Nicht Schwarz, nicht Weiß - Barack Obama und der Diskurs der "Blackness"
(Literaturen, Nr. 11 - 07)
Es war schon ziemlich niederträchtig, was Henry Louis Gates Jr. da kürzlich vor laufenden Kameras mit der schwarzen TV-Talkerin Oprah Winfrey anstellte. Erst konfrontierte der Dekan des Fachbereichs für Afro-Amerika-Studien an der prestigereichen Harvard-Universität den Medienstar mit dem Ergebnis einer hochmodernen DNA-Analyse, derzufolge Winfrey von dem Volk der Kpelle in Liberia abstammt und nicht etwa, wie sie sich das gewünscht hatte, von den stolzen Zulu. Dann schleppte Gates Winfrey für seine TV Serie „African American Lives“ auch noch nach Liberia zu einer reichlich beklemmenden „Wiedervereinigung“ mit ihren Vorfahren, die offenkundig mit ihr genauso wenig anzufangen wussten, wie umgekehrt.
Auf diesen Effekt hatte Gates offensichtlich gezählt. Schließlich begründete er seinen Ruf als Kulturwissenschaftler nicht zuletzt damit, dass er so etwas wie „schwarzer Identität“ jegliche Essenz absprach. In seiner berühmt gewordenen Studie des Romans „Der unsichtbare Mann“ von Ralph Ellison beschrieb Gates, wie „Unsichtbarkeit“ die einzig lebbare Daseinsform für Schwarze in der amerikanischen Gesellschaft ist. Unsichtbarkeit ist für Gates das Ziel jener Kunst der Parodie, mit der Afro-Amerikaner in ihren kulturellen Äußerungen die dominanten Klischees von „Schwärze“ als leer entlarven und mit ihnen auch alle anderen griffigen Konstruktionen ethnischer, rassischer und sonstiger Sub-Identitäten innerhalb des amerikanischen Schmelztiegels.
Weil er vorgefertigten Konstruktionen schwarzer Identität grundsätzlich mißtraut, kann Gates wohl auch prächtig damit leben, daß sein eigener DNA-Tests ihn als Nachfahre von irischen und jüdischen Einwanderern ausweist. „Dann muss ich wohl meinen Job aufgeben“, scherzte der Sohn eines schwarzen Papierfabrikarbeiters aus den Bergen von West Virginia, als er von dem Ergebnis hörte. Gates hat freilich nichts dergleichen vor. Die spezifische Kultur, die Nachkommen afrikanischer Sklaven in den USA geschaffen haben, ist für ihn zwar ein Studienobjekt endloser Faszination. Das sentimentale Bedürfnis schwarzer Amerikaner, sich nach dem kruden Vorbild von Marcus Garvey oder Malcolm X mit ihren verlorenen schwarz-afrikanischen Wurzeln zu identifizieren, hält Gates hingegen offenkundig für naiv.
Die neuen Möglichkeiten der DNA-Analyse und des Abgleichs von Erbmasse mit rasant wachsenden Datenbanken sind für Anti-Essentialisten wie Gates bestenfalls Anlaß zu süffisantem Sarkasmus. So legte in einer der jüngsten Ausgaben der politischen Wochenzeitschrift „The New Republic“ auch der Harvard-Psychologe Steven Pinker dar, wie all diese Sucherei nach Wurzeln zwangsläufig ins Leere läuft. Oprah Winfrey etwa, so Pinker, habe nicht entdeckt, dass sie eine Kpelle ist, sondern lediglich, dass sie zu einem 256tel Kpelle ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach enthalten ihre Zellen zu einem ebenso hohen Anteil wie Kpelle-DNA beispielsweise schottische oder deutsche DNA. Über ihre Identität sagen die liberianischen Mitochondrien jedenfalls nur wenig aus. Jenseits der unmittelbaren Familienbande, so Pinker, lässt sich über die derzeit so beliebten DNA-Abgleiche lediglich feststellen, dass wir letztlich alle irgendwie verwandt sind.
Diese Einsicht ist freilich eine Provokation in einem Land, in dem Ahnenforschung eine nationale Obsession ist. Nach dem Gärtnern, berichtete jüngst der „New Yorker“, ist das Erstellen von Stammbäumen das beliebteste Hobby in den USA: 120 Millionen Amerikaner geben sich diesem Zeitvertreib hin. Im Internet ist Genealogie das am zweitmeisten nachgefragte Sachgebiet nach der Pornografie. Ahnenforschungs-Webseiten wie Familysearch.com und ancestry.com verzeichnen Besucherzahlen, die in die Milliarden gehen. Offenbar hat die amerikanische Ideologie vom Grundrecht, sich von Wurzeln zu lösen und neu zu erfinden, einen massiven Gegentrend ausgelöst.
Das Credo, daß amerikanische Identität gemacht und nicht gefunden wird, wird in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion allerdings nicht nur durch die Absurdität der DNA-gestützten Ahnenforschung unterstrichen, von der selbst die Betreiberin des erfolgreichsten Dienstleisters auf dem Gebiet ancestry.com, Megan Smolenyak, sagt, sie „bedeute überhaupt nichts.“ Mindestens ebenso stellt die Präsidentschaftskandidatur von Barack Obama sämtliche sicher geglaubten amerikanische Sub-Identitäten in Frage. Obama ist nicht weiß, er ist nicht schwarz. Sein Vater ist Kenyaner, seine Mutter weiße Amerikanerin. Er ist auf Hawaii aufgewachsen und seine DNA-Analyse hat ergeben, daß sich unter seinen Vorfahren unter anderem Sklavenhalter befanden.
Die schwarze Intellektuelle und Publizistin Debra Dickerson hat Obama deshalb in einem provokanten Essay seine „Schwärze“ abgesprochen. Die Polemik wurde Dickerson als Versuch ausgelegt, den Senator unter der schwarzen Wählerschaft zu diskreditieren und ihm seine Legitimität abzusprechen, wenn er sich für schwarze Bürgerrechte einsetzt. Doch das Gegenteil ist der Fall – Dickerson ist davon begeistert, dass sich Obama nicht auf eine vorgefertigte „schwarze Identität“ festnageln lässt.
Schwarz zu sein bedeutet für Dickerson nämlich - gar nichts. Wie Frau Winfrey beglückt grinsend durch ein Kpelle-Dorf zu laufen und zu glauben, man habe seinen Urspung gefunden, das hat Dickerson schon 2004 in ihrem Buch „The End of Blackness“ geschrieben, zeige nur, dass man noch immer „die Plantage im Kopf“ hat. Es bedeute, sich selbst durch die Brille von Rassisten und Kolonialisten zu sehen. Mit solcher Selbstsicht stehe das schwarze Amerika sich jedoch vor allem selbst im Weg. Jeder, der auf die „riesige Entschuldigungs-Karte“ für 400 Jahre Sklaverei und Unterdrückung warte, die alle weißen Amerikaner unterschrieben haben, warte vergeblich. Stattdessen solle das schwarze Amerika seine Chancen nutzen, Chancen, die heute viel größer sind, als schwarze Aktivisten glauben machen wollen.
Wenn Dickerson Obama seine „Schwärze“ abspricht, meint sie das mitnichten als Kritik. Das verwirrt im Kontext der festgefahrenen Rassendiskurse in Amerika so manch einen. Aber vielleicht ist Verwirrung ja genau das, was diese Diskurse brauchen.
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