Friday, March 31, 2006

Doping überschattet Saisonstart im Baseball

Es ist ein ungewöhnlich milder März in New York und so hätte Baseball-Commissioner Bud Selig sicher die Wochenenden vor dem Saisonstart an diesem Sonntag lieber mit Spaziergängen im Central Park verbracht. Stattdessen saß er jedoch in seinem Wohnzimmer und brütete über dem Buch „Game of Shadows“, das die beiden Reporter Mark Fainaru-Wada und Lance Williams nur Tage vor dem ersten Krachen der Bälle auf Schlägerholz in die Buchläden gebracht haben.

Das Buch stellt Selig vor ein peinigendes Problem: Die Journalisten haben stichhaltig den Doping- Mißbrauch des Homerun-Rekordmanns Barry Bonds sowie seiner Kollegen Jason Giambi und Gary Sheffield in jener Zeit zwischen 1998 und 2002 dokumentiert, die heute als Steroid-Ära des Baseball gilt. Selig – der ohnehin im Ruf steht, nur widerwillig das Medikamentenproblem in seinem Sport anzugehen – musste etwas tun, um das PR-Desaster vor dem Spielstart einzudämmen. Und so kündigte der oberste Baseball-Funktionär am Donnerstag an, eine unabhängige Untersuchungskommission ins Leben zu rufen.

Die Entscheidung, dem Fall Bonds nachzugehen, fiel Selig nicht leicht: „Ich hätte mich lieber beim Zahnarzt einer Wurzelkanalbehandlung unterzogen“, sagte er. Selig hat die Erfahrung gemacht, dass alles nur noch schlimmer wird, wenn man einmal in den Ameisenhaufen sticht. Dass er nach dem Prozess gegen die kalifornische Dopingküche Balco 2003 und nach der Untersuchung des US-Kongresses im vergangenen Jahr jeweils seine Anti-Doping Maßnahmen verschärft hat, hat ihm jeweils nur noch mehr Ärger eingebracht. Deshalb riet ihm auch der Kolumnist der New York Times, William Rhoden, das neue Buch zu ignorieren: „Ich würde es an seiner Stelle lesen, schließen, vergessen. Sonst wird er Jahre damit zubringen, Rekordlisten und Statistiken umzuschreiben. Wenn man Bonds verfolgt, verfolgt man eine ganze Generation.“


Der Rat von Rhoden ist nicht zuletzt deshalb sinnvoll, weil die hastig zusammen gestellte Kommission einen dubiosen Rechtsstatus besitzt. Weitere Probleme sind programmiert. So ist es völlig unklar, welche Handhabe der Kommissionsvorsitzende George Mitchell gegen Spieler hat, die er überführt. Die Kommission wird vermutlich nur eines - noch mehr Fälle wie Bonds und Giambi produzieren. Spieler also, von denen man weiß, dass sie betrogen haben, gegen die man aber nicht viel unternehmen kann. „Man kann nur darüber spekulieren, was Selig mit den Untersuchungs-Ergebnissen der Kommission anstellt“, sagte am Donnerstag der Chef der Spielergewerkschaft Don Fehr und signalisierte damit schon jetzt, dass er der Liga bestimmt keine juristischen Halbheiten durch gehen lassen wird.

Dabei würde Selig nur allzu gerne etwas gegen Bonds tun. Bonds fehlen nur noch sieben Homeruns, um die Statistik der Baseball-Legende Babe Ruth von 714 Schlägen zu egalisieren und nur noch 48, um den ewigen Rekord von Hank Aaron zu übertreffen. Und das Letzte, was sich Selig wünscht, ist es, Bonds im Laufe des Jahres als erfolgreichsten Schlagmann aller Zeiten ehren zu müssen. „Dann könnte Selig nur noch im Erboden versinken“, schreibt Murray Chass in der New York Times.

Mit der Berufung der Kommission hat Selig nun erst einmal vorläufig die amerikanische Baseball-Öffentlichkeit besänftigt, die den Kopf von Bonds fordert. Man soll sehen – es wird etwas getan. Eine wirkliche Lösung des Problems scheint es allerdings erst zu geben, wenn die Anabolika-Generation von Bonds, Giambi, Sheffield und den anderen, endgültig abgetreten ist. Die neue Generation ist, darf man der Fachzeitschrift Sports Illustrated glauben, aus einem anderen Holz geschnitzt – weniger Homerun-fixiert, mannschaftsorientiert statt rekordbesessen und vor allem sauber. Selig würde das sicher gerne glauben. Und hoffen, dass die Jungen sich durchsetzen, bevor die Alten seinen Sport und seine Karriere endgültig verkorkst haben.