Saturday, February 10, 2007

Tingel Tour - Floyd Landis reist durch die USA um sich davon zu überzeugen, dass noch jemand an ihn glaubt

(Süddeutsche Zeitung, 8.2.2007)

Nach einer guten Stunde hatte die versammelte New Yorker Radsportszene offenbar genug
Dopinggeschichten gehört. Floyd Landis, so wurde aus dem rund 200 Personen starken Publikum in der Abfüllhalle einer Brooklyner Kultbrauerei gefordert, solle doch lieber nochmal die Geschichte von der Etappe bei der letzten Tour de France erzählen, als er mit seinem heroischen Ritt das Gelbe Trikot eroberte. Landis ließ sich nicht zwei Mal bitten und führte die gebannt an seinen Lippen hängenden Radler in jedem Detail noch einmal durch jene Stunden, in denen er es diesen Deutschen und diesen Spaniern in den Alpen gezeigt hatte. Die Fans dankten dem in skeptischeren Teilen der Welt geächteten Champion mit ausgedehntem Szenenapplaus und Landis gönnte sich mit einem tief zufriedenen Gesichtsausdruck einen großen Schluck der Hausmarke.

Das Ziel des Abends war erreicht. „Diese Veranstaltungen“, gab Landis später zu, „sind eigentlich in der Hauptsache dazu da, um mich ein wenig aufzumuntern.“ Offfenbar braucht Landis derzeit reichlich Aufmunterung, denn er wird in den kommenden Wochen ähnliche Treffen in allen großen Städten der USA sowie in den einschlägigen amerikanischen Radsporthochburgen wie Colorado abhalten. Zusammen mit seinen Rechtsanwälten, seinen PR-Beratern und seinen Ärzten stellt er seiner verbliebenen Anhängerschaft seine Verteidigungsstrategie in den gegen ihn anhängigen sportrechtlichen Verfahren vor. Es ist eine Art Beschwörungsritual bei dem das Landis-Team sich versichert, dass es tatsächlich noch Leute gibt, die hinter dem noch immer amtierenden Tour-Sieger stehen und zugleich diesen Leuten argumentatives Futter für ihre Treue liefert.

Das Alles hat einen konspirativen Beigeschmack – die Zusammenkunft zwischen Braukesseln in einer Seitenstrasse des Brooklyner Szeneviertels Williamsburg wirkte wie die Sitzung eines Geheimbundes, der Strategien für einen Putsch plant. Und tatsächlich will die Landis-Klicke nicht einfach nur in einem Sportgerichtsverfahren einen Freispruch erzielen. Sie wollen das ganze System der Sportjurisdiktion reformieren. „Das System will schnelle Resultate und opfert dabei die Gerechtigkeit“, leitete der Manager des „Floyd-Fairness-Funds“, der Ex-Rennfahrer Brian Rafferty, den Abend ein. Die Lösung, so der smarte PR-Stratrege von der Wall Street, könne nur eine „Amerkanisierung dieses Systems“ sein. Amerikanische Standards von Fairness und Gerechtigkeit sollen her, wie etwa das viel bemühte Recht auf die Unschuldvermutung. Vor allem aber – und das ist wirklich originell – eine „unabhängige“ Kontrolle der Anti-Dopingbehörden. „Unabhängig“ heißt hier privatwirtschaftlich – ganz nach dem Credo der US-Konservativen, dem gemäß alles staatliche suspekt ist. In Europa sieht man das freilich zumeist noch immer anders herum – Unabhängigkeit garantieren hier staatlich finanzierte Instanzen wie die Verbände und die Anti-Doping-Agenturen.

Bevor das ganze System reformiert wird muss Landis freilich erst noch seine Fälle vor der US- Antidopingagentur und ihrem französischen Pendant AFLD vertreten. Die USADA will im Mai über eine Sperre von Landis entscheiden, die AFLD entscheidet heute, ob sie dem Antrag von Landis’ Anwälten statt gibt, das Verfahren über die Sperrung auf französichem Boden zu verschieben. Die Methoden, mit denen Suh und seine Kollegen von der kalifornischen Kanzlei Gibson, Dunn & Crutcher vorgehen, sind dabei im Vergleich zum revolutionären Anspruch konventionell und bestens vertraut. Dem Dopinglabor in Frankreich sollen Verfahrensfehler nachgewiesen werden und bei der USADA spielen die Anwälte auf Zeit, in dem sie zunächst einmal die Herausgabe aller vorliegenden belastenden Unterlagen fordern.

Der Feldzug kann also dauern. Anscheinend hat Floyd Landis einen langen Atem. Man fragt sich allerdings, wie er gedenkt, sich das als arbeitsloser Profi ohne Werbeverträge leisten zu können. Zumal er selbst zugibt, die Kampagne aus eigenen Mitteln „höchstens noch zwei, drei Monate“ durch halten zu können. Etwa zwei Millionen würde die Verteidigung insgesamt kosten, schätzt Brian Rafferty vom „Floyd Fairness Fund“ – zwei Millionen, die mit Radsportler-Treffen in Szene-Kneipen gewiss nicht einzuspielen sind. Auch, wenn der Obolus für einen Abend mit Geschichten über Testosteron und mit zwei Stunden Freibier stolze 35 Dollar beträgt.

Das Geld, das ist klar, kommt von irgendwo anders. Daraus macht Landis auch keinen Hehl und bedankt sich öffentlich bei mysteriösen Gönnern, die ihm das alles ermöglichen. Vermutlich sind das die gleichen Leute, die ihm den Kontakt zu der vornehmen, weltweit operierenden Großkanzlei in Los Angeles, bei der Maurice Suh arbeitet, verschafft haben. „Gemeinsame Bekannte“, so Suh diskret, hätten ihn und Landis zusammen gebracht. Weitere Hinweise verweigerte der junge Karriere-Advokat.

Welches Interesse auch immer diese anonymen Drahtzieher verfolgen – Landis fühlt sich ihnen verpflichtet und widmet, wie er sagt, derzeit seine ganze Kraft dem Kampf gegen die Entrechtung der Athleten durch übereifrige und korrupte Funktionäre. An Radfahren, so Landis sei da parallel nicht zu denken. Landis kennt derzeit nur eine Rundfahrt - seine Tournee durch die Standorte der US-Radsport-Subkultur. Die erste Etappe in New York war dabei magels Konkurrenz ein klarer Sieg. Sogar ein paar Dollar Preisgeld sprangen dabei heraus – ein New Yorker Fan ersteigerte zugunsten des „Fairness Funds“ ein original Gelbes Tour-Trikot von Landis für 2000 Dollar.

Sebastian Moll