Saturday, July 01, 2006

Tour de France: Start ins Ungewisse

Strasburg. Michael Klein hat in den letzten 24 Stunden eine schwere Krise durchgemacht. Der Unternehmensberater aus München ist leidenschaftlicher Hobbyradfahrer und eingefleischter Tour de France-Fan und er hatte sich schon seit Monaten auf die Reise zum Prolog nach Strasburg gefreut. „Als das gestern passiert ist, wollte ich am liebsten zuhause bleiben“, sagte er zum Rausschmiss der beiden Tour-Topfavoriten Ullrich und Basso und 11 weiterer Fahrer, während er am Samstagmittag am Boulevard Ohmacht in der Strasburger Innenstadt auf die ersten Starter wartete. Nach dem er eine Nacht darüber geschlafen habe, freue er sich nun jedoch wieder auf das Rennen.

Jetzt konzentriere er sich eben auf andere Fahrer als auf Ullrich tröstete sich Michael Klein, vielleicht auf Andreas Klöden, ganz bestimmt auf Erik Zabel bei den Sprints und der Gerolsteiner-Kapitän Levi Leipheimer solle ja auch gut in Form sein. Auf jeden Fall werde es bestimmt ein spannendes Rennen werden. Mehr noch als zuvor, schießt es Klein durch den Kopf und der Gedanke versöhnt ihn mit seinem Lieblingssport.

Die Tour ist nach dem Rausschmiss der großen Stars und den Dopingenthüllungen vom Freitag eine andere und in Strasburg versuchte man sich allenthalben neu zu orientieren. Was für eine Art von Rennen die Tour in diesem Jahr wird, war dabei nur unmittelbarste Frage. Die größeren Fragen, die Fans, Sponsoren, Fahrer und Medien zum Tour Start beschäftigten, waren hingegen die Auswirkungen auf die Zukunft der Tour de France insgesamt, sowie auf die Zukunft des Radsports.

Tour-Direktor Christian Prudhomme bestand darauf, dass der Freitag kein schwarzer Tag für die Tour war. Im Gegenteil. Der Sport, so Prudhomme gegenüber der Sportzeitung L’Equipe, habe durch sein entschlossenes Handeln ein starkes Zeichen gesetzt. Er habe dadurch an Glaubwürdigkeit gewonnen und nicht verloren und sportlich werde die Tour ja nun um so schöner, weil sie völlig offen sei.

Im Fahrerlager war unterdessen die Stimmung noch etwas gedrückt. „Unsere Leute sind stinksauer“, erzählte der Sprecher des Gerolsteiner Teams, Matthias Wieland. „Zum einen sind sie sauer auf diejenigen, die mutmasslich gedopt haben, weil sie sich von denen betrogen fühlen. Zum anderen sind sie sauer, weil es jetzt wieder überall heißt der ganze Radsport ist versaut. Sie haben keine Lust,die Kollektivschuld auf sich nehmen.“

Damit, dass sein ohnehin schon nicht allzu glänzendes Image erneut massive Verwüstungen erlitten hat, wird der Radsport allerdings wohl leben müssen. Die Sponsoren halten zwar bislang still – bei T-Mobile etwa geht man davon aus, dass der Vertrag mit dem Team bis 2008 unverändert weiter läuft. Sportvermarkter sind sich allerdings einig, dass man in den Marketingabteilungen der Unternehmen ernsthaft das Engagement überdenken wird. Markus Glöckner, der mit seiner Münchner Agentur im Fussball und in der Formel 1 arbeitet, sagt: „Für Firmen, die das Sponsoring nicht nur aus Liebhaberei sondern mit ernstem Marketinginteresse betreiben, ist ein positives Image ganz wichtig. Da wird man sich das genau überlegen. Ausserdem braucht man Stars“, spielt er auf die Tatsache an, dass T-Mobile nun ohne Jan Ullrich auskommen muss.

Darüberhinaus braucht der Sport die Medien, vor allem die elektronischen. Und die sind seit Freitag ebenso verunsichert wie alle anderen, die mit der Tour und dem Radsport zu tun haben. „Die Tour-Organisation hat wirklich alles getan, um ihr Image zu schützen“, sagte Peter Kaadtmann, Chef de Mission des ZDF bei der Tour in Strasburg. „Das wollen wir unterstützen und nicht gleich weglaufen.“ Andereseits gab er zu, dass man bei den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nach den Ereignissen den Umfang der Übertragungen in den kommenden Wochen durchaus überdenke. Ob und wie viel Tour zu sehen sein wird, hängt von den Quoten der nächsten Tage ab. Und davon, ob die Werbekunden weiter mit diesem Sport assoziiert werden wollen. Auch von dieser Seite, signalisierte Kaadtmann, gebe es laute Bedenken.

Für die Franzosen war der Ausschluss der Stars und die Botschaften aus Spanien hingegen weniger beunruhigend. Zum einen wurde nicht bekannt, dass ein französischer Fahrer Kontakte nach Madrid hatte. Zum anderen sind die Chancen der französischen Fahrer, die seit 1985 die Tour nicht mehr gewonnen haben, nach der Abreise von Ullrich und Basso deutlich gestiegen. „Vielleicht schafft es ja Thomas Voeckler“, hoffte am Samstag ein elsässischer Fan nur Meter von der Startrampe auf seinen Landsmann, der vor zwei Jahren 13 Tage lang des Gelbe Trikot getragen hatte. Möglich wäre bei dieser Tour ohne Favoriten gewiss auch das.

Sebastian Moll