Tuesday, January 23, 2007

Nicht den Fundamentalisten das Böse überlassen: Norman Mailer schreibt über Hitler

Man ist versucht, mit den Augen zu rollen und das Buch gleich wieder weg zu legen, wenn sich ein Romanerzähler als Teufel vorstellt und ankündigt, dem Leser im Folgenden die satanische Akte Adolf Hitler zu eröffnen. Selbst, wenn der Autor des Buches Norman Mailer heißt, scheint schon die Konstruktion so naiv und banal, dass man sich als aufgeklärter Mitteleuropäer damit weiter nicht beschäftigen mag. Die simplistische Darstellung Hitlers als Werkzeug des Ganz Bösen – wie der Chef unseres Erzählers, eines mittleren Angestellten der Hölle namens D.T. (der Teufel), von Mailer genannt wird – scheint die Anstrengungen mindestens einer Generation hochrangigster europäischer Intellektueller zu verspotten, dem Phänomen Hitler soziologisch, historisch und philosophisch auf die Schliche zu kommen. Mailer ist, wie es scheint, im Alter jenem amerikanischen Manichäismus verfallen, der auch George Bush beseelt, von dem sich Europa hingegen spätestens seit Kants Kritik der reinen Vernunft befreit hat.

Wenn man dennoch in Mailers gerade in den USA erschienenem Roman „A Castle in the Forest“ über Kindheit und Jugend Hitlers weiter ließt, erscheinen die Dinge jedoch nicht mehr so einfach. Denn Mailers Manichäismus, wie D.T. in einem Exkurs darlegt, ist wesentlich differenizerter, als der evangelikale. Schon lange, erklärt D.T. – in seiner irdischen Inkarnation ein SS-Geheimdienstoffizier – kämpfen nicht mehr zwei Reiche, das Böse und das Gute um die Welt. Schon lange erschwere eine dritte Kraft, nämlich der Mensch seine Arbeit. Mailer verfällt also nicht einfach bloß in mittelalterliche Betrachtungsweisen. Er bezieht durchaus das aufgeklärte Subjekt in seine Weltanschauung ein. Das Problem des Bösen, will er uns sagen, hat die Aufklärung jedoch nicht zu lösen vermocht. Sie hat es lediglich verkompliziert.

Einen besseren Beleg für dieses Argument als Adolf Hitler gibt es freilich nicht und so erklärt sich auch das Interesse Mailers an Hitler. Denn für das Böse interessiert sich Mailer schon lange, vermutlich spätestens seit er selbst seine Frau bei einer Party 1960 mit einem Messer attackierte und schwer verwundete. Konventionelle Kategorien von Gut und Böse waren ihm schon immer suspekt, insbesondere als vorgefertigte Wertesysteme – die der Linken und der Rechten gleichermaßen beispielsweise. Und in seinen Büchern über den Mörder Gary Gilmore und seine Hinrichtung (The Executioner’s Song) sowie über Lee Harvey Oswald (Oswald’s Tale) hat er sich bereits an das Böse herangetastet. Dass er irgendwann bei Hitler ankommt, erscheint im Rückblick deshalb geradezu logisch.

Ob er mit „The Castle in the Forest“ wirklich zur Lösung des Rätsels Hitler beitragen wollte ist vor diesem Hintergrund indes eher zweifelhaft. Es scheint vielmehr so, dass Hitler für Mailer eine Metapher ist – Hitler bedeutet das denkbar böseste Böse. Mailer benutzt diese Metapher und hat dabei eher Amerika als Deutschland im Blick. Man kann sich leicht vorstellen, wie sehr einen, der so weit jenseits von konventionellem Gut und Böse zu denken gewohnt ist, die Leichtfertigkeit provoziert, mit der die Welt nach dem 11. September von Bush und Konsorten in diese Begriffe gefasst wird. „Wer auf starke moralische Kategorien verzichtet, aus Angst davor, dass sie missbrauchst werden können, lässt sie in den Händen derer, die sie am ehesten missbrauchen“, sagt die Philosophin Susan Neiman, die auf das Böse spezialisiert ist. So muss man wohl auch Mailers Motivation beschreiben.

Mailers Beitrag zum zusehnds wieder ins manichäische abrutschenden Diskurs über das Böse ist dabei nicht neu. Janet Maslin, die Kritikerin der New York Times, hat diesen Beitrag auf den Punkt gebracht, als sie sich über die Banalität von Mailers Erzählungen aus dem Hitlerschen Elternhaus in Braunau beklagte. Mailer hält es offenkundig mit Hannah Arendt, die dem Bösen jegliche Substanz und ontologische Kraft verweigerte. So liebt D.T. die Fundamentalisten, die ihm und seinem Dienstherren diese Kraft zugestehen: „Ihr Glauben hält jedes Versprechen, sich in die endgültige Massenvernichtungswaffe zu entwickeln.“

Selbst mit Hitler hatte es D.T. jedoch nicht so leicht. Moderne Subjekte gehören eben weder ganz dem Teufel noch ganz Gott. Deshalb, so D.T. „suchen wir nach Männern und Frauen, die bereit sind einige soziale oder göttliche Gesetze zu übertreten.“ Ein solches Subjekt findet der Ganz Böse in Hitlers Vater Alois, der aus einem inzestuösen Haushalt stammt und die Inzucht mit seiner Nichte Klara Poelzl, die, wie Mailer unbeweisbar behauptet, auch seine Tochter war, wissentlich und genüßlich weiter treibt. Das ruft den Bösen auf den Plan, hier sieht er sein Schlupfloch.

Der weitere Verlauf der Erzählung scheint vorherbestimmt – man erwartet, der vollen Entfaltung des Bösen in der Person Adolf Hitler beizuwohnen. Diese Befriedigung verschafft Mailer dem Leser aber nicht. Der junge Hitler ist nicht offenkundig satanisch, er quält nicht etwa Tiere oder dergleichen, wie man das von jungen Teufeln aus Hollywood kennt. Mailer ist subtiler, ihm ist vor allem an einer möglichst detaillierten und plausiblen Rekonstruktion der Hitlerschen Familienverhältnisse und der Psyche des jugendlichen Adolf gelegen. D.T. bleibt vorerst vor allem Spion seines Meisters, penibler Beobachter, Empirist. Nachdem er berichtet, wie Hitler im Alter von 14 Jahren beim bekoten seines Schuzeugnisses erwischt wird, verabschiedet D.T. sich vom Leser, der wohl weiß, was als nächstes kommt. „Wir Teufel sind weise genug, um zu wissen, dass es keine Antworten gibt – es gibt nur Fragen“, sagt er zum Schluß. Die Frage nach dem Bösen bleibt stehen, die Antwort entzieht sich jedoch in Mailers Buch. Und genau darin liegt sein Verdienst.