Wednesday, June 28, 2006

Nichts dazu gelernt: Die Tour steht wieder einmal im Zeichen des Dopings

Bjarne Riis kann sich noch genau erinnern wie das war, damals, 1998. Es war seine letzte Tour als Fahrer, und er hätte sich sicher einen schöneren Abschied vom aktiven Radsport gewünscht. Denn statt gemeinsam mit Jan Ullrich heroisch um den dritten Sieg des Team Telekom in Folge zu streiten, verbrachte Riis die letzte Tour-Woche vor allem damit, als Fahrersprecher das Schlimmste zu verhindern. Nachdem die Sportler gleich zu Dutzenden wegen Dopingverdachts in Untersuchungshaft gewandert waren, weigerten sich die, die nicht schon nach Hause geflohen waren, weiter zu fahren. Und wenn ein Streik diese Tour beendet hätte, wäre sie womöglich nie wieder gestartet.

Etwas Ähnliches möchte der heutige Dierktor des Teams CSC – der Mannschaft von Jan Ullrichs schärfstem Rivalen Ivan Basso - nicht noch einnmal erleben. Deshalb gibt er Tage vor dem Tour-Start zu, dass er „Angst“ hat vor dem, was in den kommenden Wochen passieren könnte. Denn das Dopinggespenst sucht wieder einmal den Radsport heim und droht sein größtes Rennen zu Tode zu erschrecken.

„Wenn das stimmt, was man da hört und liest“, sagt der Sport-Direktor der deutschen Gerolsteiner Mannschaft Hans-Michael Holczer, „dann ist das schlimmer als 1998.“ Der spanischen Zeitung El Pais wurden vergangene Woche Dokumente der spanischen Behörden zugespielt, denen zu Folge sich mindestens 58 Radprofis von dem Madrider Arzt Eufemanio Fuentes mittels eines speziellen Aparates das Blut hatten mit Sauerstoff anreichern lassen. Zumindest bei den beiden spanischen Profimannschaften Valenciana und Astana-Würth wurden die Dienste von Fuentes nachweislich systematisch genutzt. Über die Identität von Fuentes weiteren Kunden wird bislang nur spekuliert – auch Jan Ullrich wurde mit Fuentes in Verbindung gebracht.

Die Befürchtung in Radsportkreisen ist nun, dass während der kommenden drei Wochen nach und nach Details und Namen ans Licht kommen und die Tour somit letztendlich zur Farce verkommt. Auch, dass die Behörden sich wie 1998 einschalten, ist nicht ausgeschlossen. Der Präsident des Radsportverbandes UCI, Pat McQuaid verschickte am Mittwoch vorsorglich ein Fax an alle Tour-Teams, in dem er sie dazu aufforderte, sich von ihren Athleten schriftlich versichern zu lassen, nichts mit Fuentes zu tun gehabt zu haben.

El Pais und die spanischen Ermittler sitzen auf einer Bombe, die die Tour de France zum Explodieren bringen könnte. El Pais hat mit Hilfe von Quellen bei der Guardia Civil dokumentiert wie der Dopingdealer-Ring um Fuentes und dessen Schergen Jose Luis Merino, Jose Ignacio Labarta und Alberto Leon funktionierte. Die Zeitung druckte auch belastende Dokumente ab. Namen der Beschulidgten weiß El Pais bislang jedoch nicht oder kann sie nicht veröffentlichen. Lediglich von der Fuentes-Bande verwendete Decknamen wie „Guri, Jorge, Zapatero“, wie „Sevillano“„der schöne Jörg“ und „Hijo Radicio“ – Sohn des Rudy - brachte El Pais in Erfahrung.

Bei der Verknüpfung dieser Decknamen mit Tour-Startern und anderen Radprofis sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Die Spekulationen reichen von Jan Ullrich über Oscar Sevilla bis hin zu Ivan Basso. Kein Team kann sich sicher sein, dass keiner seiner Fahrer in der Sache mit drin hängt. Und auf jeder der 21 Tour de France-Etappen kann aus Madrid eine neue Enthüllung kommen. Die Situation stellt genau das Szenario dar, das der Radsport seit der Tour 1998 eigentlich unter allen Umständen vermeiden wollte. Die Glaubwürdigkeit des Sportes ist auf dem Nullpunkt angelangt, jeder steht unter Vedacht.

Weil El Pais bislang keine Namen nennt sind der Spekulation und den Gerüchten Tür und Tor geöffnet. Alleine die Tatsache, dass Fuentes mit dem italienischen Sportmediziner Luigi Cecchini befreundet ist, reicht aus, die Kunden Cecchinis mit der Affäre in Verbindung zu bringen. Dazu gehören auch die beiden mutmasslichen Protagonisten der Tour Jan Ullrich und Ivan Basso, die sich beide von Cecchini beraten lassen. Jan Ullrich hat nun angekündigt gegen die Verdächtigungen von El Pais alleine aufgrund dieser Verbindung und des Decknamen „Sohn des Rudy“ gegen El Pais zu klagen. Wenn es tatsächlich zu dieser Klage kommt, wird die Zeitung aufdecken müssen, ob sie Konkreteres vorweisen kann.

Der Tour-Organisation ist die derzeitige Faktenlage hingegen noch zu dünn. Man würde sich in Paris zwar wohl gerne vor einer erneuten Katastrophe wie 1998 schützen und hat deshalb auch schon die spanische Mannnschaft Valenciana wieder ausgeladen. Auf allzu dünnes Eis möchte man sich jedoch weder in Paris noch beim Radsportverband UCI begeben.

Der Schaden ist jedoch unabhängig von einzelnen Personen bereits angerichtet. Bis die neue, sozialistische spanische Regierung in diesem Jahr beschloss, über untätige Verbände hinweg gegen Doping durchzugreifen, galt Spanien als Zuflucht für betrugswillige Rad- und andere Sportler. Was die Guardia Civil dort zutage förderte ist ein trauriger Beleg dafür, dass der Tiefpunkt von 1998 im Radsport weder zu einem Neustart noch zu einem Umdenken geführt hat. So muss die Tour de France acht Jahre später immer noch mit dem Generalverdacht gegen alle daran Beitiligten leben. Und mit der Gefahr, dass die Staatsmacht wieder die Athleten von der Massagebank holt und auf die Polizeiwache schleppt. Spätestens, wenn es am 13. Juli bei Bossost über die spanische Grenze geht.

Sebastian Moll