Wednesday, May 31, 2006

Start der Hurricane-Saison in New Orleans - Unheil in der Luft

Im Sommer, wenn das Thermometer im Mississippi-Delta auf 40 Grad klettert und die Feuchtigkeit aus den Sümpfen die Luft so dick macht wie Erbsensuppe, kann man sich auf den Strassen von New Orleans manchmal fühlen wie eine wandelnde Leiche. Der Kopf kann keinen klaren Gedanken mehr fassen und man schleppt sich wie benommen durch den Tag.

In diesem Sommer haben die rund 150,000 New Orleanians, die seit Hurricane Katrina wieder in die Stadt zurück gekehrt sind, mehr denn je das Gefühl, zwischen Tod und Leben zu schweben. Am heutigen 1.Juni beginnt die neue Orkan-Saison und sie dauert vier quälend lange Monate bis Oktober. Große Teile der Stadt liegen noch immer in Trümmern. Die wiederaufgebauten Flutsicherungssysteme sind bestenfalls so stark, wie sie vor Katrina waren. Und Katrina war, als sie über den Lake Pontchartrain fegte, lange nicht der schlimmst-mögliche tropische Wirbelsturm.

Während eines Großteils der vergangenen neun Monate herrschte in der Bevölkerung von New Orleans Wut – wegen der unzulänglichen Reaktion der Behörden auf die Katastrophe und wegen der unerträglichen Bürokratie und dem unwürdigen politischen Tauziehen beim Wiederaufbau. Jetzt, da die Gefahr eines erneuten Sturms plötzlich da ist, weicht der Zorn jedoch der nackten Angst. „Ich bin eigentlich ein unverbesserlicher Optimist“, sagt etwa Chris Rose, Redakteur bei der örtlichen Zeitung Times Picayune. „Aber es liegt ein unverkennbarer Geruch von Unheil in der Luft.“

Das bestätigt auch Albert Gaude, der als Beauftragter der nationalen Meersebehörde in den vergangenen Monaten den Fischern an der Küste Louisiana beim Neustart geholfen hat. „Die Zeit des Zorns ist vorbei. Jetzt fürchten sich die Leute nur noch.“ Und das aus gutem Grund. Nur vier Tage vor Beginn der Sturm-Saison ist etwa 100 Kilometer vor New Orleans am Mississippi ein 120 Meter langer Abschnitt eines gerade wieder aufgebauten Dammes um vier Meter abgesunken. Wie lange es dauern wird, die Lücke in der Flutsicherung zu schließen, konnten die Verantwortlichen des Pioniercorps der Armee nicht vorher sagen.

Aber auf die Beteuerung des Korps am 25.Mai, dass die Stadt sicher sei, hatten die Menschen von New Orleans ohnehin keinen Pfifferling gegeben. Zu viele leere Versprechen haben die Menschen in den vergangenen Monaten von den verschiedenen offiziellen Stellen gehört. „Ich traue dem Armeekorps nicht über den Weg“, sagt Isabelle Coussart, eine Reiseunternehmerin, die ihr Geschäft von Touren durch das pittoreske Plantagenland im Delta auf die in letzter Zeit stärker nachgefragten Rundfahrten durch die zerstörte Stadt verlagert hat.

„Die neuen Dämme sind doch nur Flickwerk“, glaubt auch Barbara Martin, eine ältere Dame, die in New Orleans aufgewachsen ist und deren 150 Jahre altes Haus Katrina glücklich überstanden hat. Diese Meinung teilt Barabara mit vielen Experten. Zwar, so ist man sich einig, ist in etwa der Schutz wieder her gestellt, der vor Katrina herrschte. Der war jedoch ganz offenkundig zu schwach. Ivor van Heerden vom Orkan-Zentrum der Louisiana State University sagte gegenüber der New York Times, das reparierte System würde bestenfalls einen Sturm der Kategorie Zwei aushalten. Katrina wurde mit 5 klassifiziert und die Meteorogen erwarten, dass sich in dieser Saison fünf Stürme über dem Atlantik zusammen brauen, die mindestens die Stufe Drei erreichen.

Vor diesen Stürmen fühlen die New Orleanians sich alles andere als geschützt. Das einzige, was ihnen deshalb bleibt, ist die Hoffnung, dass die Stürme an ihnen vorbei ziehen: „Wir sind alleine in den Händen der Wettergötter“, sagt Barbara. Gleichzeitig planen sie minutiös für den Ernstfall. Den Zusicherungen, dass die Katastrophenbehörde FEMA reformiert ist und nach dem Versagen im vergangenen Jahr diesmal funktionert, vertraut man nämlich genauso wenig, wie den Bekundungen der Armee-Ingenieure.

Barbara etwa hat sich ein neues Auto gekauft, damit sie im Falle einer Evakuierung keine Gefahr läuft, irgendwo liegen zu bleiben. In der Stadt ausharren will sie auf keinen Fall: „Wenn Evakuierung befohlen ist, dann bin ich sofort weg hier.“ Eine Tasche mit dem Nötigsten hat sie auch schon gepackt. Darin stecken vor allem Dinge, die sie nicht ersetzen kann, wie Fotografien ihrer Großeltern. Nach Katrina rechnet niemand mehr damit, glimpflich davon zu kommen. Alles zu verlieren ist ein Schicksal, dessen grausame und ganze reale Möglichkeit man in der Stadt täglich vor Augen hat.

Den Gedanken, was mit der Stadt passiert, wenn tatsächlich noch einmal ein Orkan an der Mississippi Mündung auf Land trifft, wagt kaum jemand laut zu formulieren. Albert Gaude von der Meersebehörde sagt es mit gedämpfter Stimme und einem dicken Klos im Hals: „Dann ist es vorbei mit dieser Stadt.“

Die Leute, die bis jetzt ausgeharrt haben, sind jetzt schon am Rand ihrer Kräfte. Eine weitere Katastrophe würde ihren Durchhaltewillen überstrapazieren. „Die Menschen hier sind so angespannt, dass sie oft ganz unvermittelt in Tränen ausbrechen“, erzählt Chris Smith, Vorsitzender einer Bürgerinitiative für den Wiederaufbau, der, wie Chris sagt, „ohnehin schon 100 Jahre dauert. Wenn ein neuer Sturm käme, wäre das bißchen Wind, das noch in ihren Segeln ist, endgültig weg.“

Barbara Martin etwa, die seit 75 Jahren in New Orleans lebt, sagt: „Es gibt wohl wenige Leute, die hier so verwurzelt sind wie ich. Aber wenn noch ein Sturm kommt, kann ich nicht garantieren, dass ich nicht wegziehe.“