Wednesday, July 05, 2006

Hexenjagd und Pauschalverdacht: Doping bei der Tour

Als Werner Franke das laß, war ihm alles klar. Dem Heidelberger Molekularbiologen, der sich seit Jahren als unerbittlicher Anti-Doping-Kämpfer hervortut, lag ein Schreiben eines Radrennfahrers vor, in dem dieser sich bei einem anonymen „Berater“ über Methoden des Dopings und Bezugsquellen für die entsprechenden Produkte erkundigt. Von EPO und Wachstumshormon war da die Rede, wieviel er wann nehmen müsse um schneller zu werden und doch nicht aufzufallen, wollte der Fahrer wissen. „Ich bin zu allen Schandtaten bereit“, signalisierte der junge Mann, der gerade seine Profi-Karriere begann. „So sieht der Radsport wirklich aus“, kommentierte Franke den Text bissig.

Das Schreiben war Werner Franke zur fachmännischen Beurteilung von einem Reporter des ZDF zugespielt worden, der Name sowohl des Fahrers als auch dessen Adressaten waren darauf geschwärzt. Am Dienstag enttarnte jedoch die Süddeutsche Zeitung den betreffenden Radsportler. Die Zeitung, der Franke das Dokument zugänglich gemacht hatte, rekonstruierte an Hand von Renneinsatzplänen, die in dem Papier aufgelistet waren, dass es sich wahrscheinlich um den T-Mobile Profi Jörg Ludewig handelt.

T-Mobile reagierte so, wie es sich die PR-Abteilung des Unternehmens in jüngster Zeit zur Politik gemacht hat. Der Name von Ludewig, der nicht bei der Tour am Start ist, wurde umgehend der Öffentlichkeit bekannt gegeben, er wurde vorläufig vom Rennbetrieb der Equipe ausgeschlossen. Auch, wenn Ludwig gestern seine Unschuld beteuerte. Zwar gab er zu, Teile des Schreibens verfasst zu haben. Er behauptet jedoch fadenscheinig, niemals die Dopingmittel, über die er sich informiert hatte, auch genommen zu haben. T-Mobile Sprecher Christian Frommert sagte, dass dennoch mit den Juristen des Unternehmens über die Möglichkeiten einer Vertragskündigung beraten wird. Der Radsport hat anscheinend doch das eine oder andere gelernt.

Für Werner Franke ist das jedoch zu wenig. Franke hält den Radsport für unheilbar versaut. Das legte er am Montag ausführlich in einem Essay in der Süddeutschen Zeitung dar. Darin beschuldigte er unter anderem das Team Gerolsteiner des systematischen Dopings. Anlass für diese Aussage: Das Schreiben von Jörg Ludewig.

Nun stammt die Anfrage von Ludewig an seinen Berater aus dem Jahr 1998. Damals fuhr Ludewig für den zweitrangigen deutschen Rennstall EC Bayer Worringen. Aus dem Brief geht lediglich hervor, dass Ludewig einen Vertrag bei Gerolsteiner für das darauffolgende Jahr hat. Solche Details hinderten Franke jedoch nicht an seinen Schlussfolgerungen.

Deshalb zögerte auch das ZDF, Frankes Generalvorwürfe an den Radsport und das Team Gerolsteiner aus dem Schreiben in seinem Beitrag wiederzugeben: „Wir sind Journalisten und haben selbstverständlich auch die andere Seite angehört“, so ZDF Redakteur Walter Kehl. Für Werner Franke war die Vorsicht des Senders indes Indiz dafür, dass die Anstalt in das ganze marode System Radsport verstrickt ist. „Als ich dann erfahren habe, dass Wolf-Dieter Poschmann bei einer Gerolsteiner-Veranstaltung aufgetreten ist, war mir klar, wie die Sache läuft“, so Franke.

Also ging Franke zur Süddeutschen Zeitung. Dort durfte er am Montag unter seinem Namen seine allgemeinen Auslassung zum verdorbenen Radsport veröffentlichen. Bevor die Redakteure sich selbst zu den Vorwürfen äußerten, prüften jedoch auch sie genau die Fakten. Was übrig blieb, ist ein mutmaßlicher Doping-Fall eines jetzigen Profis vor acht Jahren.

Seine Behauptungen, dass der gesamte Radsport durch und durch von Doping durchsetzt ist, stützt sich Franke, wie er sagt, unter anderem darauf, dass ja „bewiesenermaßen die gesamte Spitze des Sports verstrickt ist.“ Es ist sicherlich nicht zu leugnen, dass der Radsport ein schweres Dopingproblem hat. Vielleicht hat er ja sogar das Recht auf Differenzierung verwirkt. Mit undokumentierten Pauschalanwürfen macht man es allerdings dem Radsport leicht, Kritik abzutun und den Kopf in den Sand zu stecken.

Die Reaktionen der beiden deutschen Profi-Mannschaften Gerolsteiner und T-Mobile zeigten hingegen einen eindeutigen Willen, genau das nicht zu tun. T-Mobile deckt weder Jan Ullrich noch Oscar Sevilla oder Jörg Ludewig, sondern zieht sie zur Rechenschaft. Gerolsteiner-Chef Hans Michael-Holczer forderte Franke auf, ihm den Namen der Leute zu nennen, die Gerolsteiner nach Ansicht von Franke zu einem verseuchten Rennstall machen, damit er gegen sie vorgehen kann. Die Namen blieb Franke jedoch schuldig. Die Recherchearbeit, derer es bedurfte, um konkrete statt pauschaler Anwürfe zu formulieren, nahmen Franke dann die Journalisten ab. Ein Berufsstand, der in Frankes Welt zum Großteil ja mit dem mafiosen Radsport unter einer Decke steckt.

Sebastian Moll