Wednesday, May 10, 2006

Geschundene Matrosen - die Volvo Weltumsegler sind zu müde um New York zu geniessen

Es muss ein Anblick zum Gänsehautkriegen gewesen sein, als die Crew der ABN Ambro One an der Freiheitsstatue vorbei in die New Yorker Bucht einbog und die trotz der nächtlichen Stunde hellerleuchtete Skyline von Manhattan vor den zehn Seglern aus dem Wasser wuchs. Doch die völlig erschöpften Sieger der sechsten Etappe und überlegenenen Gesamtführenden des Volvo Ocean Race hatten am Dienstag früh um vier Uhr kaum mehr Augen für den erhabenen Anblick, mit dem seit über Hundert Jahren die neue Welt Seereisende begrüßt.


Selbst als Skipper Mike Sanderson kurze Zeit später im kleinen Yachthafen am World Financial Center in Lower Manhattan die obligatorische Champagnerflasche zum Knallen brachte, bekam er nur ein angestrengtes Lächeln hin. Obwohl die Strecke von Baltimore mit 400 Meilen im Vergleich zu den Übersee-Etappen ein Sprint war, hatten die 40 Stunden entlang der nordamerikanischen Ostküste den Seglern alles abverlangt. „Ich brauche jetzt erst Mal zwölf Stunden Schlaf“, sagte Sanderson, der trotz des großen Gesamtvorsprungs der ABN Amro One von 23 Punkten noch immer nicht vom Gesamtsieg reden wollte. „Wir segeln ein Rennen nach dem anderen. Ich feiere erst, wenn mir jemand sagt, dass wir gewonnen haben.“

Auch bei der Crew von Sanderson überwog nach 40 Stunden Non-Stop Kampf gegen einen harschen Nordost-Wind die Müdigkeit. Nur schleppend räumten die Männer das Deck auf , einige konnten nur noch mit einem Kaffeebecher in der Hand am Bordrand sitzen und ins Leere stieren. „Die Bedingungen haben uns alles abverlangt“, sagte Mark Christensen, einer der Wachen-Leiter auf der ABN Amro One mit rotunterlaufenen Augen.

Gegenwinde von bis zu 50 Knoten hatten die Boote beim Kreuzen zwei Nächte lang wild durch den ruppigen Atlantik geschmissen. „Unter solchen Bedingungen muss man wissen, wann man draufhält und wann man sich lieber zurückhält“ sagte Christensen dazu, warum die ABN Amro One 23 Meilen vor allen anderen in Manhattan ankam. „Ich denke, wir haben heute die perfekte Balance gefunden.“

Anderen Booten erging es weniger gut. Das Schwesterboot der ABN Ambro One, die ABN Ambro Two etwa, die am späten Dienstagvormittag als letzte in New York ankam und sich durch ein dichtes Gewimmel von Fähren und Wassertaxis im New Yorker Hafen zum Ziel kämpfen musste. Zwei Mal war der Ambro Two das Focksegel gerissen und bei einem fauchenden Gegenwind Segel zu wechseln kostet Zeit, die man nicht mehr aufholen kann.

„Wir mussten jedes Mal 80 Grad vom Kurs abweichen. Das kostet jedes Mal 20 Minuten“, sagte der frutsrierte Taktiker des Bootes, Andrew Lewis. Die Ambro Two war durch den verunglückten Lauf nach New York vom zweiten auf den fünften Gesamtrang abgerutscht. Aber Boote wie die Pirates of the Carribean, die als Zweite in New York ankamen, hatten auch keinen angenehmeren Tag auf dem Wasser: „Wenn man die ganze Zeit bei solchen Winden kreuzt, ist man ständig damit beschäftigt, Segel zu wechseln“, erzählte Jerry Kirby von den Pirates, die nur knapp dem gleichen Schicksal entgingen, wie die Amro Two „Da hat man 40 Stunden lang nicht eine einzige Minute, um sich auszuruhen.“

So machte die totale Erschöpfung der Segler nach nur diesem kurzen Sprint in New York einmal mehr die Entscheidung der Rennleitung zum Thema, aus Kostengründen in diesem Jahr die Crews von zwölf auf zehn Mann zu reduzieren. „Diese Boote sind so unterbesetzt“, klagte Andrew Lewis von der Ambro Two, „dass man nicht genügend Männer hat, um die Segel runterzuholen. Man muss jedes Mal den Kurs wechseln.“

So waren die Crews der sechs Boote nach einer 40 Stunden-Schicht ohne Ruhepause am Dienstagfrüh eindeutig zu ausgelaugt, um über einen ausgiebigen Landgang in New York nachzudenken. Sebastien Josse von der ABN Amro Two etwa war im kleinen Hafenbecken direkt gegenüber von der Baugrube des Ground Zero so fertig, dass er nicht mehr Rekonstruieren konnte, an welchem Tag denn der Start zur nächsten, 3200 Meilen langen Etappe nach England ist: „Es ist nicht leicht die Zeit unter Kontrolle zu behalten , wenn man so müde ist.“ Die Zeit, das konnte man Josse verraten, ist gerade einmal lange genug, um sich auszuschlafen. Am Donnerstagfrüh geht die Zerreissprobe für Mensch und Material unerbittlich weiter.

New York nahm unterdessen die heroischen Weltenumsegler genauso wenig wahr, wie diese dazu in der Lage waren, die Stadt zu geniessen. Vielleicht ein Dutzend Segelenthusiasten hatten sich an den Segelhafen nahe des Battery Park, direkt gegenüber der Freiheitsstatue begeben, um die Helden zu begrüssen. Weitaus größer als der Zuschauerandrang war der normale Frühmorgens-Verkehr von Joggern und Hundespaziergängern am unteren Hudson. Die merkwürdigen Boote und die blassen Männer darin, vermochten es nicht, ihre besondere Aufmerksamkeit zu wecken. Es gibt in New York schließlich noch viel verrücktere Sachen.