Tuesday, March 28, 2006

Nativismus vs. Multikulturalismus: George Bush im Abseits

Wenn es in den vergangenen fünf Jahren auf den Strassen amerikanischer Städte Massenkundgebungen gab, war Präsident Bush in der Regel der Adressat des Protestes. Als während des republikanischen Nationalkonvents in New York etwa eine halbe Million Menschen auf die Strasse gingen, waren Parolen wie „Impeach the Liar“ und „Fire Bush“ auf den Transparenten zu lesen. Und so wird sich Bush, dessen Zustimmung in der Bevölkerung immer neue Tiefstände erreicht, gewiss gefreut haben, dass die Demonstranden in Los Angeles, San Francisco, und Detroit am Wochenende auf seiner Seite waren.

Auf den Schildern, die zumeist laietinamerikanische Marschierer durch die Strassen trugen waren Sätze zu lesen, wie „We Are America“ und „Justice for Immigration“. Der Zorn der Einwanderer von südlich des Rio Grande wandte sich gegen eine Gesetzesvorlage, die diese Woche im Senat verhandelt wird. Der Entwurf soll illegale Gastarbeiter kriminalsieren: Ohne Papiere in den USA zu leben und zu arbeiten, soll fortan keine Ordnungswidrigkeit mehr sein sondern eine Straftat, ebenso, wie die Beihilfe zum ungesetzlichen Aufenthalt. Dazu würde es gehören, den etwa 11 Millionen Chicanos ohne Pass einen Job zu geben oder eine Wohnung zu vermieten.

Das findet George Bush nicht richtig. In einer Rede am Sonntag pries er die große Tradition Amerikas, Einwanderer willkommen zu heißen und unterstrich, dass die USA eine multikulturelle Gesellschaft sind. „Jede Generation von Einwanderern bringt eine Erneuerung unseres nationalen Charakters mit sich und trägt zur Vitalität unserer Kultur bei“ sagte er.

Doch Bush ist nicht etwa plötzlich zum liberalen Multikulturalisten mutiert. Er ist lediglich zu jener Einwaderungsagenda zurück gekehrt, die schon lange vor dem 11. Spetmber auf seinem politischen Fahrplan stand. Bush möchte ein Gastarbeiter-Gesetz, das den Einwanderern eine begrenzte Aufenthaltszeit ohne Bürgerrechte erlaubt. Die Idee geht auf seine Zeit als Gouverneur von Texas zurück, wo ihn seine Unternehmerfreunde in Houston und Dallas davon überzeugten, dass billige Arbeitskräfte aus Tijuana und Nuevo Laredo gut für Amerika sind. Und völlig unproblematisch, solange man sie nicht wählen lässt und nach ein paar Jahren wieder heimschickt.

So einfach lassen die konservativen Ideologen im Parlament und in der eigenen Partei allerdings George Bush nicht davon kommen. Allen voran der republikanische Abgeordnete Tom Tancredo, der es in der Einwanderungs-Frage auf einen Zusammenprall mit seinem Präsidenten ankommen lässt. Tancredo hat klar gemacht, dass es hier nicht um die amerikanische Wirtschaft geht, sondern darum, dass die „westliche Zivilisation selbst“, von dem bedroht ist, was da vom südlichen Halbkontinent nach Texas, Kalifornien und Neu Mexiko strömt. Tancredo schwadroniert über den „Kult des Multikulturalismus“, den es zu bekämpfen gelte und ist entschlossen, wie die Polit-Zeitschrift The New Republic beobachtet, das Thema zum zentralen Thema des kommenden Präsidentschaftswahlkampfes zu machen.

In der Tat ist der Furor, den die derzeitige Senatsdebatte entfacht hat, nur damit zu erklären, dass es sich um eine Fortsetzung des amerikanischen Kulturkampfes zwischen Liberalen und Konservativen handelt. So sind die wirtschaftlichen Probleme der Einwanderung aus Lateinamerika gemäß einer neuen Harvard-Studie vergleichsweise banal: „Die Gesundheitsreform von Bush unterminiert die Finanzierung unseres Sozialsystems um ein vielfaches schlimmer, als das Problem der illegalen Einwanderer“, fasst Kolumnist Paul Krugman die Studie in der New York Times zusammen. Dennoch erhitzt die Einwanderung und nicht die Krankenversicherung die Gemüter.

Tancredo und seine Fraktion setzen mit der jetzigen Diskussion den Nativismus des neokonservativen Vordenkers Samuel Huntington in dem Moment auf die Tagesordnung, in dem die neokonservative Bewegung durch das Irak-Debakel scheinbar an Schwung verloren hat. Vor zwei Jahren hatte Huntington in seinem Buch „Who We Are“ davor gewarnt, dass integrationsunwillige Mexikaner die USA überfluten und eine parallele Hispano- Gesellschaft bilden, die von den Werten der Anglo-Mehrheit nichts wissen will. Hillary Clinton hat diese Offensive der Konservativen nicht ungeschickt damit gekontert, dass sie die Kriminalisierung der Immigranten für unchristlich erklärt hat. Durch den Schachzug hat sich die Präsidentschaftsanwärterin die Unterstützung der katholischen Kirche gesichert. Bush scheint auf diesem neuen Schlachtfeld des Kulturkrieges indes schon jetzt eher eine Randfigur zu sein.
Sebastian Moll