Tuesday, June 06, 2006

NBA Finals: Beginn der Ära Nowitzki?

Wenn einer von Dirk Nowitzkis lehrbuchhaften Dreipunktewürfen schmatzend im Korb landet, jubelt der 2,12 Meter lange Würzburger gewöhnlich nicht groß. In einer Bewegung dreht er sich blitzschnell um und läuft sofort auf seine Defensivposition. Nowitzki hat einen Job zu erledigen, er schaut nach vorne und nicht nach hintenund er tut alles, um nicht die Konzentration zu verlieren.

Seit Nowitzki 1998 in die NBA kam, ist er auf ein Ziel fixiert – den Titel. Da blieb bislang kein Raum dafür, inne zu halten oder gar zu reflektieren – weder auf dem Spielfeld noch abseits davon. Erst jetzt, da sich die Dallas Mavericks für das NBA-Finale gegen Miami, das am Donnerstagabend beginnt, qualifiziert haben und der Titel nur noch vier Siege entfernt ist, erwischt sich Nowitzki dabei, dass er ein wenig besinnlich wird.

„Es ist schon merkwürdig“, sagt er über die ungewohnte Erfahrung, dass es ihn auf einmal zur Reminiszenz drängt. „Acht Jahre lang denkst Du über nichts anderes nach, als darüber, es bis hierher zu schaffen. Und dann bist Du da und alles was Dir einfällt, ist es, zurück zu blicken.“ So musste er etwa daran denken, wie das war, als die Mavericks die schlechteste Profi-Mannschaft der USA waren und er selbst sein frustrierendes erstes NBA-Jahr beinahe komplett auf der Bank verbrachte. „Kein Mensch interesssierte sich damals für die Mavericks und Du konntest ungestört in der Stadt herum laufen“, sagt er. Nur um sich in rasch in Erinnerung zu rufen, dass der Weg noch nicht zu Ende ist: „Hoffentlich schaffen wir es noch eine Stufe weiter.“

Der Titelgewinn wäre für Dallas und Nowitzki in der Tat der Endpunkt eines langen, verschlungenen Pfades. Wirklich begonnen hat das Projekt Meisterschaft für den bis dahin eher belächelten Club aus Dallas, als der New Economy-Milliardär Mark Cuban im Jahr 2000 die Mavericks kaufte. Der Turnschuh-Unternehmer erfüllte sich damals einen Jugendtraum. Und er brachte die Dynamik des frechen Self-Made Man in die unambitionierte und dysfunktionale Organisation ein. Alles andere als die Meisterschaft anzustreben, wäre für Cuban Zeitvergeudung gewesen.


Sein Rezept dafür war lange Zeit das Dreieck Michael Finley, Steve Nash und Dirk Nowitzki. Die drei jungen talentierten Männer spielten erfrischenden Offensivbasketball, doch um ganz nach oben zu kommen, reichte es nicht. Deshalb ließ Cuban nach der Saison 2004 Nash und Finley gehen und baute um Nowitzki herum eine neue Mannschaft auf. „Es hat weh getan, die beiden zu verlieren“, sagt Nowitzki heute. „Ich würde mir wünschen, dass sie heute diesen Moment mit mir teilen könnten.“

Doch die Entscheidung von Cuban stellte sich als richtig heraus. Cuban baute eine neue Formation alleine um Nowitzki herum auf. Eine Verantwortung, die zu tragen viele dem Deutschen nicht zutrauten. In der diesjährgen Playoff-Serie hat er jedoch bewiesen, dass er reif dazu ist. „Jahrelang wurde Nowitzki dafür kritisiert, dass er zu still dafür ist, um ein Team zu führen“, schrieb Ian Thompson auf der Website des Sportmagazins Sports Illustrated. „Doch diese Kritik verkennt seine Persönlichkeit. Er führt nicht, indem er verlangt, dass man sich ihm unterwirft, sondern in dem er seinen Mannschaftskollegen erlaubt sich zu entfalten.“ Gemäß Nowitzkis Philosophie, dass „wer Individualsport sehen will doch zum Kugelstoßen gehen soll“, sind unter seiner sanften Führung die Mavericks nun zur homogensten Mannschaft der Liga zusammen gewachsen. „Wir haben jetzt endlich die richtigen Mosaiksteine gefunden“, sagt er. „Die Mannschaft funktioniert.“

Im Finale trifft Nowitzki interessanterweise auf einen Superstar, der einst beinahe das Gegenteil von dem verkörperte, für das der Deutsche steht. Shaquille O’Neal galt in seiner Zeit bei den LA Lakers als egoistisch und unflexibel, als reines Kraftpaket, das nichts kann, als sich mit seiner Masse den Weg zum Korb frei schaufeln und den Ball hinein stopfen. In der diesjährigen Nachsaison hat O’Neal jedoch ganz neue Züge gezeigt – er ist mannschaftsdienlich, variabel, geschickt. Daraus, dass er sich das nicht zuletzt von Nowitzki abgeschaut hat, macht er indes keinen Hehl. Nowitzki, lobte O’Neal vor dem Finale den Deutschen, würde vormachen, wie lange Männer wie er den nächsten zehn Jahren Basketball spielen werden. O’Neal wird das nicht mehr vom Platz aus erleben. Doch immerhin darf er ab heute abend beim Beginn der Nowitzki-Ära im US-Basketball noch einmal eine tragende Rolle spielen.

Sebastian Moll