Tuesday, July 18, 2006

Im Land der Arschlöcher - Armstrong eckt an wo er nur kann

L’Alpe d’Huez. Giberto Simoni hat es aufgegeben, die Tour gewinnen zu wollen. Der dreifache Giro d’Italia-Sieger ist immer wieder in Frankreich an Lance Armstrong gescheitert, mittlerweile begnügt er sich damit, bei der Tour mehr oder weniger resigniert im Mittelfeld mitzurollen. Doch obwohl er mit dem Thema Tour abgeschlossen hat, kann sich Simoni eine gewissen Freude darüber, dass Armstrong nicht mehr da ist, nicht verkneifen. „Ich verstehe nicht, was die Leute wollen“, sagte er vor der entscheidenden Berg Etape über den Izoard nach L’Alpe d’Huez. „Erst meckern sie jahrelang darüber, dass Armstrong die Tour erdückt. Jetzt meckern sie darüber, dass es keine Stars mehr gibt. Etwas besseres kann der Tour doch nicht passieren.“

Doch die Tour scheint ihre Stars zu vermissen. An den Serpentinen hinauf nach L’Alpe d’Huez, die in den Jahren der Ullrich-Armstrong Duelle schon Tage bevor das Feld durchrauschte schwarz mit Fans waren, konnte man gestern noch Stunden vor dem Rennen einen Stellplatz für seinen Camper finden. Sicherlich hatte das nicht nur mit der Empörung über den dopingverseuchten Radsport zu tun – schließlich jubelten die französischen Fans ja auch jahrelang zu Hunderttausenden dem geständigen EPO-Konsumenten Richard Vireque zu.

Doch die Tour musste rund um ihre Königsetappe nicht ganz ohne ihre liebgewonnen Helden auskommen. Sowohl Jan Ullrich als auch Lance Armstrong suchten am Vorabend von L’Alple d’Huez, wo sie so oft um den Tour-Sieg gestritten hatten, den Rundfahrt-Tross heim.


Jan Ullrich machte sich in Form eines Faxes bemerkbar, dass er strategisch genau zu dem Zeitpunkt in das T-Mobile Hotel senden ließ, an dem sein designierter Nachfolger als Mannschaftskapitän, Andreas Klöden, gerade mit der Presse über seine Ziele und Träume sprach. Zwar stand in dem Fax nicht viel drin. Weder schrieb Ullrich, dass er unschuldig sei, noch trug er sonstwie dazu bei, aufzuklären ob, warum und wie lange er sich gedopt hatte. Er bat lediglich die Öffentlichkeit dazu, sein Grundrecht auf die Unschuldsvermutung zu respektieren – was angesichts solcher Manöver freilich immer schwerer fällt. Trotzdem gelang es ihm wieder einmal seinem angeblichen Freund Andreas Klöden die Show zu stehlen. Ein mageres Ullrich_Fax ist scheinbar noch immer interessanter, als ein Klöden in Fleisch und Blut, der um den Tour-Sieg fährt.

Lance Armstrong kam Montagabend sogar persönlich in Frankreich an. Und wie es so seine Art ist, begnügte sich der Texaner keinesfalls mit einem diskreten Besuch im Hotel seiner ehemaligen Mannschaft, die ihm ja zu 50 Prozent gehört. Armstrong legt es offenkundig darauf an, in den zwei Tagen, die er bei der Tour weilt, ein Maximum an Unruhe zu stiften.

Den Boden dafür bereitete er schon in der vergangenen Woche, als er in einer Fernsehrsendung in den USA die französische Fußball-Nationalmannschaft, als „Arschlöcher“ bezeichnete. Jahrelang hatte Armstrong vergeblich versucht, die Sympathien der Franzosen zu gewinnen. Jetzt kann ihn Frankreich, das ihn aller Charme-Offensiven zum Trotz beharrlich hasst, offenbar sonstwo.

Seine ursprünglichen Pläne, im Teamauto hautnah an den Fans vorbei zu fahren, revidierte Armstrong dann allerdings kurzfristig wieder – Schlagzeilen wie „Willkommen Arschloch“ in France-Soir, ließen ihn wohl um seine Unversehrtheit bangen. Die L’Alpe d’Huez-Etappe betrachtete er sich mit seiner Promi-Entourage aus den USA im Hotel am Fernsehgerät. Erts am Donnerstag soll er sich auf die Strecke wagen.

Seine vergiftete Beziehung mit den Franzosen ist allerdings nicht das einzige Feuer, in das der unversöhnliche Tour-Dominator bei seinem Besuch Öl zu gießen gedenkt. Auch seinen ehemaligen Mannschaftskameraden Floyd Landis, mit dem er seit Jahren zankt, möchte Armstrong bei der Tour ein wenig nerven.


Armstrong hat Landis nie verziehen, dass dieser vor zwei Jahren Armstrongs Team verließ, um sein eigenes Glück zu machen. Den Verrat an seinem Meister verschlimmerte Landis dann im vergangenen Winter, als er neuerliche Versuche von Discovery, ihn zurück zu gewinnen, schnöde abblitzen ließ. Deshalb wird im Fahrerfeld gemunkelt, habe Armstrong nun eine Alianz zwischen Discovery und der holländischen Mannschaft Rabobank eingefädelt. Das Ziel ist es, mit dem Rabobank-Kapitän Denis Menchov, den Sieg von Landis zu verhindern.

Im Zweifel wird der Pakt allerdings Landis nicht bremsen können. Einfacher wäre es vermutlich für Armstrong, selbst wieder auf das Rad steigen und das zu erledigen. „Wenn Lance dieses Jahr gefahren wäre“, sagt Gilberto Simoni, „hätte er vom ersten bis zum letzten Tag das Gelbe Trikot getragen.“ Doch dann müsste Armstrong ja per Rad und ungeschützt durch das Land der Arschlöcher fahren. Und das sollte er vermutlich lieber bleiben lassen.