Sunday, July 16, 2006

Verrückte Tour - Sieben Führungswechsel in 13 Tagen

Selbst unter Fachleuten herrscht in diesem Jahr bis weilen Verwirrung, wenn es darum geht das Finale einer Tour Etappe zu interpretieren. Warum etwa, fragte man sich am Sonntagnachmittag, fuhr die Discovery-Mannschaft in der Anfahrt zum Zielsprint im Alpenferienort Gap, den beiden Ausreissern, dem späteren Etappensieger Pierrick Fedrigo und dem Italiener Salvatore Comesso hinterher? Hat Discovery überhaupt eine Sprinter oder gab es eine Allianz zwischen Discovery und einem Rennstall mit einem schnellen Mann, wie etwa Rabobank? Und wenn, welchen Hintegrund hat diese Allianz und wer profitiert davon?


Im Jahr Eins nach Lance Armstrong und in Abwesenheit einer anderen Autoritätsperson im Feld, artet die Tour de France grenzt die Tour de France zunehmend an das Chaos. Sieben mal wechselte das Gelbe Trikot in 13 Tagen – der Rekord von neun Führungswechseln aus dem jahr 1987 ist in Gefahr. So einfach es in den vergangenen Jahren, das Rennen zu verfolgen – alle fuhren gegen Armstrong und Armstrong gegen alle und ohne die ausdrückliche Genehmigung des Patrons geschah gar nichts. Jede Flucht und jeder Massensprint waren alleine der Gnade des Meisters zu verdanken.

Floyd Landis hingegen, nach den Pyrenäen der aussichtsreichste Anwärter auf die Armstrong-Nachfolge pflegt einen anderen Stil. Nachdem er auf der bislang schwersten Kletteretappe vorübergehend die Gesamtführung übernahm, konnte er es gar nicht erwarten, das Gelbe Trikot wieder los zu werden. Armstrong hingegen pflegte stets genau den Tag zu planen, an dem er das Maillot überstreifen wollte und danach gab er es meist nicht wieder her.

Nachdem Landis am Samstag hingegen absichtlich den Spanier Oscar Pereiro genau so weit weg ließ, dass er ihm das Trikot übertragen konnte, sagte er: „Die Mannschaft von Lance war immer extrem selbst bewusst. Ich glaube auch an meine Mannschaft aber ich weiß, dass wir nicht stark genug sind, um das Rennen so zu fahren, wie Discovery das früher getan hat.“


Der Schachzug von Landis Pereiro ziehen zu lassen hat allerdings allerlei Spekulationen ausgelöst. Von einer Allianz zwischen Landis’ Mannschaft Phonak und dem Team von Pereiro, Iles Baleares wird gemunkelt. Der Deal geht so – Periero bekommt für ein Tag das Gelbe nebst der dazugehörigen Aufmerksamkeit. In den Bergen unterstützen dafür die Spanier die Schweizer Mannschaft mit dem amerikanischen Chef.

Auch von einer anderen Absprache wird in diese Tagen gesprochen. Auffällig hielt sich am Freitag Weltmeister Oscar Freire zurück und überließ dem Ukrainer Jaroslav Popvitch vom Discovery Team den Etappensieg. Trotz Dementis glaubt man, dass sich Oscar Freires Team Rabobank dadurch die Unterstützung von Discovery in den Alpen für seinen Kapitän Denis Menchov sichern wollte.

Über die „Tour der Verrücktheiten“, wie die Sportzeitung L’Equipe am Sonntag titelte, beschwert sich allerdings kaum jemand. „Das ist doch schön für Euch – jeden Tag jemand anderes im Gelben Trikot. Da habt ihr immer etwas zu schreiben“, sagte Etappensieger Jens Voigt am Samstag der Presse. Der scheidende Tour-Direktor Jean Marie Leblanc schreibt in seiner täglichen Kolumne in L’Equipe über die neue Buntheit: „Der athletische Wert, die taktische Intelligenz, die Team-Arbeit – all das ist bei dieser Tour so gut zu erleben, wie schon lange nicht.“ Eine Woche vor Paris, freut sich Leblanc, hätten großzügig gerechnet noch sechs Fahrer eine Chance, eine Tour zu gewinnen. Und wer wollte sich nach der erdrückenden und bisweilen langweiligen Dominanz von Armstrong darüber beschweren.

Sebastian Moll