Friday, June 30, 2006

Jan Ullrich - jähes Ende einer turbulenten Karriere?

Die Radprofis des Teams T-mobile mit ihrem Kapitän Jan Ullrich bogen gerade in ihrem klimatisierten Reisebus in die Auffahrt zum Golfhotel in Plobsheim bei Strasbourg ein, als das Handy von Mannschaftsdirektor Olaf Ludwig klingelte. Am anderen Ende der Leitung war Teamsprecher Christian Frommert, der von der Terrasse der gediegenen Anlage aus anrief, wo die deutschen Tour de France Journalisten auf die Pärsentation des Kaders für die Rundfahrt warteten. Ludwig, so die Order, solle den Busfahrer sofort zum Umdrehen bewegen.

Es war eine Fahrt mit Symbolkraft für Jan Ullrich. Das Ziel vor Augen und doch unerreichbar – das ist eine Erfahrung, an die der Rekordzweite der Tour de France sich in den vergangenen Jahren wohl gewöhnt haben dürfte. Diesmal war die Umkehr jedoch endgültig. Jan Ullrich wird nicht zur diesjährigen Tour de France nicht antreten. Und somit vermutlich nie mehr bei einem Radrennen starten.

Die Geschäftsführung von T-mobile wollte am Samstag nämlich Jan Ullrich nicht nur von der wartenden Presse fernhalten. Der Konzern hatte, in den Minuten vor dem Medientermin beschlossen, Ullrich ganz aus der Tour de France zu nehmen. Eine Kündigung war das noch nicht, doch es erscheint im Moment eher unwahrscheinlich, dass Ullrich jemals wieder das rosafarbene Trikot seines Arbeitgebers überstreifen wird, dass er seit beinahe 13 Jahren getragen hatte.

Ullrich hatte das Vertrauen von T-mobile gebrochen. Seit im Mai sein Name erstmals mit einem spanischen Dopingdealer-Ring in Verbindung gebracht wird, beteuert er, nie etwas mit den Madrider Arzt Eufemanio Fuentes und seinen Schergen zu tun gehabt zu haben. Noch am Abend vor dem Medienevent in Polbsheim hatte Ullrich seinen Vorgesetzten beteuert, ein reines Gewissen zu haben. Nur Minuten bevor er sich als Tour-Favorit im Golfhotel strahlend vor die wartenden Kameras stellen konnte, bekam die T-mobile Teamleitung jedoch ein Fax von der Tour de France-Organisation. Es enthielt Gerichtsdokumente aus Spanien, die, so Mannschaftstsprecher Frommert, begründete Zweifel an Ullrichs Aufrichtigkeit hatten aufkommen lassen.

Es ist noch nicht erwiesen, dass Ullrich tatsächlich gedopt hat. Das wird in den kommenden Wochen das spanische Verfahren zutage fördern oder etwaige Untersuchungen, die nun die Radsportverbände einleiten. Vielleicht wird Jan Ullrich darum kämpfen, seine Unschuld zu beweisen. Es steht jedoch fest, dass er diese Tour nicht bestreitet. Sie sollte seine letzte sein, die, mit er seine epische und stets unvollendete Karriere zu einem guten Ende bringen wollte. Neun Jahre lang, seit seinem Tour de France-Sieg 1997, löste er das Versprechen, das sein großes Talent gegeben hatte, nicht ein. Neun Jahre lang lief er verzweifelt einem zweiten Tour-Sieg hinterher. Dieses Jahr, nachdem sein Dauerbezwinger Armstrong abgetreten war, sollte es endlich klappen. Ullrich wollte siegen, seinen Frieden finden und sich dann zurück ziehen. Jetzt ist die Laufbahn des deutschen Sporthelden implodiert und wird wohl auf ewig unvollendet bleiben.

Nachdem der Mannschaftsbus kurz vor dem Golfplatz von Plobsheim abgedreht hatte, fuhr er in das Fachwerkörtchen Blaiseheim zurück, wo die T-mobile Mannschaft im Landgasthof Le Bouef Quartier bezogen. Jan Ullrich verkroch sich auf sein Zimmer und ließ sich auch nicht von der sich rasch wachsenden Reporterhorde unter seinem Fenster ans Tageslicht drängen. Man weiß nicht, wie Ullrichs Gemütsverfassung in diesen Stunden ausgesehen hat. Es sind sicherlich Welten in ihm zusammen gebrochen. Aber möglicherweise hatte er auch so etwas wie Erleichterung verspürt.

Denn die Vollendung seiner Karriere, der zweite Sieg, die Nutzung seiner nach einhelliger Expertenmeinung äußerst raren körperlichen Möglichkeiten, war für Ullrich immer auch ein Fluch. Schon nach seinem ersten Tour Sieg 1997 floh er aus Deutschland in den Urlaub, als er die Ansprüche der Medien, der Fans und der Sponsoren zu spüren begann. Er kam übergwichtig und völlig ausser Form wieder zurück. Seine Speckröllchen trug er wie eine sichtbare Ausrede, die Erwartungen gar nicht erfüllen zu können.

Danach lieferte Ullrich Jahr für Jahr das selbe schmerzhaft anzuschauende Schauspiel ab. Er drückte sich in der rennfreien Zeit vor der nötigen Trainingsarbeit, schien stets mit sich selbst zu ringen, ob er überhaupt noch Radfahren will. Als ihm dann im Frühjahr keine echten Alternativen einfielen, riß er sich zusammen und bastelte dank seiner Begabung und mit einem unheimlichen Kraftakt bis zur Tour noch eine ordentliche Form hin. Zum Siegen reichte das allerdings nie.

2002 brach dieses psychologische Kartenhaus zusammen. Ullrich verletzte sich, konnte den Ansprüchen, denen er sich nicht zu entziehen vermochte, nicht gerecht werden, flüchtete sich orientierungslos in Alkohol und Drogen. Er wurde von seinem Rennstall gefeuert, tauchte ab und musste sich beruflich wie privat ein neues Umfeld schaffen.

Zu diesem Umfeld gehörte vor allen Dingen Rudy Pevenage, der mit Ullrich zusammen das Team T-mobile verließ. Pevenage bereitete im Stillen Ullrich auf sein Comeback vor, das dann 2003 mit der knappsten Niederlage Ullrichs gegen Armstrong im Verlauf ihrer Rivalität auch famos gelang. Beide wurden daraufhin ehrenvoll wieder in Werksportgruppe des Telekommunikationsriesen aufgenommen.

Rudy Pevenage ist nun zusammen mit Ullrich bei T-mobile erneut vor die Tür gesetzt worden. Es liegt nahe, dass er es war, der Ullrich mit dem spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes zusammen brachte. Mit jenem kriminellen Sportmediziner, der nun Ullrich sowie 50 weitere Fahrer und die gesamte Tour de France in den Abgrund gezogen hat.

Bis 2002 war Jan Ullrich fünf Jahre lang von der Unfähigeit zerfressen, sich von den Ansprüchen frei zu machen, die er andererseits nie als seine eigenen annehmen konnte. Möglicherweise zeigte Pevenage ihm vor drei Jahren einen einfachen Weg, das alles mit einem schnellen erneuten Sieg hinter sich zu bringen. Im Nachhinein wäre es für Ullrich freilich vielleicht besser gewesen, man hätte ihn damals gleich in Ruhe gelassen. Er mochte nie wirklich der schillernde deutsche Sportheld sein, den so viele in ihm sehen wollten. Jetzt ist er nicht nur kein Heroe geworden sondern zum Kriminellen. Und zur Symbolfigur für einen Sport, der nicht dazu in der Lage ist, sich selbst zu hinterfragen. Eine tiefere Erforschung seiner emotionalen Landschaften hätte Ullrich jedenfalls gewiss vor seinem traurigen Schicksal bewahrt.

Sebastian Moll