Thursday, May 04, 2006

Angela Merkel in New York - Werben für den Standort Deutschland

Man kam sich im Gang vor dem großen Speisesaal des vornehmen New Yorker Hotels Pierre beinahe so vor wie auf einer Tourismusbörse. Beamte des deutschen Konsulats hatten einen Stand aufgebaut und verteilten an die Lunch-Gäste – hochrangige Führungskräfte der amerikanischen Wirtschaft – Reiseführer. „Deutschland – Land der Ideen“ hieß das Werk, das dem potenziellen Handlungsreisenden aus Amerika die Zentren eines modernen, technologisch und kulturell innovativen Deutschland der Gegenwart anpries.

Noch während die US- Wirtschaftsbosse eine Stunde später mit ihrem Nachtisch beschäftigt waren, verlieh die Bundeskanzlerin solchen Werbebemühungen persönlich Nachdruck. Dabei lobte sie die Bundesrepublik, wie schon das Buch zu ihrem Besuch, vor allem als Standort für Forschung und Entwicklung. Deutschland, so die Kanzlerin, habe schon immer von Ideen gelebt. Und dafür, dass das auch so bleibe, setze sie sich mit ihrer Regierung bedingungslos ein. Bis 2010 sollen 3% des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden.

Merkels Auftritt an der Fifth Avenue war ganz offenkundig Teil eines breit angelegten Bemühens, amerikanischen Firmen den Technologiestandort Deutschland schmackhaft zu machen. Erst gestern hatten sich Verkehrs- und Aufbauminister Wolfgang Tiefensee sowie Wirtschaftsminister Michael Glos in Berlin mit Boeing-Chef James McNerney getroffen, um ihn in seinen Plänen zu bestärken, seine Zusammenarbeit mit Siemens zu intensivieren.

Damit die Streitigkeiten, die das Boeing-Engagement in Europa derzeit noch erschweren, andere Investoren nicht abschrecken, betonte Frau Merkel gleich zu Beginn ihrer Rede, dass die Bundesrepublik sich für den freien Wettbewerb und gegen Protektionismus einsetze. In der Verhandlungen vor der WTO um Subventionen durch EU-Staaten für Boeing und Airbus, so Merkel, gebe es große Erfolge zu verbuchen.

Ganz so leicht konnte Angela Merkel allerdings die Vorbehalte der amerikanischen Industrie nicht vom Tisch wischen. Am Vormittag hatte sie im Konferenzsaal im Keller des Pierre zusammen mit sechs Vertretern der deutschen Wirtschaft versucht, amerikanische Bosse wie Mark Hurd von Hewlett Packard, Neville Isdell von Coca Cola, Jeff Immelt von General Electric, Henry Paulsen von Goldmann Sachs oder Louis Camilleri vom Lebensmittelkonzern Atria von Deutschland zu begeistern. Der Präsident der amerikanischen Handelskammer in Deutschland, Fred Irwin, fasste die Gespräche anschließend jedoch als eher angespannt zusammen: „Es ist angesprochen worden, dass die Steuern in Deutschland zu hoch sind und das Arbeitsrecht zu kompliziert.“

Die Kanzlerin hat diese Vorbehalte vernommen und so bat sie sie in ihrer Lunch-Rede die US-Bosse um Geduld. „Eine Politik der kleinen Schritte“, so Merkel, das wisse sie, „sei sicherlich unamerikanisch.“ Die großen Ziele ihrer Regierung – Bürokratieabbau, Verbesserung der Infrastruktur, Senkung der Lohnzusatzkosten – seien jedoch leichter formuliert als durchgesetzt.

Merkel bekam in New York dieselbe Ungeduld mit ihrem Reformtempo zu spüren, die sie aus der Heimat schon kennt. So hatte am Vortag ihres Besuchs in New York das Wall Street Journal die deutsche Kanzlerin unter dem Titel gefeatured: „Merkel gewinnt Popularität, indem sie von ihren Versprechen abrückt.“ Die Deutschen, erklärte das Journal dem amerikanischen Leser, wollen keine radikalen Reformen und das wisse Angela Merkel genau.

Beim Lunch im Pierre tat Angela Merkel jedoch alles, um diesen Eindruck der Reformunwilligkeit zu zerstreuen. Beinahe trotzig ging sie dabei so weit, die amerikanische Regierung für deren zügellose Wirtschaftspolitik zu kritisieren. „Wir wollen unser Budget in Ordnung halten. Wir wollen dazu keine neuen Schulden aufnehmen, weil das unseren Investitionsspielraum einengt. Ich denke, da können die USA von uns lernen.“

Die Belehrung war ein Ausrutscher in einen Tonfall, den die deutsche Delegation in den USA eigentlich vermeiden wollte. „Wir sind hier, um für Deutschland zu werben und nicht um den Amerikanern zu sagen, was sie besser machen sollen“, hatte etwa noch kurz vor dem Mittagessen BDI-Präsident Jürgen Thumann gesagt. Siemens-Chef Klaus Kleinfeld unterstrich, dass es vor allem darum gehe, „die transatlantischen Beziehungen wieder auf ihr traditionell gutes Niveau zu heben.“ Das, lobte er die Kanzlerin, habe Frau Merkel eigentlich „sehr schön gemacht.“

Bis auf die Kritik an der amerikanischen Haushaltspolitik war Angela Merkel auch sehr darum bemüht, die Gemeinsamkeiten zwischen den USA und Deutschland heraus zu stellen. Sie wieß auf das Volumen von 120 Milliarden Dollar amerikanischer Investitionen in Deutschland hin und auf die 500.000 Arbeitsplätze, die amerikanische Unternehmen in Deutschland schaffen. Vor allem aber strich sie die „gemeinsamen Werte der beiden Staaten“ heraus, die in einem „gemeinsamen Bild vom Menschen und von der Demokratie“ bestünden.

Auf der Grundlage dieser Werte müssten die USA und Europa nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich gemeinsam auftreten, indem sie etwa gegenüber neuen Mächten wie Indien und China eine gemeinsame Sprache sprechen. Frau Merkel möchte, dass Europa und die USA als kulturelle und wirtschaftliche Einheit in die Globalisierung marschieren. Und Deutschland soll dabei eine zentrale Rolle als Einiger spielen.