hans Michael Holczer sagt, er würde Fothen ganz bestimmt nicht im Weg stehen, wenn er nach vorne fahren kann und will. „Nur zu“, gibt er seinem jungen Mann mit, den nicht wenige für das größte Talent im deutschen Radsport seit Jan Ullrich halten. Levi Leipheimer etwa, Fothens Kapitän, der glaubt Fothen habe „eine großartige Karriere“ vor sich, bei der er seinem jungen Kollegen nicht im Weg stehen möchte. „Für mich muss er jedenfalls keine 100 Kilometer im Wind fahren“, sagt Leipheimer.

Markus Fothen würde indes lieber noch ein wenig mit dem Durchbruch warten. „Ich möchte schon irgendwann in den nächsten Jahren die Tour gewinnen“, gibt er so ruhig und unbekümmert bekannt, wie es nun einmal seine Art ist. „Aber nicht in diesem Jahr.“ So jung die Tour zu gewinnen, das habe noch niemandem gut getan, sagt er und denkt dabei laut an Jan Ullrich.

Die Gefahr, dass Markus Fothen so wie sein Jugendidol Ullrich einmal die Bodenhaftung verliert, scheint jedoch so oder so gering. Fothen wirkt so geerdet, wie man es nur sein kann. Wenn der gelernte Landwirt etwa sagt, dass er irgendwann, nach dem Radsport, wieder auf den Bauernhof seiner Eltern ziehen möchte, dann nimmt man ihm das sofort ab. „Jeden Morgen mit den Tieren aufwachen, das würde mich glücklich machen.“ An diesen simplen Wünschen und Träumen, hat man das Gefühl, würde auch ein Tour-Sieg nichts ändern. Und auch nicht zwei oder drei.


Aber erst einmal stehen in der kommenden Woche die Pyrenäen an, Fothens ersten schweren Bergetappen bei seiner ersten Tour. Viele der rund 170 verbliebenen Tour Fahrer dachten an diesem Ruhetag in Bordeaux sicher mit einem flauen Gefühl an die Qualen und Härten, die ihnen da bevorstehen. Der junge Gerolsteiner-Mann mit der lustigen Tim-Frisur sagt hingegen: „Ich freue mich darauf. Das wird bestimmt ein tolles neues Erlebnis.“ Für Fothen ist die Tour noch ein aufregendes Abenteuer, eine spannende Reise mit ungewissem Ausgang. Eine erfrischende Vorfreude, die ansteckt – man kann es kaum erwarten, ihn an den Hängen des Tourmalet und des Aubisque zu sehen.

Sebastian Moll