Sunday, July 23, 2006

Tour Sieger Landis: Keine Lust ein Star zu sein

Floyd Landis’ großer Angriff in den Alpen, mit dem er sich aus aussichtsloser Lage wieder zurück in den Kampf um den Tour-Sieg katapultiert hat, gilt schon Tage danach als ein Klassiker des Radsports. Das war ein heroischer Streich, wie ihn in der Geschichte der Tour nur wenige Fahrer vollbracht haben. Und die, die so etwas konnten, waren die großen Legenden des Sports. In den vergangenen 50 Jahren konnte das eigentlich
nur Eddy Merckx. Lance Armstrong und Miguel Indurain gelang niemals ein solcher Coup und schon gar nicht Jan Ullrich.

Und dann sitzt Landis da mit seiner umgedrehten Baseballkappe und einem Lausbubengrinsen, so, als freue er sich schelmisch über irgendeinen Unsinn, den er angestellt hat oder den er sich gerade ausdenkt. Wie etwa sein legendärer Rekord im Erdnussessen oder jener im Cappucchino-Vieltrinken zusammen mit seinem Wohngenossen, dem CSC-Profi Dave Zabriskie; sitzt da wie jemand, der eigentlich nichts so richtig ernst nimmt, inklusive sich selbst. Der als Tour de France-Sieger zugibt, dass sein komplettes Französischvokabular aus „Cafe“ und „Biere“ und „Merci Beaucoup“ (amerikanisch ausgesporchen: mörceee bohukuuuuhhh) besteht und der das auch noch witzig findet. Wie ein nerviger, übermütiger amerikanischer College-Boy eben.

Man bekommt die beiden Bilder des neuen Tour de France-Champions nicht so richtig zusammen – des dauerpubertierenden MTV-Kids einerseits und des Über-Athleten, der sich mit seinen Großtaten schon jetzt einen festen Platz im Pantheon der Tour-Historie gesichert hat . Man kann bestenfalls versuchen, sich diese scheinbare Doppelpersönlichkeit aus Landis’ Biografie zu erklären.


Die Geschichte von seiner repressiven Kindheit ist mittlerweile schon ebenso Teil der Landis-Mythologie geworden, wie die Erdnuss- und Capuccino-Rekorde. Floyd Landis hat sich per Fahrrad aus dem überregulierten Alltag einer sektenähnlchen Glaubensgemeinschaft frei gestrampelt. Er wollte sein Leben nicht im 17.Jahrhundert verbringen, er wollte Teil des zeitgenössischen Amerika und der westlichen Welt sein.

Als er es mit 17 geschafft hatte, sich aus dem Pennsylvania Dutch Country nach Kalifornien abzusetzen und sich als Mountainbikeprofi durchzuschlagen, entdeckte Landis, wie der amerikanische Journalist Dan Coyle schreibt, das moderne Leben wie eine Art „mennonitischer Pygmalion.“ Er studierte mit Hilfe seiner Radkollegen akribisch Filme, Popmusik, Fernsehen und wie man mit Mädchen umgeht. Dieses Pop-Leben in Südkalifornien gefiel ihm und so nahm er schnell und gekonnt die Rolle des Cool-Kid an. Aber sie blieb angelernt.

Nicht angelernt war hingegen seine Fähigkeit, härter und konsequenter zu trainieren, als alle anderen. Und kompromißloser seine Ziele zu verfolgen. Sein Vater hatte ihm das Radfahren verboten und Landis so mit Arbeit im Haus und im Familienbetrieb überhäuft, dass keine Zeit mehr für das Fahrrad blieb. Landis aber trainierte trotzdem. Heimlich. Nachts.

Das sind die beiden Pole von Floyd Landis’ Persönlichkeit. Der beinharte Arbeiter auf dem Rad, der sich aus sich heraus, ganz alleine, grausamer schinden und weiter treiben kann, als sich das normale Menschen vorstellen können. Wie bei seiner Attacke am Col de Joux Plane; wie eigentlich bei der gesamten Tour, die er im Grunde ohne nennenswerte Mannschaftsunterstützung gewann. Auf der anderen Seite ist da seine Pop-Identität, die er bewusst und gezielt an die Stelle des Mennonitentums gesetzt hat, vor dem er wohl bis heute wegzuradeln versucht.

Womit Landis freilich noch eindeutig überfordert ist, ist die öffentliche Rolle des Champions, des Patrons. Landis’ Vorgänger Armstrong hat diese Rolle geliebt, er wollte der Sprecher und Herrscher des gesamten Radsports sein, nach Möglichkeit des Weltsports insgesamt. Staatstragend zu sein, fiel Armstrong nicht nur leicht, sondern bereitete ihm sichtbare Befriedigung.

Nicht so Landis. Er mag das überhaupt nicht, es ist ihm fremd. Als er gefragt wird, was denn seine Botschaft als Tour-Sieger ist, windet er sich und quält sich dann stockend eine sperrige Deklaration heraus. Seine Botschaft, so Landis, sei keine andere, als die Botschaft der Tour de France. Sie sei ein wundervoller Sportwettkampf und Radsport ein wundervoller Sport. Dem, was man auf der Landstrasse zu sehen bekommt, habe er nichts hinzu zu fügen.

Zum Thema Doping möchte er sich zunächst überhaupt nicht auslassen. Auf wiederholtes Drängen bricht aus ihm mit einigem Zorn jedoch jene Radfahrerattitüde heraus, die man über die Jahre nur allzu gut kennengelernt hat. „Der Ausschluss der Fahrer zu Beginn der Tour war für uns alle ein Unglück. Keiner von uns hat daraus eine Befriedigung gezogen.“ Das Problem war die Suspendierung, der Medienrummel darum, die Störung des Rennablaufs und der Konzentration. Nicht etwa die Doper und das Doping. Und die Ausgeschlossenen waren Opfer. Das sagt Landis zwar nicht, aber das impliziert er deutlich.

Landis will möglichst störfrei Radrennen fahren. Ansonsten möchte er mit seinem Kumpel Zabriskie in ihrer, wie man hört, chaotischen Junggesellenbude in Girona in Spanien hausen, viel und hart trainieren, Unfug anstellen, herum albern, Bier und Capuccino in rauhen Mengen trinken und Musik hören. „Ich hoffe sehr, dass sich mein Leben jetzt nicht ändert“, sagte er, nachdem er am Samstag endgültig das Gelbe Trikot übernommen hatte.

So einfach wird Landis aber nicht davonkommen. Seine adoleszente Unbefangenheit kann zwar ausgesprochen charmant sein. Als Star, der er nun zweifellos ist, wird sie ihm jedoch vermutlich Schwierigkeiten bereiten. Es wird Zeit, dass der Pyglamlion aus Pennsylvania das Studium einer neuen Rolle antritt. Die Basballkappe und seine Lieblingsbands und die Capuccino-Exzesse mit seinem Kumpel „Z.Man“ - Zabriskie muss er ja deshalb nicht aufgeben.

Sebastian Moll