Wednesday, January 17, 2007

Die Stadt als Rhytmus und Energie - Doug Aitkens Videotektur am MoMa

Es ist Doug Aitken zu wünschen, dass es nur an dem Kälteeinbruch nach einem spätsommerlichen New Yorker Dezember lag. Gerade einmal ein paar Dutzend Passanten blieben an der 53ten und 54ten Strasse stehen, um sich am Eröffnungsabend seine ambitionierte Video-Projektion „Sleepwalkers“ an den Außenwänden des MoMa zu betrachten – angesichts der zum Feierabend durch Midtown Manhattan hastenden Millionen eine klägliche Zahl. Zu befürchten ist allerdings, dass die New Yorker, gerade in solch unmittelbarer Nähe zum Times Square von über ihren Köpfen flimmernden Lichtern, Schriftzügen und Filmsequenzen zu übersättigt sind, um ihre Blicke nach oben zu richten oder gar zu verweilen.

Um die „Sleepwalkers“ nicht bloß dumpf als ein weiteres unter tausenden Lichtsignalen der großen Stadt wahrzunehmen muss der Passant aber zumindest den Schritt verlangsamen. Denn anders als die Werbebotschaften am Times Square sind Aitkens Sequenzen keine Generalattacke auf die Sinne, der man sich nicht erwehren kann. Die fünf je 13-Minuten langen Filme, die synchron aber in immer neuer räumlicher Folge und Kombination als Endlosschleifen auf die Wände rund um den Moma-Skultpturengarten, auf die Rückseite des Bürogebäudes und über den Eingang des Museums flimmern, fordern den Betrachter, aktiv einzugreifen – als Regisseur quasi, der per Rundgang das Filmangebot von Aitken im Geist zu einem individualisierten Ganzen schneidet.

Aitkens Einladung zum Innehalten ist zugleich eine Einladung zur Selbstreflektion – das Projekt ist eine Meditation über die Erfahrung der Stadt im 21. Jahrhundert. Die Filme beginnen mit dem Sonnenuntergang über Manhattan und zeigen, wie sich fünf archetypische New Yorker in ihren Wohnungen auf die nächtlichen Straßen der Stadt vorbereiten. Eine Postbedienstete, gespielt von Neo-Folk-Sängerin Cat Power, ein Fahrradkurier, gespielt vom New Yorker Straßentrommler Ryan Donowho, ein Geschäftsmann, gespielt von Donald Sutherland, ein Elektriker, gespielt von Seu Jorge und eine Büroangestellte, gespielt von Tilda Swinton überlassen sich synchron dem Kreislauf der Stadt - dem Verkehr, der U-Bahn, einem Bus. Zusammen mit ihnen erlebt der Passant, wie sie die Rhythmen der Stadt aufnehmen, sich schlafwandlerisch vom Puls New Yorks durch die Blutbahnen der Metropole treiben lassen, bis sie schließlich, gleichzeitig aber je für sich, in einem ekstatischen Augenblick aus der Bahn geschleudert werden und für einen kurzen Moment aufwachen: Der Fahrradkurier steigert sich auf einem U-Bahnsteig in einen wilden Trommelsolo auf einem Eimer; der Geschäftsmann tanzt auf dem Dach eines Taxis, von dem er angefahren wird; die Postbeamte wirbelt sich in eine schwindelige Pirouette, bis schließlich die Welt von ihr abfällt; die Büroangestellte träumt sich als Violinistin in das Zentrum eines Symphoniekonzertes; der Elektriker fängt an, mit einem Starkstromkabel Lasso zu werfen. Wie in einem Robert Altmann Film laufen parallele aber völlig voneinander losgelöste Existenzen auf ein gemeinsames Crescendo zu.


Einen solchen Augenblick der Wachheit will Aitken woh auch für die schlafwandelnden Passanten an der 53ten und 54ten Straße zwischen Fifth und Sixth Avenue schaffen. Einen Augenblick, in dem sie sich ihrer einzigen Gemeinsamkeit gewahr werden – der Art und Weise nämlich, wie sie in ihrem je eigenen Film täglich durch die Stadt navigieren. Das Projekt ist ebenso paradox wie perfekt selbst-referentiell. So schreibt Produzent Peter Eleey von der Initiative CreativeWorks im Katalog zu der Installation: „Sleepwalkers fordert vom Betrachter zwar denselben Zustand der Halbwachheit, mit dem er sich durch die Stadt bewegt. Zugleich macht er diesen Zustand jedoch bewusst und reißt uns dadurch aus ihm heraus. Er erzählt uns eine Geschichte über uns selbst und strickt uns dadurch zusammen.“ Eleey beschreibt Sleepwalkers als eine Art Autokino für New York – eine gemeinschaftliche Zuschauer-Erfahrung in der der Einzelne seinen Straßenpanzer vorübergehend durchlässig macht, ihn jedoch nicht komplett aufgeben muss. Man ist beim Betrachten von Sleepwalkers zusammen, bleibt aber trotzdem alleine und wird sich dabei genau dieser Tatsache bewusst.

Die Rolle des MoMa ist dabei nicht bloß zufällig. Schon bei seinen letzten Projekten in der Londoner Serpentine Gallery 2001 und am Musee d’Art Moderne de la Ville de Paris 2005 hat sich Aitken dafür interessiert, wie Museumsarchitektur und Video zusammenwirken, um die Grenzen zwischen dem Innen und Außen von Ausstellungsflächen aufzulösen. Die Außenwände des MoMa zur Ausstellungsfläche zu machen, war da nur ein folgerichtiger Schritt, vor allem, weil sich Yashio Taniguchis Neubau von 2003 besonders gut für eine noch tiefer gehende Erforschung des Zusammenspiels von Architektur und Film eignet. Der strenge, hochmodernistische Bau mit seiner matten, opaken Haut aus Kunststoffglas tritt nämlich selbst als Werk völlig zurück. Durch die Projektionen verwandelt er sich deshalb komplett in die gezeigten Bilder – durchbrochen nur von Ahnungen dessen, was sich hinter der Fassade abspielt: Eine brennende Bürolampe etwa oder die dinierenden Gäste des Moma-Restaurant im Erdgeschoß.

Doch es löst sich nicht nur die Projektionsebene in ihren Hintergrund, das MoMa-Innere, auf. Genauso nahtlos fügt sich Aitkens Videotektur in das umliegende, vertikale Lichter-Labyrinth von Manhattan. Die Stadt wird, wie Aitken sagt, eine „grenzenlose Landschaft aus reiner Wärme und Energie.“ Eine Landschaft, in der man sich schlafwandelnd wieder verliert, nachdem die „Sleepwalkers“ für einen flüchtigen Augenblick dem Bewußtsein Halt gegeben haben.